Titel
Accident of Fate. A Personal Account, 1938–1945


Autor(en)
Rochlitz, Imre; Rochlitz, Joseph
Reihe
Life Writing + Life reading
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
$29.95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jens Hoppe, Frankfurt am Main

Seit langem ist Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs im Fokus von Memoirenschreibenden, vielfach auch aus der Feder jüdischer Überlebender oder von Partisanen. Beispielhaft sei auf einen im letzten Jahr von Sara Raisky veröffentlichten Bericht verwiesen.1 Imre Rochlitz hat nun einen Bericht über sein Überleben zwischen dem so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 und seiner Flucht aus dem von den kommunistischen Partisanen kontrollierten Gebiet Jugoslawiens im Februar 1945 verfasst. Der im Januar 1925 in Budapest geborene, bis zum Juli 1938 in Wien lebende Rochlitz betrachtet rückschauend in 20 Abschnitten sein Leben in seiner dramatischsten Zeitspanne. Sein Sohn, Joseph Rochlitz, fungiert als Co-Autor. Bereits 1987 drehte dieser den auf den Erlebnissen seines Vaters beruhenden Dokumentarfilm „The Righteous Enemy“. Den Einfluss des Filmemachers merkt man dem Buch an, etwa in den kursiv gesetzten Sequenzen, die eine Vorausschau markieren oder eine Erklärung eines Sachverhalts bieten, die nur aus späteren Erkenntnissen gewonnen werden kann, aber auch im einem Film nicht unähnlichen Aufbau der Autobiographie.

Doch was erfahren wir als Leser in „Accident of Fate“? Den Anfang markiert ein Einblick in die Familie Rochlitz bis zum März 1938 und hier besonders in das Leben im Wien der 1930er-Jahre einer nicht wohlhabenden jüdischen Familie. Rochlitz’ Vater starb bereits 1927 an Tuberkulose und hinterließ eine Frau mit zwei kleinen Kindern: Imre und den drei Jahre älteren Bruder Max. Allein durch das Zusammenleben mit anderen Familienmitgliedern war es der Mutter möglich, ein – wenn auch prekäres – Auskommen zu finden. Wie andere Juden dieser Zeit, waren die Rochlitz deutsch orientiert, der Autor benutzte etwa den Vornamen Emmerich anstatt des ungarischen Imre. Doch durch den „Anschluss“ veränderte sich sein Leben dramatisch. Für die Familie gab es keine Existenzaussicht im Deutschen Reich mehr, doch lediglich in Zagreb lebten Verwandte. Zu diesen floh der Autor als 13-jähriger Junge. Hierbei wird – wie oftmals bei erfolgreichem Entkommen – deutlich, dass Mut, Schlagfertigkeit, Glück und Einfallsreichtum zusammenkommen mussten, um aus dem Deutschen Reich fliehen zu können. Doch danach begann für den Autor kein freies Leben: „Thus, within a week of my arrival, I had become a thirteen-year-old illegal alien.“ (S. 31) Letztlich wurde Jugoslawien und hier die Anlaufstelle „Onkel Robert in Zagreb“ Zielpunkt der Flucht sämtlicher Familienmitglieder, die jedoch an verschiedenen Stellen endete, so für die Mutter des Autors in Derventa (Bosnien) und die beiden Onkel Ferdinand und Julius in Samobor (bei Zagreb), während der Autor in der kroatischen Hauptstadt verblieb.

Mit dem Überfall der Wehrmacht am 6. April 1941 änderte sich das Leben für Imre Rochlitz und seine Angehörigen erneut, denn sie kamen wieder unter deutsche Herrschaft, diesmal im Bereich des „Unabhängigen Staates Kroatien“, in dem die faschistische Ustascha-Bewegung eine äußerst brutale Verfolgung der Juden in Gang setzten. Wie die meisten Juden, die den Holocaust in Jugoslawien überlebten, flieht Rochlitz aus der deutschen in die italienische Besatzungszone Kroatiens, genauer von Zagreb nach Split. Er wird von den italienischen Besatzern im November 1942 in das Lager Kraljevica (Porto Re) verbracht und von dort im Jahr 1943 in das Lager Kampor auf der Insel Rab (Arbe) transferiert. Von dort aus gelangt er nach der Kapitulation Italiens im September 1943 in das Partisanengebiet auf dem Festland und wird Mitglied der kommunistisch orientierten Partisanen unter Tito. Bereits Anfang 1945 flüchtet er von den jugoslawischen Partisanen, die ihm die Ausreise verbieten wollten, nach Süditalien. Zuvor war er als Teenager im Vernichtungslager Jasenovac interniert, wurde aber auf Betreiben des Generals Glaise von Horstenau wieder entlassen.

Rochlitz Erinnerungen gewähren einen tiefen Einblick in das Leben eines illegalisierten und verfolgten Jugendlichen in Jugoslawien zwischen 1941 und 1945 in Lagern, auf der Flucht und bei den Partisanen. Dabei wird deutlich, wie stark er zum Beispiel die Lagerlogik der Bewacher in Jasenovac übernommen hatte, wie sehr er sich als Überlebender noch immer Vorwürfe macht, dass es ihm nicht gelungen war, seiner (später ermordeten) Mutter rechtzeitig falsche Papiere zukommen zu lassen und wie auch bei den Partisanen das Überleben der Juden von eigenen Mitteln als Tauschwaren für Nahrungsmittel abhängig war. Insbesondere die Zeit bei den Partisanen wird von Imre Rochlitz drastisch beschrieben. Hierbei fällt auf, wie sehr das Klima bei den Partisanen durch Antisemitismus und Menschenverachtung geprägt war. Der Autor slawisierte seine Identität, um sein Jüdischsein, seinen deutschen Familienhintergrund und den ungarischen Vornamen zu verbergen: „Under my new identity as Mirko Rohlić, I tried to navigate the treacherous Partisan terrain of suspicion, paranoia, and arbitrary justice.“ (S. 141) Tatsächlich war der Autor Zeuge, wie Juden, die den Deutschen und den kroatischen Ustascha entkommen waren, von den Partisanen ermordet wurden.

Imre Rochlitz hat eine sehr lesenswerte Schilderung des Daseins als verfolgter Jude und als Partisan geboten und zudem zahlreiche Fotos beigefügt, die vielen Familienmitgliedern ein Gesicht geben. Die Co-Autorenschaft von Joseph Rochlitz und langjährige Archivrecherchen unterscheiden den Band von bloßer Memoirenliteratur. Dabei fällt auf, dass die Erinnerungen nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern erst Jahrzehnte später aktiviert worden sind. Dies, aber auch der Umstand, dass der Autor zur beschriebenen Zeit noch sehr jung war, machen das Buch einerseits zu einer spannenden Lektüre und verlangen andererseits eine Einordnung des Beschriebenen in den historischen Kontext.

Kann es an einer solchen Arbeit etwas zu kritisieren geben? Der Autor benennt seine nach 1945 erworbenen Kenntnisse, legt seine heutigen Empfindungen offen, lässt die Leser teilhaben an seiner Lebensgeschichte aus der Perspektive des Überlebenden. Für eine englischsprachige Publikation finden sich außergewöhnlich wenige Fehler bei der Schreibung deutscher Worte (etwa auf S. 15). Einen Wermutstropfen bilden fehlerbehaftete Karten (auf S. 52, 80 und 89). Letztlich kann die von Imre Rochlitz erzählte Geschichte dennoch jedem Interessierten uneingeschränkt empfohlen werden. Was bleibt, ist eine ergreifende Lebensgeschichte, die fesselnd geschrieben ist.

Anmerkung:
1 Sara Raisky, La matassa ovvero la signora delle tredici picche, Triest 2010.

Kommentare

Von Rochlitz, Imre19.01.2012

Readers of the review by Jens Hoppe of my wartime memoirs "Accident of Fate" would not be to blame were they to believe that a full and comprehensive portrayal of my book had been provided. The reviewer faithfully reports most of the main events in my early life and expresses appreciation for the work as a whole, for which I am grateful. Inexplicably, however, a core theme of my memoirs to which I devote four chapters, thus demonstrating that it is of profound importance to me, is passed over in complete silence. This essential theme is the humane behaviour of Italian troops towards Jewish refugees in occupied Croatia during 1942 and 1943. They not only saved my life, and that of thousands of others, they restored my sense of human dignity, after my previous imprisonment in an Ustashe death camp. Many pages of my book are devoted to describing my recurrent experiences with the humane and protective attitude of the Italians, not only towards me but also towards thousands of other Jewish refugees. And yet there is no trace at all of this in an otherwise meticulous and even punctilious review, which simply mentions that, like many other Jews, I escaped to the Italian zone and was for a time interned by them.

I am aware that the topic is somewhat controversial – there appears to be disagreement among historians as to the motivations of the occupying Italians, who were under the orders of Mussolini’s Fascist regime and committing atrocities against Slovenians and others while protecting Jews from the Nazis and Ustashe. This is an entirely valid debate, the contradictions in the conduct of the Italians are glaring. I am also aware that current historiographical trends attribute the humane Italian attitude towards Jews in occupied Europe (they protected Jews in France and Greece too) primarily to political and strategic considerations, rather than humanitarian ones. While this may be a legitimate view, where it is supported by the documentation, I believe that my memoirs make a strong and substantiated case for the humanitarian considerations. In this ongoing debate, I would expect my voice and that of the multitude of others who benefited from the humanity of the Italians to at least be acknowledged, whether it conforms or not to current conventional wisdom.


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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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