Cover
Titel
Verwandelte Blicke. Eine Visual History von Kirche und Religion in der Bundesrepublik 1945-1980


Autor(en)
Städter, Benjamin
Reihe
Campus Historische Studien 60
Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Campus Verlag
Anzahl Seiten
432 S., 77 SW-Abb.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Gerster, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Indem sie sich der „Visual History“ bedient, ermöglicht Benjamin Städters Dissertation neue, ungewohnte Perspektiven auf die Transformation von Religion und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Während der in den 1990er-Jahren ausgerufene „Iconic Turn“ in den Geschichtswissenschaften häufig nur halbherzig umgesetzt wird, verfolgt Städter seine Perspektive methodisch konsequent. Das Buch reiht sich damit in die zahlreichen gewinnbringenden Publikationen der Bochumer DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne“ ein.1 Folglich lehnt sich die Studie unverkennbar an die medien- und religionsgeschichtlichen Zugänge von Frank Bösch und Lucian Hölscher an, die Städter als Doktorvater und Zweitgutachter zur Seite standen.

In einer knappen Einleitung führt Städter zunächst in die Theorie und Methodik seiner Arbeit ein. Als Grundlage dienen vor allem die Prämissen der „Visual History“, die in den letzten Jahrzehnten wesentlich zur „Emanzipation des Bildes von seinem vormaligen Status als reines Illustrationsobjekt“ beigetragen hat (S. 7). Bilder können – so Städter – in der Folge nicht länger als bloßer Zierrat einer schriftlastigen Geschichtsschreibung gelten. Stattdessen ermöglichen ihre Codierungen und Verwendungen dem Historiker eigene Erkenntnisse, indem er Bildquellen in Produktionskontexte und Rezeptionsgeschichten einordnet. Städter macht es sich zur Aufgabe, anhand von Bildern, „welche die Transformationsprozesse von Kirche und Religion [...] visuell begleiteten, ausdeuteten und anstießen“ (S. 12), eine solche „Visual History“ zu schreiben. Ob ein Bild dabei als „religiöses Bild“ zu verstehen ist, ergibt sich laut Städter maßgeblich aus dessen „verbalen und visuellen Kontexte[n]“ (S. 15), worunter wohl vor allem Bildlegenden zu verstehen sind.

Für die Auswahl seiner Quellen greift Städter exemplarisch auf einzelne Fotos und Bildstrecken zurück, die in den großen westdeutschen Illustrierten wie „Stern“, „Spiegel“ und „Quick“ abgedruckt wurden. Eine Palette gruppenspezifischer Veröffentlichungen wie das Satiremagazin „Pardon“ und die Jugendzeitschrift „Twen“ erweitern diesen massenmedialen Blick. Eine besondere Stellung nehmen ausgewählte Bildbände und Illustrierte ein, die die Visualisierung von Religion aus der Sicht kirchlicher Träger zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus geben Fotoausstellungen und das Fotomagazin „magnum“ Einblicke in die Rolle professioneller Fotografen und Medienschaffender. Eine kleine Auswahl von Kino- und Fernsehfilmen rundet das Portfolio visueller Quellen ab.

Städter gliedert seine Arbeit in drei große chronologische Blöcke, die ihrerseits in weitere thematische Schwerpunkte unterteilt sind. Das Ordnungsschema orientiert sich dabei an bekannten Mustern. So werden die späten 1940er- und die 1950er-Jahre unter dem Aspekt der „traditionellen Kirchlichkeit“ analysiert, während sich das folgende Kapitel mit den „langen 1960er-Jahren“ beschäftigt. Es bildet unverkennbar den Schwerpunkt des Buches und untersucht auf mehreren Ebenen die Auseinandersetzung zwischen krisenhafter Kirchlichkeit und einer sich wandelnden bundesdeutschen Gesellschaft. In einem dritten Abschnitt wirft Städter schließlich einen Blick auf die 1970er-Jahre, die aus seiner Sicht zwischen innerkirchlicher Pluralisierung und der Suche nach alternativer Religiosität changierten. Die chronologische Gliederung erweist sich als nachvollziehbare Struktur, die der Lektüre des Werkes entgegenkommt. Zu bedauern ist lediglich, dass sich der Autor nachdrücklich weigert, Umbrüche in konkreten Jahreszahlen zu fassen. Es wäre für die zeitgeschichtliche Religionsforschung durchaus von Interesse gewesen, ob sich die bekannten Periodisierungen aus Sicht der Bildästhetik und des Bildgebrauchs bestätigen lassen oder nicht.

Unterhalb der chronologischen Gliederung legt Städters Arbeit vier wesentliche Themenfelder bei der Visualisierung von Religion frei: religiöse Mythen und Ursprungsnarrative, die gesellschaftliche Verortung von Religion, kirchliche Amtsträger und alternative Religiosität. Diese Felder werden wiederholt aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und lassen sich nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen, wie etwa im Kapitel über die Trümmerfotografie deutlich wird. Anhand des Bildbandes „Gesang im Feuerofen“ des Kölner Fotografen Hermann Claasen (zuerst 1947 erschienen) erläutert Städter exemplarisch, mit Hilfe welcher Techniken dessen Bilder ihr Plädoyer für eine Re-Christianisierung der Gesellschaft inszenierten. Dabei erweisen sich vor allem unversehrte christliche Gotteshäuser inmitten von Trümmerfeldern als zentrales Motiv. Dieser Mythos von der Kirche als „Siegerin in Trümmern“ überdauerte einerseits in der Selbstwahrnehmung, insbesondere der katholischen Kirche, für Jahrzehnte.2 Andererseits deutete die spätere Rezeption der Fotografien deren Sinngehalt um, indem sie diese Fotos als Belege des westdeutschen Wiederaufbauerfolges zu interpretieren versuchte. Insofern thematisiert das Kapitel sowohl die religiöse Mythenbildung als auch die Frage, wie sich die gesellschaftliche Verortung von Kirche und Religion in der Bundesrepublik gewandelt hat.

Besonders eingehend untersucht Städter den visuellen Wandel anhand der Abbildungen religiösen Personals. Im Fokus der Arbeit stehen dabei unter anderem die fotografischen und filmischen Darstellungen der Päpste des Untersuchungszeitraums. Äußerst detail- und kenntnisreich beschreibt Städter in diesem Kontext das vielschichtige Zusammenspiel von vatikanischer Öffentlichkeitsarbeit, medialen Interessen und gesellschaftlicher Rezeption. In diesem Spannungsfeld gelingt es ihm, feinfühlig den Wandel visueller Papstdarstellungen nachzuzeichnen: von Pius XII. als „Vorkämpfer für den Frieden“ über Johannes XXIII., der nicht zuletzt wegen seiner Körperfülle als zutiefst menschlich wahrgenommen wurde, bis hin zu Paul VI., dessen Bild als Kirchenreformer unter dem Eindruck des Verbots der „Pille“ stark gelitten hat. Städter kann durch seine dichte Schilderung belegen, dass der Vatikan den Einfluss auf die Darstellung zusehends verlor. Ob der daraus resultierende Machtgewinn von Medien und Einzelfotografen jedoch als „Demokratisierung“ zu bezeichnen ist (S. 325), bleibt eher fraglich.

Insgesamt schlussfolgert Städter, für den Untersuchungszeitraum lasse sich eine „zunehmende Pluralität in der Darstellungsweise religiöser Ausdrucksformen“ nachweisen (S. 393). Dieses Fazit stützt sich zu einem guten Teil auf die Entwicklungen der 1970er-Jahre, die in einem eigenen Kapitel ausführlich behandelt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem die verstärkte Abbildung individueller Religiosität und das Aufkommen alternativer, charismatisch-esoterischer Glaubensvorstellungen. Auch hier gelingt es dem Autor, wie in den Kapiteln zuvor, die Verzahnung der verschiedenen Wandlungsprozesse von Religion und Medienlandschaft spannend und lesbar darzustellen.

Mit seinem Fazit, die Entwicklung laufe auf eine Pluralisierung hinaus, schließt sich Städter Einschätzungen anderer Religionshistoriker an. Diese Schlussfolgerung korrespondiert zugleich mit seiner eingangs formulierten These: „Eine Säkularisierung öffentlicher Bildwelten, verstanden als Verschwinden religiöser Szenerien und Symbole aus den öffentlich kursierenden Visualia, lässt sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts […] nicht feststellen.“ (S. 19f.) Städters Verdienst ist es dabei, verschiedene Wege aufzuzeigen, wie sich die religiösen Bildwelten in der Bundesrepublik durch die Medialisierung verändert haben. Bedauerlich, aber forschungspragmatisch verständlich ist es, dass die Studie auf eine quantitative Einordnung ihrer Ergebnisse verzichtet. Dieses Desiderat bietet gleichzeitig Möglichkeiten für zukünftige Detailforschungen über die „verwandelten Blicke“ religiöser Visualisierung. Benjamin Städter hat hierfür mit seiner Dissertation eine mehr als lesenswerte Einführung geliefert.

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.fg-religion.de/> (27.1.2012).
2 Vgl. Joachim Köhler / Damian van Melis (Hrsg.), Siegerin in Trümmern. Die Rolle der katholischen Kirche in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, Stuttgart 1998. Städter hebt zurecht hervor, dass der Sammelband, der den Mythos eigentlich kritisch historisiert, selbst unterhinterfragt auf die Trümmerfotografie verweist.

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