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Titel
Nonnen streben nach Autonomie. Das Frauenkloster Engelberg im Spätmittelalter


Autor(en)
Pfaff, Carl
Erschienen
Zürich 2011: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Hynek, Rostock

Der Schweizer Historiker Carl Pfaff (Universität Freiburg/Schweiz) legt mit seiner Studie „Nonnen streben nach Autonomie“ eine monographische Untersuchung über den Nonnenkonvent des Doppelklosters Engelberg im Spätmittelalter vor, die er streng in zwei Teile scheidet. Der erste Teil soll die Geschichte des Konvents in neuer Perspektive, das heißt vor allem unter Beachtung seines Verhältnisses zum Männerkonvent, darstellen, der zweite Teil das Beziehungsnetz des Frauenklosters unter geographischen, sozialen und politischen Gesichtspunkten rekonstruieren. Pfaff greift dabei vor allem auf die nekrologischen und urkundlichen Quellen des Klosters zurück.

Das wohl schon zur Zeit seiner Gründung um 1120 als Benediktinerdoppelkloster angelegte „Engelberg“ beherbergte bis in das Jahr 1615 sowohl einen Männer- als auch einen Frauenkonvent. Es sticht daher gegenüber den anderen Doppelklöstern der Region hervor, deren Frauenkonvente schon früh verlegt oder aufgelöst worden waren. Diese Sonderstellung nahm das Kloster allerdings nicht wegen seiner guten wirtschaftlichen Lage ein – ganz im Gegenteil, es hatte von Beginn an mit Versorgungsengpässen zu kämpfen –, sondern wegen einer im 14. Jahrhundert einsetzenden „Autonomiebestrebung“ des Nonnenkonvents. Den Anstoß zu dieser Entwicklung gaben der Männerkonvent und seine Äbte selbst, die wegen eigener Probleme die Nöte der ihnen anvertrauten Frauen nicht zu lösen im Stande waren. Die Nonnen wandten sich zunächst 1305 an Papst Clemens V., der die Inkorporation einer Pfarrkirche allein an die Meisterin und ihren Konvent adressierte, und gleich darauf im Jahr 1307 an die Königin Elisabeth, die dem Frauenkonvent Memorien zu fünf Mark jährlichen Silbers stiftete und bestimmte, dass Abt und Männerkonvent daraus keinen Nutzen ziehen sollten. Diese beiden Belege zeigen den Auftakt einer Entwicklung an, in der die den Frauen des Klosters anvertrauten Güter gegenüber dem Zugriff des Abtes größeren Schutz genossen und die ihren Schlusspunkt in einer Vereinbarung von 1449 fand, in der es zu einer Regelung aller Verpflichtungen des Abtes gegenüber den Frauen kam.

Aufgrund der Quellenlage konzentrieren sich Pfaffs Untersuchungen auf das 14. und 15. Jahrhundert; sie zeichnen dennoch ein vielfältiges Bild von der Frauenkommunität. So setzen zeitgleich mit der genannten „Autonomieentwicklung“ die Produktion von Prunkhandschriften sowie die Aufnahme von Stick- und Webarbeiten ein. Dabei zeigt sich, dass der Frömmigkeitsstil der angefertigten Arbeiten dominikanischen Ursprungs ist und damit auf möglichen Einfluss des Nonnenklosters Ötenbach in Zürich verweist.

Aber auch das Nekrologium von 1345, das die Nonnen eigenverantwortlich pflegten, ist ein wichtiger Beleg für diese Veränderungen. Es zeigt ein neu geschaffenes Vertrauen und eine engere Verflechtung zwischen dem Nonnenkonvent und seiner sozialen Umwelt und spiegelt zugleich die Veränderungen in ihr wider. Stammten die Stiftungen des 13. Jahrhunderts noch überwiegend von Hochadligen, verschob sich dies im 14. und 15. Jahrhundert zugunsten von ritteradligen, neupatrizischen und ratsbürgerlichen Geschlechtern.

Den bedeutendsten Aspekt in der Geschichte des Nonnenkonvents von Engelsberg – seine „Autonomiebestrebung“ (Kapitel A.II) – gegenüber der allgemeinen Entwicklung des Klosters (Kapitel A.I) herausgearbeitet zu haben, ist das große Verdienst dieser Arbeit. Hinzu kommen die Darstellungen der inneren (Kapitel A.III) sowie äußeren (Kapitel A.IV) Verhältnisse des Klosters.

Im Hinblick auf die inneren Verhältnisse bearbeitet Pfaff die soziale Zusammensetzung des Konvents, die Verpfründung der Nonnen sowie den klösterlichen Alltag. Bei den äußeren Verhältnissen geht es ihm um das Beziehungsnetz des Frauenkonvents unter Berücksichtigung des Memorialaspekts. In einer abschließenden Zusammenfassung (Kapitel A.V) hebt Pfaff erneut die wichtigsten Punkte in der Geschichte des Klosters hervor.

Der zweite Teil beginnt mit einer Beschreibung der zur Grundlage genommenen nekrologischen Quellen (Kapitel B.I) und behandelt summarisch deren Aussagewert in Bezug auf verschiedene Aspekte wie etwa die Art der Stiftungen oder den „Zivilstand“ (S. 174) der Stifter. Die drei letzten Kapitel (B.II–IV) haben nur noch die Qualität eines Anhangs und sind zudem vermutlich versehentlich falsch untergliedert, denn die Abschnitte „Bürgerliche und oberbäuerliche Geschlechter“ (B.III) sowie „Hochrhein und Oberrhein“ (B.IV) gehören inhaltlich dem Kapitel „Das Beziehungsnetz gemäss den nekrologischen Quellen“ (B.II) unter- und nicht beigeordnet. Inhaltliche Äußerungen über Quellenzitate und -zusammenfassungen hinaus wiederholen nur noch bereits Gesagtes (vgl. etwa S. 122 und 188).

Dennoch leistet das Werk mit der Rekonstruktion des sozialen Netzes und der sozialen Zusammensetzung des Konvents einen wichtigen Beitrag für die Sozialgeschichte, durch die Beleuchtung des klösterlichen Alltags für die Kulturgeschichte des Klosters, durch die ausführliche und gründliche Behandlung der (hochadligen) Stifter für die Landesgeschichte. Für eine Einordnung in die vergleichende Ordensgeschichte fehlt es hingegen an weitergehenden Bezügen zu anderen Institutionen, obwohl Pfaff mit den Benediktinerinnenklöstern Hermetschwil, Fahr und St. Agnes in Schaffhausen mögliche lohnende Vergleichsfälle benennt.

Die von Pfaff formulierten Ziele sind in vollem Umfang erreicht worden, dennoch ist Kritik angebracht. Titel und Untertitel seiner Arbeit: „Nonnen streben nach Autonomie. Das Frauenkloster Engelberg im Spätmittelalter“ legen nahe, es hätte eine gezielte Bestrebung des Nonnenkonvents gegeben, sich aus dem Doppelkloster zu lösen, um ein autonomes Frauenkloster anzulegen. Der von ihm verwendete Begriff der „Autonomie“ oder „Eigenständigkeit“, der zudem immer wieder eingeschränkt wird („gewisse Autonomie“, S. 43; „massvolle Autonomie“, S. 154), scheint kein überzeugendes Modell für die Erklärung der Vorgänge zu sein. Eine dahingehende Absicht der Nonnen kann nicht belegt werden, da Schlüsseldokumente, die derartige Bestrebungen der Nonnen belegen könnten, etwa die Bittschriften an Papst und Königin, fehlen. Deren Inhalt so zu rekonstruieren, als hätte es diese Bestrebungen gegeben, ist reine Suggestion. Hingegen hat Pfaff selbst versucht zu belegen, dass sich das Verhalten der Königin Agnes an ihrer Mutter (S. 42) und früheren, eigenen Maßnahmen (S. 51) orientierte und somit die Bittschriften eher als Anlass denn als Handlungsanweisungen einzuordnen wären. Hier wäre daher ein zurückhaltenderes Resümee wünschenswert gewesen. Durch das Fehlen eines Registers wird die Arbeit mit dem materialreichen Buch unnötig erschwert.