Chr. Koepfer u.a. (Hrsg.): Die römische Armee im Experiment

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Titel
Die römische Armee im Experiment.


Herausgeber
Koepfer, Christian; Himmler, Florian Wolfgang; Löffl, Josef
Reihe
Region im Umbruch 6
Erschienen
Berlin 2011: Frank & Timme
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kathrin Jaschke, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

An den Universitäten Augsburg und Regensburg wurden von den Lehrstühlen für Alte Geschichte Reenactment-Projekte ins Leben gerufen, die den recht jungen Wissenschaftszweig der experimentellen Archäologie besser etablieren wollen und Studenten die Möglichkeit bieten, eigene Fragestellungen zu entwickeln, diese zu überprüfen und schließlich im Rahmen des vorliegenden Sammelbandes zu veröffentlichen. Die Augsburger Gruppe konzentrierte sich auf die Funde des augusteischen Lagers von Augsburg-Oberhausen und die wohl dort stationierte legio XIII Gemina. Einzelne Funde wurden nachgearbeitet, um so mehr über den Herstellungsprozess, aber auch die Einsatzmöglichkeiten zu erfahren. Die Gegenstände wurden dann 2010 auf einem zweiwöchigen Marsch getestet, der zudem genutzt wurde, um das Thema „Römisches Militär“ didaktisch aufzubereiten und Schülern zu vermitteln. Die Ergebnisse wurden dann in einer Ausstellung im römischen Museum der Stadt Augsburg gezeigt.

Die Regensburger Gruppe nahm sich die legio III Italica zum Vorbild und beschäftigte sich vor allem mit der Legionärsausrüstung auf dem Marsch. Auf zwei mehrwöchigen Märschen in den Jahren 2004 und 2008 stellte sie Fragen nach der Praktikabilität von einzelnen Ausrüstungsgegenständen wie Schuhen, Wasserbeuteln oder Schilden. Der vorliegende Sammelband richtet sich nach dieser Aufteilung: Er stellt in einem experimentellen Teil die Herstellung und den Test einzelner Gegenstände dar, widmet sich dann Fragen des Marsches und schließt mit allgemeinen Aufsätzen zur Kampftaktik und Stationierung römischer Truppen in Raetien.

Im Rahmen der Berichte zur Herstellung bestimmter Ausrüstungsgegenstände stellt zunächst Robert Wimmers die Nacharbeitung einiger Funde aus Augsburg-Oberhausen vor, unter anderem als Handschellen gedeutete Ringe, Messer und eine Pfeilspitze, die als Brandpfeilspitze interpretiert wird und auf diese Funktion hin getestet werden soll. Der Artikel gibt einen Überblick zu den verwendeten Techniken; es werden aber keinerlei weitere Angaben über die Fundstücke gemacht. Herbert Graßler berichtet über seine Erfahrungen beim Nachschmieden einer Klinge des gladius, deren Original aus dem kroatischen Sisak stammt, und eines Dolches aus Haltern. Die Qualität des verwendeten Stahls und die ausführlich und wissenschaftlich fundiert beschriebenen Arbeitsschritte können auch als Anleitung für eigene Versuche dienen.

In den folgenden Beiträgen werden die Erkenntnisse zusammengetragen, die bei Versuchen mit den hergestellten Repliken gesammelt wurden. Dabei orientieren sich die Autoren an den Aussagen antiker Schriftquellen zu bestimmten römischen Kampfesweisen und wollen diese auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. So stellt sich Maximilian Powik die Frage, ob der vornehmlich als Stichwaffe gewertete gladius auch in der Lage war, als Hiebwaffe schwerste Kopfverletzungen zuzufügen. Nach einer Übersicht der römischen Quellen zu dem Thema – vor allem Polybios und Vegetius – wird der Versuch an einem Kopf aus Plastilin beschrieben. Obwohl fraglich ist, ob Plastilin als Material für eine Kopfattrappe wirklich geeignet ist, zeigt der Versuch doch, dass der gladius zwar ernsthafte Verletzungen zufügen kann, aber selbst dabei schwerste Schäden erleidet. Mischa Grab untersucht eine Aussage Plutarchs zum marianischen pilum als „Einweg-Waffe“, die erst jüngst als Mythos abgetan wurde. Einer von zwei eisernen Befestigungsstiften der Spitze wurde durch einen hölzernen ersetzt, der beim Aufprall zerbrach und so das pilum unbrauchbar machte. Die praktische Umsetzung zeigte aber sehr wohl, dass Plutarchs Aussage stimmen kann, auch wenn Grab nicht von einer allgemeinen Reform, sondern eher von einer spontanen Modifizierung der pila vor der Schlacht bei Vercellae 101 v.Chr. ausgeht. Ob die geschmiedete Pfeilspitze wirklich Teil eines Brandpfeils gewesen sein könnte, untersuchte und bejahte Florian Dörschel in seinem recht kurzen, aber alles Nötige enthaltenden, Artikel.

Dominik Molnar berichtet über seine Erfahrungen beim Nachbau des von Vitruv beschriebenen Katapults. Molnars Erörterungen zu diesem interessanten, wenn auch nicht völlig neuen Thema leiden ein wenig unter den teils schwer nachvollziehbaren Erläuterungen sowie ungenauer oder fehlender Quellenangaben. Zudem werden zwar Hinweise auf die Funktionsweise gegeben, es fehlen aber Ergebnisse bezüglich der Reichweite und Durchschlagskraft, die auch Hinweise auf den Einsatzbereich hätten geben können. Eine Detailuntersuchung stellt Andreas Raab mit seinen Tests über die Lederung einer lorica segmentata vor: Er geht der Frage nach, ob die Gerbung des Leders Auswirkungen auf seine Eignung als Innenfutter eines Schienenpanzers hat. Von Versuchsaufbau und -durchführung her interessant und gut umgesetzt erweist sich das sämisch gegerbte Leder als klarer Testsieger; im Fazit bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, welcher Ledertyp wohl von den Römern am wahrscheinlichsten eingesetzt wurde. Auch in der experimentellen Archäologie sollte bei der Beantwortung solcher Fragen letztendlich nicht nur auf Eignung eines Materials, sondern auch auf die Verfügbarkeit für die römischen Legionäre geachtet werden.

Es folgt eine Reihe von Untersuchungen, die auf dem Marsch der legio XIII Gemina durchgeführt wurden. Von der Rekonstruktion römischer Schilde sowie deren Reaktion auf Feuchtigkeit und Regen berichten Christian Koepfer, Matthias Bofinger und Johann Schmalhofer in drei Beiträgen. Dass Leder bei Feuchtigkeit und Nässe schwerer wird, ist allgemein bekannt, wurde aber von den Autoren mit genauen Messreihen für verschiedene Schildtypen wissenschaftlich untermauert. Beeinträchtigungen der Funktionsweise der Schilde konnten dabei nicht festgestellt werden. Die Messungen wurden nur über einen geringen Zeitraum durchgeführt, ein Umstand, der auch von den Autoren kritisch angemerkt wird und aufgrund dessen weitere Untersuchungen durchaus wünschenswert wären. Marcel Giloj und Reinhard Nießner nahmen verschiedene Möglichkeiten des Wassertransports auf dem Marsch unter die Lupe: Vorbilder waren zum einen ein kleines, in Oberaden gefundenes Holzfässchen und zum anderen durch Darstellung auf der Trajanssäule und archäologische Funde bekannte lederne Wasserbeutel. Von beiden wurden Nachbildungen angefertigt und beide grundsätzlich als tauglich für den Wassertransport befunden. Das Holzfässchen bot ausreichend Vorrat für einen Tag, hatte aber ein sehr hohes Gewicht, während der Wasserbeutel insgesamt besser zu handhaben war. Durch das Experiment konnte die These, dass bestimmte Lederfunde als Wasserbeutel und nicht als einfache Taschen zu deuten sind, gestützt werden.

Der Kalorienverbrauch der Marschteilnehmer wurde von Philip Egetenmeier mit den von Polybios bekannten Angaben über die Getreiderationen verglichen. Er errechnete den Verbrauch und kontrollierte das Gewicht der Teilnehmer auf dem Marsch und kommt zu dem Ergebnis, dass die etwa 880 Gramm Getreide mehr als ausreichend sind, aber dringend durch Zukost ergänzt werden müssen, um eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten. Dieses Ergebnis ist nicht grundsätzlich neu, die bekannten Berechnungen werden hier aber noch durch Messreihen untermauert. Auch die Vermittlung des Alltagslebens eines römischen Legionärs bildete einen Teil des Marsches von 2010: André Niebler stellt die Idee der Studenten vor, kleineren Schülergruppen an verschiedenen Stationen anschaulich das Legionärsleben zu präsentieren. Es ist sehr begrüßenswert, dass die studentische Gruppe auch diesen Aspekt des Reenactments mit einbezog und nach eigenen Ideen erfolgreich gestaltete.

Im nächsten Teil des Sammelbands berichtet die Regensburger legio III Italica von den Erfahrungen mit der Legionärsausrüstung auf ihren Märschen im Jahr 2004 von Regensburg nach Trient und im Jahr 2008 von Carnuntum nach Regensburg. Florian Himmler stellt verschiedene Trageweisen der Schilde und Schwerter und Probleme mit den Rüstungen wie Rosten durch Feuchtigkeit und Körperschweiß sowie der Polsterung vor. Auch die Schuhe und die Nagelung der Sohlen sind ein Thema. Zum Einsatz kamen nicht die genagelten Sandalen (caligae), sondern die im 3. Jahrhundert n.Chr. weit verbreiteten, weitgehend geschlossenen sogenannten Ramshaw-Stiefel. Die Herstellung der Schuhe wird ebenso beschrieben wie der Tragekomfort, der recht gut war, wenn Socken und Filzeinlagen getragen wurden; thematisiert werden auch das Problem der sich schnell abnutzenden Schuhnägel und die Notwendigkeit, diese häufig umzusetzen.

Germanische Krieger, die gegen die Römer oder aber in den Hilfstruppen für diese kämpften, sollten bei einer Betrachtung des römischen Militärs an der Donaugrenze nicht außer Acht gelassen werden, und Michael Slansky widmet sich ausführlich diesem Thema, das vor allem auf archäologischen Funden fußt und in einer Rekonstruktionszeichnung mündet. Dieser Beitrag gehört zum letzten Teil des Bandes, der sich nicht mehr mit archäologischen Experimenten befasst. Es folgt von Markus Handy eine informative historische Einordnung der im heutigen Augsburg und Regensburg stationierten Legionen XIII Gemina und XV Apollinaris sowie ihrer bekannten Legaten. Der Artikel von Meike Weber zur möglichen militärischen Präsenz im römischen Pfaffenhofen liefert einen Beitrag zur Geschichte der Region, der aber nur bedingt mit der Geschichte der beiden Legionen in Bezug gebracht werden kann. In einem nur annäherungsweise chronologischen Zusammenhang mit dem Thema des Sammelbandes steht der interessante Beitrag von Ross Cowan zur römischen Taktik in der Schlacht von Adrianopel.

Insgesamt kann dieser Sammelband als gelungener Teil eines Projektes betrachtet werden, das in Seminaren der Universitäten Augsburg und Regensburg seinen Anfang mit engagierten Dozenten wie Studenten nahm. Die Herstellung von Ausrüstungsgegenständen findet ebenso Berücksichtigung wie deren praktische Handhabung, und oftmals orientieren sich die Autoren an einer aus entsprechenden literarischen Quellen herausgearbeiteten Fragestellung und verknüpfen diese mit experimenteller Archäologie. Dem Format des Sammelbands entsprechend unterscheiden sich die Beiträge in ihrer Detailfreude und Qualität; leider versäumten es aber die Herausgeber, auf die Einheitlichkeit der Beiträge bezüglich formaler Vorgaben, vor allem aber der Zitierweise zu achten. Dies erschwert dem Leser bisweilen die Verständlichkeit der Beiträge, schmälert den positiven Gesamteindruck aber kaum. Der überwiegende Teil der Beiträge behandelt klar umrissene Detailfragen, so dass der Band sicher keinen allgemeinen Überblick über die Thematik bietet. Wer sich jedoch intensiver dem römischen Legionär im Experiment widmen will, wird hier einige Antworten auf bislang nicht in dieser Tiefe gestellten Fragen sowie Anregungen für weitere Projekte finden.

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