W. Paravicini, J. Wettlaufer (Hgg.): Erziehung und Bildung bei Hofe

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Titel
Erziehung und Bildung bei Hofe.


Herausgeber
Paravicini, Werner; Jörg Wettlaufer
Erschienen
Stuttgart 2002: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
277 S., 15 Abb.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Irrgang, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Der vorliegende Sammelband bündelt 16 Beiträge, die aus dem 7. Symposium der Residenzen-Kommission der Göttinger Akademie der Wissenschaften im September 2000 in Celle hervorgegangen sind. Inhalt, Konzept und Erkenntnisziele skizziert Werner Paravicini in seiner Einleitung (S. 11-18). Das Thema Erziehung und Bildung bei Hofe wird interdisziplinär, komparatistisch und aus europäischer Perspektive behandelt. Dabei deckt die Betrachtung den Zeitraum vom 12.-17. Jahrhundert ab. Der Tagungsband gliedert sich in drei Komplexe: 1) Erziehung bei Hofe unter den Aspekten sozialer Wandel und soziale Reproduktion, 2) Geistliche und weltliche Bildungsinhalte, 3) der Hof als Ort der Tradition und Innovation. Der Hof wird begriffen als „Erziehungsinstitution“, das Wissen am Hof als „Voraussetzung von Herrschaft“ (S. 18).

Den Anfang macht Bernhart Jähnig mit einer Abhandlung über Diener am Hof des Hochmeisters in Marienburg um 1400 (S. 21-42). Junge Adelige, die sich in den Dienst der Hochmeister begaben ohne Absichten, Ordensbrüder zu werden, waren meist Edelleute aus kleineren Territorien, für die ein Bildungsaufenthalt am Marienburger Hof ein karrierefördernder Bestandteil ihrer höfischen Erziehung war. Jähnig kann eine Reihe solcher Diener und ihre soziale und regionale Herkunft ermitteln. Es bleibt jedoch schwierig, zwischen Hochmeisterdienern und Preußenreisenden zu differenzieren.
Frédérique Lachaud beschreibt den Unterricht am Hofe des englischen Königs im 12. und 13. Jahrhundert (S. 43-53). Im Mittelpunkt seiner Ausführungen steht der „Urbanus Magnus“ von Daniel of Beccles, der im höfischen Milieu eine gewichtige Rolle bei der Vermittlung von Manieren und Wertvorstellungen spielte. Der „famulus“ hatte nicht nur Tischsitten zu erlernen, sondern wurde ebenso in die Kunst der richtigen Körperpflege eingewiesen oder lernte, dass er für ausreichend Licht Sorge zu tragen hatte.
Der Aufsatz über die Erziehung der Kinder am englischen Hofe (S. 55-69) von Arnd Reitemeier vermittelt Einblicke in die verschiedenen Erziehungsphasen am Hofe (infantia, pueritia, adolescentia), die von jeweils anderen Zuständigen geprägt wurden. Einen besonderen Stellenwert hatte der „royal ward,“ eine verwaltungstechnisch vom Hof getrennte Erziehungsinstitution, in der den Kindern eine Reihe von Lehrern zur Seite standen. Sie sorgten sowohl für die Vermittlung kognitiver Bildung als auch für das Erlernen sozialer Regeln und die körperliche Ertüchtigung. Der Besuch von Messen zur religiösen Erziehung war ebenso vorgesehen wie das Studium in Klosterbibliotheken.

Monique Sommé fokussiert anschließend die jungen Prinzen am burgundischen Hofe Philipps des Guten (S. 71-88). Zum adeligen Umfeld gehörten genauso Pagen, deren Karrierechancen aufgrund ihrer zeremoniellen Kenntnisse und ihrer Teilnahme am höfischen Leben als sehr gut einzuschätzen sind.
Die Familie Harrach am Hofe Leopolds I. ist Gegenstand der Untersuchung von Susanne Claudine Pils (S. 89-105). Am Beispiel der Hofdame Johanna Theresia von Harrach und ihrer Tagzettel, einer Briefsammlung mit exakten Notizen über das Hofleben, kann dargestellt werden, dass Intellekt und Verhaltensweisen gleichermaßen geformt wurden. Selbstdarstellung und Affektkontrolle waren ebenso wichtig wie intellektuelle Bildung.
Schließlich gewährt uns Antje Stannek Einblick in die Methoden der geschlechtsspezifischen höfischen Standeserziehung im 17. Jahrhundert (S. 107-123). Am Beispiel der Grafen von Hohenlohe-Langenburg werden die Bildungsinhalte und die Vorbereitungen auf den Grand Tour beschrieben. Eine Reihe von pädagogischen Handbüchern sind erhalten geblieben. Das Memorieren war stets eine verbreitete Technik höfischer Wissensaneignung.

Der zweite Themenkomplex, der sich den geistlichen und weltlichen Bildungsinhalten am Hofe widmet, wird eingeleitet von Michael Rothmann (S. 127-156). Gegenstand seines Aufsatzes ist die „Otia Imperialia“ des Gervasius von Tilbury. Rothmann untersucht Publikum, Methoden und Absichten des Autors dieser enzyklopädischen Geschichtensammlung, die lange Zeit gering geschätzt wurde, obwohl sie sowohl bei Hofe als auch bei Studenten in Oxford beliebte Unterhaltungslektüre war.
Obwohl der geistliche Einfluss auf die literarische Kultur am Prager Hofe der Premysliden und Luxemburger groß war, steigerte sich zunehmend der laikale Einfluss. Ivan Hlavácek vermag, diese weltliche Kultur am Prager Hofe in Form von Minnesang, ritterlicher Epik, gesetzgeberischen Werken und medizinischen Fachbüchern zu skizzieren (S. 157-166).
Jacques Verger untersucht die Interaktionsbeziehungen zwischen Hof und Universitäten in Frankreich während des 14. Jahrhunderts (S. 167-176). Die Abgrenzung der höfischen Kultur vom universitären Milieu war groß. Am Hofe war anderes Wissen gefragt als an den Universitäten. Auch haben viele höfische Lehrer nie an einer Hohen Schule studiert oder akademische Grade erworben.
Schließlich rückt der spanische Hof Philipps II. in den Mittelpunkt (S. 177-190). Antonio Saéz-Arance kann am Beispiel der „Instrucciones“, literarischer Anleitungen für Höflinge, zeigen, dass humanistische Bildungsinhalte (Reuchlin, Kopernikus) vorherrschend waren. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurde die höfische Bildung zunehmend konfessionalisiert. Dieses Verhältnis zwischen Bildung und Religion findet Ausdruck in der Tätigkeit des Bibliothekars Benito Arias Montano bei der Einrichtung der königlichen Bibliothek im Klosterpalast von San Lorenzo de El Escorial.

Im dritten und letzten Themenabschnitt über den Hof als Ort des Alten und Neuen widmet sich zunächst Gundula Grebner den Naturwissenschaften am staufischen Hof in Süditalien (S. 193-213). Sie analysiert verschiedene Textsorten, die am Hof des Staufers entstanden sind, und vermag besonders, höfische Übersetzungen pferdeheilkundlicher Texte zu vergleichen mit solchen, die im universitären Milieu entstanden sind. Sie begreift den Hof dabei als sozialen Ort, an dem ein spezielles Wissen gefragt war und der sich somit wesentlich von den Universitäten unterschied.
Einen reich bebilderten Beitrag über den Hof Kaiser Maximilians I. liefert Lucas Burkart (S. 215-234). Traditionelle und innovative Elemente verbanden sich dort zu einer gelungenen Synthese, wenngleich Burkart diesen Hof eher als Kristallisationsort neuen, modernen Wissens interpretiert. Der Humanismus am Hofe Ferdinands I. ist Gegenstand der Abhandlung von Albert Schirrmeister (S. 235-247). Er untersucht, inwieweit Bildung höfische Praktiken beeinflusste. Entscheidend war hier die Kenntnis der lateinischen Sprache, um nicht völlig ins Abseits zu geraten. Den Schlusspunkt setzt Steffen Stuth mit seinem Beitrag über den mecklenburgischen Hof Johann Albrechts I. (S. 249-266). Die humanistische Universitätsbildung, über die der Herzog verfügte, unterstützte dessen repräsentatives Wirken an den Höfen in Schwerin und Wismar. Stuth weist dabei besondere Kontakte zu Melanchthon nach. In der stattlichen Hofbibliothek kann die Antikerezeption am Hofe nachvollzogen werden. In der brillanten Zusammenfassung von Gerhard Fouquet (S. 267-277) lebt die höfische Welt noch einmal auf.

Mittelalterliche Adelserziehung ist bislang ein wenig erforschtes Gebiet geblieben. Den Tagungsteilnehmern kommt tatsächlich die Rolle von Pfadfindern zu. Ihnen ist es gelungen, ein Raster zu entwerfen, entlang dessen die wichtigsten Fragen formuliert werden können, die in die künftige Erforschung von Prinzenerziehung einfließen sollten. Die Gliederung nach Betrachtungsperspektiven ermöglicht es, generelle Aussagen zu treffen und eine Vergleichbarkeit zu begründen, obwohl die Öffnung der Beiträge für sechs Jahrhunderte und 14 verschiedene Regionen bzw. Höfe unweigerlich vor Augen führt, wie facettenreich und disparat Formen, Funktionen und Inhalte der Erziehung und Bildung bei Hofe waren. Dieser Leistung der Residenzen-Kommission gebührt Anerkennung.

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