R. Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront

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Titel
Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933–1945.


Autor(en)
Hachtmann, Rüdiger
Reihe
Geschichte der Gegenwart 3
Erschienen
Göttingen 2012: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
710 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dieter Ziegler, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Ruhr-Universität Bochum

Monographien über deutsche Unternehmen im „Dritten Reich“ sind in den letzten zehn bis zwanzig Jahren in großer Zahl erschienen. Dabei handelt es sich aber mit der wichtigen Ausnahme des Volkswagenwerks ausschließlich um Unternehmen in privatem Eigentum. Die Auftraggeber waren in fast allen Fällen die Unternehmen selber, die nicht selten wegen des äußeren Drucks ihre bisherige Zurückhaltung aufgegeben hatten und Forschern, deren Unabhängigkeit vertraglich garantiert wurde, Zugang zu ihren oftmals umfangreichen Quellenbeständen gewährten. Staatsunternehmen oder gar Unternehmen von NS-Organisationen sind dagegen unter diesen Unternehmensgeschichten nur selten zu finden. Im Falle von Unternehmen der NS-Organisationen liegt das zum einen daran, dass kein Auftraggeber mehr existiert, und zum anderen hatten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1945 allen Grund ihre Spuren durch umfangreiche Aktenvernichtung zu verwischen. Das galt selbstverständlich auch für die Manager der Parteiunternehmen. Wer sich also heute einem solchen Unternehmen oder gar einer Unternehmensholding mit vielen dazugehörigen, weitgehend selbständig agierenden Tochterunternehmen widmet, kann nicht auf einen zwar gelegentlich lückenhaften, aber doch weitgehend geschlossenen Aktenbestand zurückgreifen, wie es den Autoren vieler großer Unternehmensgeschichten zum „Dritten Reich“ bisher möglich war.

Die Mehrheit dieser unternehmenshistorischen Studien bestätigt ein Bild, wie es zuletzt Christoph Buchheim und Jonas Scherner pointiert gezeichnet haben1, nämlich dass Unternehmer und Unternehmen im „Dritten Reich“ in erster Linie ihren Fortbestand sichern und ihren Gewinn maximieren wollten. Ideologie spielte bei der unternehmerischen Strategiebildung so gut wie keine Rolle. Unternehmer verhielten sich im Grundsatz also nicht anders als zu „normalen“ Zeiten. Das Besondere an der nationalsozialistischen Periode war allerdings die Möglichkeit diese Ziele auf eine Art und Weise zu verfolgen, die zu „normalen“ Zeiten nicht denkbar war und ist. Raub und die rücksichtslose Ausbeutung von Arbeitskraft wurden gegenüber bestimmten Personenkreisen nicht nur toleriert, sondern waren vom Regime sogar ausdrücklich erwünscht. Ideologische Motive wurden deshalb gerne vorgeschoben, um ein skrupelloses Gewinnstreben zu kaschieren. Auf der anderen Seite konnte es sich ein Unternehmen gar nicht leisten, alle (ideologisch motivierten) Wünsche des Regimes zu erfüllen, vielmehr mussten auch die Nationalsozialisten unter den deutschen Unternehmern Kosten-Nutzen-Relationen im Blick behalten.

Die interessante Frage hinsichtlich der parteieigenen oder parteinahen Unternehmen ist deshalb, ob hier tatsächlich Ideologie handlungsleitend für die Entscheidungsträger gewesen ist und ob im Falle von Konflikten zwischen dem ideologisch Wünschbaren und dem (betriebs-) wirtschaftlich Machbaren auch hier die wirtschaftliche Rationalität obsiegt hat. Denn die Manager dieser Unternehmen legitimierten sich durch ihre besondere Loyalität gegenüber der Partei, der sie ihren sozialen Aufstieg zu verdanken hatten. Ihre Fachkompetenz war sehr wahrscheinlich nicht so ausgeprägt, dass sie aus der Sicht ihrer Vorgesetzten für das Unternehmen unverzichtbar gewesen wären.

Unter diesem Blickwinkel untersucht Rüdiger Hachtmann das weit verzweigte Unternehmenskonglomerat der Deutschen Arbeitsfront (DAF), das durch die Vermögensverwaltung der Deutschen Arbeitsfront GmbH bzw. seit 1938 durch die Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH als institutionelles Dach zusammengehalten wurde. Es bestand aus Bank- und Versicherungsunternehmen, Unternehmen der Bau- und Wohnungswirtschaft, Verlagen, Einzelhandelsunternehmen, Werften und dem Volkswagenwerk. Zusammengehalten wurde dieser Konzern im Wesentlichen dadurch, dass es sich bei den einzelnen Unternehmen um Teile des von den aufgelösten Gewerkschaften übernommenen Eigentums handelte. Dabei waren nicht nur freigewerkschaftliches Eigentum wie die Volksfürsorge, die Arbeiterbank oder die Büchergilde Gutenberg „übernommen“ worden, sondern auch Unternehmen christlicher und konservativer Gewerkschaften wie dem Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (Deutscher Ring, Hanseatische Verlagsanstalt, Langen-Müller-Verlag) sowie Genossenschaften. Nur wenige DAF-Unternehmen waren auf anderem Wege erworben oder durch die DAF gegründet worden. Letzteres galt für die Stettiner Vulkan-Werft, die für den Aufbau bzw. die Erweiterung der „Kraft-durch-Freude“-Flotte erworben wurde, und das Volkswagenwerk, das Hachtmann aber nur am Rande behandelt, weil bereits eine umfangreiche Monographie zur Geschichte des Werks während des „Dritten Reichs“ vorliegt.2 Trotz des anfangs eher zufälligen Charakters der Zusammenstellung des Unternehmenskonglomerats kommt Hachtmann zu dem Ergebnis, dass die DAF ihren Konzern als einen „volkswirtschaftlichen Dienstleister“ verstand und entsprechend ausbaute. Damit versuchte sie das Versprechen einer massenhaften Teilhabe an den Segnungen der modernen Konsumgesellschaft glaubhaft zu machen und erzielte zumindest psychologisch auch eine gewisse Wirkung.

Eigentlich wäre zu erwarten gewesen, dass die Nationalsozialisten nach ihrer Machtübernahme Genossenschaften und gewerkschaftseigene Unternehmen entweder schließen oder privatisieren würden. Denn besonders die Konsum- und Wohnungsgenossenschaften sowie die Baugesellschaften waren den Mittelstandsideologen immer schon ein Dorn im Auge gewesen. Außerdem waren manche Unternehmen nur deswegen durch die Krisenjahre gekommen, weil sie fest in ihren Milieus verankert waren. Das gilt ganz besonders für die Volksfürsorge und die Büchergilde Gutenberg im sozialistischen Milieu, die deswegen nur sehr behutsam nazifiziert werden konnten, was auch einen vergleichsweise pfleglichen Umgang mit den Mitarbeitern einschloss. Der erhoffte Machtzuwachs durch einen eigenen Konzern verlangte von Robert Ley und seiner DAF-Führungsriege – aus ihrer Sicht vermutlich schmerzhafte – Kompromisse, die sie durchaus einzugehen bereit waren, zumal auch viele sozialdemokratische Mitarbeiter von Volksfürsorge und Büchergilde ihrerseits eine bemerkenswerte Anpassungsbereitschaft an den Tag legten, so dass beide Unternehmen trotz des radikalen Eigentümerwechsels nicht in eine Existenzkrise gerieten.

Der Machtzuwachs ließ sich auf vielen zentralen gesellschaftlichen Feldern in einen erhöhten Geltungsanspruch der DAF übersetzen, die sofort die Gegnerschaft verschiedener Rivalen provozierte. Ihnen gelang es zeitweise durchaus, dem Expansionsstreben der DAF und ihrer Unternehmen Grenzen zu setzen, zumal sich die DAF-Führung im korruptionsanfälligen Baugewerbe und auch in anderen Bereichen wiederholt angreifbar machte. Insofern wäre es spannend gewesen zu diskutieren, ob das Profitmotiv „normaler“ Unternehmen hier durch das Motiv von Macht und Einfluss innerhalb der Clique im Umfeld des „Führers“ ersetzt worden war, was vielleicht in mancherlei Beziehung ganz ähnliche Strategien nahegelegt haben könnte wie das ordinäre Profitmotiv der Privatindustrie. Leider stehen aber nicht der „normale“ Unternehmer und seine Handlungslogiken im Mittelpunkt von Hachtmanns vergleichendem Interesse, sondern die bürokratische im Gegensatz zur charismatischen Verwaltung. Auch wenn Max Weber sein Bürokratiemodell durchaus auch als brauchbar für die Analyse moderner managergeführter Unternehmen betrachtet hat, verschenkt dieser Analyseansatz aus unternehmenshistorischer Sicht mehr als er einbringt. Auch die Betriebswirtschaft hält Analyseinstrumentarien bereit, mit denen ein vom Anspruch her theoriegeleiteter Historiker unternehmenshistorisch arbeiten kann. Hachtmann wird das wissen und sich vermutlich so entschieden haben, weil er stärker an der DAF als Institution des nationalsozialistischen Herrschaftssystems interessiert ist als an deren unternehmerischen Governancestrukturen. Das ist völlig legitim und entzieht sich insofern der Kritik. Innerhalb dieses Analyserahmens macht es aber auch Sinn, die Frage nach Ideologie und betriebswirtschaftlicher Rationalität zu stellen. Hachtmann weist dem Motiv der „optimalen Gewinnerzielung“ zwar eine „gewichtige Rolle“ zu, das aber „den zentralen politisch-ideologischen Prinzipien des NS-Regimes nachgeordnet“ war (S. 586). Das gilt auch und gerade für den Rassismus. Wenn es manchen der Unternehmen dennoch gelang ihre Marktanteile auf Kosten der privaten Konkurrenz deutlich zu steigern, erklärt Hachtmann das damit, dass viele DAF-Manager eine größere, im NS-System funktionale Anpassungsfähigkeit an sich rasch verändernde Situationen an den Tag legten und keinerlei Skrupel im Umgang mit Rivalen und Konkurrenten besaßen. Natürlich spielte auch die Nähe zu wichtigen Funktionsträgern innerhalb der NSDAP eine wichtige Rolle.

Insofern ist dieses Buch auch aus unternehmenshistorischer Sicht alles andere als eine Enttäuschung, sondern stellt eine gelungene Ergänzung zu der Arbeit von Mommsen und Grieger über das Volkswagenwerk dar, wobei der kurze Ausblick über die weitere Geschichte der DAF-Unternehmen nach 1945 Appetit auf mehr macht.

Anmerkungen:
1 Christoph Buchheim / Jonas Scherner, The Role of Private Property in the Nazi Economy. The Case of Industry, in: Journal of Economic History 66 (2006), S. 390–416.
2 Hans Mommsen / Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996.

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