Titel
Rankes "Päpste" auf dem Index. Dogma und Historie im Widerstreit


Autor(en)
Wolf, Hubert; Burkard, Dominik; Muhlack, Ulrich
Reihe
Römische Inquisition und Indexkongregation 3
Erschienen
Paderborn 2003: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 32.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Schmidt, Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

Mit seiner in den Jahren ab 1829 erarbeiteten und 1836 erschienenen Papstgeschichte hat Leopold Ranke als relativ junger Historiker seinen Ruhm begründet. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf als einer der Verfasser und gleichzeitiger Herausgeber der Reihe "Römische Inquisition und Indexkongregation" den dritten Band dieser Reihe gerade dem "Fall Ranke" widmet, denn das Archiv des Indexes in Rom böte zweifellos eine Fülle von anderen „lohnenden“ Fällen. Das Buch führt das Indexverfahren gegen Ranke als weiteres prominentes Beispiel eines Konfliktes von Wissenskulturen vor. Steht der Fall Galilei für den Konflikt von Theologie und moderner Naturwissenschaft, so geht es hier um den Zusammenstoß von kirchlichem Dogma und moderner Geschichtswissenschaft. Faktenreich und gut lesbar wird in Teil A von den beiden Verfassern Wolf und Burkard auf rund einhundert Seiten der Ablauf des Indexverfahrens rekonstruiert. Im besten Rankeschen Sinne - "wie es eigentlich gewesen ist" – erscheinen die im Hintergrund treibenden und hemmenden Kräfte. Dann folgen in Teil B als Edition die wichtigsten Dokumente: Rankes Vorrede zur deutschen Originalausgabe seiner Papstgeschichte, das Vorwort der französischen Übersetzung, die in Rom angezeigt wurde, und schließlich die römischen Gutachten aus dem Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre. In Teil C wird durch Ulrich Muhlack in einem eigenständigen Beitrag unter dem Titel „Historismus und Katholizismus“ eine Einordnung in den wissenschaftsgeschichtlichen Horizont vorgenommen.

Nicht uninteressant ist eine forschungsgeschichtliche Facette der Darstellung, die uns daran denken lässt, dass das Archiv des Indexes und der Inquisition noch vor wenigen Jahren zu den bestgehüteten Geheimnissen der Kurie zählte. Als der Mediävist und ehemalige Präsident der Monumenta Germaniae Historica, Horst Fuhrmann, im Zusammenhang mit papstgeschichtlichen Forschungen in Rom bezüglich Ranke anfragte, erhielt er über die Frankfurter Nuntiatur ein Exzerpt aus zweiter Hand und den Bescheid: "Das Dekret der ehemaligen Indexkongregation vom 16. September [1841] fußt auf theologischen Gutachten, die [...] zur Einsichtnahme von Privatpersonen nicht bestimmt sind. Wie in vergleichbaren Fällen teilt diese Kongregation daher dem Bittsteller die wichtigsten Argumente mit, die für die Entscheidungsfindung der Kardinäle eine maßgebende Rolle gespielt haben. Eine entsprechende Synthese liegt diesem Schreiben in Anlage bei." (S.17) Von der Abkanzelung historischer Forschung, die in diesem Bescheid zum Ausdruck kommt, einmal abgesehen, wirft Wolfs Darstellung nebenbei ein Schlaglicht auf die ziemlich fragwürdige Brauchbarkeit jenes damaligen Exzerptes, gelingt es den Bearbeitern doch, nicht weniger als drei zeitgenössische Gutachten zu Rankes Buch und zwei unterschiedliche Phasen der Indizierung (1838 und 1841) aus den Unterlagen zu ermitteln.

Die Rekonstruktion des Falles und seine historische Kontextualisierung, wie sie Wolf und Burkardt bieten, ist in mehrfacher Hinsicht interessant und aufschlussreich. Zudem wird hier auch einmal vorgeführt, welche Art analytischen Aufwandes angezeigt ist, um diesen Quellen gerecht zu werden und sie adäquat zum Sprechen zu bringen, nachdem sich ein Tübinger Neulatinist auf eher nonchalante Art das Thema Index und Zensur vom 16. bis zum 20. Jahrhundert zu eigen gemacht hat.1

In gebotener Kürze werden Arbeitsweise, Personal und Verfahrensordnung des Zensurapparates der Indexkongregation skizziert. Wie man erfährt, sind in diesem Bereich umfangreiche Arbeiten am Münsteraner Lehrstuhl im Gange, etwa eine Prosopographie sämtlicher Inquisitions- und Indexmitarbeiter, deren Publikation mit dem 19. Jahrhundert beginnend chronologisch rückwärts fortschreiten soll. Rankes Fall wurde auf der Grundlage der Verfahrensordnung Papst Benedikts XIV. von 1753 verhandelt, die auf jener des Konzils von Trient beruhte, wonach Werke von Ketzern, die über Religion schrieben (und Religion war selbstredend nur die katholische) von vorneherein verboten waren. Wie meistens ist auch im Fall Ranke die Denunziation, die 1838 das Indexverfahren ins Rollen brachte, nicht überliefert. Sie betraf eine im gleichen Jahr erschienene französische Übersetzung der „Päpste“, die pikanterweise Rankes Darstellung in wichtigen Details in katholischem Sinne uminterpretierte, und von der der Autor selbst sich sofort distanzierte, da er sie geradezu als rufschädigend ansah.

Das umfangreiche, den Text Rankes auch in dieser für Katholiken aufbereiteten Version scharf verurteilende Gutachten für die Beratung der Kardinäle verfasste der Jesuit Michele Domenico Zecchinelli, Theologieprofessor am Collegium Romanum der Jesuiten. Zecchinelli, der außerhalb seiner Lehrtätigkeit nicht hervorgetreten ist, erfasste sehr genau die Brisanz von Rankes historiographischem Frontalangriff auf Eckpunkte der katholischen Ekklesiologie: den päpstlichen Universalprimat, die Zwei-Schwerter-Lehre, den alleinigen Wahrheitsanspruch, göttliche Legitimation, Einheit, Universalität und Unveränderlichkeit der Kirche (S. 33) und benannte auf hohem analytischen Niveau insgesamt 43 Konfliktpunkte mit der katholischen Lehre. Rankes Thema war die innere und äußere Entwicklung des Papsttums im Rahmen der modernen politischen Geschichte Europas, d.h. der Epoche des 16. und 17. Jahrhunderts. Seine Darstellung kreiste um das Verhältnis von Politik und Religion, von Kirche und Staat. Er sah die Hierarchie der römischen Kirche in Analogie zum Verfassungsaufbau des römischen Reiches und war in der Tat „weit davon entfernt, das Papsttum für ein im besonderen Sinn göttliches Institut zu halten“ (S. 173), wie er es später formulierte, was ihn aber nicht abhielt, in ihm eines der großartigsten Institute der Weltgeschichte zu sehen. Für Zecchinelli bildet das von Ranke aufgestellte methodische Postulat „bloß zu sagen, wie es eigentlich gewesen ist“ den Hauptkritikpunkt, denn in diesem Kernsatz des Historismus lag die eigentliche Gefahr für die Kirche als göttliche Stiftung begründet. Das Papsttum erschien so lediglich als wichtiger Akteur der Weltgeschichte, nicht mehr jedoch als „entzeitlichte“ religiöse Größe. Infolge eines brillant formulierten Gegengutachtens des Konsultors Antonino De Luca, das die Inopportunität eines Verbots in der damaligen kirchenpolitischen Konstellation herausstellte, kam Rankes Buch bzw. dessen Übersetzung zunächst allerdings noch ungeschoren durch. Ein öffentliches Verbot wurde nicht ausgesprochen, der Fall verlief im Sande. Mit aller Deutlichkeit zeigt sich hier, dass es innerhalb der Kongregation heftig widerstreitende Meinungen gab und dass politische und konfessionelle Kräfteverhältnisse und Interessenlagen in den verschiedenen Ländern in das Verfahren hineinwirkten. Unterstrichen wird dies außerdem durch vergleichende Blicke auf die Rezeption von Rankes Buch in verschiedenen deutschen und römischen Zeitschriften und in den Zirkeln der akademischen Welt.

Wenig später, im Sommer 1841, gerieten Rankes Päpste in einer veränderten Konstellation doch noch auf den Index der verbotenen Bücher. Das Verbot traf diesmal die deutschsprachige Originalfassung. Das Buch blieb auf dem Index bis zur Aufhebung desselben im Jahr 1966. Gemessen an den Standards der Verfahrensordnung war diese Indizierung allerdings mehr als zweifelhaft. Wolf und Burkard charakterisieren sie als eine Art Zugabe zur Indizierung eines anderen Autors im preußischen Staatsdienst, der über das Papsttum schrieb, Johann Anton Ellendorf. Sein Buch „Der Primat der römischen Päpste“ war 1841 erschienen und angezeigt worden. Jetzt wurde mit Ranke im gleichen Atemzug im wahrsten Sinn „kurzer Prozess“ gemacht. Die Schlüsselfunktion in dieser Phase kam dem deutschen Konsultor Augustin Theiner zu, einem informellen Mitarbeiter des Staatssekretariats, der in den 1840er Jahren der Sachbearbeiter schlechthin für deutsche Indizierungsfälle werden sollte und für den Ranke nicht nur das verhasste Preußen repräsentierte, sondern auch die moderne, protestantisch geprägte deutsche Geschichtswissenschaft.

Im wissenschaftsgeschichtlichen Umfeld jener Jahre bedeutete das Verbot von Rankes Papstgeschichte gleichzeitig eine Kriegserklärung des Ultramontanismus an jene einflussreiche historiographische Richtung. Die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung des Indexverfahrens gegen Ranke liegt aber darin, dass sich die katholische Geschichtswissenschaft, um Ranke erfolgreich zu bekämpfen, gezwungen sah, seine wissenschaftlichen Standards einzuhalten. So gehört es in der Tat zur Ironie der Geschichte, dass die bis heute wegen ihres Materialreichtums unentbehrlich gebliebene sechzehnbändige, dezidiert katholische Papstgeschichte des Innsbrucker Professors Ludwig von Pastor 2 nach dessen eigenen Worten vom verbotenen Werk Rankes herausgefordert worden ist.

Auch in anderen Kulturkreisen, in denen Religion noch einen Eckpfeiler öffentlichen und privaten Lebens darstellt, sind Konflikte mit historischen Herangehensweisen bekannt, und dies durchaus in der Gegenwart. Das Engagement des Network of Concerned Historians (NCH), eine Nichtregierungsorganisation, weist über den Einsatz zur Unterstützung verfolgter Historiker hinaus auf den Sachverhalt hin, dass sich ein nicht unerheblicher Anteil der Repressalien gegen Intellektuelle weltweit gegen historiographisch Arbeitende richtet. 3 So im Fall des iranischen Geschichtsprofessors Hashem Aghajari 4, in dessen Fall kürzlich immerhin eine Überprüfung seines Todesurteils angeordnet worden ist. Aghajari war verhaftet und der Apostasie angeklagt worden, nachdem er in einer Rede einen historischen Vergleich zwischen der Situation der katholischen Kirche zur Zeit der Reformation und jener der religiösen Autoritäten im heutigen Iran gezogen hatte. Demgegenüber war die Indizierung Rankes schon vor mehr als 160 Jahren doch eher von symbolischer Bedeutung.

Anmerkungen
1 Godman, Peter, Die geheime Inquisition. Aus den verbotenen Archiven des Vatikans, München 2001; ders., Weltliteratur auf dem Index. Die geheimen Gutachten des Vatikans, Berlin 2001; vgl. die Rezension von Siegfried Lokatis für H-Soz-u-Kult am 15.10.2002 und die Besprechung von Peter Schmidt in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 82 (2002), im Druck; sowie die überaus kritische Rezension von Gigliola Fragnito zu Godmans Buch, The Saint as Censor. Robert Bellarmine between Inquisition and Index, Leiden 2000, in Rivista Storica Italiana 114 (2002), S. 584-600.
2 Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, 16 Bd., Freiburg im Breisgau, S. 1885-1933.
3http://odur.let.rug.nl/nch/
4 Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 25.2.2003 unter Hinweis auf NCH.

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