E. W. Robinson: Democracy beyond Athens

Cover
Titel
Democracy beyond Athens. Popular Government in the Greek Classical Age


Autor(en)
Robinson, Eric W.
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 275 S.
Preis
£ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Der seit dem Buch von Hans-Joachim Gehrke „Jenseits von Athen und Sparta“1 immer schärfer gewordene Blick über die beiden das moderne Geschichtsbild der griechischen Antike so stark prägenden Poleis hinaus steht auch in der hier zu besprechenden Monographie von Eric W. Robinson im Vordergrund. In fünf Kapiteln werden die Demokratien des klassischen Zeitalters (480–323 v.Chr.) zusammengestellt und untersucht: in den ersten drei Kapiteln die Demokratien des griechischen Festlands (in Zentralgriechenland und auf der Peloponnes), in West- und Nordwest-Griechenland und Kyrene sowie in „eastern Greece“, womit der Raum der Ägäis, Ioniens und des Schwarzmeergebiets gemeint ist. Die Kapitel vier und fünf widmen sich übergreifend analysierenden Gesichtspunkten wie der Suche nach den Gründen für die Ausbreitung der Demokratie mit ihrem zeitlichen Höhepunkt im klassischen Zeitalter sowie der Frage, ob sich Spezifika bzw. Gemeinsamkeiten der Demokratien außerhalb Athens erkennen lassen. Das Buch knüpft in gewisser Weise an Robinsons erste Monographie zu „The First Democracies“ an2, wenngleich der Fokus nunmehr ein anderer ist.

Robinson verzichtet darauf, sich am Anfang mit der definitorischen Problematik seines Kernbegriffs auseinander zu setzen. Dies führt dazu, dass er, wie schon in „The First Democracies“ das Phänomen der Begriffsentstehung und des Begriffswandels wenig bis gar nicht berücksichtigt. In Anknüpfung an die frühere Studie (dort S. 36) legt er auch hier eine sehr weit gefasste, an Aristoteles orientierte Vorstellung von Demokratie zugrunde, wenngleich er sie erst im zweiten, systematischen Teil (S. 222f.) bringt: Kriterien einer demokratischen Verfassung sind demnach Versammlungen aller Bürger, Gerichte mit starker Autorität, Auswahl der Magistrate durch Los oder Wahlverfahren ohne Bindung an bzw. mit sehr geringen Zensusgrenzen, kurze Amtszeiten, Rechenschaftspflichtigkeit der Magistrate, Ostrakismos, die Orientierung an Freiheit und Gleichheit der Bürger, die Stellung der Volksbeschlüsse über dem Gesetz und der Autorität der Magistrate.

Robinsons Ziel ist es, das Paradigma der Athenischen Demokratie vom Thron zu stürzen.3 Natürlich weiß er, dass dies im Hinblick auf die rein quantitative Perspektive des Wissens über die Zahl antiker Poleis schwierig ist: In seinem Materialteil (Kapitel 1–3) stellt er insgesamt 54 Poleis zusammen, für die sich aus den unterschiedlichsten Quellengattungen in dem Untersuchungszeitraum von 480 bis 323 v.Chr. Hinweise auf eine demokratische Verfassung ergeben. Archäologische, epigraphische und literarische Zeugnisse werden mit aktuellem Stand und übersichtlich zusammengefasst präsentiert, innerhalb der einzelnen Regionen alphabetisch sortiert und am Ende des Buches in einer wiederum nach Regionen strukturierten Tabelle mit chronologischen Angaben versehen aufgelistet. Diese Zahl ist im Vergleich zu den etwa 1.500 im archaischen und klassischen Griechenland (von ca. 650 bis 323 v.Chr.) – einschließlich der Kolonien – als pólis bezeichneten Siedlungen, die im „Inventory of Archaic and Greek Poleis“ von Mogens Herman Hansen und Thomas Heine Nielsen verzeichnet sind4, natürlich winzig. Andererseits eröffnet der geographisch und institutionell breit angelegte Fokus für einige Poleis interessante, neue Perspektiven, die eine besondere Qualität des Buches ausmachen.

Das Beispiel Argos (S. 10ff.) zeigt für Robinson eine deutlich andere demokratische Entwicklung als in Athen: die kurzen Amtszeiten von sechs Monaten, die Körperschaft der 80, strenge Finanzkontrolle, Euthyna und Ostrakismos in einer möglicherweise der attischen zeitlich vorangehenden Form verweisen auf eine besondere Ausformung von demokratischer Rotation, Transparenz und Verantwortlichkeit. Gerade Argos ist ihm ein Beleg dafür, dass Athen keineswegs ein „prime mover“ (S. 199) in der Entwicklung der griechischen Demokratie war. Hier vermisst man allerdings die ausführlichere Berücksichtigung der literarischen Quellen: Herodot gibt immerhin mit der Maiandrios-Episode in Samos (3, 142–143) und der nachdrücklichen Datierung der Verfassungsdebatte (3, 80–82) auf das Jahr 522 v.Chr. sehr deutliche Hinweise auf frühe Entwicklungen außerhalb Athens.5 Robinson bleibt in dieser Frage unentschieden: Im Text seines Buches kommt er immer wieder auf die Möglichkeit früher Demokratien im 6. Jahrhundert – so etwa für Megara (S. 44) und Chersonesos (S. 151) – bzw. um 500/490 v.Chr. – so für Milet (S. 177), Ephesos (S. 173) und Kos (S.153) – zu sprechen und berücksichtigt dazu auch neueste Forschungen, nimmt jedoch diese Datierungen nicht in seine Übersichtstabelle am Ende (S. 248–250) auf. Ausführlich diskutiert Robinson auch die Frage nach der Art dieses Prozesses: Nach seinen Ergebnissen handelt es sich um eine vom frühen 5. Jahrhundert bis zur Mitte des Jahrhunderts schnell voranschreitende Entwicklung; und so ist also die ‚Chronologie der griechischen Demokratie‘ deutlich früher anzusetzen, als dies gemeinhin geschieht, wenn die Orientierung an der Geschichte Athens (mit dem Epochenjahr 462/61 v.Chr. für den Sturz des Areopags) der Maßstab ist.

Diese Hauptthese des Buches wird von zahlreichen Detailuntersuchungen flankiert; neue Hinweise geben so Robinsons Betrachtungen zur Entwicklung und Geschichte des Ostrakismos, zur Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Krieg oder nach demjenigen von Demokratie und Seemacht. Das Schlussplädoyer für eine breitere Perspektive in der Behandlung der griechischen Demokratie, bei der die Geschichte der einen Stadt nicht mit der Geschichte der Verfassungsform zu verwechseln sei, ist sicher bewusst provokant zugespitzt. Dem letzten Satz: „Let the discussion begin“ kann man aber ohne Vorbehalte zustimmen.

Anmerkungen:
1 Hans-Joachim Gehrke, Jenseits von Athen und Sparta. Das dritte Griechenland und seine Staatenwelt, München 1986.
2 Eric W. Robinson, The First Democracies. Early Popular Government outside Athens, Stuttgart 1997.
3 Hierfür zitiert er z.B. Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie, 2. Aufl., Paderborn 1994, S. 186, Anm. 3: „Eine Geschichte der Demokratie außerhalb Athens gibt es nicht.“ Andere prominente Althistoriker, denen Robinson eine dezidiert athenozentrische Auffassung im Hinblick auf die Entwicklung der Demokratie unterstellt, sind insbesondere Wolfgang Schuller, Kurt A. Raaflaub, Robert W. Wallace.
4 Mogens Herman Hansen / Thomas Heine Nielsen, An Inventory of Archaic and Classical Poleis. An Investigation conducted by the Copenhagen Polis Centre for the Danish National Research Foundation, Oxford 2004.
5 Vgl. zu diesen Passagen insbesondere den Kommentar von David Asheri (Hrsg.), Erodoto, Le storie, 9 Bde., Milano 1988–1998.

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