F. J. Felten (Hrsg.): Befestigungen und Burgen am Rhein

Cover
Titel
Befestigungen und Burgen am Rhein.


Herausgeber
Felten, Franz J.
Reihe
Mainzer Vortrage 15
Erschienen
Stuttgart 2011: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
169 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Burgen sind der „Inbegriff des Mittelalters und der Mittelalterromantik zugleich“ (Enno Bünz 2009).1 Das gilt besonders für die Burgen am Rhein, die Themen einer kleinen Reihe der „Mainzer Vorträge“ gewesen sind, die nun gedruckt vorliegen. Dass die Burgforschung dabei im „Schnittfeld vieler Disziplinen“ (S. 9) liegt, wird an den sechs Beiträgen deutlich, die – nach der informativen Einleitung von Franz Felten (S. 3–16) – chronologisch, ausgehend von den spätrömischen Befestigungen bis zur touristischen Nutzung, verschiedene Aspekte von der Antike über das Mittelalter bis zur Romantik betrachten. Die Autoren sind allesamt ausgewiesene Kenner auf ihren Gebieten, weshalb die Lektüre in jedem Fall einen hohen Erkenntnisgewinn bietet, oft kurzweilig ist und durch die weiterführenden Literaturangaben vertieft werden kann.

Der erste Beitrag von Jürgen Oldenstein zu den „spätrömischen Befestigungen zwischen Straßburg und Andernach“ (S. 17–46) ist ein Ausschnitt aus dessen Mainzer Habilitationsschrift2, bei dem die Anmerkungen weggelassen wurden. Das Konzept geht nicht ganz auf, denn die minutiöse Diskussion römischer Ziegel und Ziegelstempeltypen ist für ein allgemeines Lesepublikum ermüdend. Der Fachmann aber wünscht sich bei jedem Satz die zugehörigen Fußnoten, beispielsweise in dem interessanten Absatz über die Deutung der Heidenmauer bei Wiesbaden als spätantike Wasserleitung, so dass er am Ende auf den Originaltext zurückgreift.

Beim Beitrag von Horst Wolfgang Böhme zu „Burgenbaukunst und Herrschaftsstreben am Mittelrhein und im Taunus während des Spätmittelalters“ (S. 47–74) geht es um das entscheidende Mittel zum Ausbau der Landesherrschaft unter einer schwachen königlichen Zentralgewalt, also die Durchdringung eines Territoriums durch Erwerb oder Bau von Burgen. Während im 12./13. Jahrhundert die Einzelbauten (Palas, Kapelle etc.) noch locker an die Ringmauer angelehnt waren, wurden sie ab dem 14. Jahrhundert zu einer geschlossenen kompakten Gesamtgestalt zusammengefügt, wobei Türme nicht nur der Verteidigung, sondern auch der architektonischen Akzentuierung dienten (S. 50). Für die effiziente Anwendung burgenpolitischer Maßnahmen (Lehn, Kauf, Pfandnahme, Eroberung etc.) „bietet gerade das Mittelrheingebiet zahlreiche Beispiele“ (S. 47), von denen Böhme vieren genauer nachgeht: Zunächst dem eindrucksvollen Aufstieg und Fall der Falkensteiner (S. 55) und Sponheimer, die frühzeitig (1418/1437) ausstarben, dann dem Kurmainzer Burgenbau, bei dem das dramatische Ringen um die Zolleinnahmen am „Binger Loch“ im Vordergrund stand, und zuletzt der Verteidigung der katzenelnbogischen Rechtsansprüche gegen die Nassauer (S. 63–66). Obwohl bautechnisch nicht mehr Langbogenschützen abgewehrt wurden wie noch am Reichenberg, sondern nun wie in Burgschwalbach die neu aufkommenden Feuerwaffen, fand „mit dem Vordringen der mörderischen Artilleriegeschütze der Burgenbau im engeren Sinne wenig später sein Ende“ (S. 73).

Stefan Grathoff geht im Beitrag „Burgenpolitische Schachzüge im Mittelalter. Burgen der Erzbischöfe von Trier und Mainz“ (S. 75–90) auf die erzbischöfliche Praxis ein, Burgen nicht in Eigenregie zu bauen, sondern von befreundeten Herren ein Stück Eigengut überlassen zu bekommen, dort eine Burg errichten zu lassen, die dann als Lehen dem Bischof aufgetragen wurde und von diesem an den Bauherrn verlehnt wurde. So vermehrte der Bischof durch die Lehnsburgen seinen Besitz und seine Helfer (S. 76). Am Beispiel des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg wird gezeigt, wie durch Burgenbau sogar eine Stadt (Mainz) belagert werden konnte (S. 77). Probleme hatte diese Praxis durch den Missbrauch der Amtsburgen, der wie bei der Burg Klopp bis zu bautechnisch (Geheimgänge) sorgfältig geplanten Mordplänen gegen den Bischof reichen konnte (S. 82). Auch hier beendeten die mauerbrechenden Feuerwaffen – am Beispiel der Burg Tannenberg 1399 – die traditionellen Belagerungstechniken.

Der Beitrag „Von der Burg im Schloss!“ von Matthias Müller mit dem Untertitel „Das Mainzer Schloss und die Revision eines entwicklungsgeschichtlichen Denkmodells“ (S. 91–122) dekonstruiert die geschichtsteleologische Deutung, nach der „erst der Abriss der Burg […] das Schloss als neuzeitliche Residenz“ (S. 91) vollendet. Diese Deutung stand immer noch in der Tradition des 19. Jahrhunderts, als die „zusammengeflickten Wesen von Zimmern“ (S. 93) durch Wiederherstellungskampagnen „stilgerecht“ beseitigt wurden (S. 95). Die spätmittelalterlich dominierte unregelmäßige Gebäudeansammlung des Mainzer Kurfürstenschlosses (S. 97) wird verglichen mit den im strengen Raster und absoluter Gleichförmigkeit errichteten Bauten wie Schloss Aschaffenburg oder denen in Mannheim, Rastatt oder Würzburg. Hier werden die architekturgeschichtlich/-theoretischen Modelle der baugeschichtlich/historischen Wirklichkeit ausgesetzt und das kunsthistorische Denkmodell, nach dem Burg und Schloss funktional und ästhetisch zwei Stufen einer baugeschichtlichen Entwicklung sind, anhand zeitgenössischer Beschreibungen (Zedler) widerlegt. Dazu wird an den Beispielen Wien, Dresden und Trier dargestellt, wie die architektonischen Zeugnisse der altehrwürdigen Vergangenheit behutsam an die funktionalen und zeremoniellen Standards der europäischen Höfe der Neuzeit angepasst wurden. Erst die Rechtselemente (Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten) machten aus den Gebäuden eine Burg/Schloss – steinernes Mauerwerk wird damit zum materiellen Träger der dem Schloss inkorporierten Rechte (S. 115). Das Schloss wird zum architektonischen Körper der vom Fürsten repräsentierten Institution (S. 116). Dies änderte sich erst unter Napoleon, als die alten Machtinstitutionen und ihre äußeren Zeichen ihre Bedeutung verloren (S. 120).

Stärker rezeptionsgeschichtlich betrachtet der Text „Sagenhafte Reiseziele. Zur Wahrnehmung der Rheinburgen im 19. Jahrhundert“ (S. 123–150) von Matthias Schmandt die einmalige Burgenlandschaft zwischen Bingen und Koblenz, nachdem „der Fortschritt gnadenlos über sie hinweg gegangen“ (S. 123) war. Insbesondere die Kämpfe 1689, aber auch zwischen 1796 und 1806 haben zur Ausbildung der Ruinenlandschaft geführt, die den Boden für die schon bald populären Ideen der Rhein- und Burgenromantik bereitete (S. 126). Für Friedrich Schlegel wurde die Burgruine „Ausdruck einer vergangenen, ursprünglichen Zeit, inmitten der wilden, unverfälschten Natur“ (S. 126). Die vor allem bei den Briten ausgeprägte Ästhetik des Schaurigen war für deren frühes Interesse an den bizarren Ruinen des Mittelrheins bis hin zu deren theatralischer Überhöhung verantwortlich (S. 128). Daneben wurden auch die Sagen und Legenden zunehmend wichtiger, die in dem Beitrag an konkreten Beispielen als Kunstprodukte des 19. Jahrhunderts entlarvt werden, deren Wirkmächtigkeit bis heute reicht – man denke nur an die männermordende schöne Jungfrau Loreley, die aber nicht einem Lied aus uralten Zeiten, sondern der Fantasie Clemens Brentanos im Jahre 1801 entsprang. Sehr detailliert wird auch die Entstehung der Sage um die feindlichen Brüder weiter entlarvt, ein Prozess, der bereits 1856 einsetzte. Was den Literaturwissenschaftlern seit langem klar ist, wird hier in der Zusammenschau mit der Rezeption der Burgruinen verbunden.

Im abschließenden Beitrag von Reinhard Friedrich, „Die Entwicklung der Burgen im Mittelrheintal und ihre touristische Nutzung“ (S. 151–167), wird zunächst ein Überblick gegeben, der auf der Burgendatenbank der Deutschen Burgenvereinigung e.V. in Braubach beruht.3 Friedrich weist darauf hin, dass die „wirtschaftsfördernden Auswirkungen des Tourismus im 19. Jahrhundert […] für das seinerseits ‚strukturschwache‘ Rheintal kaum unterschätzt werden“ dürfen (S. 155). Während prominente Zeitgenossen wie Goethe, Schinkel oder Dumas sich im frühen 19. Jahrhundert an den weitgehend zerstörten Ruinen erfreuten (S. 157), waren nach dem schrittweisen Erwerb und Neu-(Wieder-)Aufbau am Ende des Jahrhunderts kaum noch unveränderte Ruinen vorhanden. Der „Schnellreisende“, der die Strecke von Köln nach Mainz mit dem Dampfschiff in 83 Stunden abfuhr (S. 159), summierte sich bald, gefördert durch Reiseführer, zu echtem Massentourismus. Auch die Eisenbahn und später die Automobile förderten den Massentourismus weiter, ebenso wie der Ausbau der Burgen, von denen heute nur noch zwei als unveränderte Ruinen erhalten sind (S. 161). Das Rheinerlebnis des 19. Jahrhunderts mit den Ruinen ist heute nur noch in Seitentälern wie dem Wispertal nachvollziehbar. Erschwerend kommt hinzu, dass etwa die Hälfte der Rheinburgen unzugänglich in Privatbesitz sind. Als Positivbeispiel wird dem die Marksburg als einzige unzerstört erhaltene Höhenburg gegenübergestellt.

Formal muss moniert werden, dass die Qualität der Klebebindung des Buches leider sehr schlecht ist, die Seiten fallen bereits nach erstmaliger Lektüre auseinander. Das ist schade, denn die Qualität des Papiers und der zahlreichen schwarzweißen Abbildungen ist sehr gut. Das Buch ist primär nicht für Fachwissenschaftler geschrieben (S. 180), trotzdem ist der Band so zusammengestellt, dass er für Burglaien wie -liebhaber und Burgenforscher gleichermaßen hilfreich ist. Der im Vorwort angekündigte „innovatorische Anspruch“ (S. 10) wird durch die Beiträge geleistet und bietet so auch Spezialisten interessante Ansätze und weitergehende Lektürehinweise.

Anmerkungen:
1 Enno Bünz, Die Burg im Schnittfeld vieler Disziplinen. Überlegungen eines Landeshistorikers anlässlich der Vollendung des Pfälzischen Burgenlexikons, in: Pfälzische Burgenforschung. Stand und Perspektiven (Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 107, 2009), S. 509–529, hier S. 510.
2 Jürgen Oldenstein, Kastell Alzey. Archäologische Untersuchungen im spätrömischen Lager und Studien zur Grenzverteidigung im Mainzer Dukat, Universität Mainz: Online-Ausgabe, 2009, S. 309–334 <http://ubm.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2009/2070/pdf/diss.pdf> (21.05.2012).
3 Vgl. <http://www.ebidat.eu> (26.05.2012).