U. Rubin: Muhammad the Prophet and Arabia

Cover
Titel
Muḥammad the Prophet and Arabia.


Autor(en)
Rubin, Uri
Reihe
Variorum Collected Studies Series 968
Erschienen
Farnham 2011: Ashgate
Anzahl Seiten
getr. Zählung (XIV, 346 S.)
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konstantin Klein, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der Schwerpunkt der Forschung Uri Rubins (Tel-Aviv-Universität) liegt auf dem frühen Islam und dabei vor allem auf dem Koran, dessen Exegese (tafsīr) und der frühen islamischen Überlieferung (sīra und ḥadīth). Im Jahr 2005 erschien seine hebräische Übersetzung des Korans.1 Der hier vorgestellte Band vereint fünfzehn Aufsätze und Beiträge aus den Jahren 1975 bis 2009.2 Eine gesonderte Besprechung dieses Querschnitts erscheint vor allem deswegen angebracht, da die Zusammenstellung in sich so kohärent ist, dass es Rubin gelingt, fast wie in einer Monographie ein klares Bild von Muḥammad, seiner Prophetie und vor allem dem spätantik-arabischen Umfeld seines Lebens zu zeichnen.3 Die Sammlung ist nicht nur deswegen bedeutsam, da sie maßgebliche Aufsätze eines der wichtigsten Forscher zum frühen Islam an einer Stelle zusammenfasst, sie bietet daneben auch für alle Fachfremde, die sich über das Niveau von Handbucheinträgen und Einführungswerken hinausgehend mit der arabischen Halbinsel des 7. Jahrhunderts beschäftigen möchten, wichtige Denkanstöße.4

Die ersten acht Texte befassen sich mit der Prophetie Muḥammads und seiner Selbstwahrnehmung (I–VI) sowie seiner prophetischen Erfahrung und der Fremdwahrnehmung durch andere (VII–VIII). Die ersten beiden Beiträge stellen überarbeitete Versionen von Lemmata der „Encyclopaedia of the Qur’ān“ zu Muḥammad (I) und den koranischen Vorstellungen von Propheten und Prophetie (II) an sich dar. Die Einträge fungieren einerseits als Prolegomena zu Rubins spezielleren Studien, stecken aber zugleich einige zentrale Themen des Bandes (und Rubins Forschung) ab: Unter Verweis auf zahlreiche Koranstellen, aber auch auf außerkoranische Überlieferung zeichnet Rubin die rituellen „Feinjustierungen“ der jungen Religion und ihres Verkünders nach, die zwischen universellem und lokalem Anspruch (I, S. 5) erst mühsam ausdifferenziert werden mussten.5 Einleuchtend wird (trotz im Koran eingehend beschriebener Vorgängerapostel) die Singularität von Muḥammads Auftreten dargestellt (I, S. 6f.; II, S. 14); ebenso findet die später näher beschriebene mekkanisch-vorislamische Form einer abrahamitischen Religion Behandlung, die mit Muḥammad dann kurze Zeit später in deutlicher Abgrenzung zum Juden- und Christentum stehen wird (I, S. 9f.; III, S. 481–483 u. 488–492; X, S. 85–109; XIII, S. 9).

Ausgehend von der Überlieferung, dass von Muḥammad eine Form der Lichtquelle ausgeht, untersucht Rubin im längsten und vielleicht bekanntesten Beitrag der Sammlung (IV: Pre-existence and light: aspects of the concept of Nūr Muḥammad; 1975) die exegetische Tradition, wonach der Religionsgründer des Islam bereits vor der göttlichen Erschaffung Adams existierte und dann in dessen Lenden als verborgene Substanz zurückversetzt wurde6, von wo aus dieser Samen durch die Generationen hindurch wanderte, um von seinem Vater ‘Abdallāh ibn ‘Abd al-Muṭṭalib an Āmina bint Wahb weitergegeben und letztlich von dieser geboren zu werden.7 Gemäß den Kommentatoren ist Āminas Schwangerschaft von Visionen geprägt, auch hier spielt das Licht eine nicht geringe Rolle, gerade wenn sich bei der Geburt der Himmel vom Yemen bis nach Byzanz erhellt (IV, S. 86–90). Muḥammad erweist sich schon in der Zustandsform als Samen als erster Prophet der Welt und zugleich als der letzte, der in sie entsandt wird (IV, S. 69–70). Er ist somit schon präsent zum Zeitpunkt der Prophetien des Mose, Noah oder Jesus, vor allem aber der Abrahams, welcher den Monotheismus in Mekka einführte. In manchen Traditionen ist der ungeborene Muḥammad selbst derjenige, der den anderen Propheten den Monotheismus lehrt (IV, S. 104). Viele Exegeten betonen darüber hinaus auch, dass die Nachfahren Abrahams – und somit die Vorfahren Muḥammads – diese Religion (im Gegensatz zu anderen Mekkanern, die den Götzendienst einführen) niemals verlassen haben (IV, S. 75–83). Rubins Beitrag ist maßgeblich nicht nur für diese beiden interessanten Traditionen, sondern für das Verständnis von Prädestination sowie von Zeit bzw. Geschichte im frühen Islam, denn nur so lässt sich verstehen, warum etwa gemäß zahlreicher Kommentatoren Adam und Eva bei der Schöpfung der Welt auf Gottes Thron bereits den Namen Muḥammads (bzw. in schiitischer Tradition auch die Fāṭimas und ‘Alīs) lesen können.

Die letzten sieben Beiträge (IX–XV) sind mit „Muḥammad’s Arabia“ überschrieben. Diese Sektion beginnt mit einem erweiterten Lemma (IX) der „Encyclopaedia of Islam“ zu Abraha, dem südarabischen König, dessen Feldzug gegen Mekka nach muslimischer Überlieferung in Muḥammads Geburtsjahr 570 datiert. In Zusammenarbeit mit Christian Robin entstand ein Zusatz (IX, S. 7) zu den epigraphischen Erwähnungen Abrahas aus Ma’rib, der eindrucksvoll die koranische mit der geschichtlichen Überlieferung Südarabiens verbindet.

Rubins Aufsatz zur Bewegung der Ḥanīfen (X) gehört zu seinen bekannteren Studien: Entgegen früherer Forschungsansichten sieht Rubin diese vorislamischen Monotheisten nicht als eine koranische Übertreibung oder gar Erfindung. Ausgehend von der Frage, warum nicht nur Vorfahren, sondern auch bittere Gegner Muḥammads zu dieser Gruppe gerechnet werden, entwickelt er ein überzeugendes Bild von Muḥammads Konkurrenz zu den Ḥanīfen, von deren engen Anbindung an Mekka und an die Ka‘ba (auch als Gebetsrichtung: XI, S. 357) sowie von einem dezidiert mekkanischen, abrahamitischen Monotheismus (dīn Ibrāhīm), in den Muḥammad wohl vor allem durch die Gestalt Zayd ibn ‘Amr ibn Nufayl eingewiesen wurde.

Abraham ist auch eines der Verbindungsglieder zwischen dem gesegneten Land der alttestamentlichen Propheten (Israel mit seinem Omphalos Jerusalem) und dem heiligen Land des Propheten Muḥammad (Arabien mit Mekka), womit sich Beitrag XI befasst. Über die Bemerkungen zur Nachtreise ist hier auch eine inhaltliche Anknüpfung zum siebten Beitrag der Sammlung gegeben. In Beitrag XII revidiert Rubin seine früher geäußerte Ansicht8, der Fluch in Sure 111:1 (tabbat yadā Abī Lahabin wa-tabb, „Verdorren sollen die Hände Abū Lahabs! Und er selbst!“) beziehe sich deswegen so explizit auf die Hände von Muḥammads Widersacher, da dies eine Adorationsgeste für die Gottheit al-‘Uzzā darstelle, als deren treuer Anhänger Abū Lahab gemäß islamischer Tradition gilt. In diesem kurzen Beitrag schlägt Rubin vor, die Begründung des Fluches vielmehr in einer Tradition zu suchen, die außerhalb von Qur’ān und Tafsīr stehe, nämlich einer bei den Historikern überlieferten Episode: Abū Lahab habe in vorislamischer Zeit eine Gazellenstatue aus Gold von der Ka‘ba gestohlen; die dafür übliche Strafe, das Abhacken der Hand, sei dem einflussreichen Mekkaner allerdings erspart geblieben. Sure 111:1 demonstriere also, dass durch Gott jede ausstehende Strafe vollzogen werde, in Abū Lahabs Fall freilich erst im Jenseits. Dabei klärt sich freilich nicht, warum Sure 111:1 aber eben gerade nicht von einer einzigen (rechten) Hand spricht; auch das letzte Wort des Verses, wa-tabb, „und er verderbe (selbst)!“ fügt sich nicht sinnvoll in diese Interpretation ein.9

Die Beiträge XIII und XIV beschäftigen sich mit dem rituellen Leben der Quraysh in Mekka zur Zeit des Auftretens Muḥammads, der erste mit deren Winter- und Sommerreise, der zweite mit dem traditionellen Sonnenaufgangsgebet (ṣalāt aḍ-ḍuḥā) und dem im frühesten Islam neu eingeführten Abendgebet (ṣalāt al-‘aṣr) an der Ka‘ba. Wie auch schon in Rubins Untersuchungen zur Gebetsrichtung (qibla) wird auch bei der Betrachtung des Morgengebets sichtbar, wie in der jungen Gemeinde eine zu enge Anlehnung an die altarabischen Riten als problematisch aufgefasst wurde (XIV, S. 47f.). Dies zeigt sich am graduellen Bemühen, das Sonnenaufgangsgebet auf jeden Fall vom eigentlich Moment des Sonnenaufgangs weg zu verlagern, und an der frühen Einführung des noch heute verbindlichen Morgengebetes (ṣalāt al-fajr), welches nun eben explizit keine mekkanische Tradition darstellte und das älteste Sonnenaufgangsgebet rasch ersetzte. Die Parallelen zwischen Muḥammads Sonnenuntergangsgebet und dem jüdischen Nachmittagsgebet (minḥah) hatte bereits Goldziher erkannt10, doch auch schon den Quraysh in Mekka muss diese extrem frühe Entlehnung einer ursprünglich jüdischen Tradition im frühen Islam aufgefallen sein, so Rubin, der darauf den mekkanischen Widerstand gegen Muḥammads Innovation des Abendgebets zurückführt.

So zeigt sich in den Beiträgen X, XI, XIII und XIV anhand der ältesten Gebetsrichtung nach Mekka, deren Austausch durch Jerusalem, gefolgt von der Rückorientierung nach Mekka, und ebenso beim ursprünglich altarabischen Sonnenaufgangs- und jüdischen Sonnenuntergangsgebet der frühesten Zeit (welche beide durch die fünf neu geschaffenen Gebetszeiten abgelöst wurden) Muḥammads stark ausgeprägte, anfängliche Orientierung an altarabischen und jüdischen Vorbildern, die dann erst schrittweise durch eigene Formen ersetzt wurden. All diese Erkenntnisse sind ausgesprochen bedeutsam für die Untersuchung des spätantiken Entstehungskontextes dieser neuen Religion in ihrem sicherlich nicht ausschließlich, aber doch zu einem großen Teil von altarabischen und spätantik-jüdischen Einflüssen geprägten Umfeld.11

Anmerkungen:
1 Uri Rubin, Ha-Qor’an. Tirgem me-‘aravit ve-hosif he‘arot, nispaḥim u-mafteaḥ, Tel Aviv 2005.
2 Rubins Interpretation der 106. Sure (XIII) aus dem Jahre 1984 wurde für den vorliegenden Band komplett neu verfasst.
3 Für den Band von großem Nutzen ist, dass Rubin ein sehr ausführliches Register sowie einen Koranstellenindex angefügt hat. Dies ist bei der Reihe „Variorum Collected Studies“ eher selten, aber angesichts der zahllosen Bezüge der einzelnen Aufsätze untereinander ausgesprochen hilfreich.
4 Es können an dieser Stelle nicht alle Beiträge einzeln behandelt werden; es tragen jedoch auch die hier nicht besprochenen Aufsätze maßgeblich zu einem faszinierenden Gesamtbild bei. Eine Ausnahme bildet höchstens der dritte Beitrag, eine ausführliche Widerlegung der Thesen von Günter Lüling, Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad, Erlangen 1981, in der Rubin zwar seine fundierte Quellenkenntnisse demonstrieren kann, die aber als Rezension an dieser Stelle etwas unvermittelt steht.
5 Dieses langsame Ringen um die Form des frühen Islam gerät beispielsweise in Fred Donners neuer Darstellung, Muhammad and the believers, Cambridge 2010, eher in den Hintergrund.
6 Vgl. kuntu nabiyyan wa-Ādamu bayna l-rūḥi wa-l-yasadi, „Ich [= Muḥammad] war Prophet als Adam sich zwischen Geist und Körper befand“, (Ibn Sa‘d) zitiert nach Rubin, IV, S. 70, Anm. 19.
7 Interessant ist hierbei, dass sich in einigen schiitischen Traditionen das prä-existente Licht, das seit Adam von Vorfahre zu Vorfahre bis Muḥammad weitervererbt wurde, beim Großvater ‘Abd al-Muṭṭalib teilt: Die eine Hälfte geht über auf ‘Abdallāh und erzeugt nach ihm Muḥammad, die andere aber fließt in Abū Ṭālib und erzeugt in der Folgegeneration Muḥammads Cousin ‘Alī, vgl. IV, S. 101.
8 Uri Rubin, Abū Lahab and Sūra CXI, in: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 42 (1979), S. 13–28.
9 Auch ein Verweis auf die von Rubin nicht aufgeführte psalmistische Referenz (Ps 137,5: im eshkaḥeḫ Yerushalayim, tishkaḥ yemini, „wenn ich dein vergesse, Jerusalem, soll meine Hand vergessen sein“; vgl. Angelika Neuwirth, Der Koran, Bd. 1: Frühmekkanische Suren, Berlin 2011, S. 142) erklärt nicht, warum in Sure 111:1 kein Singular verwendet wird; sollte dies bedeutsam sein, so erscheint unter Umständen doch Rubins ältere Theorie einer harschen Invektive gegen Abū Lahabs Adoration plausibler.
10 Vgl. Ignác Goldziher, Die Bedeutung der Nachmittagszeit im Islam, in: Archiv für Religionswissenschaft 9 (1906), S. 293–302, hier S. 297–301 (Neudruck in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 5, Hildesheim 1970, S. 23–31, hier S. 27–30).
11 Vgl. hierzu: Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike, Berlin 2010.

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