J. Eldevik: Episcopal Power and Ecclesiastical Reform

Titel
Episcopal Power and Ecclesiastical Reform in the German Empire. Tithes, Lordship and Community, 950–1150


Autor(en)
Eldevik, John
Reihe
Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series 86
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 77,22
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Suchan, Fachbereich Geschichte und Soziologie, Universität Konstanz

John Eldevik hat sich mit seinem Buch auf ein Forschungsfeld begeben, das eng abgesteckt und prominent besetzte Claims enthält. Denn es spielt gleich in mehreren wissenschaftlichen Großerzählungen eine Hauptrolle, die aus ihrer jeweiligen Sicht von der so genannten Wende des Mittelalters handeln: von der Feudalisierung der Gesellschaft, dem demographisch wie technisch forcierten ökonomischen Wandel des 11. Jahrhunderts, dem Zerfall des fränkischen Großreiches als Verlust staatlich-administrativer Strukturen und nicht zuletzt dem so genannten Investiturstreit, der die Widersprüchlichkeiten der typisch mittelalterlichen Verwobenheit von Kirche und Welt in eine fundamentale Konfrontation zwischen Kaiser und Papst um das Recht zur Investitur münden ließ.

Indem sich der New Yorker Mediävist den Umgang mit dem Zehnten im 10. und 11. Jahrhunderts vornimmt, öffnet er auf der Gegenstands- wie auf der methodischen Ebene einen Zugang, mit dessen Hilfe er nicht nur diese bekannten Narrative in Frage stellen, sondern darüber hinaus die von ihnen sowohl geöffneten als auch geschickt getarnten Forschungslücken füllen kann: die Bischöfe dieser Zeit, die darin meist nur als Appendix vorkamen. Sein Buch behandelt also ein schwieriges Thema unter fachhistorisch komplexen Bedingungen, und es leistet dabei, um es vorweg zu nehmen, sehr viel. Dies mag auch dem offensichtlich langen Reifungsprozess zu verdanken sein, da es auf eine ursprünglich 2001 bei Patrick Geary an der University of California eingereichte Dissertation zurückgeht.

Eldevik präsentiert Bischöfe einerseits als „Herren“, die Macht ("lordship") ausübten, wie es andere Inhaber von Spitzenpositionen in dieser Zeit auch taten; andererseits zeigt er, dass sie dies unter den spezifischen Prämissen taten, die ihre Stellung mit sich brachte. Denn seit die Wurzeln des Amtes fassbar sind, waren sie Pastor und Administrator zugleich und entwickelten daraus eine spezifische Form der Autorität und Macht über andere. Der Autor bezieht diese ebenso schillernden wie zentralen sozialwissenschaftlichen Kategorien auf ihre geographische wie situative Dimension. Daher versteht er die Region als soziale Größe, die unter mittelalterlichen Verhältnissen vor allem durch den Bischof und seine Diözese bestimmt war: In Person und Amt oder deren Zuständigkeitsbereich bündelten sich gesellschaftliche und politische Netzwerke und kulturhistorisch fassbare Praktiken. Ähnliche Ansätze werden bislang lediglich vereinzelt, wenn auch international recht breit gestreut vertreten, und Eldevik schließt seine Fragen hier geschickt an.1

Den Zugang zur Region erschließt er, indem er den Zehnten als soziale Praxis betrachtet, also anthropologisch und praxeologisch – inspiriert auch durch die Kulturtheorie Pierre Bourdieus – als Austausch von Waren oder Dingen, der neben dem wirtschaftlichen auch einen sozialen Wert produzierte. Aus diesem Blickwinkel bestimmte der Zehnt auch die Qualität der Beziehungen und gestaltete sie mit. Im Zehnten bündelten sich insofern die säkularen und sakralen Aufgaben des Bischofs. Eldevik zeigt, wie die Bischöfe den Zehnten zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert nutzten, wobei sein Schwerpunkt im 10. und 11. Jahrhundert liegt. Dabei beobachtet er die Interaktionen, Konflikte und Verhandlungen, die sich in Hinsicht auf die Zehnten zwischen dem Bischof und dem Adel, den Laien, monastischen Gemeinschaften, Kommunen sowie dem König ergaben. Um den Raum des Reiches Karls des Großen repräsentativ abdecken zu können, nutzt er in methodisch innovativer Weise den Vergleich der Kirchenprovinzen Mainz, Salzburg und Lucca. Diese unterschieden sich in ihrer Struktur und historischen Entwicklung, waren jedoch durch ihre geographisch periphere Lage im karolingischen Imperium mit ähnlichen Problemen konfrontiert.

Geschickt setzt Eldevik sein Vorhaben in der Gliederung des Buches um. Zunächst führt er seine Leser methodologisch und wissenschaftsgeschichtlich ein und erläutert in Kapitel Eins die religions- und sozialhistorischen Dimensionen des Zehnten. Kapitel Zwei beschreibt, wie die Bischöfe im 9. Jahrhundert ihre Autorität entfalteten, indem sie die Gesellschaft als „Kirche“ reformierten. Dabei schließt er an jüngere Arbeiten anderer an.2 Eldevik zeigt, dass der Zehnten dabei von allen Beteiligten nicht nur als wirtschaftliche Ressource, sondern auch als politisches Instrument genutzt wurde. Im 10. Jahrhundert wandelte sich die politische Geographie, aus dem Großreich entwickelten sich regionale, territorial kompaktere Einheiten, unter anderem die so genannten jüngeren Stammesherzogtümer, in denen Adelsnetzwerke den Ton angaben. Um hier ihren Aufgaben nachkommen zu können, argumentiert Eldevik, mussten die Bischöfe ihre Amtsführung ändern. Kriegstruppen zu führen, resultierte daher nicht aus einer Delegation königlicher Aufgaben, wie es das Forschungsmodell der „ottonisch-salischen Reichskirche“ deutete, sondern beinhaltete, wie der Autor überzeugend argumentiert, den Ausbau und die Intensivierung von Praktiken, die es bereits zuvor in karolingischer Zeit gab.

Kapitel Drei bietet instruktive wie gut geschriebene Übersichten über die Entwicklung der drei Diözesen für den zu diskutierenden Zeitraum. Eldevik zeigt, dass eine Kirchenprovinz als Raum über den administrativen Aspekt hinaus auch durch Autorität und Erinnerung definiert wurde und dass die Bischöfe dort mit unterschiedlichen kirchlichen Einrichtungen, Rollen und Personen agierten, die entsprechend differenzierte Anforderungen an sie stellten. Hervor trat vor allem die Dynamik sozialer Beziehungen, in deren Zentrum der Bischof stand.

Die folgenden drei Kapitel, der Hauptteil des Buches, widmen sich jeweils einer der Diözesen mit unterschiedlichen inhaltlichen Akzenten. Lucca zeichnete sich durch den Aufstieg des Domkapitels aus, der durch die Patronage des Königtums bedingt war. Außerdem waren die Herzogsherrschaften auf der lokalen Ebene relativ schwach, so dass zunehmend ländliche Eliten zum Zuge kamen und ihre Stellung vor Ort verankerten, und zwar mit Hilfe der Bischöfe. Diese verliehen den Zehnten oder das, woraus er erwirtschaftet wurde, an andere Herren, die ihn ihrerseits weitergaben, um daraus Gewinn zu erzielen. Über diese Transaktion, in den Quellen als livelli bezeichnet, agierte der Bischof mit dem Zehnten wie mit anderen Tauschobjekten und zugleich wie andere Besitzende auch, um die Beziehungen mit seinesgleichen zu pflegen und Herrschaft auszuüben.

In Salzburg beobachtet Eldevik eine ähnliche Praxis. So schloss der im Investiturstreit prominente Erzbischof Gebhard differenzierte bilaterale Übereinkünfte mit den Adligen der Steiermark und Kärntens über die Nutzung von Zehnten und formalisierte sie. Die dabei zum Einsatz kommende Schriftlichkeit bildet ein weiteres Moment der Übereinstimmung zwischen beiden Diözesen. Diesen Befund deutet Eldevik als veränderten, gezielten Umgang mit der Vergangenheit: So modelliert die Hagiographie Gebhards Image als guter Bischof, weil er diese Zehntpraxis ausübte. Zugleich lassen sich Spuren dieser Beziehungen in den Traditionsbüchern von Kirchen erkennen. Denn der Eintrag von laikalen Eliten und ihrer Verwandten dokumentiert die immaterielle, spirituelle und soziale Dimension dieser Beziehung, in der jeder Partner seinen Anteil leistete: Die Adligen wirtschafteten mit den Gütern und die Geistlichen gedachten ihrer. Bei dieser Argumentation schöpft Eldevik nicht nur aus den Konzepten seines Lehrers Geary, sondern lässt sich auch von Thesen leiten, die Rosamond McKitterick für den Umgang mit der Vergangenheit in der Karolingerzeit vertritt.

Für Mainz schließlich liegt der Schwerpunkt auf den Zehntstreitigkeiten zwischen den Erzbischöfen, insbesondere Siegfried I., und den Abteien Fulda und Hersfeld. An den unterschiedlichen Positionen sieht Eldevik bestätigt, was auch für Lucca und Salzburg wesentlich war, dass sich nämlich im 11. Jahrhundert der Blick auf die Vergangenheit veränderte. Während die Klöster aufgrund der ungebrochenen Tradition auf ihre Besitzansprüche pochten, begründete der Erzbischof mit derselben Tradition eine Verletzung seiner Rechte. Den Beteiligten, insbesondere den Klöstern, erschien es offenbar zunehmend wichtig, diese Erinnerung zu institutionalisieren und zu artikulieren, und zwar durch Schriftlichkeit.

Ausdrücklich ausgeklammert hat Eldevik die Konflikte zwischen Papst Gregor VII. und König Heinrich IV., obwohl sie nach wie vor als ein zentraler Bestandteil dieses Epochenwandels gelten. Das ist zwar inhaltlich gerechtfertigt, und ein entsprechender Versuch hätte wohl dieses kompakte Buch aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Jedoch entsteht in Anbetracht ihrer Bedeutung wie auch der offensichtlichen Befähigung des Autors, mit in die Jahre gekommenen Lehrmeinungen aufzuräumen, der Eindruck einer unnötigen Lücke.

Grundsätzlich hat John Eldevik in erfrischender wie perspektivenreicher Weise internationale Forschungen mit seinen Fragen kombiniert. Das 11. Jahrhundert sieht er durch seine Ergebnisse in der Bewertung als Wende bestätigt, und das nicht zu Unrecht. Er definiert dabei den Wandel im Verhältnis von Kirche und Welt überzeugend anders: Als Reaktionen der Bischöfe auf Veränderungen in der politischen Topographie von Macht, angesichts derer sie das gestalterische, soziale und machtpolitische Potenzial ihrer Ressourcen geschickt nutzten. Es ist zu erwarten, dass das Buch eine entsprechend angemessene Aufmerksamkeit erfahren wird.

Anmerkungen:
1 John S. Ott / Anna Trumbore Jones (Hrsg.), The Bishop Reformed. Studies of Episcopal Power and Culture in the Central Middle Ages, Aldershot / Burlington 2007; Giuseppe Albertoni, Die Herrschaft des Bischofs. Macht und Gesellschaft zwischen Etsch und Inn im Mittelalter (9.–11. Jahrhundert), Bozen 2003.
2 Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts, Ostfildern 2008, vgl. hierzu die Rezension von Monika Suchan, in: H-Soz-u-Kult, 27.07.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-077> [02.08.2013]; Christina Pössel, Authors and Recipients of Carolingian Capitularies, 779–829, in: Richard Corradini / Rob Meens / dies. / Philip Shaw (Hrsg.), Texts and Identities in the Early Middle Ages, Wien 2006, S. 253–274; Mayke de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840, Cambridge 2009, vgl. hierzu die Rezension von Monika Suchan, in: H-Soz-u-Kult, 10.03.2010, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-184> [08.022013].