M. Puchta: Die Unterwerfung der Reichsritter durch Ansbach-Bayreuth

Titel
Mediatisierung "mit Haut und Haar, Leib und Leben". Die Unterwerfung der Reichsritter durch Ansbach-Bayreuth (1792-1798)


Autor(en)
Puchta, Michael
Reihe
Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 085
Erschienen
Göttingen 2012: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
ca. 830 S.
Preis
€ 126,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Gotthard, Department Geschichte, Universität Erlangen-Nürnberg

Die Dissertation Puchtas regt dazu an, über den Zustand des Alten Reiches im ausgehenden 18. Jahrhundert nachzudenken, wiewohl sie eigentlich eine kleine Episode der fränkischen Landesgeschichte fokussiert. Die Mediatisierung der Ansbach-Bayreuth benachbarten reichsritterschaftlichen Güter in den 1790er-Jahren war zwar auch bislang nicht gar so schlecht erforscht, wie uns der Autor weismachen will; freilich blickten die ausführlichsten unter den älteren Untersuchungen durch die borussophil-nationalstaatliche Brille, sie werteten die preußische Arrondierungspolitik im Fränkischen unkritisch als überfälligen Fortschritt und basierten auch hauptsächlich auf preußischen Quellen. Puchta hat nun alle erreichbaren Akten in erschöpfender Gründlichkeit ausgewertet.

Von den hinführenden Kapiteln sind die Ausführungen zum Territorialstaatsrecht im Territorium inclausum besonders instruktiv. Welche herrschaftsbegründenden Rechte sprachen dort für eine selbständige landesherrliche Gewalt: unstrittige Reichsunmittelbarkeit, grundherrliche Rechte, die – im Fränkischen traditionell besonders wichtige – „Vogteilichkeit", die mittlere Frevelgerichtsbarkeit, die im Fränkischen als „Fraisch" bezeichnete Hochgerichtsbarkeit, das Besteuerungsrecht, alle möglichen anderen Indizien? Zu Recht hebt Puchta hervor, dass „sich die sedimentartigen Überlagerungen unterschiedlichster Rechtstitel und -vorstellungen nicht in ein einheitliches und in sich geschlossenes System pressen ließen" (S. 63), weshalb „die Frage der Rechtmäßigkeit der preußischen Landeshoheitsansprüche mit den vorhandenen Instrumentarien des Ius publicum nicht zu entscheiden" war (S. 712). Stets weit ausholend, leuchtet Puchta auch alle anderen Hintergründe und Rahmenbedingungen aus: die Genese der reichsritterschaftlichen Korporation, ihre Organisation; der Herrschaftswechsel in Ansbach und Bayreuth, wir lernen Hardenberg und seine Mitarbeiter kennen; Folgen des Ersten Koalitionskriegs, in dem die Fürstlichen möglichst viele Kriegslasten auf die Reichsritter abzuwälzen suchten, was die vielfach schon wankenden ökonomischen Fundamente der ritterschaftlichen Territorien weiter zerrüttete und „ein Klima zunehmender Rechtlosigkeit" (S. 115) geschaffen habe. Die Annahme, Sympathien mit der Französischen Revolution hätten „erhebliches Unruhepotenzial" in die ritterschaftlichen Gebiete getragen (S. 706), bleibt recht spekulativ.

Motor der Mediatisierungspolitik war der preußische Statthalter in Ansbach-Bayreuth, Hardenberg. Ihn motivierte dabei der Wunsch, die Markgrafschaften zügig administrativ, militärisch und ökonomisch den altpreußischen Territorien anzupassen, was die Überschneidung obrigkeitlicher Rechte im Territorium inclausum erschwert, allemal verlangsamt hätte. Juristisch begründet wurde die politisch motivierte Mediatisierung mit der zollerschen „Fraisch" – Hardenberg erklärte einfach die Hochgerichtsgrenzen zu Landesgrenzen. Auf die Macht der Bajonette gestützt, wurde der jahrhundertealte Streit um die Hierarchie obrigkeitlicher Rechte in dieser territorialen Schütterzone des Reiches im für Preußen günstigsten Sinn entschieden.

Am Beginn des mehrjährigen Ringens mit ungleichen Waffen stand die Entscheidung Hardenbergs vom 9. Februar 1792, die Patente, die den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. anzeigten, auch in jenen Ansbach-Bayreuth benachbarten Gebieten anschlagen zu lassen, über die die Markgrafschaft die Landeshoheit beanspruchte. Überaus detailliert schildert Puchta den weiteren Verlauf des Konflikts, vom zunächst zweigleisigen Vorgehen Preußens (schikanöse Nadelstiche begleiten Vergleichsverhandlungen) bis zum Beschluss vom Frühjahr 1796, nun zügig, flächendeckend und unter Inkaufnahme militärischer Demonstrationen ans Ziel zu kommen. Dass die preußische Interpretation von Landeshoheit im Sommer 1796 mit militärischem Flankenschutz exekutiert wurde, traf auch Nürnberg hart (es büßte einen Großteil seines Landgebiets ein, was Puchta freilich nicht ins Visier nahm) – so hat die preußische Okkupationspolitik ihren Platz gleich in zwei Vorgeschichten: des Untergangs der Reichsstädte, des Endes der Reichsritterschaft. Widerstand regte sich angesichts des Machtgefälles nur vereinzelt.

Auf die Mediatisierungsfolgen für den Gemeinen Mann (andere Steuern, Einbeziehung in das preußische Kantonssystem, andererseits profitierte man nun von der Neutralität Berlins im Ersten Koalitionskrieg) geht Puchta nur knapp ein, und es fehlt hier die wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive. Hat der Schutz des preußischen Adlers vor Einquartierungen und Übergriffen die Aussöhnung mit den ungewohnten territorialen Strukturen beschleunigt? Für die Frage, wie Herr Hinz und Frau Kunz den Herrschaftswechsel empfunden haben, scheinen Puchtas Quellen unergiebig gewesen zu sein. Überaus detailreich hingegen legt er, auf fast zweihundert Seiten, den publizistischen Begleitkampf dar. Auch hier stand, gegen die Ansichten der allermeisten Staatsrechtler, die „Fraisch" als angeblich zentraler landesherrlicher Rechtstitel im Mittelpunkt der preußenfreundlichen Abhandlungen.

Puchta hat eine penible, geradezu detailverliebte Spezialstudie vorgelegt, überrascht den Leser aber gleich eingangs und dann wieder am Schluss auch mit einer These gleichsam mittlerer Reichweite: dass nämlich die von ihm beleuchteten Vorgänge eine „entscheidende Rolle" für den Untergang des Reiches gespielt, ihn „maßgeblich" beschleunigt, ja, fast unausweichlich gemacht hätten. Die „Demontage des Reichsverbandes als Rechts- und Friedensordnung" habe 1792/93 in Ansbach-Bayreuth begonnen (S. 16). Hardenberg habe damals „die Axt an den Stamm der Reichsverfassung" gelegt (S. 710). Damit stößt uns Puchta auf eine interessante Frage, die sich zuletzt, freilich stets beiläufig, durch die Reichsgedenkliteratur des Jahres 2006 gezogen hatte: War der Reichsverband bis 1806 vital und entwicklungsfähig, oder beschleunigte Napoleon lediglich seine Agonie?

Puchtas Studie liefert Indizien für die zweite Sichtweise. Die ritterschaftliche Organisation sehen wir durchgehend wenig schlagkräftig agieren, noch nicht einmal solidarisch, sie war dem forschen preußischen Vorgehen nicht ansatzweise gewachsen. Dem Kanton Kocher gelang es in drei Jahren nicht, eine Klageschrift beim Reichshofrat einzureichen, und „selbst im Augenblick größter Gefahr" wurde „um jeden Gulden, der nicht erkennbar dem unmittelbaren Vorteil des eigenen Kantons zugutekam, gerungen". „Die schwerfälligen inner- und transkantonalen Abstimmungsprozesse" führten „regelmäßig" dazu, „dass Entscheidungen erst fielen, als die Ereignisse über sie längst hinweggegangen waren" (S. 668). Sicher noch gewichtiger ist die Beobachtung, dass Berlin die Reichsjustiz ungeahndet nicht nur ignorieren, geradezu verhöhnen konnte. Notaren, die gerichtliche Mandate überreichen wollten, wurden beschieden, sie hätten sich „augenblicklich fortzupacken" (S. 340), auf dem Postweg zugestellte Mandate (denn es fanden sich bald gar keine Notare mehr zur gefährlichen Mission nach Ansbach bereit!) wurden „kurzerhand zurückgeschickt" (S. 473). Die offiziöse preußische Propaganda stand zu diesen Anschlägen auf den Rechtsschutzverband Reich – der Reichshofrat sei nun einmal notorisch parteiisch, die zahlreichen Mandate gegen das Haus Brandenburg seien „unrechtmäßig erschlichen" (S. 584). Oder man höhnte, Prozesse vor den Reichsgerichten dauerten bekanntlich „ewig", weshalb es einem tatkräftigen Fürsten nicht verübelt werden könne, „wenn er auch einmal seine als begründet empfundenen Ansprüche energisch durchsetze" (S. 549). Sich auf immerwährende Gerichtsverfahren einzulassen, sei Preußen als einem „thätigen, immer weiter strebenden Staat" nicht zumutbar (S. 589).

Natürlich könnte man Puchtas Einschätzung manches, vieles entgegenhalten: so, dass der finale Behauptungskampf der Reichsritter um 1800 eine zweihundertjährige Vorgeschichte hatte (was Puchta ja weiß) und gerade Habsburg im 18. Jahrhundert seine Hausmachtinteressen in Schwaben und Böhmen sehr robust gegen ritterschaftliche Interessen (und den Rittern beispringende Gerichtsurteile!) durchzusetzen pflegte. Schon Friedrich II. hatte die Reichsgerichte immer wieder einfach missachtet, Kaiser Josef II. war 1777 in ein Reichsterritorium einmarschiert. Und der Vorgänger, Franz I.? Was ihr allein wichtig schien, nämlich Habsburg für eine Hauptrolle im Theatrum Europaeum fit zu machen, hatte Maria Theresia in die resoluten eigenen Hände genommen, der politisch minderbegabte Gemahl durfte sich als Kaiser einigermaßen gutwillig mit Reichspolitik die Zeit vertreiben, ohne viel Einfluss aufs Große und Ganze der Wiener Außenbeziehungen nehmen zu können. Und war Reichspolitik im Zentrum des Denkens und Fühlens Karls VI. gestanden? So könnte man immer weiter in die Reichsgeschichte zurückleuchten, und wird doch andererseits konstatieren müssen, dass der Rest Europas Napoleons Machthunger nicht mehr entgegenzusetzen hatte als 1806 der Reichsverband. „Am Anfang stand Hardenberg"? Finale und staatlichen Neuanfang wird man auch künftig nicht in Ansbach oder Bayreuth verorten, aber die Studie Puchtas wirft doch einiges Streulicht auf den Zustand des Reiches just in den Jahren, da jene französische Expansion einsetzte, der es 1806 erliegen wird.

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