Titel
Museum und Migration. Konzepte - Kontexte - Kontroversen


Herausgeber
Wonisch, Regina; Thomas Hübel
Reihe
Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
€ 27,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Natalie Bayer, München

Während im internationalen Vergleich Migration längst ein Gegenstand der musealen Debatte und Praxis ist, kommt dieses Thema im deutschsprachigen Museumsfeld erst seit etwa Mitte der 2000er-Jahre immer stärker an. Somit thematisiert der vorliegende Sammelband einen aktuellen Gegenstand, der mit unterschiedlichen und zuweilen kontroversen Positionen besetzt ist. Die Publikation geht hauptsächlich aus einer gleichnamigen Fachtagung in Wien hervor, die 2010 im Österreichischen Museum für Volkskunde stattgefunden hat und vom Forschungszentrum für historische Minderheiten und dem Institut für Wissenschaft und Kunst veranstaltet worden ist.

Einleitend gibt Regina Wonisch, Mitherausgeberin der Publikation, einen sehr guten Überblick über die Migrationsdebatte im Museumsfeld. Dabei zeigt sie, wie die diskursive Rahmung der Migration etwa durch die Reduktion auf Arbeitsmigration durch Anwerbeabkommen gängige Geschichtsnarrative mit ihren jeweiligen Differenzierungen festschreibt und Ausblendungen erzeugt. Außerdem arbeitet sie heraus, dass die Forderung zur institutionellen Repräsentation „von den Rändern“ her artikuliert wird und damit gerade kulturhistorische Museen in ihren Dispositiven und Displaypraktiken auf den Prüfstand stellt. So erzeugen Ausstellungsprojekte aus der Perspektive der Migration andere Bilder und Narrative zur Gesellschaft und Geschichte als viele der Darstellungen im Museum. Wonisch fordert schließlich einen Paradigmenwechsel, um das Museum selbst „gegen den Strich zu bürsten und gängige Stereotypisierungen und Bilder in Frage zu stellen“ (S. 17) und dabei andere Sprecher/innenschaften und Perspektiven, neue Erzählformate sowie strukturelle Veränderungen in den Institutionen selbst zu etablieren.

Neben Wonischs Einführung gehen vier weitere Beiträge dem Thema aus analytischer Perspektive nach. Christine Hintermann widmet sich den Entwicklungen des österreichischen Museumsfeldes und untersucht anhand von drei Fallbeispielen Fragen nach der Deutungsmacht und Repräsentationsstrategien. Robin Ostow, Joachim Baur und Andrea Mezza Torres untersuchen in ihren Artikeln, wie die musealen Debatten zur Migration im internationalen Vergleich geführt werden. Hierbei gibt Ostow einen kursorischen Überblick zu der Bandbreite an Vermittlungszielen im Typus Einwanderungsmuseum in den USA, Kanada, Australien, Frankreich und Großbritannien; ferner wirft sie auch Schlaglichter auf deutsche Migrationsausstellungen. Vertiefend beleuchtet Baur die Entstehungskontexte, Debatten und Displaystrategien im Ellis Island Immigration Museum; dabei zeigt er anschaulich Konflikte um die Definition von Migrationsgeschichte und den musealen Umgang mit Kritik an Ausstellungserzählungen auf. Schließlich geht Meza Torres dem ersten europäischen Einwanderungsmuseum, der Cité nationale de l’histoire de l’immigration in Paris, aus postkolonialer Perspektive nach. Sie zeigt dabei die Rolle von ehemaligen Kolonialarchiven und -museen in ihrer Verflechtung der „Repräsentationen Europas, der europäischen Nationen, der ‚Migration’ und der Kolonialgeschichte“ (S. 195) auf; deren Ordnungsprinzipien sind trotz Transformationen „um einen Mythos von Moderne und Universalismus zentriert“ (S. 211). Infolgedessen hinterfragt Meza Torres am Beispiel eines Streiks im Pariser Migrationsmuseum die Möglichkeiten von marginalisierten Subjekten, sich nachhaltig konkret in die institutionelle Praxis einzuschreiben.

Die Beiträge von Aytaç Eryılmaz sowie von Corneliy Kogoj und Gamze Ongan gehen dem Gegenstand aus einer Perspektive der Migration nach. Eryılmaz historisiert zunächst die Geschichte vom „Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V.“ (DOMiD), die als eine Reaktion auf die Leerstelle Migration in der musealen und archivalischen Historiografie zu verstehen ist. Des Weiteren gibt er einen Einblick in die Zielsetzungen, Sammlungs- und Ausstellungspraxis des Vereins; er legt außerdem die Relevanz dar, Migration und Migrant/innen als Bestandteil der Geschichte zu begreifen und sie in das Ausstellungsmachen zu involvieren. Kogoj und Ongan stellen in ihrem Beitrag den Prozess der Ausstellung „Gastarbajteri – 40 Jahre Arbeitsmigration“ aus NGO-Perspektive dar, die 2004 im Wien Museum gezeigt wurde. Hierbei geben sie einen vielschichtigen Einblick über Konstellationen, Zugänge, Vermittlungsziele, Ausstellungsinhalte und -umsetzung der ersten größeren Migrationsausstellung in Österreich. Diese wurde zwar in einem öffentlichen Museum gezeigt, jedoch von einer migrantischen Selbstorganisation, der Initiative Minderheiten, erarbeitet und umgesetzt.

Mit den Texten von Anja Dauschek und Dietmar Osses werden explizit institutionelle Perspektiven auf den Gegenstand gerichtet. Dauschek fokussiert aus einer museumspraktischen Sicht vor allem „Migrationsobjekte“ und Sammlungsaspekte. Mit ihren Ausführungen zu ihren Erfahrungen mit verschiedenen Sammelstrategien gibt sie gerade Museumspraktiker/innen wichtige Einblicke für den selbstdefinierten Kernbereich der musealen Objektarbeit. Schließlich zeigt sie, wie das Stadtmuseum Stuttgart konzeptuell Migration als inklusiven Teil der Stadt und in seiner zukünftigen Dauerausstellung behandelt. Dagegen historisiert Osses die musealen Migrationsdebatten stärker hinsichtlich des Institutionalisierungsprozesses durch einschlägige Museumsverbände, Ausstellungen und Debatten in Deutschland. Ferner zeichnet er auch Veränderungen in der Schwerpunktsetzung einiger deutscher Migrationsausstellungen im Laufe der Zeit nach.

Mit der Zusammenstellung der unterschiedlichen Beiträge macht die vorliegende Publikation deutlich, dass die Musealisierung der Migration von unterschiedlichen Positionen, Temporalitäten und Perspektiven geprägt ist. Die Beiträge bilden hierbei mit ihren wissenschaftlich-analytischen sowie praxisorientierten Perspektiven einen Querschnitt der vor allem deutschsprachigen Debatten ab. Dabei skizzieren sämtliche Textbeiträge mal mehr und mal weniger reflexiv die Nähe zwischen Repräsentations-/Politiken und Diskursen zur Migration und der Kulturinstitution Museum. Hierbei fällt jedoch auf, dass dezidiert migrationswissenschaftliche und kunsttheoretisch institutionenkritische Positionen im Band nicht eigens vertreten sind, die möglicherweise den Gegenstand über die museale Linse hinaus kontextualisiert und konstruktive Perspektiven dazu geliefert hätten. Nichtsdestotrotz bietet die Publikation einen sehr guten Überblick über den Stand einer Debatte, die im Museumsfeld sehr heterogen aufgegriffen und bearbeitet wird. Gerade im Abgleich zu vielen Tagungen und Publikationen aus dem Museumsfeld selbst ist hervorzuheben, dass mit dem vorliegenden Band größtenteils Positionen vertreten sind, die das Museum als einen re-/produktiven Ort für Machtverhältnisse begreifen. Einige Beiträge widmen sich daher kritisch reflexiv dem Fragenkomplex, wer, wie, über und für wen im Museum spricht. Die Herausgeber/innen versammeln des Weiteren auch Einzelfallbetrachtungen, die aufgrund ihrer Vertiefungen informative und interessante Einblicke ermöglichen und weit über klassische best practice-Darstellungen hinausgehen. Außerdem kontextualisiert die Publikation den Themengegenstand im Großen und Ganzen mit einer gewissen Skepsis hinsichtlich der diskursiven und politisierenden Rahmungen, mit denen die Musealisierung der Migration verbunden ist. Herauszustellen ist auch, dass die Herausgeber/innen nicht nur Museumsprozessen, sondern auch Ausstellungen aus einer nicht-musealen Perspektive Raum geben und damit Projekte aufzeigen, die dezidiert Gegenrepräsentationen zu den gängigen, politisierten Migrationsdiskursen aufwerfen. Damit ist der Sammelband ein sehr lesenswerter Beitrag in migrationsforschender, museumsanalytischer und praxisorientierter Hinsicht.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/