J. Kocka u.a. (Hrsg.): Stiften, Schenken, Prägen

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Titel
Stiften, Schenken, Prägen. Zivilgesellschaftliche Wissenschaftsförderung im Wandel


Herausgeber
Kocka, Jürgen; Stock, Günter
Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Campus Verlag
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mitchell G. Ash, Institut für Geschichte, Universität Wien

Die hochschul- und wissenschaftspolitischen Debatten der letzten Jahre im deutschsprachigen Raum sind häufig von einer bemerkenswert schlichten Begriffsbildung geprägt. So wird „Staat“ gegen „Privat“ gesetzt, als würde der Staat bar jeglichen Einflusses aus der Wirtschaft oder die deutsche Wirtschaft ohne staatliche Subventionen denkbar sein. „Amerika“ figuriert dabei oft genug als Symbol des „Privaten“ und daher des Bösen schlechthin, obwohl dort öffentliche Universitäten eigene Stiftungen haben und private Universitäten staatliche Gelder in beträchtlichem Ausmaß in Form von Drittmitteln oder Subventionen studentischer Darlehen erhalten. Im Rahmen derart strukturierter Debatten werden die Möglichkeiten des Mäzenatentums auch für Hochschulen und Wissenschaft in Deutschland manchmal als Bedrohung oder gar als Ersatz staatlicher Verpflichtungen kritisch beäugt.

Um dieser tristen Diskussionslage etwas abzuhelfen, fand an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2010 unter der Leitung der beiden prominenten Herausgeber – der eine, Günther Stock, damals wie heute Präsident, der andere, Jürgen Kocka, zu jener Zeit Vizepräsident der Akademie – eine Tagung statt. Der vorliegende Band dokumentiert die dort gehaltenen Vorträge sowie die abschließende Podiumsdiskussion. Das Buch enthält Beiträge zur Geschichte des Mäzenatentums, zu Prinzipien und Legitimität zivilgesellschaftlicher Wissenschaftsförderung und zur deutschen und internationalen Förderpraxis. Die Einleitungs- und Schlusskapitel von Jürgen Kocka führen die Beiträge eingehend und klar zusammen, weshalb eilige Leser sich auf die Lektüre dieser beiden Kapitel beschränken mögen. Im Folgenden beschränke ich mich auf eine Auswahl der prägnantesten Thesen.

In ihrem Einführungsbeitrag skizziert die noch amtierende Präsidentin des European Research Council, die Soziologin Helga Nowotny, in breiten Zügen die Entstehung und Wandlungen von Innovationskulturen und Wissenschaftsförderung seit dem 17. Jahrhundert aus europäischer und US-amerikanischer Perspektive. In Anlehnung an Robert Merton führt sie die Neugierde als anfängliches und heute noch wirksames Movens der Wissenschaft an, unmittelbarer wirtschaftliche Nutzen sei erst im späteren Verlauf der Geschichte wichtig geworden. Das Mäzenatentum der großen Stiftungen, von Andrew Carnegie, John D. Rockefeller und anderen in den USA seit der Wende zum 20. Jahrhundert, betrachtet Nowotny als Vorboten einer „wissenschaftlichen Bürgerlichkeit“ („scientific citizenship“), die sie nach wie vor für erstrebenswert hält und deshalb in der heutigen Zivilgesellschaft breiter verankert sehen möchte. Dabei betonte sie, dass Forschung und Innovation inhärent offene Prozesse und daher ungewiss sind und sein müssen.

In seinen Ausführungen über Schenken und Stiften im Mittelalter unterscheidet Michael Borgolte pointiert zwischen Schenkungen einerseits, die auf zeitlich relativ überschaubare Wirkungen zielten und Wissenschaft tendenziell abhängig machten, und Stiftungen, die buchstäblich für die Ewigkeit gedacht waren. Letztere hatten damals meist religiösen Charakter, doch einiges aus dieser Tätigkeit kam bekanntlich Hochschulen wie Oxford und Cambridge zugute und trug zur Unabhängigkeit dieser Einrichtungen bei. Prägend war Derartiges aber im deutschsprachigen Raum wegen der Dominanz landesfürstlicher Einrichtungen nicht, auch wenn Landesfürsten in Prag und Wien zunächst als Universitätsstifter wirkten. Gabriele Lingelbach formuliert vergleichende Betrachtungen privater Wissenschaftsförderung in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. Wie sie zeigt, waren im deutschen Kaiserreich eine starke finanzielle Zuwendung des Bürgertums zu den Hochschulen und die staatliche Trägerschaft derselben durchaus kompatibel. Mit dem Verlust vieler großer Vermögen in der Inflation der frühen Weimarer Zeit ging diese Symbiose verloren. Erst mit der Wiederkehr großer Vermögen in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren befindet sich das Mäzenatentum dort wieder im Wachsen. In den USA hingegen ist mit der Gründung staatlicher Förderungseinrichtungen seit den 1950er-Jahren das private Mäzenatentum in der Wissenschaft noch präsent, aber nicht mehr dominant. Kathleen D. McCarthy schildert einen vergleichsweise unterbelichteten Teil dieser Geschichte, nämlich die Rolle von Frauen in der US-amerikanischen Philanthropie. Diese war insgesamt betrachtet eher marginal, doch konnten vermögende Frauen in bestimmten Bereichen, zum Beispiel in der Etablierung der Sozialarbeit als akademisches Fach oder der Förderung der Forschung, die zur Entwicklung der Geburtenkontrollpille führte, Beachtliches erreichen. Die zentrale Rolle der Witwe des Eisenbahnmagnaten Edward Henry Harriman in der Gründung des Eugenics Record Office im Bundesstaat New York erwähnt McCarthy allerdings nicht.

Der Beitrag des Soziologen Frank Adloff über die Motive des Spendens ist ebenfalls dazu geeignet, Stereotypen infrage zu stellen. Natürlich sieht auch er wie andere bürgerliches Statusstreben als zentral an, doch Religiosität erscheint ihm fast gleichgewichtig als Indikator von Spendenbereitschaft. Gerade dieser Faktor bzw. dessen relative Schwäche in Deutschland erklärt seiner Meinung nach fast den gesamten Unterschied im Spendenverhalten der beiden Länder. Die Rolle wirtschaftlicher Faktoren wie die steuerliche Begünstigung von Spenden bleibt hier relativ unterbelichtet. Kenneth Prewitt, ehemaliger Vizepräsident der Rockefeller-Stiftung und derzeitiger Leiter des Zensus-Büros der USA, lässt mit seiner grundsätzlichen Kritik an die Selbstdarstellung der großen US-amerikanischen Stiftungen aufhorchen. Nach seiner Argumentation ist es unklar, ob die durch diese behauptete gesamtgesellschaftliche Wirkung tatsächlich nachweisbar ist. Allenfalls in überschaubaren Bereichen lässt er einen Verstärkungseffekt gelten. Den großen Stiftungen fehle es seiner Auffassung nach auch an öffentlicher Transparenz, zu der sie auch gar nicht verpflichtet seien, obwohl seit einiger Zeit eine verstärkte Offenlegung des Finanzgebarens gegenüber der Steuerbehörde verlangt wird.

Der Beitrag von Helmut Anheier und Diana Leat, der den zweiten Teil abschließt, entwickelt Thesen zu einer „neuen Philanthropie des 21. Jahrhunderts“. Dabei unterscheiden sie zwischen „wissenschaftlicher“, „strategischer“ und der von ihnen befürworteten „kreativen“ Philanthropie. Letztere soll weniger an innerhalb der jeweiligen Institution festgelegten Prioritäten ausgerichtet und daher gesellschaftlich betrachtet zielorientierter, flexibler und nachhaltiger sein. Die folgenden Beiträge besprechen Ansätze zur zivilgesellschaftlichen Hochschulförderung wie „Matching Funds“ und Stiftungsprofessuren. In ihren Beiträgen zum letzten Thema zeigen Volker Meyer-Guckel vom Stiftungsverband der deutschen Wissenschaft und Kai Brauer von der Universität Klagenfurt deutlich, dass diese zwar der Zahl nach stark im Wachsen, aber noch immer von relativ marginaler Bedeutung sind. Interessant ist hier der Befund Meyer-Guckels, dass die Wirtschaft sicherlich eine wichtige, aber keinesfalls der einzige Förderer von Stiftungsprofessuren ist, sowie das Untersuchungsergebnis Bauers, dass solche Professuren überproportional an Hochschulen in finanzschwachen Bundesländern angesiedelt und somit als eine Art versteckte Finanzausgleiche gelten mögen.

Die von Jürgen Kocka umsichtig geführte Podiumsdiskussion war mit dem Generalsekretär der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull, dem damaligen Präsidenten der Humboldt-Universität Berlin Christoph Markschies, der ehemaligen Präsidentin der „Viadrina“ in Frankfurt-Oder Gesine Schwan sowie dem Mäzen und Autor Jan Philipp Reemtsma prominent besetzt. Alle Beteiligten waren trotz Bedenken hinsichtlich der Legitimierung, Effizienz und Transparenz der Meinung, dass die zivilgesellschaftliche Hochschul- und Wissenschaftsförderung verstärkt werden sollte. Niemand sah solche Hilfen als Ersatz für staatliche Verpflichtungen. Wie Kocka im Schlusskapitel festhielt, setzt die Wirkung zivilgesellschaftlicher Einsätze vielmehr die Präsenz einer staatlichen Basisfinanzierung eher voraus. Allerdings mochte er differenzieren zwischen dem strategischen Einsatz privater Mittel für wirtschaftliche oder politische Zwecke und einer Mittelvergabe mit dem Priviso, dass diese nach Maßgabe der Prioritäten und der Satzung der begünstigten Einrichtung zu verwenden sind.

Der Band dokumentiert auf eindrucksvolle Weise den Ist-Stand eines Feldes, das sich derzeit im starken Wandel befindet. Die wachsende Bedeutung privater Mäzene und anderer außerstaatlicher Förderungsquellen in Deutschland, seit der Entstehung großer Vermögen in den 1970er-Jahren und vor allem infolge der Boomzeiten der 1990er- und 2000er-Jahre, ist nicht zu leugnen. Trotzdem wird diese auf lange Sicht im Vergleich zur dominanten Rolle des Staates weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen. Derartige Summen wie die von Helga Nowotny genannten 2,3 Billionen Dollar, die von privaten Stiftungen allein im Jahre 2008 für wissenschaftliche Zwecke ausgegeben wurden, und die von ihr ebenfalls genannte „Gigaphilanthropie“ von Großstiftern wie das Ehepaar Bill und Melinda Gates, die – wie im Band berichtet – eine große Bedeutung für die Gesundheitspolitik Afrikas besitzt, scheint im deutschen Lande auf längere Sicht nicht denkbar zu sein. Wohl deshalb konzentrieren sich die wissenschaftspolitischen Debatten der Gegenwart nach wie vor auf Fragen der Verteilung staatlicher Mittel. Der jetzige Fokus auf die Möglichkeit einer nachhaltigen Bundesförderung der Universitäten infolge des vorhersehbaren Endes der Exzellenzinitiative 2017 stellt so gesehen lediglich eine Akzentverschiebung dar.

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