Cover
Titel
Doing History.


Autor(en)
Donnelly, Mark; Norton, Claire
Reihe
Doing… Series
Erschienen
London 2011: Routledge
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
£ 65.00 / € 85,89
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ramon Pils, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien

Als „the ideal introduction to studying history as an academic subject at university“ und „an essential volume for all students embarking on the study of history“ (S. i) bewirbt das renommierte Verlagshaus Routledge den Band zur Geschichtswissenschaft aus seiner „Doing…“-Reihe, in der bislang schon Einführungen zu fünf geisteswissenschaftlichen Disziplinen erschienen sind. Verfasst haben ihn Mark Donnelly und Claire Norton, die beide am St Mary’s University College in London lehren. Das Buch will Studierenden in Bachelor- und Graduiertenstudiengängen der Geschichte eine Einführung in die aktuellen wissenschaftstheoretischen Debatten der Disziplin bieten. Im Mittelpunkt stehen dabei die möglichen Bedeutungen und Funktionen historischen Wissens und der ihm zugrunde liegenden Quellen sowie die Frage, inwieweit es überhaupt möglich sei, zu wissen, „wie es eigentlich gewesen“ (Leopold von Ranke) ist. Ein besonderes Anliegen ist es Donnelly und Norton, auch außereuropäische Traditionen und Diskussionsbeiträge vorzustellen, um einen eurozentrischen Ansatz zu vermeiden, wodurch sich das Buch von ähnlichen Einführungswerken unterscheiden soll.

Gegliedert ist es in vier Teile, die wiederum in jeweils mehrere Kapitel unterteilt sind. Teil I führt unter der Überschrift „What is history?“ in die Thematik ein. Donnelly und Norton sprechen das Verhältnis der Konzepte „Vergangenheit“ und „Geschichte“ zueinander an und stellen zentrale Stellungnahmen zu dieser Frage vor. Sie legen dabei ihren eigenen Ansatz offen, nach dem Geschichte als „a particular way of speaking and writing about what happened before“ (S. 6) ohne Rekurs auf eine unabhängig davon existierende „wahre“ Vergangenheit verstanden wird. Auch zu welchem Ende Geschichte studiert und betrieben werden soll und welcher Art die Fragestellungen sind, die von HistorikerInnen behandelt werden, wird durch eine Gegenüberstellung der Positionen prominenter FachvertreterInnen abgehandelt, ohne dass dem Publikum eine bestimmte Auffassung aufgedrängt würde. Darauf folgt auf rund 30 Seiten ein kurzer Überblick über die Historiographiegeschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre.

In Teil II („What do historians do?“) wird der Frage nachgegangen, worin nun die eigentliche Arbeit von HistorikerInnen besteht. Als zentral für die Erschaffung („creation“) historischen Wissens stellen Donnelly und Norton die „historical method“ (S. 58ff.) im Sinne eines konsensualen Mindeststandards für den Umgang mit den Quellen und die Untermauerung der eigenen Darstellung von Geschichte vor. Dabei übernehmen sie zwar die klassische Unterscheidung von Primär- und Sekundärquellen, weisen jedoch auch auf damit verbundene methodische Schwierigkeiten hin. Welche Fragen an eine Quelle gerichtet werden können, wird zunächst abstrakt besprochen und anschließend anhand eines osmanischen Siegesbriefs (Fethname) anschaulich vorgeführt. Inwieweit solche Fragen aber jemals „objektiv“ und „richtig“ beantwortet können, wird als eigenständiges Problem kritisch und aus mehreren Perspektiven abgehandelt. Im Anschluss an den von ihnen zitierten Thomas Kuhn empfehlen die Verfasser/innen, den ihres Erachtens nicht zielführenden Begriff „Objektivität“ im Sinne eines Arbeitens entlang der Standards der Disziplin zu verstehen.

Teil III mit dem Titel „Whose history?“ widmet sich den sozialen und politischen Funktionen der Geschichtsschreibung und ihrer Bedeutung etwa für die Begründung nationaler Identitäten. Exemplarisch werden koloniale und nationalistische Historiographien vorgeführt und auf die umkämpfte Stellung der Geschichte im Unterricht hingewiesen. Nicht-eurozentrische, postkoloniale Modelle, die Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie die „Black history“ werden als Gegenmodelle zu diesen Ansätzen vorgestellt. Als eigene Kategorie beschreiben Donnelly und Norton die populäre Präsentation von Geschichte im Sinne einer „history without historians“ (S. 153), wie sie der Öffentlichkeit etwa im Film oder im Umgang mit materiellem Kulturerbe begegnet.

Teil IV („History today“) schließlich zeichnet auf selbstbewusste Weise modellhaft das Bild einer Geschichtswissenschaft für das 21. Jahrhundert: „[Future histories] try to disrupt the common understanding of history as coterminous with the past, as unique, given and singular. They foreground the subjective, contested, plural nature of this genre.“ (S. 174) Traditionellere Ansätze würden zwar daneben fortbestehen, aber in einem vielstimmigen Kanon gleichberechtigter Alternativvisionen aufgehen.

Obwohl Donnelly und Norton ihre eigenen Positionen in den von ihnen dargestellten Debatten nicht verschweigen, gelingt es ihnen, diese von mehreren Seiten und ohne störende Polemiken auszuleuchten. Das Buch gewinnt durch die aus dem Fließtext herausgehobenen Fallbeispiele zur anschaulichen Demonstration des theoretisch Ausgeführten und die exemplarischen Literaturhinweise am Ende jedes Kapitels. Als systematische Darstellung der verschiedenen Auffassungen davon, was Geschichte ist und was sie leisten kann, bietet es einen guten Überblick.

Im Detail überzeugt das Werk jedoch nicht immer. Wenn man etwa versucht, anhand des Beispiels von historischen Gerichtsakten den Unterschied zwischen „reconstructionists“ und „postmodernists“ zu erklären und dabei ersteren unterstellt, sie würden deren Inhalt unhinterfragt für bare Münze nehmen, während im Gegensatz dazu „postmoderne“ HistorikerInnen auch den Entstehungszusammenhang der Quelle berücksichtigten (S. 70), tut man den traditionelleren FachvertreterInnen Unrecht. Schade ist vor allem, dass der globalgeschichtliche Ansatz, der dem Projekt zugrunde liegen soll, nicht in allen Kapiteln konsequent durchgehalten wird. Während der historiographiegeschichtliche Abschnitt auch chinesische, arabische und osmanische AutorInnen anführt, dominieren in den Kapiteln zu den rezenteren Theorie- und Methodendiskussionen die üblichen großen Namen westeuropäischer und nordamerikanischer Provenienz. So gelingt es Donnelly und Norton letztlich doch nicht, die Verankerung ihres Standpunktes in einer westlichen, anglophonen Wissenschaftskultur zu überwinden.

Andere Defizite hätten durch ein gründliches, fachlich qualifiziertes Lektorat vermieden werden können. So wird der Name des Historikers Carlo Ginzburg durchgehend als „Ginzberg“ wiedergegeben (S. 47, 221, 233). Wo vom neuseeländischen „national archive“ (S. 132) als Materialisierung einer Staatsideologie die Rede ist, werden die Termini „archive“ und „library“ wie Synonyme verwendet. Liest man den Aufsatz von Tony Ballantyne, auf den sich Donnelly und Norton (zudem mit irreführenden Seitenangaben) berufen, stellt sich heraus, dass dort tatsächlich nicht das „national archive“ Neuseelands behandelt wird, sondern ein Teilbestand der neuseeländischen Nationalbibliothek.1

Angesichts der Zielgruppe, für die das Buch geschrieben wurde, sind auch die Schwachstellen im Anmerkungsapparat bedauerlich. Ein indirektes Zitat aus einem ungenannten Werk Eric Hobsbawms wird nur durch einen Verweis auf Sekundärliteratur zu marxistischen britischen Historikern belegt (S. 45 Anm. 58). Zu dem Historiker Keith Windschuttle und seiner Rolle in den australischen „History Wars“ verweisen Donnelly und Norton statt auf die für dieses Thema zentrale Monographie von Stuart Macintyre2 nur auf ein kurzes Essay (S. 131 Anm. 54). Vermeidbar wäre, zumal in einem Lehrwerk, das „Tertiärzitat“ einer Aussage François Mitterands (S. 125 Anm. 27) gewesen, wobei an diesem Beispiel immerhin deutlich wird, wie globalgeschichtliche Ambitionen mit dem schwierigen Zugang zu fremdsprachigen Quellen in Konflikt geraten können. Nicht immer ganz zuverlässig ist leider auch der Personen- und Sachindex.

Insgesamt gesehen gelingt es „Doing History“ daher nicht, die durch die eingangs zitierte Selbstbeschreibung geweckten überdurchschnittlichen Erwartungen zu erfüllen. Fortgeschrittenen Studierenden, die mit der Thematik ein wenig vertraut sind und sich im Englischen zuhause fühlen, bietet das Buch einen niedrigschwelligen Überblick über die zentralen Debatten darüber, was Geschichte als Wissenschaftsdisziplin leisten kann. Für StudienanfängerInnen, zumal an deutschsprachigen Universitäten, braucht es hingegen nicht die erste Wahl zu sein.

Anmerkungen:
1 Tony Ballantyne, Mr. Peal’s Archive. Mobility and Exchange in Histories of Empire, in: Antoinette Burton (Hrsg.), Archive Stories. Facts, Fictions, and the Writing of History, Durham 2005, S. 87–110, bes. S. 100–103.
2 Stuart Macintyre, The History Wars, Carlton, Vic. 2003.

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