Cover
Titel
The Digital Flood. The Diffusion of Information Technology across the U.S., Europe, and Asia


Autor(en)
Cortada, James W.
Erschienen
Anzahl Seiten
XIX, 789 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Computertechnik hat in den letzten 25 Jahren das Arbeits- und Alltagsleben der Menschen in den entwickelten Industrieländern, in den so genannten Schwellenländern, aber auch in manchen Entwicklungsländern nachhaltig geprägt und vielfach grundlegend geändert. Der Prozess der weltweiten Ausbreitung der Informationstechnologie seit dem Zweiten Weltkrieg soll in dem vorliegenden voluminösen Band präsentiert werden, wobei sich James W. Cortada in erster Linie dem Ausmaß ihrer Diffusion sowie den Gründen dafür zuwenden will (S. XI). Er legt dabei einen weiten Begriff von Informationstechnologie zugrunde, der von den in den 1940er- und 1950er-Jahren entstandenen Großrechnern über Bankautomaten und Personalcomputer sowie das Internet bis zu iPods, iPhones und iPads reicht. Selbstverständlich wird auch die Softwareentwicklung einbezogen. Geographisch beschränkt sich die Darstellung – wie im Untertitel angekündigt – auf die USA, Europa und Asien, wobei für Europa und Asien einzelne als gewichtig erachtete Länder näher beleuchtet werden und unter Letzteres punktuell auch Australien und Neuseeland subsumiert wird. Da der Autor für einen der lange Zeit weltgrößten Computeranbieter der Welt, nämlich IBM, tätig war, konnte er auf vielfältige Quellenmaterialien dieser Firma zurückgreifen. Jedoch erscheint schon deshalb auch manches stark durch eine amerikanische Brille betrachtet zu sein.

Der Band gliedert sich in zwölf Kapitel: Das erste bietet einen Überblick über die globale Ausbreitung der Informationstechnik, während das letzte Ergebnisse und Konsequenzen zusammenfasst. Das zweite Kapitel widmet sich der Diffusion in den USA. Dem folgen drei Kapitel zu den Entwicklungen in Westeuropa, wobei Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik, Italien, die Niederlande und Schweden näher beleuchtet werden. Anschließend geht das sechste Kapitel auf Osteuropa und dabei schwerpunktmäßig auf die Sowjetunion und die DDR ein. Die Kapitel 7 bis 11 befassen sich dann mit Asien, wobei Japan, China und Indien in jeweils eigenen Kapiteln und darüber hinaus Südkorea, Taiwan und Singapur abgehandelt werden. Die einzelnen Kapitel beleuchten, bezogen auf den jeweiligen geographischen Raum oder das Land, bestimmte Akteure und Institutionen im Ausbreitungsprozess der Informationstechnologie. Dazu zählen sowohl die Regierungen als auch die Unternehmen in ihren Rollen als Anbieter und Nachfrager dieser Technologien, wobei in letzterer Funktion auch die Privathaushalte in den Blick genommen werden. Ferner geht Cortada der Ökonomie des Einsatzes von Informationstechnologien nach. Nicht zuletzt wendet er sich auch der Rolle von Ingenieuren, Wissenschaftler und anderen Experten zu. Ein Anhang mit Zusammenfassungen, einem bibliographischen Essay und einem Index runden den Band ab. Im Folgenden sollen einige Schlaglichter auf den Inhalt geworfen werden.

Ein bereits im ersten Kapitel vorgestelltes Bild zieht sich durch das gesamte Buch: Die Diffusion der Informationstechnologie sei in zwei Wellen erfolgt, die durch eine Kombination verschiedener Faktoren verursacht wurden. Dazu zählten die Technik selbst, die grundlegenden ökonomischen Bedingungen, eine hemmende bzw. fördernde Politik, die Strategien der internationalen Anbieter entsprechender Technologien ebenso wie die der Anwender, aber auch spezielle politische und soziale Umstände wie zum Beispiel der Kalte Krieg sowie die bestehenden Voraussetzungen in der Infrastruktur. Die Charakterisierung der Unterschiede zwischen den Wellen variiert im gesamten Buch etwas und ihre Abgrenzung bleibt außerordentlich vage. Am ehesten lässt sie sich noch festmachen an einem bestimmten Prozentsatz der Bevölkerung (75 Prozent), der das Internet nutzt. Dabei wird die erste Welle auf den Zeitraum von den 1940er-Jahren bis zum Ende der 1990er-Jahre terminiert und die "Welle 2" hätte in den 1980er-Jahren (so auf S. 616) begonnen, als das Internet in einer für die Bevölkerungsmehrheit anwendbaren Form noch gar nicht existierte, und würde noch andauern. Dies ist natürlich für den jeweiligen geographischen Raum oder einzelne Länder entsprechend zu präzisieren: Die zweite Welle sei bisher nur in den transatlantischen Ökonomien und Teilen Asiens angekommen. Umso überraschender erscheint es dann, wenn sich Cortada in den Kapiteln zu den USA und Westeuropa auf die erste Welle beschränkt, weil Welle 2 eine eigene Behandlung erfordere, die den Rahmen des Buches sprengen würde (S. 44). Hier wird das Grundproblem in diesem Band ganz offensichtlich: Da verschiedene Produkte und Technologien – alle subsumiert unter Informationstechnologie – mehr oder weniger undifferenziert betrachtet werden, überlagern sich mehrere Diffusionszyklen, was vom Autor aber nicht im Einzelnen herausgearbeitet wird. Damit muss die Darstellung entsprechend vage bleiben. Fallstudien hätten hier möglicherweise Abhilfe schaffen können. Das vorgelegte Wellenmodell erscheint so insgesamt als zu einfach und es mangelt ihm an historischer Tiefenschärfe. Andererseits lassen sich darunter die globalen Entwicklungen leichter zusammenfassen. Allerdings bleibt dann auch der Erkenntniswert relativ gering.

Ein anderes Problem, das wohl in dem globalen Ansatz wurzelt, beruht darauf, dass sich kaum jemand in allen Weltregionen gleich gut auskennt. Zumindest für die Regionen, in denen der Rezensent eine gewisse Kenntnis der Details behaupten kann, ist festzuhalten, dass sich in der Darstellung eine Reihe von Missverständnissen – beispielsweise zu den Ursachen des westdeutschen "Wirtschaftswunders", zu der Funktionsweise und den Problemen der sozialistischen Planwirtschaften in Osteuropa im allgemeinen und des RGW im Besonderen – eingeschlichen haben. Aber auch sachliche Fehler – wie beispielweise bei den Flächenangaben auf S. 294 – treten öfter auf. Zudem fehlen für den Gegenstand relevante Fakten völlig: Die mit einem eigenen Kapitel gewürdigte Entwicklung der Informationstechnologie in Osteuropa ist zweifelsohne ganz wesentlich durch die Embargopolitik des Westens mittels der CoCom-Liste beeinflusst worden, die aber in der vorliegenden Darstellung überhaupt nicht auftaucht.

Im Abschlusskapitel kommt Cortada unter anderem zu dem Schluss, dass vor allem drei Faktoren die Ausbreitung der Informationstechnologien beeinflussten: Erstens wurde die Technologie selbst schrittweise verbessert. Zweitens spielten die Regierungen für die Diffusion eine weitaus größere Rolle als bisher angenommen, was wohl aber nur aus amerikanischer Perspektive überraschend wirkt. Und drittens erhielten die individuellen Nutzer eine immer größere Bedeutung (S. 576ff.). Als Antwort auf die zentrale Frage des Buches, warum sich die Informationstechnologie so weit und so schnell ausgedehnt hat, verweist der Autor noch einmal auf die Weiterentwicklung der Technologie, die sich als so vielseitig erwies, um Arbeit und Freizeit der Menschen zu erleichtern. Zudem hätten die Gesellschaften sie sich leisten können. Die schnelle Ausbreitung wurde unterstützt durch die rasant fallenden Kosten, die Breite der möglichen Anwendungen und den sich verbessernden Nutzungskomfort (S. 599). Diese (und andere) Aussagen des Schlusses wirken nach etwa 600 Seiten Text doch etwas banal, was aber wohl der Globalsicht geschuldet ist, die auf detaillierte Einzeluntersuchungen weitgehend verzichtet. Trotz aller Kritik kann abschließend festgehalten werden, dass der vorliegende Band den an der weltweiten Computerisierung Interessierten erste Informationen verschafft, die dann für weitergehende Analysen als Ausgangspunkt dienen können.

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