B. Sack: Zwischen religioeser Bindung und moderner Gesellschaft

Titel
Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19 - 1933)


Autor(en)
Sack, Birgit
Erschienen
Münster 1998: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tanja Hommen, Seminar fuer Mittlere und Neuere Geschichte, Universitaet Goettingen

Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung in Kaiserreich und Weimarer Republik ist eines der zentralen Themen der Frauen- und Geschlechtergeschichte der letzten 20 Jahre. Lange herrschte hier eine an aktuellen Fragen der modernen Frauenbewegung orientierte politische Geschichtsschreibung vor. Mit dem Überschreiten des Höhepunktes der Frauenbewegung hat auch die Beschäftigung mit ihrer Geschichte nachgelassen. Dabei klaffen weiterhin eklatante Forschungslücken, einerseits in Hinblick auf neue Fragestellungen und Perspektiven (etwa in bezug auf die Netzwerke, das Selbstverständnis und die Innenwelt" einzelner Frauen und Gruppen) 1, andererseits hinsichtlich der unterschiedlichen Teile dieser so heterogenen politischen und sozialen Bewegung. Birgit Sack hat eine dieser Lücken geschlossen, indem sie die katholische Frauenbewegung in der Zeit der Weimarer Republik untersucht hat. Ihre Studie liefert eine Fülle an Details und Informationen - freilich geht in solch umfassend recherchierten, quellengesättigten Arbeiten die große Linie hin und wieder verloren. Damit ist der große Kritikpunkt bereits vorweggenommen - weniger wäre eindeutig mehr gewesen, was die Lesbarkeit und den Biß der Studie betrifft. Der Vorteil der Darstellung liegt ebenso auf der Hand: Sie bietet wertvolles Material sowohl zur Geschichte der Frauenbewegung als auch für die Katholizismusforschung, innerhalb derer die Auseinandersetzungen um die weibliche Partizipation im politischen und sozialen Bereich bisher kaum Berücksichtigung fanden.

Der Schwerpunkt der Fragestellung liegt in der Frage nach dem Ort der katholischen Frauenbewegung innerhalb der konfessionellen Verbände und Organisationen, insbesondere innerhalb der Zentrumspartei, sowie innerhalb des katholischen Milieus. Dabei ordnet die Verfasserin diese Frage in den Rahmen der Modernisierungsthese ein. Sie fragt nach den Strategien, mit denen katholische Frauen die erheblichen Modernisierungsschübe verarbeiteten, gegen die das katholische Sozialmilieu schon seit der Jahrhundertwende nicht mehr abgeschottet werden konnte" (S. 3). Hinsichtlich des Milieubegriffs orientiert sich Sack an der jüngst von Blaschke und Kuhlemann und anderen formulierten Vorstellung eines grundsätzlich veränderbaren und heterogenen Milieus. 2 Die unhinterfragbare Autorität der Kirche habe jedoch Grenzen gesetzt, und zwar, wie Sack betont, auch für das Bewußtsein und das Handeln der Frauen in der katholischen Frauenbewegung. Die Verfasserin konstatiert in bezug auf Modernisierung und Säkularisierung die berühmte "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" sowie aus der Modernisierung resultierende schwerwiegende "Legitimations- und Integrationsprobleme" (Blaschke/ Kuhlemann) für Religion und Kirche (S. 5). Von diesen die katholische Kirche und das katholische Milieu beeinflussenden Entwicklungen war die katholische Frauenbewegung in spezifischer Weise betroffen. Modernisierung, so Sack, war nicht geschlechtsneutral (ein Umstand, der etwa in der neueren Katholizismusforschung am Rande konstatiert wird, bisher jedoch wenig Eingang in die Ergebnisse gefunden hat, so etwa bei Gabriel). 3 Sie hatte Auswirkungen auf die Auffassungen von der Geschlechterdifferenz und damit auf Handlungsspielräume und Argumentationsmuster der Frauenbewegung. Dies ist natürlich keine neue These, doch standen eingehende Untersuchungen gerade zur katholischen Frauenbewegung bisher noch aus. 4

Sack untersucht die katholische Frauenbewegung vorrangig aus einer sozial- und organisationsgeschichtlichen Perspektive, die sie sowohl durch die Auswertung von Mitgliederdaten als auch durch die Beschreibung der politischen und sozialen Aktivitäten einzelner Verbände, insbesondere des KDF und des Vereins katholischer deutscher Lehrerinnen (VkdL), umsetzt. Darüber hinaus kündigt sie einen kollektiv-biographischen Zugriff an, der sich den Motivationen und Handlungen vor allem der für die Zentrumspartei parlamentarisch tätigen Frauen nähern soll. Letzterer wird in einem eigenen Kapitel ausgearbeitet, das die Biographien der weiblichen Reichs- und Landtagsabgeordneten des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei behandelt. Hinzu kommt ein nützlicher Anhang mit den entsprechenden Kurzbiographien. Die Bezeichnung "Kollektivbiographie" weckt allerdings Erwartungen, die nicht erfüllt werden, denn das Kapitel wertet lediglich soziale Herkunft, berufliche Bildung und Familienstand der betreffenden Frauen aus. Wenn es um die Frage nach handlungsleitenden Wertvorstellungen geht, hier um die Rolle der Religiosität, bedürfte es einer umfassenderen Auswertung. Deutlich wird, daß bei einigen Frauen das Streben nach Beruf und Bildung das zentrale Motiv für ihr Engagement war, während bei anderen die Frömmigkeit der entscheidende Impuls war. Freilich wäre auch diesbezüglich eine nähere Auseinandersetzung mit der Funktion von Religiosität und Frömmigkeit für diese Frauen und ihr Milieu zu wünschen.

Die Studie ist chronologisch aufgebaut, wobei jedem Kapitel inhaltliche Schwerpunkte zugrunde liegen, die im entsprechenden Zeitraum für die katholische Frauenbewegung kennzeichnend waren. Für die Zeit von 1918 bis 1922 steht die politische Partizipation von Frauen in der Weimarer Republik, speziell innerhalb der Zentrumspartei, im Mittelpunkt. Eine eigene Frauenorganisation wurde seitens des Zentrums abgelehnt, dagegen wurden Frauenbeiräte geschaffen, die jedoch von den Parteiinstanzen abhängig waren. Weitergehende Interessenvertretungen wurden mit der Begründung, es käme sonst zur Spaltung in eine männliche und eine weibliche Partei, abgelehnt. Insgesamt gewann der KDF nur wenig Einfluß innerhalb des Zentrums.

Im folgenden Kapitel stehen zum einen die politisch-staatsbürgerliche Schulung von Frauen durch die katholischen Frauenorganisationen sowie die parlamentarischen Aktivitäten und die Biographien der weiblichen Reichs- und Landtagsabgeordneten des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei im Mittelpunkt. Zum anderen untersucht Sack hier die Berufspolitik des VkdL. Der VkdL war zunächst eine berufliche Interessenvertretung. In dieser Beziehung unterschied sich die Politik des VkdL nicht wesentlich von der anderer berufsspezifischer Frauenorganisationen. Der katholische Einfluß zeigte sich in der Forderung nach konfessionellen Schulen sowie darin, daß maßgebliche Vertreterinnen des VkdL die Zölibatsforderung für Lehrerinnen aufrechterhielten. Die jüngere Generation wollte das Jungfräulichkeitsideal freilich als freiwillige Entscheidung verstanden wissen. Die Haltung des VkdL bezeichnet Sack als milieutypisch: Alternative Lebensentwürfe seien so unterbunden worden, denn es habe sich nicht um eine reine Berufs-, sondern auch um eine Gesinnungsgemeinschaft gehandelt (S. 154).

Für die zweite Hälfte der 20er Jahre konstatiert Sack einen Generationenkonflikt in der katholischen Frauenbewegung, den sie am Beispiel einer Kontroverse in der Zeitschrift "Die Schildgenossen" 1926 veranschaulicht. Sack schildert den politischen Zukunftsentwurf der jungen Philologin und Studienassessorin Maria Grollmuss, die sich gegen das "Hausfrauenideal des Luthertums" ebenso wendete wie gegen die Propagierung der "geistigen Mütterlichkeit" seitens der Frauenbewegung. Für sie gab es keine spezifisch weiblichen Bereiche in Politik oder Erwerbsarbeit, für die Frauen aufgrund ihrer Geschlechtseigenschaft besonders geeignet seien. Sie stellte sich damit gegen die Betonung der Geschlechterdifferenz als Mittel zur Durchsetzung von Fraueninteressen. Gleichzeitig entwarf sie die Utopie einer sozialen Demokratie, die in ihrer ganzheitlichen, gemeinschaftsorientierten und überindividuellen Ausrichtung der Frauen kongenial sei" (S. 165). Demgegenüber schrieb Helene Weber, Vorsitzende des Reichsfrauenbeirats der Zentrumspartei, der politisch aktiven Frau die politische Aufgabe der "Mutter des Volkes" zu.

Der Generationenkonflikt kristallisierte sich vor allem in den Diskussionen um Völkerverständigung und Pazifismus, die Sack am Beispiel des Engagements für die Frauenfriedenskirche in Frankfurt am Main untersucht. Den Schwerpunkt des fünften Kapitels bildet allerdings die Professionalisierung der Sozialarbeit. Dies war eines der wichtigsten Gebiete, auf denen bürgerliche Frauen sich beruflich engagierten. Sie sahen darin eine ideale Vereinbarkeit mit spezifisch weiblichen Eigenschaften und Fähigkeiten. Die These von der "geistigen Mütterlichkeit" war auch für den Verband katholischer Sozialbeamtinnen (VKS) ein zentrales Argumentationsmuster zur Rechtfertigung weiblicher Erwerbstätigkeit. Der VKS arbeitete mit anderen Berufsverbänden in der "Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände der Wohlfahrtspflegerinnen Deutschlands" zusammen. Dort waren religiöse Bestrebungen ausgeschlossen, innerhalb des VKS jedoch wurde die religiöse Vertiefung der gesamten Betätigung" (S. 237) angestrebt. Es blieb beim Rekurs auf das Jungfräulichkeitsideal als Lebensform außerhalb der Ehe. Die religiöse Bindung galt als Möglichkeit zur Bewältigung dieser Lebensform und der beruflichen Aufgaben, als persönliche Kraftquelle und Halt (S. 251). Hier wäre wiederum eine biographisch-individuelle Verortung dieser Ideale und Vorstellungen spannend gewesen - zumal die Jungfräulichkeit oder zumindest der Ledigenstand auch von nichtkatholischen Frauen, die in der Frauenbewegung aktiv waren, als Lebensform umgesetzt wurde. Ein genauerer Blick hätte die Unterschiede klarer herausarbeiten können. Der Frage, wie sich die religiöse Orientierung katholischer Sozialarbeiterinnen im Umgang mit den Klientinnen äußerte, geht die Verfasserin anhand der Auseinandersetzungen um Empfängnisverhütung und Abtreibung nach und zeigt, daß die Konfrontation mit sozialer Not bei den Sozialarbeiterinnen durchaus zur Relativierung amtskirchlicher Deutungsmonopole und Lehrmeinungen führte (S. 273).

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit den Krisenjahren ab 1929, in denen die katholische Frauenbewegung zusehends in die Defensive geriet. Das Zentrum besann sich verstärkt auf die katholische Weltanschauung. Frauen wurden wieder auf ihre biologische Mutterrolle verwiesen, und das Kabinett Brünings ergriff Maßnahmen gegen die weibliche Erwerbstätigkeit, darunter die berüchtigte Doppelverdiener-Kampagne. Hinzu kamen zwei päpstliche Enzykliken: Eine verurteilte die Empfängnisverhütung, setzte Abtreibung mit Mord gleich und betonte die Fortpflanzung als Zweck der Ehe, die zweite wandte sich gegen die Berufstätigkeit von Frauen und verwies sie auf ihren Platz in der Familie. Auf den KDF wurde zusehends kirchlicher Druck ausgeübt, so daß sich der Verband an der Müttererholungsfürsorge und Eheberatung beteiligte, die bisher in den Bereich der Müttervereine gehörten. So kam es zur Betonung der Karitas in Anlehnung an die Kirche. Auch hinsichtlich der weiblichen Berufstätigkeit kam es zu einer Art Rückzug, die Rechte von Frauen auf Arbeit und Beruf wurden nur noch verhalten eingefordert.

Die Haltung der katholischen Frauenbewegung zum Nationalismus nimmt Sack als Prüfstein für die Frage, wie sie zum aufkommenden Nationalsozialismus stand. Die Religion sollte über der Nation stehen, aber der nationalen Gesinnung wurde ein hoher Stellenwert eingeräumt. Einige Frauen engagierten sich für Frieden und Abrüstung, doch dem Engagement waren Grenzen gesetzt. Auch hier aber fehlen Analysen der individuellen und kollektiven Widersprüche, in denen sich die Frauen befanden, es fehlt der Blick auf die subjektiven Motive, Vorstellungen und Ziele. Die Autorin kommt zum Schluß, daß nur eine Minderheit der katholischen Frauen Demokratinnen gewesen sei, da die älteren noch im Kaiserreich sozialisiert waren. Nur wenige unter ihnen seien feministisch orientiert gewesen, so daß sie Demokratie als Voraussetzung für Emanzipation und beruflichen Erfolg betrachteten. Am Ende stellt die Autorin die Frage nach dem "Willen und der Chance, den Nationalsozialismus zu verhindern" (S. 401). Ihre Feststellung, daß die Betonung der Differenz der Geschlechter eine wirksamere Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vereitelt habe, da sie eine partielle Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie in der Geschlechterfrage suggerierte" (S. 402), greift freilich zu kurz.

Der Anspruch, die Frauen der katholischen Frauenbewegung und ihre Einstellungen und Aktivitäten innerhalb des zeitgenössischen Kontextes darzustellen, ist nur zum Teil eingelöst. Dafür steht das obige Zitat, das von heute aus die Frage nach dem Willen zur Verhinderung des Nationalsozialismus stellt. Auch die Deutung des Jungfräulichkeitsideals als repressive Sexualmoral oder die Deutung des Konzepts der "geistigen Mütterlichkeit" als "Mutterschaftsfalle" (in Anlehnung an Ute Gerhardt), die von den Zeitgenossinnen nicht erkannt worden sei, sind präsentistisch.

Ähnliches gilt für die Frage nach der Modernisierung. Dies zeigt sich insbesondere in dem eigens dieser Frage gewidmeten Abschnitt "Wie modern war die katholische Frauenbewegung?", der das Kapitel über die Sozialarbeit schließt. Die Feststellung, daß integralistisches, milieuzentriertes Denken neben einer "gesamtgesellschaftlichen Orientierung" stand (S. 297), reproduziert eine Rückschau aus heutiger Perspektive. Birgit Sack legt dar, daß die katholischen Sozialbeamtinnen den Wert der Sozialarbeit für die persönliche Entwicklung der berufstätigen Frauen betonten, während der Caritasverband das Bild auch der berufstätigen Frau mit Unterordnung und aufopferungsvoller mütterlicher Hingabe nach dem Modell der Gottesmutter als "Magd des Herrn ... gleichsetzte" (S. 297). Das ist ein wichtiger Befund, aber ist diese Spannung zwischen kirchlicher Deutung und subjektiven Lebensvorstellungen und -zielen mit Begriffen wie Modernisierung und Säkularisierung adäquat zu erfassen? Die Verfasserin hat sich an der sozialhistorischen Katholizismusforschung orientiert, in der diese Fragen paradigmatisch sind, und sich damit die Möglichkeit, bei diesem Thema einmal quer zu denken, genommen. Freilich entspringt diese Kritik dem Erkenntnisinteresse der Rezensentin - die Verfasserin hat sich für einen "klassischen" Zugang entschieden und bietet eine detaillierte sozial- und organisationshistorische Darstellung der katholischen Frauenbewegung in der Weimarer Republik. Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag sowohl zur Katholizismusforschung, die sie um geschlechterspezifische Aspekte erweitert, als auch zur Geschichte der Frauenbewegung.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu die Dissertation von Christina Klausmann, Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main, Frankfurt 1997.
2 Olaf Blaschke /F.-M. Kuhlemann, Religion in Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus", in: dies. (Hg.), Religion im Kaiserreich. Milieus - Mentalitäten - Krisen, Gütersloh 1996, S. 7-56.
3 Karl Gabriel, Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, Freiburg 1994.
4 B. Sack verweist etwa auf Sylvia Paletscheks Überlegungen: Frauen und Säkularisierung Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Wolfgang Schieder (Hg.),Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993, S. 300-317.

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