A. O'Sullivan: Waffenbezeichnungen in althochdeutschen Glossen

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Titel
Waffenbezeichnungen in althochdeutschen Glossen. Sprach- und kulturhistorische Analysen und Wörterbuch


Autor(en)
O'Sullivan, Angelika
Reihe
Lingua Historica Germanica 5
Erschienen
Berlin 2013: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
315 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Grünzweig, Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Universität Wien

Mit dem hier zu besprechenden Band liegt erstmals der Versuch vor, alle Waffenbezeichnungen, die in althochdeutschen Glossenhandschriften auf uns gekommen sind, umfassend zu behandeln. O'Sullivan schließt damit eine Forschungslücke.1 Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert.2

Kapitel eins (S. 7–24) bildet eine ausführliche Einleitung. Bereits bei der Darlegung der Ausgangssituation macht O'Sullivan eine wichtige Feststellung: "Die Klöster waren in der Karolingerzeit durch die Gesetzgebung [...] verpflichtet, bewaffnete Krieger [...] zu stellen und Waffen für die Kriegführung herzustellen" (S. 10). Sie folgert daraus, wenn vorausgesetzt wird, "dass der Klerus ausreichende Kenntnisse über die zeitgenössischen Waffen bzw. Waffenführung besaß, stellt sich die berechtigte Frage: Ließ die enge Anbindung an das Latein als Vorlage in den volkssprachlichen Übersetzungen Raum, der ihre Sprachwirklichkeit widerspiegelte?" (S. 11). Danach wird das Untersuchungsmaterial vorgestellt (S. 13ff. Handschriften, S. 15ff. archäologische und historische Quellen) und ein guter, prägnanter Überblick über den Forschungsstand gegeben (S. 18f.). Abgeschlossen wird die Einleitung mit einem Abschnitt über das methodische Vorgehen und die Zielsetzung. O'Sullivan geht onomasiologisch vor: "Die Onomasiologie oder Bezeichnungslehre geht von Dingen oder Begriffen aus und fragt nach den dafür verwendeten sprachlichen Zeichen" (S. 21, Anm. 91). Das stellt eine wesentlich erweiterte Herangehensweise dar, als in der Semasiologie, die sich auf rein linguistische Fragen beschränkt. Es werden erstmals auch Belege berücksichtigt, die in althochdeutscher kopialer Tradition stehen. So ist es möglich, die onomasiologische Untersuchung um eine teilsynchrone Ebene zu erweitern. Das heißt, die Erstbelege werden chronologisch in drei Epochen sortiert (Früh-, Hoch- und Spätmittelalter). "Ziel dieser Untersuchung ist es herauszufinden, ob [...] das Aufkommen neuer Waffentypen bei den volkssprachlichen Glossierungen Berücksichtigung fand." Andererseits könnte das "eine Tendenz der Übersetzungshaltung in den verschiedenen Epochen [...] aufzeigen bzw. die Lücken in der Überlieferung schließen" (S. 23). Als Abschluss dieses Abschnitts wird die Zielsetzung in fünf Fragen gebündelt. 1.) Spiegeln die Waffenbezeichnungen die außersprachliche Realität oder sind sie Glied-für-Glied-Übersetzungen? 2.) Können Wortfelder bestimmt werden, die eine Aussage über die Kriegführung gestatten? 3.) Fanden im Lauf der Zeit neue technische Merkmale und neue Waffengattungen Eingang in die Glossen? 4.) Lassen sich Tendenzen bei der Wortbildung erkennen? 5.) Fanden althochdeutsche Waffenbezeichnungen Eingang ins Neuhochdeutsche und blieb die Bedeutung gleich? (S. 24).

Kapitel zwei ("Aspekte der mittelalterlichen Kriegführung", S. 25–49) bildet einen kulturgeschichtlichen Überblick über die Entwicklung und die verschiedenen Typen mittelalterlicher Bewaffnung. O'Sullivan folgt dabei der bewährten Einteilung in Schutz- und Angriffswaffen sowie Belagerungsmaschinen. Dieses Kapitel fällt äußerst knapp aus. Doch verweist sie zu Recht darauf, dass eine zu detaillierte Darstellung für die vorliegende Fragestellung methodisch nicht sinnvoll ist, zumal damit die Aussagekraft der Glossen überfordert wäre. Allerdings sind die Verweise auf ausführliche Studien (S. 25, Anm. 1) etwas spärlich. Wünschenswert wäre auch ein Hinweis darauf gewesen, dass das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde über den enormen Zeitraum von 1973 bis 2007 reicht. Der Artikel "Bewaffnung" etwa stammt aus dem Jahr 1976, wo daher keine weiterführenden Hinweise auf neuere Literatur zu finden sind.

Kapitel drei ("Semantische Auswertung des Wörterbuchs", S. 50–86) stellt den Hauptteil der Studie dar. Eingeleitet wird es mit einem sehr nützlichen lateinisch-althochdeutschen Glossar. Bei der Auswertung stellt O'Sullivan fest, dass nur vereinzelt Fehlübersetzungen vorkommen, die auf dem Unverständnis der lateinischen Vorlage beruhen. Zudem lassen Übersetzungen von machina, das in kriegerischem Kontext mit Wörtern für ‚Wurfmaschine‘ oder ‚Belagerungsgerät‘ übersetzt wird, "ein Verständnis über das Funktionsprinzip der mittelalterlichen Belagerungsmaschinen" (S. 64) bei den klösterlichen Schreibern erkennen. Die Vielfalt der Übersetzungen (194 lateinischen Wörtern stehen 400 althochdeutsche Übersetzungen gegenüber) interpretiert O'Sullivan zum Teil als unterschiedliche Dialekte und mit zeitlichen Unterschieden. Doch ihre wichtigste Feststellung ist, dass es durchaus zu Neuschöpfungen von Wörtern durch die Mönche kam. Danach folgt die synchrone onomasiologische Gliederung (S. 68ff.) und die teilsynchrone Untersuchung der Erstbelege (S. 74ff.). Dabei sind sehr nützliche Listen zum Nachschlagen entstanden. In ihrer Auswertung macht O'Sullivan darauf aufmerksam, dass sich Veränderungen in der Kriegsführung im Verlauf der Zeit nachweisen lassen. Beispielsweise werden im Hochmittelalter die Bezeichnungen für Belagerungsmaschinen differenzierter (S. 78). Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer tabellarischen Zusammenstellung der diachronen Verbreitung (S. 79ff.), das heißt, die Liste der althochdeutschen Waffenbezeichnungen wird auf ihr Weiterleben bis ins Neuhochdeutsche untersucht.3 Bei der Auswertung stellt sich heraus, dass mehr als die Hälfte der Wörter noch heute gebräuchlich sind. Zum Teil mit erweiterten Bedeutungen, so wie etwa ‚Bolzen‘, das zwar noch immer das Geschoss einer Armbrust bezeichnen kann, aber heute häufiger in seiner technischen Bedeutung benutzt wird. Auch hat die Fachsprache der Waffenkunde einige Wörter wiederbelebt.

Kapitel vier ("Resümee: Kulturhistorische Auswertung", S. 87–94) beschließt den Textteil. O'Sullivan kommt zu dem Ergebnis: "Beinahe in allen Teilbereichen der Waffenbezeichnungen konnten mit Hilfe der Glossen [...] Ergebnisse aufgezeigt werden, die sich mit denen der historischen Forschung decken und diese sogar ergänzen" (S. 93). Dem ist voll und ganz zuzustimmen.

Kapitel fünf ("Wörterbuch der althochdeutschen Waffenbezeichnungen", S. 95–301) bildet den Kern der Studie. O'Sullivan entscheidet sich für eine strikt alphabetische Ordnung in ihrem Wörterbuch ("Tatianisch" normiert), damit es fächerübergreifend nutzbar ist (S. 98). Durch die onomasiologische Aufteilung (S. 68ff.) in Verbindung mit dem eigentlichen Wörterbuch kann der vorliegende Band auch als Bedeutungswörterbuch verwendet werden. Die 160 Wörterbucheinträge sind auf allgemeine Benutzbarkeit abzielend konzipiert. Es werden nicht nur die Belegstellen (mit Datierung) angeführt, sondern diese auch durch zusätzliche Angaben bereichert (weitere Bedeutungen, das Weiterleben des Wortes, Wortbildung, Etymologie und ob das Wort auch in literarischen Werken überliefert ist) und durch einen kurzen Kommentar abgerundet. Nicht ganz nachvollziehbar ist die Entscheidung, das Kürzel für die Steinmeyer/Sievers Glossenedition grundsätzlich wegzulassen, zumal es bei Belegen aus dem Summarium Heinrici (als Sekundäredition) angegeben wird. Zur letztgenannten Quelle (abgekürzt als HSH) fehlt übrigens im Abkürzungsverzeichnis die Auflösung. Gemeint ist die Edition von Hildebrand (siehe S. 101). Was mit SH gemeint ist, kann nicht eruiert werden: Stricker, Thies oder keine von beiden? Löblich ist die Angabe der Bergmann/Stricker-Nummer im Rahmen der Bibliotheksangaben4, doch wäre es wünschenswert gewesen, diese etwas abzusetzen (etwa in Klammern oder trotzdem nach den Faszikelangaben). Ebenfalls sehr hilfreich wäre eine Wiederholung des Stichwortes in der Kopfzeile. Das würde die Suche erheblich beschleunigen, da sich nicht wenige Einträge über mehrere Seiten erstrecken.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass hier ein gutes Buch gelungen ist. Kritisierbar sind lediglich einige lästige formale Fehler, die aber weniger Frau O'Sullivan anzulasten sind, sondern der Tatsache, dass die Verlage in der Regel ihre Lektorate weggespart haben.5 Die vorliegende Studie stellt einen wichtigen Beitrag zu einer onomasiologisch gegliederten Gesamtdarstellung des Althochdeutschen dar und wird für kultur-, literatur- und sprachwissenschaftliche Studien ein wertvolles Hilfsmittel sein.

Anmerkungen:
1 Bislang lagen nur zwei Abhandlungen (Dissertationen) vor, die sich aber überwiegend nur mit den Schutzwaffen beschäftigen: Erich Maschke, Studien zu Waffennamen der althochdeutschen Glossen, Greifswald 1926; Dagmar Hüpper-Dröge, Schild und Speer. Waffen und ihre Bezeichnungen im frühen Mittelalter, Frankfurt/Main 1983.
2 Die Gliederung in Kapitel, die im Fließtext (S. 12f.) vorgestellt wird, entspricht nicht der tatsächlichen Kapiteleinteilung. Das Wörterbuch wurde wohl nach verfassen dieser Absätze ans Ende verschoben. Das war eine gute Entscheidung, die die Benutzbarkeit erhöht. Die fehlende Angleichung des Fließtexts stellt einen von mehreren lästigen Fehler dar (siehe unten Anm. 5).
3 Über einige Details der Tabelle kann diskutiert werden, beispielsweise über den Zusatz "f." (= Fachsprache) bei ‚Brünne‘. Dieses Wort wurde in der Literatur des 19. Jahrhunderts ‚wiederbelebt‘, wie etwa auch ‚Recke‘.
4 Der maßgebende Katalog zu den Glossenhandschriften: Rolf Bergmann / Stefanie Stricker, Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften, Bd. 1–5, Berlin 2005.
5 Beispielsweise ist die Anm. 16 auf S. 9 falsch. Sie ist identisch mit Anm. 22 auf S. 10, wo sie an der richtigen Stelle steht; auf S. 21 fehlt die Anm. 94.