H. Pohl: Zauberglaube und Hexenangst

Titel
Zauberglaube und Hexenangst im Kurfürstentum Mainz. Ein Beitrag zur Hexenfrage im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert


Autor(en)
Pohl, Herbert
Reihe
Hexenforschung 3
Erschienen
Stuttgart 1998: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 61,00
Claudia Kauertz

Die moderne sozialhistorische Hexenforschung betrachtet die Hexenverfolgungen hauptsächlich in ihrer sozialen Funktion und Bedeutung, als Ausfluss sozialer Konfliktkonstellationen und Indikatoren krisenhafter Prozesse gesellschaftlicher Veränderung. Analysiert wird das Ineinandergreifen verschiedener, sozial gebundener Verfolgungsursachen mit dem Mittel der vergleichenden Regionalstudie, wobei man sich insbesondere für den Zauberglauben, die Verfolgungsmotivation und die Prozessbeteiligung der breiten, nicht akademisch gebildeten Bevölkerung interessiert.

Auch Herbert Pohls Arbeit über die Kurmainzer Hexenprozesse im 16. und frühen 17. Jahrhundert ist eine solche Regionalstudie. Allerdings ist sie nicht ganz neu, sondern eine unter verändertem Titel erschienene, überarbeitete Version seiner 1988 verfassten Dissertation "Hexenglaube und Hexenverfolgung im Kurfürstentum Mainz. Ein Beitrag zur Hexenfrage im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert", die längst zu einem regionalgeschichtlichen Klassiker geworden ist, so dass eine zweite Auflage wünschenswert erschien. Hauptsächlich mit Rücksicht auf die zeitgleich entstandene Dissertation von Horst Gebhard (Hexenprozesse im Kurfürstentum Mainz des 17. Jahrhunderts, Aschaffenburg 1989), hat Pohl keineswegs alle Hexenprozesse in Kurmainz untersucht, sondern sich auf die Verfahren beschränkt, die im Oberen und im Unteren Erzstift im 16. und frühen 17. Jahrhundert bis ca. 1630 stattfanden.

Zu loben ist vor allem Pohls souveräner Umgang mit der äußerst schwierigen Quellenlage. Hexenprozessakten sind in Kurmainz im untersuchten Zeitraum nur äußerst lückenhaft erhalten. Dies gilt insbesondere für das Untere Erzstift, wo Prozessakten kaum überliefert sind. Pohl hat für dieses Gebiet zusätzlich Verleumdungsklagen vor dem Mainzer Rat, die einen Zaubereivorwurf zum Gegenstand hatten, wie auch Protokolle des Domkapitels, die manchmal Auskunft über Hexenprozesse geben, berücksichtigt. Im Oberstift, wo der Schwerpunkt der Kurmainzer Hexenverfolgung lag, ist die Überlieferungsituation etwas günstiger. Pohl gliedert seine stets sehr quellenorientierte Darstellung in fünf Teile. Teil A bietet zunächst einen chronologischen Abriss der Geschichte der Hexenverfolgungen in Kurmainz, dem mit Teil B die Darstellung der Genese und des Ablaufs der Prozesse folgt. Teil C informiert über die rechtlichen Grundlagen der Strafverfolgung im Hexenprozess, dessen Verlauf anhand der Quellen genau nachgezeichnet wird, während Teil D nach der Funktion von Hexenprozessen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft fragt. Teil E schließlich illustriert das magische Weltbild der nicht gelehrten Bevölkerung, das eine der wichtigsten Voraussetzungen für die frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen darstellt.

Pohls Ergebnisse sind weitgehend mit den für andere Territorien erhobenen Befunden vergleichbar. So liegt auch in Kurmainz der Höhepunkt der Hexenverfolgungen gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Insgesamt lassen sich hier vier verschiedene Prozesswellen jeweils um 1595, 1603, 1615 und 1627 ausmachen. Bemerkenswert ist das frühe Ende der Hexenverfolgungen in Kurmainz, wahrscheinlich bereits in den 1650er Jahren, das Pohl auf die restriktive Politik des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn (1647-1673) zurückführt. Initiiert wurden die Prozesse in der Regel von der Bevölkerung, deren Inquisitionsbegehren Ausdruck in Supplikationen fand, denen die Obrigkeiten jeweils mehr oder weniger entsprachen. Grundlage des Strafverfahrens gegen die Hexen waren auch in Kurmainz die Bestimmungen der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls. V. von 1535, die im Lauf des 16. Jahrhundert für alle deutschen Territorien verbindlich wurde. Oberste Instanz in Strafsachen waren hier die Weltlichen Räte, die anhand der übersandten Akten über die Prozesseröffnung und den weiteren Verlauf des Verfahrens entschieden. Eine Versendung von Prozessakten an zeitgenössische Juristenfakultäten, die in anderen Territorien üblich war, blieb damit die Ausnahme. Das Jahr 1612 brachte eine Zäsur in der Geschichte der kurmainzischen Hexenverfolgungen, da Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg (1604-1626) mehrere Ordnungen zur Reglementierung des Strafverfahrens erließ. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Ordnung zur Einschränkung der Güterkonfiskation, eine Praxis, die nicht in allen deutschen Territorien verbreitet war und sich im Erzstift Mainz an der Wende zum 17. Jahrhundert etablieren konnte.

Von besonderer Bedeutung ist für Pohl die Frage nach der Funktion von Hexenprozessen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Im Einklang mit der sozialhistorischen Forschung deutet er die Hexenprozesse als Symptom wirtschaftlicher und sozialer Krisen und sieht das soziale Umfeld als bedingendes Moment der Hexenverfolgungen an. Gleichzeitig warnt er jedoch vor allzu einseitigen Erklärungen und gibt zu bedenken, dass sich Hexenprozesse nicht auf soziale Fragen reduzieren lassen, sondern nicht selten andere Faktoren (Wetterkatastrophen, Seuchen und Krankheiten) für die Hexenangst und die daraus resultierenden Verfolgungswünsche der Bevölkerung verantwortlich waren.

Soziographische Daten zu den Kurmainzer Hexenverfolgungen müssen aufgrund der ungünstigen Quellenlage lückenhaft bleiben. Die meisten Prozessopfer gehörten der ältesten Bevölkerungsschicht an. Sie waren größtenteils verheiratete Frauen, obwohl der Männeranteil im 17. Jahrhundert stieg, und entstammten in der Regel niedrigen sozialen Schichten. Für die Hexenvorstellung der Bevölkerung sind Schadenzauber und Teufelspakt zentral, womit sich ihr Hexenbild nach Pohls Auffassung mit dem der Gelehrten weitgehend deckt, wenngleich der Schadenzauber in den Supplikationen die Hauptrolle spielt und die Teufelsbuhlschaft in der Bevölkerung als Konstituens des Paktes gilt. Pohl geht allerdings zu weit, wenn er keinerlei Unterschiede zwischen gelehrtem und volkstümlichem Hexereiverständnis annimmt. Denn die dämonologische Literatur der Zeit unterscheidet nicht nur stärker zwischen Teufelspakt und Teufelsbuhlschaft, sondern sie legt auch den Hauptakzent auf den apostatischen Teufelspakt.

Bei der Überarbeitung hat Pohl nicht nur den Text gestrafft und um ein nützliches Personen-, Orts- und Sachregister ergänzt, sondern auch einige neugefundene Quellen (S. 85; S. 89; S. 144/45) eingearbeitet. Aufgrund des mittlerweile fortgeschrittenen Forschungsstandes kommt er vereinzelt zu anderen Ergebnissen als in der ersten Auflage. So hatte er 1988, S. 33, behauptet, dass sich der Umfang der Kurmainzer Hexenprozesse noch nicht genau abschätzen lasse, da eine Untersuchung der Prozesse des 17. Jahrhunderts im wesentlichen ausstehe. Insgesamt nimmt er für die Dauer der Kurmainzer Hexenverfolgungen jedoch nicht mehr als 1000 Hinrichtungen an. In der zweiten Auflage wird diese Aussage revidiert. Unter Einbeziehung der Studie von Gebhard geht er nun von insgesamt über 2000 Todesurteilen im Erzstift Mainz aus (S. 41), das damit zu den verfolgungsintensivsten Territorien im Reich gehörte.

Neuere Literatur berücksichtigt Pohl leider nur insoweit, als sie auf lokaler Ebene Ergänzungen liefert. Seine Arbeit reflektiert somit den Diskussionsstand der Hexenforschung gegen Ende der 1980er Jahre, die sich damals mit verschiedenen älteren und neueren Erklärungsansätzen, mit der etwa von der konfessionellen Hexenforschung des 19. Jahrhunderts forcierten Interpretation der Hexenverfolgungen als Instrument einer aggressiven landesherrlichen Konfessionalisierungspolitik, mit der feministischen Deutung von Hexenverfolgung als Frauenverfolgung oder dem von Macfarlane und Thomas favorisierten Verständnis vom Hexenprozess als Maßnahme im Kampf sozial schwächerer Schichten gegen gesellschaftliche Eliten auseinandersetzte. Diese Ansätze haben mittlerweile an Aktualität verloren.

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