J. H. Richardson: The Fabii and the Gauls

Cover
Titel
The Fabii and the Gauls. Studies in Historical Thought and Historiography in Republican Rome


Autor(en)
Richardson, James H.
Reihe
Historia-Einzelschriften 222
Erschienen
Stuttgart 2012: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
186 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Lentzsch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Der Titel des Buches von James Richardson, das zugleich die überarbeitete Version seiner Dissertation aus dem Jahr 2004 darstellt, ist ein wenig irreführend: Denn es geht nicht nur um die Angehörigen der gens Fabia und „die Gallier“, sondern eher um geschichtliches Denken im republikanischen Rom in einem weiteren Rahmen.1 Richardsons Arbeit handelt von Vorstellungen und Annahmen über Verhaltensweisen und Familientraditionen, die für die Römer zur Zeit der Republik typisch gewesen seien und so einen erheblichen Einfluss nicht nur auf die Historiographie, sondern auch auf das Geschichtsbewusstsein der Römer insgesamt ausgeübt hätten. Diese Sichtweisen auf die Vergangenheit möchte Richardson an einer breiten Anzahl von Beispielen herausarbeiten (S. 9–15).

Die Studie ist in drei Hauptabschnitte aufgeteilt. Eine knappe Einführung (S. 9–15) und ein „Epilogue“ (S. 163f.) rahmen diese ein, eine Bibliographie, in der die internationale Forschung umfangreich aufgenommen ist (S. 165–174), sowie ein Index (S. 175–186) schließen das Buch ab. Im ersten Kapitel („The Influence of noble self-representation on historical thought and historiography“, S. 17–55) diskutiert Richardson ein jedem Leser römischer Historiographie bekanntes Phänomen: die zahlreichen Fälle, in denen Angehörige einer gens ein analoges oder nahezu gleiches Verhalten in sehr ähnlichen Situation an den Tag legen. Ein prominentes Beispiel sind die Selbstopfer der drei Decii Mures, die sich jeweils in einer für das Heer kritischen Lage in den Jahren 340, 295 und 279 v.Chr. selbst dem Tod geweiht haben sollen, um für das römische Volk den Sieg herbeizuführen.2 Richardson vertritt die These, dass diese Wiederholungen charakteristisch für eine spezielle römische Vorstellung seien, nach der Mitglieder einer gens stets sehr ähnliche Verhaltensweisen an den Tag gelegt hätten. Die zahlreichen Fälle von familialen Wiederholungen seien also nicht nur ein rein literarisches Phänomen, sondern ein Bestandteil der typisch römischen Art und Weise über die eigene Geschichte nachzudenken (S. 17–19 u. 52–55). Daher hält Richardson es auch nicht mehr für geboten, bestimmte Tendenzen und Gestaltungen der römischen Tradition an einem speziellen Autor, der hierfür verantwortlich gewesen sei, festzumachen; er nimmt vielmehr an, dass sich hier eben eine typisch römische Art des Denkens von und über Geschichte offenbare (S. 30–32). Auch die in der älteren Forschung oft ausgemachten Dubletten im Werk des Livius und anderer Historiker seien so angemessener zu erklären: Diese seien weder von Autoren noch von Lesern aus Unachtsamkeit übersehen worden, sie passten vielmehr zu den gängigen römischen Vorstellungen typischen Verhaltens einer gens (S. 38 mit Anm. 104).

Aus dem Phänomen der Dubletten macht Richardson in anderer Hinsicht vielleicht etwas zu wenig: So stellt er recht wenig in Rechnung, dass diese Vorstellungen durchaus auch zu handlungsleitenden Faktoren für die Angehörigen der jeweiligen gentes geworden sein könnten – manche Dubletten also tatsächlich zwei oder mehrere historisch authentische Ereignisse überliefern könnten, da Angehörige einer gens in Kenntnis der Annahme, dass sie sich wie ihre Vorfahren verhalten würden, tatsächlich auch dementsprechend handelten.3 Allerdings sei zugestanden, dass nach wie vor nur schwer (bzw. oft überhaupt nicht) zu unterscheiden ist, was eher realen soziokulturellen Praktiken zuzurechnen, was eher Bestandteil historischer Vorstellungskraft gewesen ist, die auf bestimmten Annahmen über die Vergangenheit fußte. Beides fließt sicher auch zusammen. Richardson nimmt alles in allem einen eher skeptischen Standpunkt ein: Zwar sei es letztlich im Einzelfall kaum sicher zu entscheiden, ob nicht doch ein historisch reales Ereignis hinter der literarischen Überwölbung liege, aber grundsätzlich sei die Tradition gerade zum frühen Rom zutiefst anachronistisch und eben auch von der Vorstellung ähnlicher Verhaltensweisen verschiedener Angehöriger einer gens gekennzeichnet, die wiederum Teil des römischen historischen Denkens über Literatur hinaus gewesen sei (S. 52–55 u. 113).

Im zweiten Kapitel („The traditions of the Fabii“, S. 57–113) legt Richardson dann einen Schwerpunkt auf die Merkmale und Verhaltensweisen, welche sich für die Fabier in der römischen Überlieferung erhalten haben. Hier will er zeigen, wie einflussreich die Vita des Quintus Fabius Maximus Verrucosus auf die Ausarbeitung und Ausmalung der Traditionen um frühere Fabier gewesen sei. Da die Historiographen zahlreiche Fabier als Amtsträger in ihren Quellen vorgefunden hätten, über diese aber praktisch kaum etwas bekannt gewesen sei, habe man diese Gestalten vor der Folie des berühmten Helden der Keltenkriege und des Hannibalkrieges genauer gezeichnet.

Diese Sichtweise ist an sich plausibel, und in zahlreichen Einzelinterpretationen, auf die im hier gebotenen Rahmen nicht ausführlich eingegangen werden kann, formuliert Richardson in der Regel erfreulich prononcierte Positionen. Es liegt in der Natur des Gegenstandes, dass man in manchen Fällen auch anderer Meinung sein könnte. So ist es nicht zwingend notwendig, dass die Römer des späten 3. Jahrhunderts tatsächlich nicht mehr über die Schlacht von Sentinum im Jahr 295 v.Chr. wussten, als dass sie stattfand und große Ausmaße hatte (S. 113). Sicher ist Richardson abermals zuzustimmen, dass Sicherheit hierüber nicht zu gewinnen ist, was aber umgekehrt auch für die Annahme eines extrem weitreichenden Einfluss des Fabius Maximus Verrucosus auf die Überlieferung praktisch aller anderen Fabier vor ihm gelten muss, wie der Autor sie darstellt.

Im dritten Kapitel („The Fabii and the Gauls“, S. 115–162) konzentriert sich Richardson auf die komplexe Überlieferung um die Einnahme Roms durch die Gallier „in 390 BC“, in der verschiedene Fabier eine gewichtige Rolle spielen.4 Zunächst bietet er einen Überblick zur komplexen und oft uneinheitlichen antiken Tradition (S. 116–123), um dann mit Hilfe der reichhaltigen Forschungsliteratur den real-historischen Rahmen zu rekonstruieren (S. 123–130). In beiden Abschnitten zeigt sich Richardson als Kenner der antiken wie der modernen Literatur. Seine Rekonstruktion ist in weiten Teilen plausibel, obgleich – fast unausweichlich – auch hier Zweifel bleiben müssen. Anschließend diskutiert Richardson die zahlreichen Parallelen zwischen den Überlieferungen um die Einnahme Roms und der Eroberung Athens durch die Perser im Jahr 480 v.Chr. (S. 130–138). Diese sieht er nicht als zufällig, sondern als eine bewusste Ausgestaltung des jüngeren Ereignisses nach dem Vorbild des älteren an.5 Der etwa von Marta Sordi vertretenen Meinung, dass Fabius Pictor der Urheber dieser Umformung gewesen sei, steht Richardson skeptisch gegenüber. Pictor habe sicher eine Rolle gespielt, aber es spreche nichts gegen eine noch frühere Gestaltung, etwa durch griechische Historiographen, was in der Tat eine Möglichkeit darstellt (S. 137).6

Im abschließenden Teil („The Fabii and the Gauls“, S. 139–162) sucht Richardson nach weiteren Parallelen zwischen griechischer Tradition und römisch-fabischer Überlieferung und meint eine detaillierte Beziehung rekonstruieren zu können, die er der Übersicht wegen in einem Schema darstellt (S. 151). Manches in diesem Muster, in dem die recht offensichtliche Anlehnung des Kampfes der 306 Fabier an der Cremera an den Kampf der Spartaner an den Thermopylen eine wichtige Rolle spielt, scheint durchaus plausibel, andere Interpretationen werden nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Doch der Grundgedanke, diese Anleihen und Ausgestaltungen nicht am Werk eines Historikers, das uns noch dazu für die betreffenden Passagen wenig bekannt ist, festzumachen, sondern nach „several explanations, and arguments concerning ancient ideas about what is appropriate and what is plausible“ (S. 152), zu suchen, die solche Parallelen vielleicht besser erklären, ist stimmig und anregend zugleich.

Der letzte Absatz kann auch für das Buch insgesamt Geltung beanspruchen: Nicht in jedem Detail wird man Richardson zustimmen wollen, und auch er selbst muss oft einräumen, dass andere Interpretationen ebenso ihre Berechtigung haben. Es ist aber hervorzuheben, dass er ein gut lesbares, klar formuliertes Buch vorgelegt hat, das reich an Argumenten und klaren Positionen ist. Allein deswegen kann es für zukünftige Forschungen zur römischen Historiographie, zum römischen Geschichtsbewusstsein wie auch zur frühen römischen Geschichte als anregend gelten.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu auch die beiden bereits erschienenen Rezensionen zu Richardsons Buch von Andreas Hofeneder in: Bryn Mawr Classical Review, 2012.10.13 <http://bmcr.brynmawr.edu/2012/2012-10-13.html> (14.08.2013), und von Martine Chassignet in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 (15.11.2012), <http://www.sehepunkte.de/2012/11/21572.html> (14.08.2013). Beide verweisen ebenfalls auf den unpräzisen Titel.
2 Zum Jahr 340: Liv. 8,6,9–13; 8,9,4–14; zu 295: Liv. 10,28,6–29,4; zu 279: Cic. fin. 2,61; Tusc. 1,89. Vgl. zu den Decii Mures und anderen Fällen familialer Wiederholungen Uwe Walter, „Ein Ebenbild des Vaters“. Familiale Wiederholungen in der historiographischen Traditionsbildung der römischen Republik, in: Hermes 132 (2004), S. 406–425.
3 Zu diesem Gedanken siehe die Beispiele in Stephen Oakley, A Commentary on Livy. Books VI–X, Bd. 1: Introduction and Book VI, Oxford 1997, S. 102–104; Uwe Walter, Geschichte als Lebensmacht im republikanischen Rom, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002), S. 329–339; Walter, Wiederholungen, S. 417f.
4 Dass dieses Datum in der antiken Überlieferung wie der modernen Forschung nicht unumstritten ist, ist Richardson bewusst. Da die genaue Datierung für seine Zwecke aber keine bedeutende Rolle spielt, geht er auch nicht näher auf dieses Problem ein.
5 Worin er sich von der von John Williams, Beyond the Rubicon. Romans and Gauls in Republican Italy, Oxford 2001, S. 153–155 vertretenen Position abhebt.
6 Vgl. Marta Sordi, Il Campidoglio e l’invasione gallica del 386 a. C., in: Marta Sordi (Hrsg.), I santuari e la guerra nel mondo classico, Milano 1984, S. 82–91, bes. S. 87.

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