Titel
Gattenmord. Macht und Gewalt in der frühneuzeitlichen Ehe


Autor(en)
Nolde, Dorothea
Erschienen
Köln 2003: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrike Ludwig, Dresden

Dorothea Nolde fragt in ihrer Dissertation vor dem Hintergrund von Gattenmorden nach der Funktion von Gewalt für die Geschlechterverhältnisse und hier besonders für die Machtverteilung in der Ehe. Dabei möchte die Autorin männliche und weibliche Gewalt in ein Verhältnis zueinander setzen und dabei vor allem gesellschaftliche und politische Dimensionen ehelicher Gewalt und deren Wandel in den Blick nehmen (S. 2). Sie führt dies an Hand von französischem Quellenmaterial des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts vor. Grundlegend werden drei Quellengattungen vergleichend bearbeitet: Neben einen breiten Spektrum an juristischen, theologischen, medizinischen und humanistischen Texten wurden von der Autorin narrative Texte – hier vor allem Flugblätter – und schließlich als dritte Quellengruppe Prozessakten von Berufungsverfahren vor dem Pariser Parlament, also der höchsten Gerichtsinstanz des Ancien Regime untersucht. Die Gerichtsakten sind dabei zeitlich auf die Jahre von 1580-1620 beschränkt. Die Arbeit gliedert sich in zwei große Teile. Zunächst werden Macht- und Gewaltverhältnisse in der Ehe an Hand von normativen und literarischen Texten untersucht. Daran schließt die Betrachtung der gerichtlichen Dimension von Gattenmord an.

Im ersten Teil der Arbeit befasst sich Nolde mit der Dynamik der ehelichen Machtbeziehung und den Spielräumen männlichen und weiblichen Gewalthandelns (S. 18). Für den untersuchten Zeitraum konstatiert sie einen Wandel der Ordnung der Ehe. Zunehmend trat die unbedingte Gehorsamspflicht der Frau an die Stelle der zuvor vom Ehemann zu leistenden Unterwerfung der Frau. Dies stellte einen Übergang von physischer zu symbolischer Gewalt als Grundlage ehelicher Herrschaft dar. Ein Übergang, der sich nicht bruchlos vollzog, sondern zu einer Konkurrenzsituation beider Modelle im untersuchten Zeitraum führte. Das Konzept symbolischer Gewalt stützt sich auf eine Definition Pierre Bourdieus (1990), die vor allem auf den Zwang verweist, „der durch eine abgepresste Anerkennung vermittelt ist“ (S. 172). Nolde grenzt dies deutlich gegen Bourdieus andere Definition symbolischer Gewalt als „sanfte Gewalt“ ab (ebd.). Der Wandel wird sowohl an Hand literarischer und normativer Texte als auch mittels einzelner Gerichtsakten verfolgt, die allerdings nicht auf den Bereich des Gattenmordes beschränkt sind. Nach den literarischen Bildern des Gattenmordes (Kap. 1), rechtlichen und sozialen Normen der Ehe (Kap. 2) und der Betrachtung von der Alltäglichkeit von Konflikten sowie typischen Konfliktfeldern (Kap. 3), werden in den folgenden Kapiteln Macht und Gewalt in der Ehe und der o. g. Wandel der Eheordnung analysiert (Kap. 4 bis 6). Abschließend wird das Zusammenspiel von Ehe- und staatlicher Ordnung betrachtet (Kap. 7).

Interessant ist, dass mit Hilfe literarischer und normativer Texte dargelegt werden kann, dass das Konfliktpotential der Ehe im zeitgenössischen Verständnis als prägendes Strukturelement angesehen wurde. Allerdings wurden vor allem die Frauen für die Entstehung der Konflikte verantwortlich gemacht und dies unabhängig von der Schuldfrage, also auch wenn der Ehemann „Ursprung der Unverträglichkeit“ war (S. 106). Ähnlich verhält es sich bei der Betrachtung ehelicher Gewalt. Auch wenn Gewalt soziale Beziehungen in vielen Bereichen strukturierte (157), so wurde die Gewalt von Frauen gegen Männer grundlegend als „verkehrte Welt“ oder zugespitzt als Schreckensbild der Gattenmörderin gesehen. Maßlose Gewalt von Ehemännern gegen ihre Frauen blieb aber zunehmend auch nicht mehr sanktionslos (S. 148f.). Im 16. und 17. Jahrhundert wurde Ehefrauen u. U. die Trennung von Bett und Tisch als Schutz vor der Brutalität ihrer Ehemänner gewährt (S. 149). Zu einem ähnlichen Befund für diese Zeit kommt beispielsweise Daniela Hacke für Venedig. 1 Allerdings stellt dies nicht die Regel für die Lösung ehelicher Konflikte dar. Im Rahmen der „aktiven Unterordnung“ der Ehefrauen wurde von ihnen zumeist erwartet, das Fehlverhalten des Mannes auszugleichen. Auch bei Misshandlungen durch den Ehemann blieb das Aufbegehren der Ehefrau in jedem Fall schändlich und skandalös (S. 169).

In diesem Zusammenhang stellt die Autorin eine Erziehung zur Unterordnung der Ehefrauen in Traktakten zur Eheordnung und Predigten als Voraussetzung für das Zustandekommen symbolischer Gewalt fest (S. 174). Im Rahmen des Ehekonzepts der symbolischen Macht war die Ehefrau nicht nur ausschlaggebend für das Scheitern sondern auch für das Gelingen einer Ehe. Nolde sieht darin eine grundlegende Schwierigkeit dieses Herrschaftsmodells, da den Frauen darin eine „sehr weitgehende Verantwortung für die Herstellung und Aufrechterhaltung der Ehehierarchie“ übertragen wurde (S. 175). Damit war es für das Funktionieren einer solchen Herrschaftsbeziehung notwendig, dass sich die Frauen ihres Machtpotentials nicht bewusst wurden und sich seiner nicht bedienten (S. 177). In diesem Zusammenhang verweist Nolde auf eine „Minderheit von Frauen [...], die der herrschenden Logik mit ihrer Assoziation von Aufsässigkeit und Verbrechen widersprachen“ (S. 177). Für die in diesem Zusammenhang gestellte Frage, „wie viele Ausnahmen eine Regel verträgt, die darauf basiert, etwas in den Bereich des Undenkbaren zu verbannen“ wird dann später bei der Behandlung der Verfahren im zweiten Teil eine Antwort gefunden. Nolde kann hier herausarbeiten, wie innerhalb des Verfahrens und der Strafe die Ordnung symbolisch wieder hergestellt wurde (S. 297).

Im zweiten Teil der Untersuchung beschäftigt sich Nolde mit Gerichtsfällen. Anhand von 202 Gattenmordprozessen vor dem Pariser Parlament soll betrachtet werden, welchen Niederschlag die Veränderungen in der Ordnung der Ehe innerhalb der Gattenmordprozesse fanden und wie diese Prozesse ihrerseits zur Herstellung bzw. Festigung dieser neuen Ordnung beitrugen. (S. 16) Nach den Kapiteln, die die Gesetzeslage (Kap. 8), den Strafprozess (Kap. 9) und schließlich die Gruppe der Richter und Angeklagten vorstellen, untersucht sie das Quellenmaterial hinsichtlich der Bilder von Macht und Gewalt. Nacheinander werden die Urteile der 1. und 2. Instanz, die Tatbestände, Beweise und Beweislogik, die Rolle der Zeugen und die Verteidigungsstrategien der Angeklagten (Kap. 11-15) analysiert.

Grundlegend ist festzuhalten, dass innerhalb der Verfahren die Möglichkeiten der Verteidigung für die Angeklagten beschränkt waren. Lediglich innerhalb der Befragung durch die Richter und nur im Rahmen der gestellten Fragen konnten sie Teile ihrer Version darstellen. Dies hat auf die Aussagekraft der Quellen entscheidenden Einfluss. Daher konnten Elemente der „Ehebilder“ von Richter und z. T. auch von Zeugen, wesentlich besser herausgearbeitet werden, als diejenigen, die etwa die Angeklagten (wenn auch nur zu ihrer Verteidigung) im Sinn hatten. Auch wenn der Gattenmord – wie die Autorin in ihrer Einleitung bemerkt – ein Kristallisationspunkt gesellschaftlicher, politischer und juristischer Implikationen ehelicher Gewalt war, so wäre der Wandel in der Wahrnehmung männlicher und weiblicher Gewalt vielleicht stärker in Fällen ohne tödlichen Ausgang zum Tragen gekommen. Letztlich ist bei allen behandelten Fällen die Ermordung des Ehepartners eine deutliche Überschreitung des zulässigen Rahmens von Gewalt, unabhängig vom Geschlecht der Beklagten.

Für die Frage nach der Bedeutung normativer Vorstellungen von der Ehe im Rahmen von Strafprozessen war das Quellenmaterial hingegen eine aussagekräftige Grundlage. So konnte Nolde die Logik der Beweisführung überzeugend in den Kontext der normativen und literarischen Bilder von Gattenmörderinnen und Gattenmördern stellen. Auffallend ist zunächst der geschlechtsspezifische Unterschied der Beweisführung. Gegenüber Männern kamen häufiger Beweise, wie Tatwaffe und Tatspuren oder früheres gewalttätiges Verhalten, zum Tragen. Bei Frauen waren hingegen ehrbares Verhalten und die Rolle als Ehefrau bzw. allgemein verdächtiges Verhalten (etwa fehlende Trauer beim Tod des Mannes) wesentlich häufigere Beweismittel (S. 342). Zudem kann Nolde nachweisen, dass die Verfahren gegen Männer auf Analogieschlüsse aufbauten, während in Prozessen gegen Frauen Indizien wie Zwietracht in der Ehe und unsittlicher Lebenswandel dominierten. Beide weisen keine unmittelbare Verbindung zur Tat auf. Diese wurde erst über die Frage nach dem Tatmotiv (etwa der Wunsch den Geliebten zu heiraten und den Ehemann dafür zu beseitigen) und über das Geschlechtsstereotyp der aufsässigen Ehefrau hergestellt (S. 355). Diese schmale Grundlage als ausreichender Verdachtsmoment für einen Prozess gegen die Ehefrauen führte wohl auch zur vergleichsweise größeren Zahl von eingestellten Verfahren bzw. recht milden Urteilen für die weiblichen Angeklagten. Da Prozessakten der 1. Instanz, die nicht vor das Parlament kamen, nicht einbezogen werden konnten, muss offen bleiben, ob dieser Befund auf der unteren gerichtlichen Ebene eventuell noch ausgeprägter war.

Ähnlich starke geschlechtsspezifische Merkmale treten bei den untersuchten Zeugenaussagen auf. Bei Männern wiesen sie eine wesentlich breitere Streuung auf, die von gottlosem Verhalten über frühere Gewalttätigkeiten und Ehestreitigkeiten bis hin zum beobachteten Mord reichten. Den angeklagten Ehefrauen wurde hingegen meist ihr unsittlicher Lebenswandel und frühere Klagen über ihren Mann oder Streitsucht in der Ehe nachgesagt. Die Autorin führt dies auf eine bereits geschlechtsspezifisch unterschiedliche soziale Kontrolle zurück, die schließlich auch unterschiedliche Anklageprofile hervorbrachte (S. 381).

Im Bereich der Urteile kann Nolde schließlich eine enge Verzahnung zwischen normativen Mustern der Ehe und Strafelementen, die diese Ordnung wiederherstellen sollten, aufzeigen. Hier waren nicht die Todesurteile an sich, sondern die Strafzusätze entscheidend. Über diese wurde nicht nur Reue, Unterordnung und gelegentlich die Sühne für das begangene Verbrechen öffentlich gemacht, sondern sie zielten auch darauf ab, „Respekt vor der Unfehlbarkeit der Strafverfolgung und vor der Ordnung der Ehe einzuflößen“ (S. 301). Die vom Parlament gefällten Endurteile zeigen hier – so Nolde – einen etwas anderen Trend auf, als die der ersten Instanz. Das Parlament achtete darauf, dass physische Härten gewisse Grenzen der zeitgenössischen Strafpraxis nicht überschritten. Von entscheidender Bedeutung, so Nolde, dürfte dabei sein, dass ein bestimmtes Bild königlicher Justiz vorgeführt werden sollte. Sie sollte gerecht, aber nicht grausam sein (S. 304). „Strafe als Zeichen“ spielte in den meisten Prozessen – unabhängig vom Geschlecht - eine entscheidende Rolle. Letztlich stellte jeder Gattenmord die herrschende Ordnung in Frage. Allerdings ist auch hier darauf zu verweisen, dass die Exekution von Frauen häufiger als die der Männer nach Paris verlegt wurde, womit der Fall quasi die Relevanz einer Staatsangelegenheit erlangte (S. 304).

Die Vorstellungen der Angeklagten selbst traten angesichts des bearbeiteten Quellenmaterials weniger klar hervor. Es wurde aber deutlich, dass Männer selbstbewusster vor die Richter traten und es vermochten, ihre persönliche Version der Tat stärker ins Spiel zu bringen als Frauen. In diesen persönlichen Geschichten tauchen dann auch wieder die bereits vorgestellten Geschlechterstereotypen auf. Interessant ist die Feststellung Noldes, dass die Aussagen der Männer durchaus nicht immer zu ihrer Entlastung beitrugen, sondern männlichen Selbstbildern entsprachen, die im juristischen Kontext eher kontraproduktiv waren. So war der Verweis auf den der Tat vorausgegangene Ehebruch – anders als beim Gnadengesuch – im Strafverfahren nicht entlastend (S. 402). In einigen Fällen beschrieben Männer die Aufsässigkeit der Ehefrauen als Auslöser für die Tat und versuchten damit die Ehefrauen zur Täterin zu machen. In beiden hier angesprochenen Fällen werden die Parallelen zu den in der erzählenden Literatur anzutreffenden Argumentationen über die prinzipielle Schuld der Ehefrauen deutlich. In den wesentlich kürzeren Ausführungen der angeklagten Ehefrauen wurde hingegen stark auf die eigene Rolle als „gefügige Ehefrau“ verwiesen, was sich nicht zuletzt auch in dem eher reaktiven Verhalten vor dem Gericht spiegelt. Bei diesem Kapitel wäre eine Einbeziehung anderer Quellengruppen, etwa der Gnadengesuche an den König oder aber Ehebruchsfälle, eine interessante Ergänzung gewesen, um die Sichtweisen auf die Ehe differenzierter zu betrachten. 2

Etwas zu kurz, was möglicherweise auch mit der relativ begrenzten bearbeiteten Zeitspanne bei den Quellen zusammenhängt, kommt im zweiten Teil die Gegenüberstellung der von Nolde zugrunde gelegten Ehemodelle und deren Wandel. Hier wäre eine stärkere Hinzuziehung von anderen Arbeiten zur Flankierung der eigenen Ergebnisse sinnvoll gewesen. Insgesamt ist die vorgelegte Studie von Dorothea Nolde jedoch sowohl in geschlechtergeschichtlicher als auch in kriminalitätsgeschichtlicher Hinsicht überzeugend und zeigt auf, wie fruchtbar beide Bereiche verbunden werden können. Vor allem der Nachweis, wie normative Rollenmuster sich auf Prozess- und Befragungsabläufe auswirkten, weitet den Blick auf die (Straf-)Gerichtsbarkeit dieser Zeit entschieden und kann damit Anstoß für weitere Studien sein, die sich in solch detaillierter und quellenübergreifender Form (geschlechtsspezifischen) Aspekten frühneuzeitlicher Strafjustiz zuwenden.

Anmerkungen
1 Hacke, Daniela, Zur Wahrnehmung häuslicher Gewalt und ehelicher Unordnung im Venedig der frühen Neuzeit (16. und 17. Jahrhundert), in: Fuchs, Ralf-Peter; Schulze, Winfried (Hgg.), Wahrheit, Wissen, Erinnerung. Zeugenverhörprotokolle als Quelle für soziale Wissensbestände in der frühen Neuzeit, Münster 2002, S. 317-355.
2 Etwa bei: Zemon Davis, Natalie, Der Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler, Berlin 1988.

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