V. Bauer (Hrsg.): Fürstliche Genealogie

Cover
Titel
Wurzel, Stamm, Krone. Fürstliche Genealogie in frühneuzeitlichen Druckwerken


Herausgeber
Bauer, Volker
Reihe
Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 97
Erschienen
Wiesbaden 2013: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
39,80 EUR
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hecht, Abt. für Westfälische Landesgeschichte, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität

Genealogie – im universitären Lehrbetrieb oft lediglich als ein Teil des klassischen Kanons der Historischen Hilfswissenschaften behandelt – wird in letzter Zeit verstärkt als kulturelle Technik erforscht, mit der Verwandtschaft konstituiert und Herrschaft legitimiert wurden. Der Blick richtet sich somit weniger auf die „realen“ Verwandtschaftsverhältnisse von Menschen, sondern auf den Konstruktionscharakter genealogischer Ordnungen, auf die Repräsentationen dieser Ordnungen in unterschiedlichen Medien sowie auf die Interdependenzen von genealogischen Behauptungen und politischen Ansprüchen. Nicht nur, aber vor allem im vormodernen Adel spielte genealogisches Wissen eine große Rolle für das ständische Selbstverständnis und die Verfolgung rechtlich-politischer Ansprüche. So ist es naheliegend, dass sich eine zwischen September 2013 und Februar 2014 an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel gezeigte Ausstellung den fürstlichen Genealogien in frühneuzeitlichen Druckwerken widmete, zumal die reichen Bestände der Bibliothek hierzu ein beeindruckendes Anschauungsmaterial bereithalten. Allerdings geht der von Volker Bauer verfasste Begleitband über einen „normalen“ Ausstellungskatalog hinaus, denn neben der Abbildung und Beschreibung der Exponate bietet das Buch eine umfangreiche monografische Abhandlung des Themas, in der neue Thesen formuliert und Perspektiven für künftige Forschungen angedeutet werden.

Die Darstellung gliedert sich in drei Teile. Der erste Abschnitt „Herrschaftsordnungen“ gibt einen Überblick zur Bedeutung genealogischer Schriften im Rahmen dynastischer Konzepte und dynastischen Handelns innerhalb der Fürstengesellschaft. Da adlige Ehre mit einer prestigeträchtigen und weit zurück verfolgbaren Abstammung in Zusammenhang stand, war die Verortung der familiären Ursprünge in mythischen Zeiten bei vielen Fürstenhäusern anzutreffen, nicht selten erreicht durch eine kreative Integration biblischer, trojanischer und germanisch-indigener Herkunftserzählungen. Die Kontinuität zwischen den imaginierten Ursprüngen und der jeweiligen Gegenwart ließ sich durch die Konstruktion einer „Blutslinie“ herstellen, die zudem meist mit der Herrschaftssukzession in Einklang gebracht wurde. Die Wandlungen in den Vorstellungen von einem Fürstenhaus, seit dem Spätmittelalter mit einem strikt agnatischen Zugehörigkeitsprinzip und seit dem 17. Jahrhundert zunehmend mit einer auf Primogenitur basierenden Erbregelung verknüpft, fanden auch in der genealogischen Publizistik und Druckgrafik ihren Niederschlag. Hier deutet sich an, wie das Schrifttum an der Formung des frühneuzeitlichen Dynastiekonzepts beteiligt war. Doch auch für Frauen interessierte sich die genealogische Literatur, da sie zum einen als Ausweis der standesgemäßen Abstammung eines Fürsten auch über die mütterlichen Linien dienten und ihnen zum anderen durch interdynastische Heiraten eine wichtige „Scharnierfunktion“ zwischen den Fürstenhäusern zukam.

Der zweite und zugleich umfangreichste Teil widmet sich unter der Überschrift „Wissensordnungen“ den unterschiedlichen Systemen der genealogischen Datenorganisation in Text-, Diagramm- und Bildform. Vor allem das Baummodell spielte bei der Visualisierung verwandtschaftlicher Verbindungen aufgrund seiner komplexen Symbolkraft eine große Rolle. Naturmimetische Stammbäume, die in ihrer Ikonographie auf ältere „arboreske“ Darstellungen (unter anderem Wissensbäume und Verwandtschaftsbäume) verweisen, sowie Stammtafeln, die als Baumdiagramme typografisch einfacher herzustellen waren, gehörten zu den am häufigsten genutzten Formen der Anordnung genealogischer Daten. Selbst die retrospektiv zu lesenden Ahnentafeln, die den aktuell herrschenden Fürsten als Probanden buchstäblich in den Mittelpunkt stellen konnten und die sich durch einen stets gleichmäßigen „Formularcharakter“ auszeichneten, griffen mitunter auf das Bild des Baumes zurück. Für komplexere Darstellungsabsichten entwarfen die frühneuzeitlichen Genealogen zuweilen elaborierte Baumsysteme. Bauer behandelt indes nicht nur die baumförmige Datenorganisation, sondern auch die metaphorische Nutzung des Baummotivs in den Texten und Paratexten der genealogischen Werke. Die damit verbundenen symbolischen Botschaften, etwa zum „Regentenbaum“ als Chiffre des guten fürstlichen Regiments, werden anschaulich entschlüsselt.

Der dritte Teil hebt unter dem Titel „Medienordnungen“ auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen den „Spezialgenealogien“ als den auf ein bestimmtes Fürstenhaus konzentrierten Drucken und den „Universalgenealogien“ als den auf mehrere Dynastien bezogenen Werken ab. Erstere entstanden im Umfeld des Fürstenhofes, wurden vom Herrscher finanziert und autorisiert. Sie sollten die Rangansprüche eines Fürsten(hauses) durch aufwendige Gestaltung sichtbar machen, standen oft mit anderen Formen der Hofpublizistik (etwa Funeralwerken) in Verbindung und zielten so insgesamt auf eine höfische Öffentlichkeit. Demgegenüber folgten die Universalgenealogien laut Bauer einer anderen medialen und ökonomischen Logik. Als Kompilationen genealogischer Daten wurden sie von Verlegern für den Buchmarkt produziert und damit durch den kommerziellen Erfolg legitimiert. Die Interessen der Konsumenten beförderten eine Konzentration auf die gegenwartsnahen Daten, so dass die Behandlung der mythischen Ursprünge an Bedeutung verlor. Der Zwang zur Aktualität führte schließlich zu einer periodischen Erscheinungsweise solcher Werke, wie etwa bei den bekannten „Gothaischen Hofkalendern“ ab 1764. Die zunehmende Verbreitung universalgenealogischer Drucke seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts beschreibt Bauer überzeugend als Ausdruck eines Medienwandels, bei dem die genealogische Publizistik Teil einer sich formierenden Zeitungsöffentlichkeit wurde.

Insgesamt bietet Volker Bauers Buch eine vollauf gelungene Übersicht zur Entwicklung und Bedeutung der genealogischen Publizistik in der Frühen Neuzeit. Die Arbeit überzeugt durch eine gekonnte Verschränkung der Behandlung einzelner Beispiele und allgemeiner Trends sowie durch die Anbindung des Themas an aktuelle Forschungsdebatten, etwa zur dynastischen Fürstenherrschaft oder zur frühneuzeitlichen Öffentlichkeit. Die zahlreichen Abbildungen unterstützen die Argumentation und machen die Lektüre auch zu einem optischen Vergnügen. Ein Glossar wichtiger Fachbegriffe und eine Bibliografie runden den positiven Gesamteindruck ab. Das Buch lädt dazu ein, künftig noch stärker nach den gegenseitigen Beeinflussungen der Publizistik auf der einen und nicht-druckgrafischen Medialisierungen von Genealogie auf der anderen Seite zu fragen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension