: Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie. München 2013 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-65289-9 735 S. € 29,95

: Karl der Große. Der heilige Barbar. München 2013 : Piper Verlag, ISBN 978-3-492-05582-6 352 S. € 22,99

: Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard. Stuttgart 2013 : Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-94764-9 407 S. € 26,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Lubich, Lehrstuhl für die Geschichte des Frühmittelalters, Ruhr-Universität Bochum

Das Karlsjahr ist abgelaufen. Zum Thema ist bereits viel gesagt, veröffentlicht und rezensiert worden, doch soll in Anbetracht des kalendarischen Auslaufens sowie entsprechend nachlassender Tagungs- und Publikationstätigkeit an dieser Stelle bereits in einer Art vorläufigem Rückblick das resümiert werden, was zur Epoche mit dem Ziel der Personendarstellung erschienen ist – ohne Anspruch auf Vollständigkeit1 oder gar mit dem Ziel einer abschließenden Behandlung.

Eine Beschäftigung mit Biographien, zumal mit verschiedenen Werken zu zeitgleichen Protagonisten, legt den Vergleich nahe, wozu wiederum die Vergleichsparameter zu etablieren sind und die Debatte eigentlich recht schnell im Grundsätzlichen mündet. Immerhin handelt es sich bei der Biographie um eines der ältesten Genres historischer Literatur überhaupt, das immer wieder neu diskutiert, benutzt und variiert wird. Allein die kaum wirklich zu leistende, sich einem generellen Konsens entziehende Bestimmung der Form in historischer und/oder literaturwissenschaftlicher Sicht2 führt bisweilen in die Aporie, hat auf der anderen Seite aber auch immer wieder zu Werken geführt, die etwa mit der Bestimmung des Verhältnisses von Historiographie zu Biographie der Selbstreflexion des Historikers durchaus zuträglich sein können.3 Gerade im Bereich der an Biographien gewiss nicht armen Mediävistik sind grundsätzliche, theoretisch fundierte Überlegungen auch deswegen nicht abwegig, weil man insbesondere für das frühere Mittelalter vor Herausforderungen steht, die aus einer deutlich vormodernen Subjektkonstitution resultieren, was zum einen die Quellen für die Ziele eines modernen Biographen nur mit gewissen Anstrengungen nutzbar macht, andererseits Schwierigkeiten aufwirft hinsichtlich der „Persönlichkeit“ der Beschriebenen – schließlich liegt ja gerade dort ein besonderer Zielpunkt der Biographie, wenn sie mehr sein will als die historiographische Abarbeitung von Lebensweg und Tätigkeiten, mithin also dem, was man auch als „Leben und Werk“ betiteln könnte.

Ausgerechnet für dieses ohnehin schwierige Feld der Mediävistik hat Knut Görich in jüngerer Zeit noch auf ein weiteres Bündel von Problemen hingewiesen4, die eher grundsätzlicher Natur sind und Anstöße etwa aus der Auseinandersetzung mit Pierre Bourdieus „Die biographische Illusion“ gewinnen.5 Anliegen ist es hier, für die sicherlich immer zwischen Literatur als „schöner Kunst“ und Geschichtsforschung als empirisch verifizierbarem „Handwerk“ changierende Gattung der historischen Biographie den Anspruch der Wissenschaftlichkeit sicherzustellen. Gefährdet erscheint er aus zweierlei Sicht: Zunächst einmal kann die Beschäftigung eines Menschen mit einem anderen zu einer „natürlichen Komplizenschaft“ (Bourdieu), einer unwillkürlichen Kumpanei verleiten, also zur Aufgabe der Distanz zwischen einem Wissenschaftler und dem von ihm betrachteten Objekt führen, zugunsten einer sozusagen zwischenmenschlichen, allzu zwischenmenschlich auf subjektiver Empathie beruhenden Nähe, die fälschlich noch für Wissenschaft gehalten wird. Andererseits aber wird das Problem der Kontingenz menschlichen Handelns angesprochen, deutlich etwa in Form der Frage nach der Beurteilung von Handlungen: Wie lässt sich die Kontingenz einer Situation, der der Handelnde gegenübersteht, adäquat durch den zwangsläufig nachzeitig schreibenden Biographen denken, insbesondere bei einer Beschäftigung mit „großen Männern“, deren Handeln und Lebensleistung dem Autor als Geschichtsbild bereits vermittelt wurde? Kann der Autor von seinem Vorwissen absehen, oder wird er nicht zwangsläufig ein Vorwissen in die Beurteilung der Handlungsursachen einfließen lassen? Muss der Autor nicht zwangsläufig bis zu einem gewissen Grade die Wirkung der Handlungen in ein Handlungsziel des Protagonisten umdeuten, auch wenn dieser letztlich vielleicht nicht mehr wollte als der flügelschlagende Schmetterling, der am Ende aber einen Sturm verursacht?

Diese gewiss nicht umfassende Einleitung in ein jüngst diskutiertes Grundproblem ist insofern vonnöten, weil mit ihr recht schnell deutlich gemacht werden kann, dass es sich bei den hier zu besprechenden Werken deutlich um vergleichsweise traditionelle historische Biographien handelt. Das Erkenntnisinteresse der Autoren ist wesentlich stärker auf die Aufdeckung historischer Zusammenhänge gerichtet denn auf die Gewinnung und Vermittlung einer „Persönlichkeit“, die sich letzten Endes vielleicht, um mit Goethe zu sprechen, erahnen oder fühlen, aber nicht erjagen lässt. Dementsprechend gering fallen denn auch die methodischen be­zie­hungs­wei­se selbstreflektierenden Partien der Werke aus – tiefer gehende Erwägungen hinsichtlich der Gattung der Biographie im Allgemeinen und der gerade hierbei besonderen Rolle und Position des Autors sucht man ohne großen Erfolg. Dies ist ja auch nicht unbedingt notwendig, denn von ihrer Intention sind die Werke wohl kaum verfasst, um einen exemplifizierten Beitrag zum Genre der Biographie zu liefern. Historikern und dem interessierten „breiteren“ Publikum dürfte ohnehin der Griff zu einer historischen Lebensbeschreibug leichter fallen als zu einem Werk, das sich und seine Form reflektiert und damit Abstand zu nehmen versucht von gewohnten Erzähltechniken und Perspektiven. Und doch sind die vorliegenden Werke jeweils für sich Aussagen zum Problem des biographischen Schreibens, durch ihre Machart, durch ihren Ansatz, durch die Position, die der Autor einnimmt – eben diese Faktoren sollen im Folgenden dargestellt werden.

Die deutlich ambitionierte, zugleich auch umfangreichste Darstellung stammt aus der Feder von Johannes Fried, der selbst an anderem Ort in Anlehnung an Dilthey „die Biografie gar als höchste Form der Geschichtsschreibung, als ihre Vollendung“ bezeichnet hat.6 Um diesem hohen Anspruch nahezukommen, konzentriert sich Fried weniger auf den methodischen Zugang und dessen Versprechen von Wissenschaftlichkeit, sondern auf das grundlegende Mittel der Darstellung, die Sprache also. Das gesamte Werk ist virtuos durchkomponiert, was sich in mitunter abrupten Wechseln des Tempos, der Länge der Satzperioden, der Beschreibungsdichte ebenso zeigt wie in der Beachtung kleiner Details (man beachte allein, welche Anordnungen Karl selbst zugeschrieben werden, welche aber den von ihm geleiteten Versammlungen). Die thematisch orientierte, lose der Lebenslinie folgende Anlage des Werkes erstarrt nie im Formalismus, sondern schafft einen Rahmen, der es dem Autor erlaubt, auf die von ihm angeordneten Bestandteile so einzugehen, wie er sie für adäquat dargestellt und dramaturgisch richtig platziert hält – im Grundsatz ist das Buch einem komplexen klassischen Musikstück vergleichbar, das den Rezipienten durch eine kunstvolle Binnenstruktur, zugleich aber auch durch seine Ausführung in den Bann zu ziehen versteht. Auf diese Weise gelingt es Fried, das Leben seines Protagonisten mit seiner Zeit zu verweben und zugleich eine Epoche in ihrer Alterität und religiösen Bindung, aber auch in ihren Gleichartigkeiten dem Leser lebendig werden zu lassen. Hinter die Textur der Erzählung tritt der Autor zurück; die Schilderung ist dermaßen dicht und vereinnahmend gestaltet, dass der Leser mitunter kaum zu unterscheiden weiß, inwiefern die gerade erlangte Erkenntnis die eigene ist oder aber vom (unsichtbaren) Autor induziert. Das Problem der biographischen Empathie verschiebt sich dadurch auf die Ebene des Rezipienten. Durch den gewählten, letztlich künstlerisch-suggestiven Zugang steht das Werk im Grunde bereits jenseits der historischen Biographie; vielleicht hat sogar tatsächlich einmal der Werbetext des Verlages recht, wenn der Autor als „Meistererzähler und begnadeter Mediävist“ gepriesen wird (wobei auch umgekehrt niemand widersprechen müsste).

Die Ausrichtung der Karlsbiographie, die Stefan Weinfurter verfasst hat, ist demgegenüber vergleichsweise konventionell. Die ersten drei Kapitel stellen einen klassisch-kritischen Dreisprung dar, dessen Ziel es ist, nach Positionsbestimmung des Autors, der Diskussion der Quellen und der Schilderung der Erkenntnisprobleme durch Mythenbildung einen Zugang zu seinem Protagonisten gefunden zu haben. Entgegen der Darstellung Frieds wird das Werk Weinfurters deutlich durch einen bereits früh entwickelten (S. 15–19) Grundgedanken gelenkt und bestimmt: Das Handeln Karls und seines Umfeldes sei dem Streben nach Eindeutigkeit verpflichtet gewesen; das Werk christlich fundierter „Vereindeutlichung“ sei zu verstehen als „höchster Anspruch auf Deutungshoheit“ (S. 19) – was einen Unterschied zu säkularer „Vereinheitlichung“ markiert, die in manchen Bereichen ebenfalls angestrebt wurde, aber sich jenseits des diskursiven Bereichs im unmittelbaren Zugriff auf die Institutionen und ihre Normen manifestiert. Das Fortschreiten all dieser Bemühungen wird entlang des Lebensweges Karls erzählt, thematisch gebündelt, wobei der Darstellung der intellektuellen Tätigkeiten im souverän knapp gehaltenen Kapitel 9 eine Schlüsselstellung zukommt (S. 178–204). Am Schluss folgt eine überraschende Wende dergestalt, dass Karls letzte Lebensjahre, gemeinhin interpretiert als sowohl persönliche als auch systemische Krise, nunmehr gedeutet werden als der Moment letzter persönlicher Einsicht. Aus diesem grundlegenden Perspektivwechsel Karls habe eine Wende resultiert, vom Streben nach diskursiver Vereindeutlichung in der Gesellschaft hin zu einer persönlichen, reinen und allein innerlichen christlichen Identität; nicht mehr die Welt, die Persönlichkeit habe es fortan zu formen und bilden gegolten, bis sich diese dann als „eindeutig“ christlich erwiesen habe, mithin: moralisch fundiert, jenseits der Zweifel, im Glauben fest. Diese „Wahrheit des Herzens“ steht also am Ende des Lebens; ein Vergleich mit den Überlegungen, die Frieds Karl als Suche nach dem „echten Maß der Seele“ (vgl. S. 29f.) leiten – jedoch bereits deutlich früher –, bietet sich an. Mit Weinfurters Buch steht eine thesengeleitete historische Deutung, die von einem argumentierenden Autor vertreten wird, der literarischen Schöpfung eines Johannes Fried gegenüber, deren beinahe unsichtbarer Autor eher nahelegt denn behauptet.

Ganz anders wiederum erscheint die Herangehensweise Steffen Patzolds, der ganz deutlich die eigene Wissbegier in das Zentrum der Autorenhaltung stellt. In seiner Annäherung an seinen Protagonisten Einhard schwankt er zwischen einem übertrieben Respekt auf der einen Seite, so etwa in den kurzen Überlegungen hinsichtlich des notwendigen konstruktiven Anteils eines Autors (S. 17–19 und S. 287–289; vgl. etwa S. 288: „Darf ich das? Darf ich in Einhards Kopf kriechen?“), während ihm ansonsten die Neugier eine ausreichende Rechtfertigung für eine gänzlich distanzlose Annäherung zu sein scheint, wenn er sich etwa bereits im ersten Satz des Vorworts (S. 9) dazu bekennt, gerne mit Einhard bei einem Becher Milchkaffee seine Zeit zu verplaudern. Hier geht es dann letztlich nicht mehr um die adäquate Erfassung einer historischen Persönlichkeit – sei sie literarisch oder konzeptionell unternommen – , sondern es wird um Empathie mit dem Autor geworben, der dem ebenfalls wissbegierigen Leser durch diese Wendung nach außen in einer Art captatio benevolentiae begegnet. Der Leser hat denn auch Teil an der Hypothesenbildung des Autors – offene Fragen werden als solche gestellt und nicht beantwortet, die immer wieder eingesetzten Auslassungspunkte legen Schlussfolgerungen nahe oder zeigen Grenzen der erlaubten Spekulation. Kurze Sätze, selten durch einen Relativsatz erweitert, sorgen für einen dichten Hintergrund, vor dem der Autor Einhard agieren lässt – zumindest nach dem Tode Karls, denn vorher ist über Einhard aufgrund der Quellenlage nicht viel Neues zu erfahren. Der eigentliche Schwerpunkt liegt verständlicherweise auf der Zeit nach 814, als Einhard sowohl als Abt als auch als immer wieder herangezogener Berater fungierte. Als Quellengrundlage dient Patzold Einhards Bericht über die Translatio der Heiligen Marcellinus und Petrus, die durchaus fruchtbar gemacht wird für die Verhaltensweisen und Abwägungen eines sanctorum amator, als der Einhard vornehmlich gezeichnet wird (S. 129–232). Damit stehen weder Karl noch der Höfling im Zentrum, entgegen dem Versprechen des Titels. Natürlich darf im Buch auch eine Aussage zur Vita Karoli nicht fehlen – Patzold entscheidet sich hinsichtlich des Abfassungszeitpunktes für das Frühjahr 829 (S. 193–205) und sieht die Intention im Bestreben Einhards, sich elegant vom Hof und den Streitigkeiten im Reich zu lösen –, doch erscheint sie wie auch die politische Gedankenwelt Einhards gleichsam wie ein Nebenprodukt eines Lebensweges, der in erster Linie bestimmt erscheint durch die Religiosität des Protagonisten.

Letztlich finden alle drei Werke an eben diesem Punkt ihren gemeinsamen Nenner: Allen drei Autoren ist ihr Protagonist ein Vertreter einer religiös determinierten Lebenswelt, die jedoch durchaus unterschiedliche Lebenswege zulässt. Jeder Autor hat seinen eigenen Weg gefunden, jeweils eine große Leistung mit einem in sich stimmigen Werk vollbracht. Fortschritte hinsichtlich einer Grundtendenz oder eines generellen Ansatzes, wie die Beschreibung eines vormodernen Lebens anzugehen sei, sind dabei nicht zu verzeichnen – zu individuell ist der Zugriff der Autoren, zu dehnbar die Form der Lebensbeschreibung. Deutlich spürbar ist zudem das Bemühen, den Menschen der Karolingerzeit und sein Handeln in den religions- und bildungsgeschichtlichen Schwung der Zeit zu stellen, auf die Gefahr hin, die Meistererzählung nations- oder volksbildender Helden zu ersetzen durch ihre Verankerung in einer westlich-alteuropäisch fundierten Bildungsgeschichte.7 All dies ist sicherlich nicht unberechtigt, zumindest diskutabel und per se keineswegs ein Negativum, doch ergibt sich daraus der Hinweis, dass auf dem Feld der Biographie vormoderner Protagonisten durchaus noch Herausforderungen bestehen bleiben.

Anmerkungen:
1 Nicht berücksichtigt wurde das Werk von Karin Schneider-Ferber, Karl der Große. Der mächtigste Herrscher des Mittelalters, Darmstadt 2013.
2 Vgl. etwa den Sammelband von Bernhard Fetz (Hrsg.), Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie, Berlin 2009.
3 So etwa bei Jacques Le Goff, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000.
4 Knut Görich, Versuch zur Rettung von Kontingenz. Oder: Über Schwierigkeiten beim Schreiben einer Biographie Friedrich Barbarossas, in: Frühmittelalterliche Studien 43 (2009), S. 179–198; diese konzeptionellen Gedanken finden sich wieder in: Ders., Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011; vgl. hierzu meine Rezension in: Historische Zeitschrift 297 (2013), S. 175–178.
5 Pierre Bourdieu, Die biographische Illusion, in: Ders. (Hrsg.), Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt am Main 1998, S. 75–83; das folgende Zitat auf S. 76.
6 Die Zeit, Ausgabe 2, 14.01.2014; im Internet abzurufen unter <http://www.zeit.de/2014/02/karl-der-grosse-biografie-johannes-fried> (18.12.2014).
7 In diesem Sinne Charles West, Rezension von: Johannes Fried, Karl der Große. Gewalt und Glaube. Eine Biographie, München 2013, in: Francia-Recensio 2014/2, <http://www.perspectivia.net/content/publikationen/francia/francia-recensio/2014-2/MA/fried_west> (18.12.2014).

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