Titel
Contested Frontiers in the Balkans. Ottoman and Habsburg Rivalries in Eastern Europe


Autor(en)
Marin, Irina
Reihe
Library of European Studies
Erschienen
London 2012: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
228 S., Kartenteil.
Preis
£54.50 / € 68,89
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Ioannis Zelepos, Institut für Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik, Ludwigs-Maximilians-Universität München

Diese Monographie behandelt die Entwicklung des Banats von Temeswar als historischer Region vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Wie die Verfasserin in der Einleitung betont, soll dabei eine essentialisierende Darstellung vermieden werden; vielmehr geht es um einen exemplarischen Zugang zur Untersuchung von Herrschaftsformen, Grenz- und Raumordnungen sowie Multiethnizität in makrohistorischer Perspektive. Das Banat fungiert dabei gleichsam als Brennglas für Ostmittel- und Südosteuropa als einem spezifischen Geschichtsraum, wobei die Wahl dieses Gebiets in der Absicht erfolgte, ein Gegengewicht zu der in regionalgeschichtlichen Studien dieser Art dominanten Fokussierung auf Krisengebiete wie zum Beispiel Bosnien oder Kosovo zu schaffen, die, so das Argument der Verfasserin, selektive Wahrnehmungen fördere und (S. 2) „ongoing myths about East-Central Europe as a place of tribal nationalisms and ancient ethnic hatreds“ verstärke.

Die Darstellung beginnt mit einer kurzen Skizze zu Herrschaftsstruktur und wandelbaren Gebietszugehörigkeiten im mittelalterlichen Königreich Ungarn (S. 4–7). Es folgt ein Kapitel zur osmanischen Periode (S. 8–20), in dem nach einer allgemeinen Charakterisierung der osmanischen Eroberung und Herrschaft die heterogene Struktur der ungarischen Besitzungen, die verwaltungstechnische Neustrukturierung, osmanische Kultur in den befestigten Städten, Migrationsbewegungen im Zuge der Türkenkriege des 17. Jahrhunderts und schließlich Nachwirkungen bzw. Vermächtnisse behandelt werden. Der anschließende Abschnitt (S. 21–38) behandelt die Einverleibung des Gebiets durch die Habsburger und die Verfestigung ihrer Herrschaft im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der organisatorischen Neugliederung, mit der das Banat als Provinz erschaffen wurde, sowie dem besonderen rechtlichen und verwaltungstechnischen Status der Militärgrenze. Weitere Schwerpunkte liegen auf der Darstellung der heterogenen und in permanentem Wandel befindlichen Bevölkerungsstruktur (S. 25ff.: „Demographic Quicksand“) sowie der staatlichen Kolonisierungs- und Entwicklungsmaßnahmen. Die beiden folgenden Abschnitte sind den im Banat lebenden Bevölkerungsgruppen in vornationaler Zeit gewidmet: Im Kapitel „Orthodox Peoples“ (S. 39–50) liegt der Schwerpunkt dabei auf der Nachzeichnung illyrisch-raszisch-serbischer sowie walachisch-rumänischer Identitätsdiskurse im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert; diese bewegt sich in den Bahnen von Emanuel Turczynskis „Konfessionsnationalismus“1, der in der ansonsten durchweg gut sortierten Verweisbibliographie erstaunlicherweise fehlt. Das Kapitel „The Privileged and the Tolerated“ (S. 54–66) behandelt die Ansiedlung der Donauschwaben und ihre Konstituierung als sozioprofessionelle Gruppe, die habsburgische Toleranzpolitik gegenüber Juden und Griechen/Aromunen als Teil des staatlichen Entwicklungsprogramms sowie den Umgang mit Roma. Das folgende Kapitel (S. 67–83) behandelt die 1848/49er-Revolution im Banat unter besonderer Berücksichtigung der Widersprüchlichkeiten, die der demokratischen Forderung nach Freiheit und Gleichheit in konkreten Kontexten innewohnten; es folgt eine Skizze der staatlichen Modernisierungspolitik im Banat vom Ende der Revolution bis zum Ausgleich, sowie im nachfolgenden Kapitel eine Darstellung des Verfassungsgebungsprozesses und seiner Rückwirkungen im Banat, darunter insbesondere dessen Unterstellung von Wien nach Budapest; behandelt werden ferner die Ausformung des Konzepts der Staatsbürgerschaft sowie die Wechselbeziehungen von Liberalismus und Nationalismus im Zeitalter fortschreitender Nationalisierung und vor dem konkreten Hintergrund der Magyarisierung. Es folgt ein kurzes Kapitel zum Ersten Weltkrieg mit Schwerpunkt auf der Betrachtung der Loyalitäten serbischer und rumänischer Banater gegenüber der Monarchie sowie der Teilung dieses Gebietes nach deren Zusammenbruch. Dementsprechend geht der nachfolgende Text zunächst zu Paralleldarstellungen über: Im Kapitel „Das Banat in Jugoslawien“ (S. 110–124) liegen die thematischen Schwerpunkte auf Theorie und Praxis von Minderheitenrechten in der Zwischenkriegszeit, sozialen Implikationen der Agrarreform, der wachsenden politischen Orientierung der Donauschwaben an das Deutsche Reich sowie der Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs. Die Verfasserin betont dabei insbesondere den Zusammenhang zwischen dem Zusammenbruch von staatlicher Ordnung und dem Aufkommen ethnischer Konflikte, die nicht aus sich selbst heraus existierten, sondern durch spezifische Umstände generiert würden – eine sehr überzeugende Argumentation, die im letzten Kapitel des Buches anlässlich eines Vergleichs der multiethnischen aber friedlichen Vojvodina mit Bosnien und Kosovo während der jugoslawischen Zerfallskriege erneut aufgegriffen wird. Im Kapitel „Das Banat in Rumänien“ (S. 125–139) wird der Prozess der institutionellen und gesellschaftlichen Integration des Banats und seiner Bevölkerung in den rumänischen Nationalstaat behandelt, wobei ein Fokus auf der prekären Situation von Minderheiten und insbesondere Juden vor dem Hintergrund nationaler Ausgrenzung im Zusammenhang mit der Legionärsbewegung liegt. Die Paralleldarstellung wird in den beiden nachfolgenden Kapiteln „The Communist Experience“ (S. 140–155) und „Exit from Communism“ (S. 156–171) von einem kontrastierenden Vergleich der ungleichen Entwicklungspfade des rumänischen und jugoslawischen Realsozialismus in ihren Auswirkungen auf das Banat abgelöst. Systemkrise und Niedergang werden anhand von Milošević und Ceaușescu behandelt, wobei die Bedeutung der 1989er-Proteste von Timișoara für den Sturz des letzteren betont wird. Das Schlusskapitel „War and Democracy: The Banat after 1989“ (S. 172–182) ist dagegen einer Betrachtung der Vojvodina während der Bosnien- und Kosovokriege der 1990er-Jahre sowie einigen Bemerkungen über die Zukunftsperspektiven des Regionalismus unter EU-Vorzeichen gewidmet, die zugleich als Ausblick fungieren. Eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse schließt das Buch ab.

Irina Marins Monographie „Contested Frontiers in the Balkans“ besticht durch ihren sehr gut durchdachten methodologischen Ansatz, der sich als wegweisend für einen alternativen Zugang zur Geschichte Südosteuropas (wie auch anderer Regionen) erweisen könnte, welcher sich von kulturologischen Projektionen emanzipiert und frühneuzeitliche Gegebenheiten nicht lediglich als vormoderne Folie für Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts verwendet, sondern als integralen Bestandteil der historischen Betrachtung behandelt. Die Arbeit, die sich als Einführung in Form einer „synoptic narrative“ (S. 3) versteht, zeichnet sich im Übrigen durch eine übersichtliche Organisation des Stoffes und hohe inhaltliche wie sprachliche Stringenz aus, die keine Redundanzen zulässt und den Text zu einer attraktiven Lektüre macht. Der gekonnte Einsatz von sprechenden Quellenzitaten, darunter auch Belletristik und Reisepublizistik, stellt gemeinsam mit den verschiedenen kulturgeschichtlichen Verweisen – zum Beispiel dem Miniatur-Exkurs über die Flussinsel Ada Kaleh (S. 153f.) – einen weiteren Vorzug dieser Arbeit dar. Ein kleiner Kritikpunkt ergibt sich lediglich aus der etwas unglücklichen Wahl des Untertitels „Ottoman and Habsburg Rivalries in Eastern Europe“ der angesichts der hier behandelten Materie deutlich zu kurz greift und in Kombination mit dem Porträt von Prinz Eugen auf dem Buchumschlag sogar etwas irreführend wirkt.

Anmerkung:
1 Emanuel Turczynski, Konfession und Nation. Zur Frühgeschichte der serbischen und rumänischen Nationsbildung, Düsseldorf 1976.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/