H. Förster u.a. (Hrsg.): Umweltgeschichte(n)

Cover
Titel
Umweltgeschichte(n). Ostmitteleuropa von der Industrialisierung bis zum Postsozialismus


Herausgeber
Förster, Horst; Herzberg, Julia; Zückert, Martin
Reihe
Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum 33
Erschienen
Göttingen 2013: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
346 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Krzoska, Justus-Liebig-Universität Gießen

Alles BIO oder was? Blickt man auf die gesellschaftlichen Veränderungen in den westlichen Gesellschaften seit den 1970er-Jahren, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir es mit einem radikalen Paradigmenwechsel nicht unerheblicher Teile der Bevölkerung zu tun haben, was ihre Vorstellungen von Leben, Gesundheit und Ernährung angeht. Vor allem in den Vereinigten Staaten, wo das Interesse für die vermeintlich unberührte Natur nie ganz verloren gegangen ist, fand dies rasch auch seinen Niederschlag in den Natur- und Kulturwissenschaften. Mittlerweile ist dort die Beschäftigung mit Fragen der Umwelt Teil einer breiter verstandenen Bewegung geworden, die die Rolle des Menschen in Geschichte und Gesellschaft relativiert und nach Möglichkeiten für ein neues, posthumanes Zeitalter sucht, in dem menschliche und nicht-menschliche Tiere, aber auch Pflanzen und Dinge/Stoffe in ein philosophisches Beziehungsgeflecht eingefügt werden.

Die deutschen Kulturwissenschaften haben sich mit diesem Themenfeld lange sehr schwer getan und bis heute herrscht hier – ähnlich wie in den gender studies oder den human-animal studies – einiger Nachholbedarf. Noch dramatischer sieht es in einer Region aus, die gemeinhin als Osteuropa bezeichnet wird. Dort, wo trotz erheblicher Umweltbelastungen die gesellschaftliche Relevanz von Natur- und Menschenschutzfragen kaum messbar ist, steckt die wissenschaftliche Auseinandersetzung noch in den Kinderschuhen. Wenn überhaupt, tritt sie häufig im Gewande einer stark vereinfachenden Totalitarismuskritik auf, bei der Umweltschützer pauschal als antikommunistische Oppositionelle vereinnahmt werden. Auf der anderen Seite sind zumindest in Bezug auf die Sowjetunion die staatlichen Allmachtsphantasien teilweise gut aufgearbeitet worden.1

Ähnlich wie bei der Beschäftigung mit den sich in der Phase ihrer Spätblüte befindenden Erinnerungskulturen längst üblich, gibt es nun aber auch hier Versuche einer regionalen – und epochalen – Aufarbeitung. In diesem Kontext muss der hier anzuzeigende Sammelband gesehen werden, der aus der Jahrestagung des Collegium Carolinum 2010 in Bad Wiessee hervorgegangen ist und dessen geographischer Schwerpunkt daher ganz zwangsläufig auf der Geschichte der Böhmischen Länder liegen muss. Die Herausgeber haben den Band vorsichtshalber mit dem Titel „Umweltgeschichte(n)“ versehen, vermutlich weil ihnen bewusst war, dass sie einen wie auch immer gearteten Ganzheitsanspruch bzw. die Schaffung einer Meistererzählung für die Region Ostmitteleuropa nicht einlösen können. Diese Vorsicht war berechtigt, schaut man sich die im Buch versammelten Beiträge etwas genauer an.

Wenn man den Anspruch erhebt, ein thematisches Feld fachintern zu besetzen, so ist es dafür sicherlich notwendig, eine Positionierung mittels wie auch immer gestalteter, aber programmatischer Einleitungen vorzunehmen. Im Falle des vorliegenden Bandes wird die so titulierte Einleitung einer solchen Erwartungshaltung nicht gerecht. Früh wird klar, dass das staatssozialistische System als letztlich einzige Folie verwendet wird, um den Raum Ostmitteleuropa für die Behandlung umweltgeschichtlicher Fragen kohärent zu fassen. Was unter jenem „sozialistischen Weg“ in der Umweltpolitik (S. 1) überhaupt zu verstehen ist, bleibt leider unerklärt. Zweifellos werden wichtige Fragen angesprochen, solche nach Infrastruktur und Landschaftswandel, Zeithorizonten und konkreten Zielen. Der naheliegende Ausgangspunkt einer Analyse von Akteuren oder Strukturen wird nicht übernommen.

Im zweiten Einführungsbeitrag umreißt Julia Herzberg die regionalen Spezifika Ostmitteleuropas und stellt eine Reihe wichtiger Frage. Ausgehend von der spitzen, aber nicht ganz falschen Bemerkung des australischen Geographen Joseph Powell, Umweltgeschichte sei wie Belgien, sie beruhe nur auf einer kollektiven Vorstellung der Beteiligten, entwickelt sie drei methodische Ansätze, die empirisch-analytische, kultur- und ideengeschichtliche sowie politisch-gesellschaftliche Aspekte in den Vordergrund stellen. Mit der Forderung, Umweltgeschichte als regionale oder transnationale Geschichte zu betreiben, rennt sie offene Türen ein, schwierig wird es aber dann, wenn sie dies auf die Geschichte Ostmitteleuropas zu übertragen versucht, die sie für das 20. Jahrhundert – recht mutig – als ökologische Erfahrungsgemeinschaft verstehen will (S. 16). Letztlich ist es aber doch nur wieder die kurze Zeitspanne zwischen 1945 und 1989, für die das Konzept des Buches ansatzweise trägt. Vermutlich hätte man noch stärker betonen können, dass die blockübergreifenden Unterschiede zumindest in den 1950er- und 1960er-Jahren in Umweltfragen gar nicht so groß waren, aber es ist sicherlich zutreffend, dass die westlichen Diskurse zur sozialistischen Umweltverschmutzung einem klassischen othering dienten, wie wir es schon aus den Rückständigkeitsdebatten früherer Jahrhunderte kennen. Hier wäre es freilich sinnvoll, nicht nur die staatliche Ebene in den Blick zu nehmen, sondern auch die versprengten und marginalisierten gesellschaftlichen Diskussionen. Am Ende des Beitrages bleiben völlig zu Recht auch bei Herzberg selbst gewisse Zweifel am geographischen Rahmen Ostmitteleuropa spürbar.

Das Problem des vorliegenden, wie ja vieler Sammelbände, ist in erster Linie die Kombination von Anspruch, Umsetzung und Qualität der einzelnen Beiträge. Während manche von ihnen sich sehr detailliert und kompetent mit speziellen Fragen der Umweltgeschichte auseinandersetzen, stellen andere nur Entwürfe laufender Projekte dar oder versprechen im Titel mehr als sie letztlich zu leisten imstande sind. Zweifellos ist dafür auch der ja im Grunde gewünschte interdisziplinäre Ansatz verantwortlich. Es zeigt sich dabei aber das allgemeine Problem, dass die eher naturwissenschaftlich geprägten Texte oftmals nicht die kulturwissenschaftlich notwendige Reflexionsebene erreichen, sondern sich an einer vermeintlich sicheren Faktographie festhalten.

Anhand von Martin Zückerts Überlegungen zum Thema Infrastrukturen lässt sich zeigen, wie eine quellengestützte Analyse eines speziellen Beispiels – hier der Planungen zur Wasserversorgung der Tschechoslowakei nach 1945 – beide Ebenen sinnvoll miteinander verbinden kann. Selbst wenn man die Prämisse nicht teilt, Länder wie Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und die spätere DDR hätten partielle Ähnlichkeiten bei den Ausgangsbedingungen vor dem Zweiten Weltkrieg aufgewiesen (S. 32), wird in dem Beitrag sehr gut deutlich, wie verschiedene Aspekte einer staatlichen Infrastrukturpolitik miteinander interagierten und wie schwierig es in der umweltgeschichtlichen Forschung ist, unsere gewohnten Chronologien und Epochenbrüche aufrecht zu erhalten. Der Beitrag von Eva-Maria Stolberg zu Weichsel und Oder hingegen fällt vor allem durch oberflächliche Bewertungen und Detailfehler auf. Weder Oder noch Weichsel waren seit dem 19. Jahrhundert Metaphern für nationale Abgrenzung, die Oder war im 10. Jahrhundert nur bedingt Westgrenze des Polanen-Staates, Polen schloss nie Litauen seinem Staat an, die Vorstellung von der Oder als polnische Westgrenze war vor 1945 niemals populär, Zygmunt Wojciechowski kämpfte nie in den Legionen Piłsudskis, sondern meldete sich lediglich 1917 zum Polski Korpus Ochotniczy, kam jedoch nicht zum Einsatz usw.

Methodisch herausragend und durch seine blockübergreifenden Verflechtungen besonders innovativ fällt Dóra Drexlers Text zu den Unterschieden einer Kulturgeschichte von Landschaft in England, Frankreich, Deutschland und Ungarn aus, der ausgehend von semantischen Analysen ein breit gefächertes Bild von vor allem frühneuzeitlichen kulturellen Diskrepanzen zeichnet. Hier stellt sich lediglich die Frage, was das Thema eigentlich mit Umweltgeschichte zu tun hat. Dass Umweltgeschichte auch ohne einen wie auch immer verstandenen ökologischen Ansatz auskommen kann und dann der klassischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte näher steht, demonstrieren Nicholas Orsillos Ausführungen zur landwirtschaftlichen Drainage in der Nachkriegstschechoslowakei. Bei der allgemeinen Begeisterung für Bodenmeliorationen, die staatliche Planer und ansässige Bevölkerung zugleich erfasste – und die man so oder ähnlich auch in anderen politischen Systemen beobachten konnte – scheiterte die Umsetzung letztlich auch an der fehlenden Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei den interessegeleiteten Maßnahmen vor Ort.

In der Mitte des Buches gleichsam versteckt stehen Frank Uekötters Anmerkungen zu einem spezifisch osteuropäischen Umweltschutz, die als eigentliche Einleitung des Bandes hätten dienen können und den geeignetsten Ausgangspunkt für weitere Forschungen darstellen. Er beginnt schonungslos mit dem Hinweis, dass der Umweltschutzbegriff meist viel zu weit, mitunter aber auch zu eng gefasst werde und dass seine Definition letztlich immer auch von gesellschaftlichen Determinierungen der jeweiligen Gegenwart abhänge. Überhaupt werde all das, was man zum Umweltschutz im Westen sagt, weitgehend hinfällig, wenn man den Blick östlich des Eisernen Vorhangs richtet (S. 242). In der Tat sind ja die Widersprüche zwischen sozialistischem Naturschutz mit Verfassungsrang und sozioökonomischer Realität, zwischen Nationalisierung von Umweltschutzbewegungen und behördlicher Willkür offensichtlich, ohne dass bisher generelle Erklärungsansätze hierfür gefunden wurden. Lohnend könnte hier Uekötters Hinweis zu weiterführenden Detailstudien zur Umweltbürokratie sein. Warum aber war in angeblich totalitären Systemen – eine Formulierung, die man im Text findet – ein teilweise recht offener Diskurs über Umweltfragen überhaupt möglich? Waren die daran mitwirkenden Akteure wie Naturwissenschaftler, Schriftsteller oder Journalisten derart marginalisiert, dass sie kein Risiko für die Staatsmacht darstellten? Vermutlich wäre es in der Tat hilfreich, die jeweiligen Argumentationslinien zu analysieren. Gefährlich wurde es nämlich häufig erst dann, wenn auf ökologische Vorbilder aus dem Westen rekurriert wurde, während der Bezug auf die eigenen Gesetze in der Regel zulässig war. In kultureller Hinsicht fragt Uekötter nach etwaigen osteuropäischen wilderness-Konzepten. Hier ergibt sich eine weitere Anknüpfungsmöglichkeit, die die unkritische Übernahme westlicher Modelle einerseits vermeidet, andererseits aber auch nicht einer weiteren Orientalisierung das Wort redet.

Jana Piňosovás Untersuchung der tschechoslowakischen Naturschutzbewegung der Zwischenkriegszeit bietet einen anderen Ansatzpunkt, nämlich eine klassische, archiv- und literaturgestützte Analyse gesellschaftlicher Veränderungsprozesse am Beispiel von Organisationsformen. Hierbei wird ähnlich wie im vorausgehenden Text von Martin Pelc zum Tourismus in Böhmen vor 1945 schnell deutlich, dass die Aktivitäten einzelner Personen die unabdingbare Voraussetzung für strukturellen Wandel waren; und wie umgekehrt das Verschwinden solcher Leitfiguren auch die Sache selbst zum Scheitern bringen konnte.

Alles in allem liefert der Band eine Reihe von Anregungen und mehr oder weniger gut recherchierten Detailstudien, insbesondere zu den böhmischen Ländern. Gleichwohl kann er aber nicht immer das leisten, was sich das Team der Konferenzmacher und Herausgeber vermutlich davon versprochen hatte, nämlich breitere methodische und inhaltliche Grundlagen für eine dem Modell der area studies folgende Umweltgeschichte Ostmitteleuropas zu schaffen.

Anmerkung:
1 Klaus Gestwa, Die Stalinschen Großbauten des Kommunismus. Sowjetische Technik- und Umweltgeschichte 1948–1967, München 2010; Paul Josephson u.a., An Environmental History of Russia, Cambridge 2013, S. 71ff.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch