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Titel
Der Fall Roms. Die Auflösung des Römischen Reiches im Urteil der Nachwelt


Autor(en)
Demandt, Alexander
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
719 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich um die „erweiterte und aktualisierte Neuauflage“ dieses erstmals 1984 unter demselben Titel erschienenen Werkes, in dem Alexander Demandt die Erklärungen für die Auflösung des römischen Imperiums und die Deutungen des Untergangs der antiken Kultur durch Historiker, Philosophen, Nationalökonomen, Publizisten und Politiker umfassend untersucht und bewertet. Demandts „Fall Roms“ avancierte zu einem Standardwerk für die Theorien zum Untergang dieses Großreiches, war jedoch schon seit längerem nicht mehr lieferbar, so dass diese Neuauflage sehr zu begrüßen ist. Da sich die Abweichungen gegenüber dem Haupttext der häufig rezensierten ersten Auflage indes in engen Grenzen halten, kann Referat und Kritik des Inhaltes an dieser Stelle ausbleiben1; der Rezensent konzentriert sich vielmehr auf die Überarbeitungen und Ergänzungen.

Die Änderungen der Neuauflage lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen wurde der Text der ersten Auflage an einigen Stellen korrigiert und modifiziert, zum anderen wurde in einem am Schluss angefügten Ergänzungskapitel zusätzliches Material eingearbeitet. Die Abweichungen im ursprünglichen Text haben auf diesen aber nur marginalen Einfluss. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Seitenzahl des Haupttextes (S. 13–624) unverändert geblieben ist. Entweder handelt es sich um die Verbesserung kleinerer Versehen (so etwa zum Schaubild S. 551 oder den etwas merkwürdig platzierten Korrekturzusatz im Literaturverzeichnis zu Diesner S. 652) oder um Präzisierungen: So wird der S. 13 angeführte Vergleich Roms mit einem Gewässer nun nicht mehr auf Ranke zurückgeführt, sondern Aelius Aristides als Quelle benannt, dem Ranke folgte. Ob die S. 13 getätigte Änderung, nach der „die von Byzanz geprägten Slawen […] ihre Verbindung zum Imperium“ nicht (wie noch in der Erstauflage) „durch die Idee vom Dritten Rom“, sondern durch die vom „Dritten Reich“ bezeugen, als geglückt anzusehen ist, sei dahingestellt. Ab und an kommt es vor, dass durch die unterschiedlichen Zeitumstände in den Jahren 1984 und 2014 eine Passage ihre Bedeutung verändert, ohne sie zu verlieren: Besonders gut ist dies S. 337f., Anm. 16 zu sehen, in der Demandt über seine Erfahrungen mit dem ostdeutschen Verlagswesen berichtet, die er als geplanter Verfasser eines Geleitwortes für die westdeutsche Lizenzausgabe von Hans-Joachim Diesners „Völkerwanderung“ machte. Was 1984 ein Aspekt der DDR-Kritik war, ist nunmehr – wie auch das gesamte Kapitel zur Forschung des Ostblocks (S. 316–346) – eine interessante Quelle für die Erforschung der deutschen Zeitgeschichte.

Drei zusätzliche Bestandteile wurden der Neuauflage beigegeben: ein fünfzehn Zeilen umfassendes Vorwort zur Neuauflage (S. 12), das dem beibehaltenen der Erstauflage folgt, eine Reihe von Ergänzungen (S. 625–639) und ein dazugehöriges Literaturverzeichnis (S. 685–691). In den Ergänzungen werden etwa 200 Texte (das zugehörige Literaturverzeichnis nennt sogar genau 200 Titel, wenn man die ebenfalls angeführte Erstauflage des „Fall Roms“ und den Querverweis „Merkur s. Bohrer“, S. 689, auslässt) behandelt, die laut Demandt „vermutlich zwei Drittel aller nachzutragenden Thesen zum Thema“ (S. 625) bilden. Wie bereits in der Erstauflage wird auch ausgiebig das Schrifttum berücksichtigt, welches nicht aus der Feder professioneller Historiker stammt. Der Schwerpunkt liegt auf Werken, die in den letzten dreißig Jahren erschienen sind, allerdings werden auch zuvor übergangene ältere Schriften (vgl. vor allem S. 632) sowie antike und mittelalterliche Quellen (S. 626f.) ergänzt. Die Präsentationsform entspricht der sonstigen des Buches: Die Ergänzungen sind nach Kapiteln geordnet und geben kurze Zusammenfassungen zum Inhalt der einzelnen erörterten Werke. Insgesamt wächst die Zahl der Faktoren für den Untergang Roms von 210 auf 227 an (S. 638f., siehe auch die an sich unveränderte, aber mit einer zusätzlichen Bemerkung versehene Liste S. 719).

Zu diesen Ergänzungen sind einige kritische Punkte anzumerken: So scheint die Literaturliste etwas überhastet angefertigt worden zu sein. Von den Rezensionen der Erstauflage wurde ein nicht unbedeutender Teil (zwölf von bislang 28 ermittelten) übergangen2, zumal nicht klar wird, nach welchem Prinzip Besprechungen aufgenommen oder nicht aufgenommen wurden. Auch wäre es vielleicht ergiebiger und übersichtlicher gewesen, diesen Rezensionen einen eigenen Abschnitt mit Antworten auf die geäußerte Kritik zu widmen. Demandts Zitiersystem wechselt immer wieder relativ willkürlich.3 Die im alten Literaturverzeichnis stets voll angegebenen Seitenangaben von Aufsätzen werden nunmehr in den Ergänzungen nur noch mit „ff.“ benannt – und manchmal fehlt selbst dies (S. 688 zu Klein). Auch kleinere Druckfehler sind nicht ausgeblieben.4 Der Übersicht dienlich ist dagegen die in der neuen Literaturliste durchgeführte Anordnung „Nachname, Vorname“. Wie sich an einigen Stichproben schnell ersehen lässt, deckt der Registerteil (S. 693–718) nur den Text der Erstauflage, nicht aber den der Ergänzungen ab, für den keine eigenen Indices erstellt wurden. Aber auch dieses Register ist vollkommen unverändert geblieben (siehe den bereits in der Erstauflage auftretenden Druckfehler „308!“ S. 694 = S. 670 der Erstauflage zu Arnheim), Abweichungen zum Text der Erstauflage sind also nicht berücksichtigt; der nun S. 13 genannte Aelius Aristides etwa ist nicht aufgeführt.

Wie man Demandts Werk beurteilt, hängt davon ab, welche Erwartungen man an eine Neuauflage richtet. Wer in Anbetracht der reichhaltigen und durchgehenden Ergänzungen in der Neuauflage seines verdienstvollen Spätantike-Handbuchs5 eine ebenso überarbeitete Fassung des „Fall Roms“ erhofft hat, wird enttäuscht. Selbst die vielen Ergänzungen werden nicht darüber hinwegtrösten, da Demandt selbst darauf hinweist, dass „neue Grundsatzerkenntnisse kaum zu verzeichnen“ sind (S. 625). Folglich meint Demandt: „Die Typologie von 1984 mußte nicht erweitert werden“ (S. 626). Worin liegt nun der Wert der Neuauflage? Es ist nicht zu bestreiten, dass Demandts „Fall Roms“ sich als außergewöhnlich reiche Materialsammlung und Untersuchung zu den Theorien über den Untergang des Römischen Reiches hervorragend bewährt hat; dies zeigt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass den Ergänzungen keine wesentlichen Neuerungen abzuringen waren. Die Neuauflage dieses verdienstvollen Werkes ist also in jedem Fall positiv zu bewerten; gesteigert wird ihr Wert nochmals durch die Ergänzungen, welche trotz einiger formaler Probleme die fachliche Qualität erweisen, die von einem Werk Demandts zu erwarten ist. Wer bereits ein Exemplar der Erstauflage besitzt, wird somit auch weiterhin mit diesem arbeiten können. Die Neuauflage unterstreicht aber noch einmal den bleibenden Wert dieses wichtigen Buches.

Anmerkungen:
1 Die meisten Besprechungen beurteilen dieses Werk trotz einzelner Einwände klar positiv, als wichtigste sind zu nennen: Géza Alföldy (Die Krise des römischen Reiches, Stuttgart 1989, S. 464–490), Karl Christ (Historische Zeitschrift 240, 1985, S. 641–647), Émilienne Demougeot (Revue des études anciennes 90, 1988, S. 423–435), Hans-Joachim Diesner (Deutsche Literaturzeitung 105, 1984, Sp. 1004–1006; Gnomon 57, 1985, S. 42–47), Leonhard Schumacher (Gymnasium 93, 1986, S. 365–367), Ingomar Weiler (Grazer Beiträge 12–13, 1985–1986, S. 390–398) oder Gerhard Wirth (Bonner Jahrbücher 186, 1986, 789–795). Negativere Urteile finden sich lediglich bei Alfred Heuss (Merkur 39, 1985, S. 65–70) und insbesondere bei Peter R. Ghosh (Journal of Roman Studies 75, 1985, S. 256f.).
2 Vor allem wären noch zu ergänzen die Besprechungen von Jürgen Adam (Byzantion 54, 1984, S. 713–716), Richard Ira Frank (American Historical Review 90, 1985, S. 115) und Frank Kolb (Archiv für Kulturgeschichte 71, 1989, S. 503–505).
3 So beispielsweise die unterschiedlichen Angaben zu den Aufsätzen in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht von Klein (S. 688) und Schulz (S. 690) oder der Wechsel von Diesners „Rez. FR“ zu Demougeots „Rez. Fall Roms“ (beides S. 686). Die genannte Besprechung von Richard Klein scheint zudem nicht zu existieren – zumindest nicht dort, wo sie laut Demandt publiziert sein sollte.
4 S. 636 und S. 689: „O’Donnel“ statt richtig „O’Donnell“; S. 687: „Umwelkrise“ (zu Haas).
5 Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian (284–565 n. Chr.) (= Handbuch der Altertumswissenschaft III 6), München 1989, 2. Aufl., München 2007.

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