Cover
Titel
The Four Horsemen. Riding to Liberty in Post-Napoleonic Europe


Autor(en)
Stites, Richard
Erschienen
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
€ 26,98
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Späth, Historisches Institut, Universität des Saarlandes

Endlich ist sie da: die lange erwartete Synthese über die chronisch vernachlässigte erste Revolutionswelle nach Napoleon und dem Wiener Kongress gegen Absolutismus und für Freiheit und Unabhängigkeit in Europa. In einer wahrhaft europäischen Geschichte sind nun die Handlungsstränge von vier Revolutionen zwischen 1820 und 1825 in den Königreichen Spanien, den beiden Sizilien, im sich formierenden Griechenland und im russischen Zarenreich gebündelt. Lange lagen lediglich teils veraltete Monographien zu einzelnen Revolutionen vor.1 Erst in jüngster Zeit bemüht sich die historische Forschung verstärkt darum, vergleichend die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, vor allem aber die transnationalen Verflechtungen der Ereignisse in Süd- und Osteuropa in den 1820er-Jahren sichtbar zu machen2, wie sie Giorgio Spini bereits 1950 erstmals für Spanien und Italien untersucht hat.3

Warum eine solche Arbeit derart lange auf sich warten ließ, lässt sich zum einen mit der ungeheuren Stofffülle in den vier Ländern und zum anderen mit der Hürde der Sprachkenntnisse erklären, denn neben den romanischen und germanischen Sprachen erweist es sich auch als nützlich, neugriechische und vor allem russische Literatur lesen zu können. Richard Stites, emeritierter Russland-Historiker an der Washingtoner Georgetown University und zugleich in Europa zuhause, erfüllte all diese Voraussetzungen. Leider verstarb er 2010, kurz nachdem er das Manuskript fertig gestellt hatte. Dass das Buch, eine Herzensangelegenheit von Stites seit den 1960er-Jahren und somit ein echtes Lebenswerk, dennoch posthum erscheinen konnte, dafür kann man den beiden Herausgebern Catherine Evtuhov und John R. McNeill gar nicht genug danken. Zugleich erklären diese Umstände aber auch das Fehlen einschlägiger neuer Literatur der letzten fünf Jahre.

Stites’ Perspektive ist paneuropäisch: Durch Benennen der Parallelen und Verbindungen, aber auch der Unterschiede zwischen den vier Revolutionen will er zeigen, dass all diese Ereignisse „for a moment, part of a single story in European history“ waren (S. 338). Obwohl sein Fokus auf den vier reitenden Helden und Anführern der Revolutionen liegt – Rafael del Riego in Spanien, Guglielmo Pepe in den beiden Sizilien, Alexandros Ypsilantis in Griechenland und Sergei Murawjow-Apostol in Russland –, zeichnet Stites ein lebendiges Bild der Zeit in den vier Ländern insgesamt nach. Zugleich stellt er aber nicht den Kontext und die Ergebnisse, sondern das Prozesshafte in den Mittelpunkt, was eine wohltuend sachliche Bewertung der Revolutionen ermöglicht. Bemerkenswert ist ferner, dass die üblichen Kategorien von Zentrum und Peripherie auf den Kopf gestellt und nicht etwa Frankreich oder Großbritannien als Impulsgeber freiheitlicher Bewegungen der postnapoleonischen Ära präsentiert werden, sondern die oft (schon von Zeitgenossen) als rückständig beschriebenen Länder im Mittelmeerraum sowie Russland. Mit anderen Worten: Süd- und Osteuropa betätigten sich als Vorkämpfer des Liberalismus. Stites sieht dabei besonders das Mittelmeer als „highway for revolutionary ideas and for rebel refugees sailing from one revolution to another“ (S. 19).

Im Vorwort formuliert er die Ziele des Buches: Er wolle keine übergreifende These oder Theorie aufstellen, um die Geschichte der vier Revolutionen zusammenzubinden, sondern einfach nur erzählen, den interessierten Lesern die Ereignisse näherbringen und Experten manch neues Detail präsentieren. Um es vorweg zu nehmen: Das Buch erfüllt die vom Autoren in es gesetzten Ansprüche mehr als zur Genüge. Bereits in seinem einleitenden Kapitel (S. 3–27) gelingt es Stites, auf wenigen Seiten ein dichtes Panorama der postnapoleonischen Zeit zu entfalten und zahlreiche Themen anzusprechen. Dazu zählen der napoleonische Hintergrund der Protagonisten, der konstitutionelle Liberalismus des frühen 19. Jahrhunderts, die bemerkenswerte Rolle hierbei der spanischen Verfassung von 1812, der geheimen Gesellschaften und des Militärs, der grenzüberschreitende Transfer von Ideen, Methoden und Personen, der zur Herausbildung einer internationalen Gemeinschaft von Revolutionären führte, Guerilla-Taktiken, die Aneignung von Elementen der Sakralkultur durch den Liberalismus, die Rolle der Kirche, die Kongressdiplomatie der Großmächte und die Interventionen der Heiligen Allianz sowie die Strafmaßnahmen der erneut restaurierten Monarchen und ihrer Regierungen.

Stites geht bei seiner quellen- und literaturgesättigten Erzählung chronologisch vor und stellt das Handeln und das Schicksal ihrer jeweiligen Anführer in je einem Kapitel in den Mittelpunkt. Am Anfang steht das spanische liberale Triennium 1820–1823 (S. 28–120). Es folgt die Darstellung der Revolution in den beiden Sizilien 1820/21, wobei der Fokus eindeutig auf Neapel – oder besser gesagt, dem Festlandsteil – liegt, denn die Insel Sizilien verfolgte separatistische Absichten. Außerdem behandelt Stites die Revolution im Königreich Sardinien-Piemont im Frühjahr 1821 ebenfalls kurz mit (S. 121–185). Im vierten Kapitel kommt der griechische Unabhängigkeitskampf 1821–1830/32 zur Sprache (S. 186–239), während das letzte Hauptkapitel den russischen Dekabristen 1825/26 gewidmet ist (S. 240–321). Dadurch, dass auch Portugal (wo 1820 ebenfalls eine liberale Revolution stattfand und die spanische Verfassung von 1812 eingeführt wurde) und andere Aktionen liberaler Revolutionäre wie die Ermordung Kotzebues in Mannheim 1819 oder des Herzogs von Berry in Paris 1820 angesprochen werden, entsteht in der Tat ein paneuropäisches Panorama.

Im Rahmen dieser Rezension besteht nicht die Möglichkeit, die vier Revolutionen im Einzelnen nachzuverfolgen oder auch nur annähernd die Fülle an Details adäquat widerzuspiegeln, denn Stites hat neben dem ausgewogenen Blick für die politischen Ereignisse und ihre Bewertung auch großes Interesse an der Einbindung sozial- und kulturgeschichtlicher Aspekte. So widmet er in allen vier Fällen der Rolle von Kirche und Religion große Aufmerksamkeit, aber auch der Rezeption der Revolutionen in zeitgenössischen Theater- und Opernaufführungen. Je weiter die Erzählung voranschreitet, desto aufschlussreicher wird das Buch, denn Stites liefert keine isolierte Darstellung der vier Revolutionen, sondern arbeitet mehr und mehr die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, vor allem aber die Verbindungen zwischen ihnen heraus.

Dabei unterstreicht er die in der napoleonischen Zeit erhaltene Prägung der vier Protagonisten und ihrer Mitstreiter, die allerdings nicht – wie Napoleon und seine Gefolgsleute – in bereits eroberte Gebiete mit Verfassungen und Gesetzen unter dem Arm ritten, sondern für liberale und nationale Ziele gegen absolute Monarchien und die Wiener Ordnung der Großmächte kämpften. Diese Generation der Romantiker voll stürmischer Ideale begann ihre Revolutionsritte und scheiterte jeweils in Provinzstädten und nicht etwa in den Kapitalen. Allerdings wurden die Revolutionen in Spanien und Italien (beide Sizilien und Sardinien-Piemont) von der Heiligen Allianz durch französische bzw. österreichische Intervention, die russische Revolution hingegen vom Zaren selbst unterdrückt. Allein der griechischen Revolution gestatteten die Großmächte nach einigem Hin und Her den Erfolg, da sie gegen das Osmanische Reich für einen Nationalstaat kämpfte und keinen revolutionären Sturz legitimer bestehender Monarchien implizierte.

Trotz aller Unterschiede in Geographie, Religion und Ausgang der vier Revolutionen waren sie untereinander verbunden durch den Einfluss der napoleonischen Kriege, teils ähnlich gelagerte politische, soziale und wirtschaftliche Missstände, das Wirken der Geheimgesellschaften, die Initiative der Militärs (pronunciamiento), liberale Hoffnungen, die Geburt von Helden, aber auch von inneren Konflikten sowie kulturellen und religiösen Anpassungsleistungen. Als wichtigsten und langlebigsten Aspekt der Revolutionen von 1820–1825 präsentiert Stites zu Recht deren ausgeprägten Internationalismus. Jüngste Studien zum Exil italienischer und spanischer Liberaler bestätigen diesen Befund eindrücklich.4

Freilich fiel die Erinnerung an die Revolutionen in den vier Ländern sehr unterschiedlich aus, wie Stites in seinem abschließenden Kapitel (S. 322–338) ausführt. In Griechenland gilt sie bis heute als Erfolg und Grundlage für die Wiedergeburt der Nation. In (Süd-)Italien hingegen streiten sich nicht nur die Historiker, ob 1820/21 als wichtiger Schritt im Risorgimento hin zum Nationalstaat gesehen werden kann oder nicht; im öffentlichen Bewusstsein sind die revolutionären Ereignisse dort jedenfalls kaum verankert. Mythisch stark überhöht stand der Revolutionsversuch der Dekabristen in Russland bis vor kurzem in einer Kontinuitätslinie von Freiheitskämpfen bis hin zur bolschewistischen Revolution von 1917. Riegos pronunciamiento wurde dagegen in Spanien bis zum Tod Francos entweder gepriesen (man denke nur an die Zweite Republik 1931–1936 mit der Riego-Hymne als Nationalhymne), manchmal von der politischen Rechten kopiert oder verdammt und verurteilt.

Stites’ umfassende Darstellung wird von einer klug konzipierten Bibliographie, die übergreifende und länderspezifische Quellen und Literatur ausweist, und von einem umfassenden Register, das Orts- und Personennahmen sowie die wichtigsten Sachbegriffe enthält, abgerundet. Bedauern kann man lediglich die Entscheidung der Herausgeber, auf Abbildungen zu verzichten und es bei vier von Stites selbst angefertigten Karten zu belassen, die jeweils am Anfang der Kapitel zwei bis fünf die Wege zu Pferd der Protagonisten zeigen. Insgesamt betrachtet haben wir es hier meiner Meinung nach mit einem Meisterwerk europäischer Geschichtsschreibung zu tun. Glänzend geschrieben, überreich an Quellen- und Literaturbelegen und sorgfältig redigiert, liest sich das Buch wie ein spannender Abenteuerroman, der dem Leser auch grausame Schilderungen von Gewalthandlungen der absoluten Monarchien gegen die Revolutionäre nicht vorenthält. Wir können uns vor dem verstorbenen Autor nur verneigen und dem Buch viele interessierte Leser und regen Gebrauch in allen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Veranstaltungen zur europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wünschen.

Anmerkungen:
1 Alberto Gil Novales, El Trienio Liberal, Madrid 1980; Aurelio Lepre, La rivoluzione napoletana del 1820–1821, Rom 1967; David Brewer, The Flame of Freedom: The Greek War of Independence, 1821–1833, London 2001; Robert Fassier, Les Décembristes: les sociétés secrètes militaires et la naissance du mouvement révolutionnaire russe, 2 Bde., Poisy 2006.
2 Maurizio Isabella, Risorgimento in Exile. Emigrés and the Liberal International in the Post-Napoleonic Era, Oxford 2009; Christiana Brennecke, Von Cádiz nach London. Spanischer Liberalismus im Spannungsfeld von nationaler Selbstbestimmung, Internationalität und Exil (1820–33), Göttingen 2010; Jens Späth, Revolution in Europa 1820–23. Verfassung und Verfassungskultur in den Königreichen Spanien, beider Sizilien und Sardinien-Piemont, Köln 2012.
3 Giorgio Spini, Mito e realtà della Spagna nelle rivoluzioni italiane del 1820–21, Rom 1950.
4 Agostino Bistarelli, Gli esuli del Risorgimento, Bologna 2011; Juan Luis Simal, Emigrados. España y el exilio internacional, 1814–1834, Madrid 2012.

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