Titel
Prinz Max von Baden. Der letzte Kanzler des Kaisers


Autor(en)
Machtan, Lothar
Erschienen
Berlin 2013: Suhrkamp Verlag
Anzahl Seiten
668 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Peter Brandt, Dimitris-Tsatsos-Institut für Europäische Verfassungswissenschaften, FernUniversität in Hagen

Prinz Max von Baden (1867–1929) war der letzte kaiserliche Reichskanzler. Wegen dieser Funktion, die er nicht mehr als fünf Wochen ausübte, taucht er in allen einschlägigen Geschichtsbüchern auf, und alle historisch Interessierten haben zumindest den Namen gehört beziehungsweise gelesen. Die Biografie Maxens, die Lothar Machtan vorgelegt hat, musste namentlich für die Jahre vor der Kanzlerschaft und für die nicht öffentlichen Aspekte im Wesentlichen aus den verstreut in etlichen Archiven lagernden Originalquellen rekonstruiert werden.

Man kann im Hinblick auf Max von Baden von einem wahrhaft tragischen Schicksal sprechen. Da musste jemand, hineingeboren in den Fürstenstand, der – zumindest pro forma – das Deutsche Reich von 1871 gegründet hatte, das weitgehend aus Etikette bestehende Korsett hochadeligen Daseins tragen, einer, den es eher nach einem freien Leben gelüstete, der sich zur Literatur, zur Musik, zur Kunst hingezogen fühlte. Wenn auch die enormen Privilegien und die Sonderbehandlung, die Max im Gymnasium, im Studium und in der Offizierslaufbahn des Berliner Garde-Kürassier-Regiments genoss, manches erleichterten, forderte das kaum selbstbestimmte und dem hochsensiblen, emotionalen und homosexuellen Mann fremde Leben schon früh seinen Preis in Form von körperlichen und seelischen Leiden, mit denen sich sein Inneres gegen alle Zumutungen wehrte.

Lothar Machtan vermittelt uns nicht nur ein auf berührende Weise eindringliches Bild des badischen Kronprätendenten, er schreibt auch ein selbst vielen Fachleuten wenig vertrautes Teilkapitel deutscher Geschichte mit zunehmender Verdichtung gegen Ende der monarchischen Periode. Die eigentümliche Welt der weiterhin nicht nur repräsentierenden Spitzen einer ehedem feudalen Klasse inmitten eines konstitutionellen, effektiv bürokratisch verwalteten Staates und einer weitgehend verbürgerlichten Gesellschaft sowie eines modernen und dynamischen Industriekapitalismus wird dem Leser zugänglich. In den monarchischen Staaten Europas (und das waren bis 1917/18 alle außer Frankreich und der Schweiz sowie bis 1910 auch Portugal) gingen die Prozesse der Parlamentarisierung und Demokratisierung in der Regel schrittweise und als de facto-Machtverschiebung zwischen Institutionen vor sich (auch dort nicht ohne Druck von unten). Das klassische, aber nicht einzige Beispiel ist Großbritannien. In Deutschland ist der Durchbruch zur parlamentarischen Monarchie bis zum Herbst 1918 nicht erfolgt, während auf Reichsebene von Anfang an ein nach dem Maßstab der Zeit ungewöhnlich fortschrittliches Wahlrecht (allgemein und gleich für Männer ab 25) galt; das Gegengewicht dazu bildete das Dreiklassenwahlrecht im übergroßen preußischen Hegemonialstaat. Wenngleich der Einfluss des Reichstags gegenüber dem Bundesrat der Fürsten größer wurde, verharrte die Verfassungsentwicklung insgesamt vor der Hürde der Parlamentarisierung.

Auch Max war von der Angemessenheit der im „deutschen Konstitutionalismus“ festgeschriebenen starken Machtposition der monarchischen Exekutive auf Reichs- wie auf Einzelstaatsebene überzeugt. Als Präsident der Ersten Kammer des Großherzogtums Baden, gewissermaßen des Oberhauses, war er unmittelbar Teil des Systems. Und wie die aristokratisch-großbürgerliche Oberklasse des Deutschen Kaiserreichs in ihrer überwiegenden Mehrzahl, war auch er bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs überzeugt, dass Deutschland die Kultur der Menschheit schlechthin verteidige, die Wahrheit gegen die Lüge, während die Feinde von niederen materiellen Beweggründen oder Neidgefühlen getrieben seien. Obwohl er sich, ohne der Front je allzu nahe zu sein, schon nach drei Wochen als gänzlich ungeeignet eigenmächtig aus dem Kriegsgeschehen zurückzog, revidierte er diese Einstellung nie, wenn er sie auch gegen Ende modifizierte.

Obwohl Max lange einen Sonderfrieden mit dem zaristischen Russland anstrebte und England als den Hauptfeind Deutschlands sah, trat er im letzten Jahr des Krieges mit recht abweichenden Ideen hervor, die ihm großenteils sein neuer Spindoktor Kurt Hahn, ein hochbegabter, anglophiler junger Mitarbeiter der deutschen Auslandspropaganda, nahegebracht hatte: Sich zu einem „ethischen“, vermeintlich menschheitsbeglückenden Imperialismus bekennend, die militärische Auseinandersetzung durch eine politische Kriegsführung ergänzend und sich zu liberalisierenden Reformen bereitfindend hätte Deutschland, so meinte Max, die Chance, nicht nur seine Großmachtstellung zu bewahren, sondern auch seine Weltgeltung noch zu erhöhen.

Nachdem sich mit dem Kriegseintritt der USA das Kräfteverhältnis zu seinen Ungunsten verschoben hatte, zwang Deutschland das nun bolschewistische Russland im März 1918 zu einem Friedensvertrag, gegen den das spätere Versailler Diktat geradezu sanft erscheint. Danach gab es für die Oberste Heeresleitung nur noch eine Option: in einer letzten Kraftanstrengung auch im Westen einen „Siegfrieden“ zu erzwingen. Alternativen beziehungsweise Rückzugspositionen waren nicht konzipiert. Bis in die höchsten politischen Kreise hinein ließ nach dem Scheitern der zunächst erfolgreichen Westoffensive die Oberste Heeresleitung (OHL) Hindenburg-Ludendorff das deutsche Volk im Unklaren über die durch den bevorstehenden Einsatz amerikanischer Truppen fast aussichtslose militärische Lage. So vergingen Wochen und Monate, bis die Politik imstande war zu reagieren. Wochen und Monate, in denen Prinz Max die Illusion kultivierte, die Lage politisch retten zu können: nach außen und im Innern. Er fantasierte sich, angetrieben von Kurt Hahn, in die Rolle des sich aufopfernden großen Retters hinein.

Dass Prinz Max im Verlauf des zweiten Halbjahres 1917 und des Jahres 1918 mehr und mehr zum Hoffnungsträger prominenter Liberaler und Sozialdemokraten (darunter namentlich Friedrich Ebert) wurde, lag nicht an des Prinzen eindeutiger politischer Festlegung. Man wollte aus seinen stets vagen Äußerungen das herauslesen, was den eigenen Intentionen entsprach, schien doch eine Reichskanzlerschaft des Badeners besonders dafür geeignet, den Widerstand überzeugter konservativer Monarchisten und der Träger des Alten überhaupt gegen eine außen- und innenpolitische Umsteuerung wirkungsvoll paralysieren zu können und so den gleitenden, nicht revolutionären Übergang in eine wie immer im Einzelnen angepasste, jedenfalls stärker parlamentarisierte Monarchie und einen „ehrenhaften“, ausgehandelten Frieden zu ermöglichen.

Erst als die Oberste Heeresleitung Ende September 1918 den militärischen Offenbarungseid leistete und ultimativ ein deutsches Waffenstillstandsangebot von einer neu zu bildenden, durch die Reichstagsmehrheit getragenen Regierung verlangte, schlug die Stunde des Prinzen Max. Er unterwarf sich trotz Widerstrebens der OHL, die die Verantwortung für die Niederlage und die Quasi-Kapitulation von sich abwälzen wollte. Im Hinblick auf militärische Optionen war der Spielraum fast auf Null reduziert; es drohte ein großer Frontdurchbruch der Alliierten. Hinsichtlich der Reform des politischen Systems fiel bremsend ins Gewicht, dass der neue Reichskanzler kein Demokrat war (auch nicht in einem ganz gemäßigten Sinn) und eine parlamentarische Monarchie nur unter großen Vorbehalten und als umständehalber unvermeidlich ansteuerte. In den schweren und sich weiter verschärfenden Konflikten, die sich aus der Machtstellung der verharrenden OHL und ihrer bedingungslosen Unterstützer einerseits, der sich seit Längerem anbahnenden Verweigerungsrevolution der Soldaten und Arbeiter andererseits, ergaben, wirkte sich nicht zuletzt die von den allermeisten Zeitgenossen bemerkte und kritisierte persönlichkeitsbedingte Durchsetzungsschwäche des Prinzen Max lähmend aus. Zusammen mit seiner Befangenheit gegenüber seinem Vetter Kaiser Wilhelm II., als die Forderung nach dessen vermeintlich rettender Abdankung mit der im diplomatischen Austausch nach dem Waffenstillstandsgesuch dritten Note des US-Präsidenten Wilson vom 23. Oktober 1918 überlaut wurde, bedeutete das den weitgehenden Ausfall des Kanzlers, der eine Influenza bekam und später, als er am meisten gebraucht wurde, einen schweren Nervenzusammenbruch erlitt.

Aus dem subjektiven Scheitern der Oktoberreform folgt aber nicht ihre objektive Machbarkeit (ob wünschenswert oder nicht). Um nur die wichtigsten Einwände anzudeuten: Auch ein demokratisch eingehegter Reichsmonarch und dessen Regierung hätten wohl keinen günstigeren Frieden erwarten dürfen. Es war vor allem der praktisch vom gesamten politischen Spektrum Deutschlands inhaltlich abgelehnte Friedensvertrag von Versailles, der in erster Linie die Republik delegitimierte, meist als die Frage Republik oder Monarchie.

Die Hoffnungen, die sich im Oktober 1918 an die Parlamentarisierung der Verfassung hefteten, beruhten zum erheblichen Teil auf einer immer noch zu optimistischen Einschätzung der militärischen Lage beziehungsweise auf der illusorischen Hoffnung, die Niederlage durch geschicktes Eingehen auf das „demokratische“ Friedensprogramm des US-Präsidenten Wilson politisch ausbalancieren zu können. Jedenfalls ist mit Blick auf die folgenden Jahre wie auf die gesamteuropäische Szenerie mit Fug und Recht zu bezweifeln, dass die sozialrevolutionäre Welle, die nicht allein von den anfangs kleinen linksradikalen Gruppierungen ausging, und die bewaffnete Reaktion der Gegenrevolutionäre ausgeblieben wären, wenn der Übergang zur parlamentarischen Demokratie unter Beibehaltung der monarchischen Staatsspitze erfolgt wäre.

Das Buch lädt ein, den Eintritt der Mehrheits-SPD in die letzte kaiserliche Regierung unter Prinz Max, deren Zustandekommen nicht nur, aber auch ein Manöver der Obersten Heeresleitung zur Abschiebung der Verantwortung für die unvermeidliche Beendigung des Krieges war, kritisch zu hinterfragen. Philipp Scheidemann hatte intern gewarnt. Nicht unbedingt entspricht die denkbar größte Mäßigung stets größter politischer Klugheit und Weitsicht.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension