Cover
Titel
The Search for Negotiated Peace. Women's Activism and Citizen Diplomacy in World War I


Autor(en)
Patterson, David S.
Erschienen
London 2008: Routledge
Anzahl Seiten
xx, 443 S.
Preis
£ 22,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Laurie Cohen, Institut für Politikwissenschaft, Universität Innsbruck

Bis in eine noch nicht so weit zurückliegende Vergangenheit wurde das Schicksal der Zivilbevölkerung während des Ersten Weltkriegs von der Geschichtsschreibung kaum beachtet. Zum Teil lag dies daran, dass diese sich überwiegend auf (diesbezüglich nur dürftige) traditionelle Archivbestände stützte. Im Gegensatz dazu reiht sich David Pattersons neues Buch in eine wachsende Zahl von Untersuchungen ein, die ein viel breiteres Spektrum an Quellen – wie Biographien, Autobiographien, Briefe, Tagebücher oder auch Zeitungsartikel – nutzbar machen und es somit ermöglichen, das zivile Alltagsleben besonders auch von Frauen in ein umfassenderes Bild des Krieges einzubeziehen.

Pattersons Buch, das an seine klassische Untersuchung über die US-amerikanische Friedensbewegung vor dem Kriegsausbruch1 anknüpft, behandelt die 32 Monate dauernde Periode, in der die USA neutral waren. Seine Protagonisten/innen sind überwiegend liberale amerikanische Friedensbefürworter/innen und -politiker/innen, die sowohl individuell als auch kollektiv für Friedensverhandlungen (und dabei auch für ständige Vermittlung -"continuous mediation") eintraten. Während Patterson den Schwerpunkt auf die hoffnungsträchtigen Aspekte dieser Bemühungen legt, übergeht er natürlich auch nicht die enttäuschenden Ergebnisse, in die sie schließlich münden sollten. Er schließt Präsident Wilsons „indelible legacy of the active pursuit of peace“ mit seiner Entscheidung ein, den US-Kongress dazu zu bewegen, Deutschland den Krieg zu erklären, und seiner späteren Unfähigkeit, ihn nach dem Krieg davon zu überzeugen, dem Völkerbund beizutreten (S. 322).

In dieser lesenswerten und von leidenschaftlichem Interesse getragenen Untersuchung beschreibt Patterson, wie die zuvor nahezu ausschließlich männliche amerikanische Friedensbewegung – die er in seiner vorherigen Studie als insgesamt „quite moderate, even conservative“ einschätzte und dabei auch einen zunehmend deutlichen Eindruck von deren „ambiguous attitudes and inconsistent actions“ gewann (S. x) – einen radikalen Wandel durchmachte: Ab dem Spätsommer des Jahres 1914 machte sich auch eine kleine Gruppe von weiblichen citizen diplomats daran, eine aktive und vor allem auch weitaus zielstrebigere Friedensarbeit zu verfolgen. Wie Patterson mit einer Formulierung, die nicht einer gewissen Ironie entbehrt, erklärt: „The First World War gave birth to the modern peace movement“ (S. 331).

Auf der Grundlage von veröffentlichten Monographien über maßgebliche Führungspersönlichkeiten der Friedensbewegung und Fallstudien über die neu gegründeten Friedensorganisationen – wie die Women’s Peace Party (WPP) oder die American Union Against Militarism (AUAM) – leistet Patterson einen originellen Beitrag, in dem er eine detaillierte Einschätzung des gemeinsamen Einflusses liefert, den Aktivisten/innen und Bewegungen auf die Neutralitätspolitik des Weißen Hauses und vor allem des Präsidenten Wilson ausüben konnten. Im Einklang mit Holger Nehrings und Helge Pharos Standpunkt, demzufolge es „makes sense to assume that ‘peace’ (in its multiple meanings as utopia, order and security) is negotiated in and between governments, pressure groups, social movements, and other political, social and cultural actors within historically specific institutional contexts“2, bringt Patterson Friedensgeschichte und internationale Diplomatiegeschichte miteinander in Zusammenhang (S. xvi). Die neuen Organisationen – die Henry Street Group, das American Council for Continuous Mediation, die WPP und die AUAM – bildeten zusammen die amerikanische „Vermittlungsbewegung“ (mediation movement) (S. 28). (Sozialistische Bewegungen und Aktivisten/innen, die laut Patterson keine Forderungen nach Friedensvermittlung erhoben, blieben in seiner Studie ausdrücklich ausgeklammert [S. 67].)

Woodrow Wilson spielt in Pattersons Darstellung eine zentrale Rolle.3 Dementsprechend gliedert sich die Untersuchung auch nach den rund zwanzig Gelegenheiten, bei denen liberale internationale Friedensaktivisten/innen mit dem Präsidenten zusammentrafen oder mit ihm in direkte Verbindung traten. Die vom Autor behandelte Reihe weiterer profilierter Protagonisten/innen umfasst Wilsons enge politische Mitarbeiter Colonel Edward M. House und Außenminister Robert Lansing, aktive amerikanische Bürger/innen wie Jane Addams, Benjamin F. Battin, Henry Ford, David Starr Jordan, Paul Kellogg, Louis Lochner, Leila Secor, Rebecca Shelley und Lillian Wald, aber auch einige Nicht-Amerikaner/innen wie Emily Hobhouse, Aletta Jacobs, Ferdinand Leipnik und Rosika Schwimmer.

Die in der Untersuchung entwickelten Erzählstränge folgen einer chronologischen Ordnung. Patterson erläutert zunächst die ersten Bemühungen der Aktivisten/innen, einen sofortigen Friedensschluss zu erreichen, und geht in der Folge abwechselnd auf Initiativen von Frauengruppen und gemischtgeschlechtlichen Gruppen, wie auch auf die Entwicklung von Wilsons Standpunkten zur Frage ein, ob – oder wann – die Vereinigten Staaten in den Krieg eintreten sollten. Er liefert dabei oft plastische und einfühlsame Einblicke in die Schicksale und geistigen Entwicklungen seiner Protagonisten/innen (wobei er sich zuweilen aber auch zu eher kühnen Annahmen über ihr Gefühlsleben versteigt) und er beschreibt in einem kurzen Überblick auch ihre weiteren Lebenswege in den 1920er- und 1930er-Jahren.

Als zuverlässig und glaubwürdig belegte Einführung, um das Ausmaß nachzuvollziehen, in dem diese amerikanischen (und in geringerem Maße auch britischen) Bewegungen als Kräfte der inneren gesellschaftspolitischen Veränderung gesehen werden können, wie auch als Fallstudie von Friedensaktivisten/innen in demokratisch verfassten Gesellschaften, die ihre Möglichkeiten nutzten, um ihr Anliegen voranzutreiben (der Vermittlung und einer gerechten und sofortigen Einstellung der bewaffneten Konflikte), ist Pattersons neues Buch sehr empfehlenswert. Sein methodisch offener Ansatz zur Thematik, der Biographien mit Diplomatiegeschichte kombiniert, ist erfrischend, und sein Stil ist verständlich, lebendig und flüssig (wenn auch stellenweise ein wenig unpräzise).

Alles in allem hätte ich mir allerdings doch etwas mehr analytische Tiefenschärfe und weniger Detailaufzählung gewünscht. In seiner Darstellung der Lebenswege der Protagonisten/innen in der Zwischenkriegszeit vernachlässigt Patterson zum Beispiel den durchschlagenden Einfluss, den der Krieg und die politischen Entscheidungen, die sie darin gemacht hatten, auf die Richtung ihres oft schwierigen späteren Lebens nehmen sollte. Ähnlich versäumt es Patterson im Zusammenhang der citizen diplomacy – vor allem in Bezug auf amerikanische Frauen – auch, eine Analyse der komplexen Verflechtungen zwischen der Friedensbewegung und der Frauenwahlrechtsbewegungen dieser Jahre zu liefern. Pattersons Behandlung der amerikanischen „Vermittlungsbewegung“ nimmt dementsprechend auch wenig Bezug auf neuere Literatur aus dem Bereich feministischer Forschung oder der Gender Studies. Nicht zuletzt bleibt für mich, wenn Patterson davon spricht, dass Wilson „the plunge for mediation“ (S. 306) gewagt habe, auch unklar, ob solche Vermittlungsversuche während des Krieges seiner Meinung nach notwendig oder auch nur wünschenswert waren. In vergleichbarer Weise könnte man sich angesichts von Pattersons Einschätzung der Entscheidung des US-Präsidenten, im Januar 1917 nicht in den Krieg einzutreten, als „Wilson’s failure“ (S. 304) auch fragen: Würde er denn die Rückgängigmachung dieses „Scheiterns“ – und die daraus folgende amerikanische Beteiligung an der Metzelei und den Verwundungen dieses totalen Krieges – dann als Wilsons „Erfolg“ bezeichnen? Kurzum: Ich bin nicht davon überzeugt, dass Wilson tatsächlich jene Heldenfigur war, als die ihn Patterson zeichnet.

Anmerkungen:
1 David S. Patterson, Toward a Warless World. The Travail of the American Peace Movement 1887-1914, London 1976.
2 Holger Nehring / Helge Pharo, Introduction. A Peaceful Europe? Negotiating Peace in the Twentieth Century, in: Contemporary European History, 17, Special Issue 03 (2008), S. 277-299, hier S. 279.
3 Es fällt auf, dass Patterson trotz seines deutlichen Anliegens, eine Psychobiographie Wilsons zu entwickeln, die von Sigmund Freud und William Bullitt gemeinsam verfasste Studie nicht erwähnt, die in neuerer Zeit auch vom inzwischen verstorbenen Politikwissenschaftler Paul Roazen eingehend kommentiert worden ist. Vgl. William C. Bullitt / Sigmund Freud, Thomas Woodrow Wilson. Herausgegeben von Hans-Jürgen Wirth, Gießen 2007 [englischsprachige Originalausgabe 1966] bzw. Paul Roazen, The Doctor and the Diplomat: The Mysterious Collaboration Between Freud and Bullitt on Woodrow Wilson, New York 2007.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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