H. Afflerbach (Hrsg.): The Purpose of the First World War

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Titel
The Purpose of the First World War. War Aims and Military Strategies


Herausgeber
Afflerbach, Holger
Reihe
Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 91
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 258 S.
Preis
€ 59,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Elz, Neuere Geschichte, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Viel und vieles ist in der jüngeren Vergangenheit über den Ersten Weltkrieg veröffentlicht worden: Auch ohne belastbare Zahlen zu den Publikationen gewinnt man den Eindruck, dieser erste der beiden Weltkriege stehe derzeit in der Wissenschaft eher im Vordergrund als sein Nachfolger, der anlässlich der betreffenden Erinnerungsjahre wohl nicht eine solche Veröffentlichungsflut ausgelöst hat.

Auf den ersten Blick greift man also zu dem von Holger Afflerbach herausgegebenen Sammelband mit dem Eindruck: noch ein Werk aus der „Gedenkliteratur“. Tatsächlich hat es aber einen anderen Entstehungszusammenhang und mit der Fragestellung eine bisher durchaus wenig berücksichtigte Dimension: Zu den Obliegenheiten der Stipendiaten des Deutschen Historischen Kollegs in München, in dem Afflerbach 2012/13 ein Jahr verbringen konnte, gehört die Durchführung eines Kolloquiums. Im vorliegenden Fall wurde es im März 2013, also noch vor der großen Weltkriegs-Publikationswelle, zum Thema „Der Sinn des Krieges. Politische Ziele und militärische Instrumente der kriegführenden Parteien von 1914–1918“ durchgeführt; seine Vorträge liegen nun – durchweg in englischer Sprache – publiziert vor.

Afflerbach gibt in der Einleitung die Fragestellung vor, nämlich die vermeintliche Paradoxie zu klären, dass es zu Beginn des Krieges bei kaum einem Kriegsteilnehmer ein konkretes territoriales Kriegsziel gegeben habe, aber dann die Entwicklung der Kriegsziele in der Zeit des Krieges selbst sowohl durch die Staaten, die von Anfang an kämpften, als auch durch die Länder, die erst während des Krieges in ihn eintraten, im Ergebnis wesentlich dazu beitrug, dass kein Ausgang aus dem Kämpfen gefunden wurde. Dabei soll im Einzelnen untersucht werden, wie die militärischen Strategien (womit er das meint, was üblicherweise eher Taktik genannt wird, wie er selbst einräumt) in den verschiedenen kriegsbeteiligten Staaten auf die Kriegsziele wirkten bzw. umgekehrt von ihnen bestimmt wurden und wie beides mit der inneren Verfasstheit der Staaten zusammenging.

In einem weiteren, wohl ebenfalls einleitend zu verstehenden Aufsatz weist Hew Strachan auf das Veraltetsein der früheren Lehrmeinung hin, wonach die Demokratien eben gewonnen hätten, weil sie ihre Militärs unter Kontrolle gehabt hätten: allenfalls in England habe die Integration von Politik, Militär und Gesellschaft im Sinne einer umfassenden Strategie einigermaßen funktioniert.

Die weiteren neun Beiträge mit ihren je ca. 20 Seiten zu jeweils einzelnen Kriegsteilnehmern halten sich sehr unterschiedlich an Afflerbachs Vorgabe. So untersuchen etwa George-Henri Soutou für Frankreich, Marvin Benjamin Fried für Österreich-Ungarn oder John Gooch für Italien sehr genau und manchmal auch kleinteilig das Zusammenspiel bzw. das Divergieren zwischen politischen und militärischen Stellen und die Wechselwirkungen mit den jeweiligen Kriegszielen. Andere Beiträge wie etwa diejenigen von Boris Kolonitskii für Russland und Dušan T. Bataković für Serbien gehen mehr auf die Beziehung zwischen dem Kriegsverlauf und den innerstaatlichen bzw. gesellschaftlichen Entwicklungen ein. Wiederum andere (Keith Jeffery für Großbritannien, Roger Chickering für Deutschland, Mesut Uyar für das Osmanische Reich) berücksichtigen mehr oder weniger beide Aspekte. Und schließlich gibt es den Artikel von Klaus Schwabe, der schon in der Überschrift deutlich macht, dass er die Frage auf „President Wilson and the War Aims of the United States“ beschränkt, mithin sowohl die militärische Dimension als auch den Aspekt der inneren Entwicklungen weitestgehend ausblendet. Diese unterschiedliche Auslegung des vorgegebenen Auftrags ist großenteils wohl dem geschuldet, dass sich auch die betreffenden Staaten durch den Krieg mit ganz unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert sahen: Etwa für das Russische Reich trat mit Fortdauer des Kriegsverlaufs mehr und mehr die Existenz der überkommenen Staatsstrukturen in den Vordergrund; für die USA als Nichtalliierten lag der Kriegsziel-Schwerpunkt von Anfang an überhaupt nicht auf Territorialfragen, sondern auf der Etablierung einer Nachkriegsordnung, deren Konzeption eben wesentlich durch die Pläne des Präsidenten bestimmt wurde.

Ein als „Reflection“ deklarierter Zwischenbeitrag von Lothar Höbelt liefert ein erstes Resümee: Für alle frühen Kriegsteilnehmer wurde ein Frieden ohne Gewinne im Laufe der ersten Hälfte des Krieges je länger, desto mehr undenkbar, weil die zwischenzeitlich entwickelten und formulierten Kriegsziele, für die ja schon gewaltige Opfer gebracht waren, dann nicht erreicht würden – womit der Sieg im Krieg zu einem Ziel an sich wurde, denn selbst ein Friede auf der Basis des Status quo ante wurde als schädlich für das je eigene Land erachtet. Damit zeigt sich der Zirkel: Man war zumindest auf Seiten der ursprünglichen Kriegsteilnehmer mit allenfalls abstrakten und in der Selbstwahrnehmung eher defensiv formulierten Zielen („Zerschlagung“ des Rings der Feinde; Beendigung der drohenden deutschen Dominanz; Schutz vor dem Zerfall der je eigenen Allianz) in den Krieg eingetreten, die dann immer konkreter mit territorialen Zielen gefüllt wurden – und nach den bis dahin erbrachten großen Opfern ersetzte diese Konkretisierung das ursprüngliche Kriegsziel, so dass man einen Krieg für ein Ziel führte, das anfangs so konkret gar nicht benannt worden war. In Höbelts „Reflection“ wird zudem die Folge dieses Verlaufs aufgedeckt: Nach dem Krieg gab es vermeintliche Territorialgewinner, etwa Frankreich; tatsächlich wurde aber beispielsweise in Paris übersehen, dass man längerfristig Deutschland durch den Verlust des russischen Widerlagers eher schwächer gegenüberstand.

In seiner abschließenden Zusammenfassung greift Afflerbach diesen Aspekt noch einmal auf, wenn er längerfristig fast alle (lediglich mit den Ausnahmen der USA und Japans) als tatsächliche Verlierer sieht. Warum aber war ein Kompromissfrieden dennoch nie wirklich möglich, trotz der immer mal wieder aufflackernden Initiativen einzelner Kriegsparteien in diese Richtung? Zwei Probleme wirken dabei entscheidend: Nachdem der Krieg einmal ausgebrochen war, musste er angesichts der rasch wachsenden Opferzahlen legitimiert werden, und diese Legitimation hielten die verantwortlichen Politiker nur dann für gegeben, wenn konkrete Kriegsziele erreicht wurden (wobei ihre Militärs sie ganz überwiegend darin bestärkten, dass der Krieg zu gewinnen sei). Hinzu kam das Problem der Allianzen und der Versprechen gegenüber den nachträglich in den Krieg gelockten Staaten: Zur Friedensanbahnung hätte gehört, dass man sich innerhalb der jeweiligen Mächtegruppe über die gemeinsamen Kriegsziele einig gewesen wäre – aber dies ging nur über die Addition der je einzelnen Kriegsziele, die somit zu einem Maximalkatalog führten, der wiederum nur nach einem Siegfrieden erreichbar war.

Dass in der Veröffentlichung einige Kriegsteilnehmer (z.B. Japan, Bulgarien, Griechenland) keine Berücksichtigung gefunden haben, mag aus der notwendigen Beschränkung einer Tagung resultieren. Die doch allenfalls mittlere Homogenität des Bandes, in dessen Beiträgen man gelegentlich viele militärische Details, bei anderen dagegen fast nur politische Vorgänge verfolgt, macht die Vergleichbarkeit der Erkenntnisse nicht ganz leicht; sie spiegelt aber andererseits die Tatsache wider, dass in jedem beteiligten Land die Ausgangssituation und ebenso der Kriegsverlauf andere Prioritäten der Betrachtung nahelegen und allenfalls in einer sehr abstrakten (und damit weniger erkenntnisreichen) Betrachtung höhere Homogenität zu erreichen gewesen wäre.

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