J. Schütz: Der Dominikanerorden im mittelalterlichen Skandinavien

Titel
Hüter der Wirklichkeit. Der Dominikanerorden in der mittelalterlichen Gesellschaft Skandinaviens


Autor(en)
Schütz, Johannes
Erschienen
Göttingen 2014: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 44,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Neidhardt, Graduiertenkolleg 1662 „Religiöses Wissen im vormodernen Europa 800–1800“, Eberhard Karls Universität Tübingen

Johannes Schütz behandelt in seiner 2014 veröffentlichten Dissertation „Hüter der Wirklichkeit. Der Dominikanerorden in der mittelalterlichen Gesellschaft Skandinaviens“ die Frage, in welcher Weise im 13. Jahrhundert Wissen in Dominikanerklöstern der Provinz Dacia etabliert und vermittelt wurde. Seine Studie, die er 2013 an der Georg-August-Universität in Göttingen im Rahmen des Graduiertenkollegs „Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts“ abschloss, eröffnet dem deutschsprachigen Publikum einen neuen Forschungsraum. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Dominikaner, die sich in Skandinavien niederließen, um als religiöse Experten im päpstlichen Auftrag Wahrheit und Glauben zu definieren und Häresien abzuwehren. Ab 1216 siedelte der Bettelorden der Dominikaner in der die Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden übergreifenden Provinz Dacia und kämpfte für den richtigen Glauben mit Predigt und Seelsorge.

Der in fünf Themenabschnitte unterteilte Band widmet sich in einem ersten inhaltlichen Kapitel der Beziehung zwischen den Dominikanern und dem Heiligen Stuhl in Rom sowie allgemein dem Aufbau von pastoralen Netzwerken in den Städten. Johannes Schütz zeigt, wie die Päpste die Dominikaner als viri evangelici wegen ihres religiösen Gehorsams und wissenschaftlichen Studiums mit Predigt und Seelsorge für ihr Reformprogramm der Kirche zu nutzen wussten. Anhand treffender Beispiele kann er die Gegenseitigkeit der Beziehung veranschaulichen: Indem Papst Honorius III. im Jahr 1218 auf dem 4. Laterankonzil den Dominikanerorden als Instrument zur Bekämpfung der Häresie auszeichnete, konnten die fratres ordinis Praedicatorum mithilfe der Päpste zu religiösen Experten avancieren. Dadurch schufen sie sowohl für sich als auch für die Fremdwahrnehmung ihre eigene Identität. Eine neue Form der Kommunikation von religiösen Inhalten verhalf den Dominikanerbrüdern zum Erfolg: Unterstützt durch die Bischöfe konnten sie mit kurzen Predigten und einem dichten Netz an Seelsorgeangeboten vor allem in den Städten an Einfluss gewinnen. Ausgelöst durch ihre Pastoral schlug die zunehmende Akzeptanz des Klerus einer Stadt allerdings schnell in soziale Konflikte um und führte mancherorts zur Ausweisung der Dominikaner aus der Stadtgemeinschaft. Nach diesen sehr allgemeinen Informationen richtet Johannes Schütz im zweiten Kapitel den Blick auf die Dominikaner der nördlichen Provinz, die sich mithilfe des Lunder Bischofs Andreas Suneson erfolgreich niederließen. Finanzielle Zuwendungen, Erteilung von Ablässen sowie Spenden und Stiftungen des Bischofs ermöglichten es ihnen, innerhalb weniger Jahrzehnte eine weitreichende seelsorgliche Abdeckung der Provinz zu erreichen, wobei die Dominikaner weite Reisen in Kauf nehmen mussten.

Der Errichtung von Ordenshäusern und einem Seelsorgenetzwerk in der Provinz folgte der Aufbau von Konventsschulen. In seinem dritten Kapitel geht Johannes Schütz auf die Akkumulation von Wissen innerhalb des Ordens ein und beschäftigt sich – einem Trend der jüngeren Forschung folgend – besonders mit den an den Konventen angesiedelten Schulen, die von den meisten Dominikanern besucht wurden. Dabei geht er weniger auf das studium generale und die Provinzschulen ein, die wegen weiter Anreisezeiten nur von zehn Prozent der Ordensbrüder frequentiert wurden. Johannes Schütz konzentriert sich vielmehr auf das Lehrwerk Rotulus pugillaris von Augustinus von Dacia und untersucht dieses Basiswerk für die Schulung junger Brüder anschaulich im Hinblick auf dogmatisches und normatives Wissen. Durch Vergleich des Rotulus pugillaris mit anderen Lehrbüchern kann er zeigen, dass Augustinus von Dacia pastorale Lehren in einfache und für die Brüder einsichtige Belehrungen umformte. Ein kurzer Überblick über den Besuch der studia generalia in Mitteleuropa durch skandinavische Brüder rundet das Bild der Ausbildung der Dominikaner als Wissensexperten in Seelsorge und Beichte ab.

Das vierte Kapitel dient der Auseinandersetzung mit der dominikanischen Predigt in Skandinavien und ihren Zielen. Johannes Schütz legt die Kommunikationssituation des Ordens mit der Bevölkerung Skandinaviens anhand des überlieferten Predigtkorpus Sermones de tempore des dänischen Dominikaners Mathias Ripensis dar. Dabei leistet er gute Grundlagenarbeit zur Predigt im Mittelalter und gibt – leider nur – ein anschauliches Beispiel zur Predigtsituation in der Provinz Dacia. Er kann zeigen, dass die Dominikaner sich mit dem Werk des Bruders Mathias in die europäische Tradition einreihten, da das Predigtkorpus dogmatisches Wissen der Kirche mit Naturbeobachtungen und Erzählungen untermauerte und stets versuchte, seine Zuhörer zu Buße und Umkehr aufzurufen.

In seinem letzten Kapitel verknüpft Johannes Schütz die Betrachtung der Predigttätigkeit durch die Dominikaner mit einer Untersuchung ihrer pastoralen Aufgaben. Wegen des Mangels an Quellen hat er Probleme, die Beichtpraxis für Skandinavien darzulegen, geht aber aufgrund von Belegen in Testamenten davon aus, dass die Dominikaner als Konfessoren Teil der pastoralen Sozialstruktur waren und von den Gläubigen in der Provinz Dacia wegen ihrer besonderen Bildung und des päpstlichen Auftrags gut aufgenommen wurden. Obwohl er in den wenigen belegten Häresie-Fällen keine Beteiligung von Dominikanern bei deren Verfolgung nachweisen kann, nimmt Johannes Schütz entgegen der Forschungsmeinung an, dass auch in Skandinavien Ketzerprozesse geführt wurden, die auf ein uneinheitliches Glaubensbild der Bevölkerung hinweisen.

Johannes Schütz gelingt ein weitgreifender Überblick über das Wirken der Dominikaner in der Provinz Dacia. „Hüter der Wirklichkeit“ ist eine insgesamt sehr lesenswerte Studie, deren Stärke in der Verknüpfung von Quellenmaterial mit Kontextwissen liegt. Die Berücksichtigung von päpstlicher Politik und Strategien des Dominikanerordens macht diese Arbeit nicht nur zu einem beeindruckenden Werk für die Forschung über das mittelalterliche Skandinavien, sondern auch für das Verständnis des Dominikanerordens im mittelalterlichen Europa.