T. Grischany: Die Integration der Österreicher in die Wehrmacht

Titel
Der Ostmark treue Alpensöhne. Die Integration der Österreicher in die großdeutsche Wehrmacht, 1938–45


Autor(en)
Grischany, Thomas R.
Reihe
Zeitgeschichte Im Kontext 9
Erschienen
Göttingen 2015: V&R unipress
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Magnus Koch, Hamburg

Mit der sogenannten Opferthese ergriffen die österreichischen Eliten nach 1945 die Gelegenheit, die eigene Bevölkerung von der in den Jahren zuvor gezeigten großen Zustimmung zur NS-Bewegung und dem „großdeutschen“ Kriegsprojekt frei zu sprechen und das Land stattdessen als „erstes Opfer“ der nationalsozialistischen Aggression in Europa darzustellen. Die Vorlage dieses von den Alliierten unterstützten Projekts lieferte die „Moskauer Deklaration“ von 1943, die eben dies proklamierte. Allerdings weniger weil man es dort nicht besser gewusst hätte, sondern um die (österreichisch-patriotischen) Widerstandskräfte im Land gegen den NS zu aktivieren. Thomas Grischany liefert mit seiner Studie über die Integration österreichischer Soldaten in die Wehrmacht einen wichtigen Beitrag, um die große Nähe zum „großdeutschen“ Projekt und die verbreitete Sehnsucht nach dem Aufgehen in einer „bewaffneten Volksgemeinschaft“ aufzuzeigen. Für diese zentrale soziale Gruppe liefert der Autor umfassende Belege dafür, dass die Österreicher in der Wehrmacht „sich vom Verhalten der Kameraden aus dem Altreich praktisch nicht“ abgehoben hätten, dass sie bis Kriegsende „loyal und entschlossen“ kämpften, sich an den NS-Verbrechen ebenso unterschiedslos beteiligten und sich auch in der niedrigen Rate von Verweigerung und Widerstand keinerlei Gegensätze finden ließen (S. 18).

Grischany strukturiert seine Argumentation in sechs chronologisch angelegte Kapitel, in dem er zunächst die Vorgeschichte der deutsch-österreichischen Beziehungen und Konflikte auf militärischem Gebiet von den Schlesischen Kriegen bis Ende des Ersten Weltkrieges in den Blick nimmt und sodann das Verhältnis von „Ostmärkern“ und „Reichsdeutschen“ zwischen 1938 und 1945 (und nach Kriegsende) abhandelt. Im dritten Kapitel schiebt der Autor einige grundsätzliche Reflexionen über die „bewaffnete Volksgemeinschaft im Krieg“ ein.

Als wichtigste Grundlage für die späterhin festgestellte reibungslose Integration des Bundesheeres der Ersten Republik in die Wehrmacht macht Grischany das gemeinsame „Fronterlebnis“ von k.u.k-Soldaten und reichsdeutschen Truppen im Ersten Weltkrieg fest. Dass im Zusammenhang mit der „Grabengemeinschaft“ auch das völkische Prinzip an Attraktion gewonnen und die Durchsetzung ziviler Ordnungen erschwert hätten, wertet der Autor zurecht als idealen Nährboden für das Aufgehen der österreichischen Streitkräfte in der Wehrmacht. Ein früherer (in Österreich weithin populärer) „Anschluss“ war von den Alliierten nach Kriegsende noch verhindert worden. In der Zwischenkriegszeit sei zwar der Anteil der Mitglieder des (illegalen) nationalsozialistischen Soldatenrings im Bundesheer recht klein gewesen, hätte aber über eine große Zahl an Sympathisanten verfügt.

Nach einigen für Grischany als zu vernachlässigend beschriebenen Anfangsschwierigkeiten hätte als wichtigster Faktor der Integration der Krieg selbst fungiert. Je länger er dauerte, desto mehr seien regionale und nationalen Unterschiede innerhalb der Wehrmacht verschwunden. Im Laufe der Jahre seien die „Ostmärker“ als gleichberechtigte Reichsbewohner zudem in der Hierarchie der für Deutschland kämpfenden Soldaten aufgestiegen; sie hätten auf die zeitlich nachfolgenden, häufig mit Zwang und Repression belegten Kämpfer (etwa aus Luxemburg oder dem Elsass) oder den Volksdeutschen aus den ehemals polnischen Gebieten herabschauen können, was wiederum der eigenen Integration förderlich war. Die „Ostmärker“ hätten auch von einem positiv gepolten Exotismus profitiert: Zwar habe es unter Reichsdeutschen durchaus Vorbehalte hinsichtlich Effektivität und Kampfbereitschaft ihrer neuen Kameraden gegeben. Diese seien jedoch mehr als aufgewogen worden durch positive Bilder und Stereotype, wie den ebenso „harten“ wie „zähen“ oder auch „fröhlichen“ und „unverbildeten Alpensöhnen“.

Insbesondere im Zuge der schnellen Siege seit Kriegsbeginn sei auch der Wunsch der Zugehörigkeit der Österreicher zu einem größeren, erfolgreichen und – so die Stimmen der Zeitzeugen – gut organisierten Ganzen von zentraler Bedeutung gewesen, dazu zählte auch das „Erlebnis“ der Besatzung im Westen und Norden, die auch für viele Österreicher eine erste attraktive Gelegenheit bedeutete, fremde Länder kennenzulernen. Hier und insgesamt macht Grischany einen generationellen Faktor aus: Je mehr die Männer als Rekruten durch das reichsdeutsche Ausbildungssystem geprägt wurden, desto stärker auch die „großdeutsche“ Prägung.

Besonders überzeugend wird die Darstellung, wenn der Autor seine Befunde auch an kulturhistorischen Themen wie Musik, Theater oder Kulinarik festmacht oder naheliegende Faktoren wie die enorm gestiegenen Karrieremöglichkeiten der Österreicher in der Wehrmacht herausarbeitet. Gerade hier kann er zeigen, dass die Soldaten selbst häufig ein positives Verständnis von Vielfalt und sich ergänzenden Qualitäten und Eigenschaften innerhalb der „bewaffneten Volksgemeinschaft“ entwickelten, was auch die Aneignung NS-ideologischer Aspekte des Krieges begünstigte, wobei die Wehrmachtführung es offenbar geschickt verstand, regionale Eigenheiten und insbesondere auch militärische Traditionen der österreichischen Armeen nicht nur zu tolerieren, sondern im Sinne der militärischen Effektivität zu fördern. Höchst aufschlussreich sind auch die immer wieder eingestreuten Hinweise auf die Unterschiede und Gegensätze innerhalb Österreichs selbst, etwa die Abwehr der Länder gegenüber der mächtigen Wiener Zentralmacht, oder auch der anderen landsmannschaftlichen Rivalitäten und ihren Dynamiken zum Vorteil der Kampfmotivation im Krieg.

Auch die sich seit 1943/1944 abzeichnende Niederlage vermochte die Integration nicht abzuschwächen. Hierzu habe vor allem der infolge des Bombenkrieges sich verstärkende Hass gegen die Alliierten im Allgemeinen und die im Zuge des Vernichtungskrieges weitgehend geteilte, rassistisch aufgeladene Abscheu vor dem „jüdischen Bolschewismus“ bzw. unter diesen Vorzeichen die Angst vor den Folgen einer Niederlage beigetragen. Als zentral schätzt der Autor zudem die Erfahrung der „Kameradschaft“ ein, die landsmannschaftliche, soziale und andere Unterschiede und partiell auftretende Reibungsverluste nahezu bedeutungslos gemacht habe. Hier wäre allerdings zu fragen, ob die „Ostmärker“ in der Wehrmacht die Frage einer Integration ins „großdeutsch Reich“ angesichts der zunehmenden Aussichtslosigkeit der Kämpfe nicht aus den Augen verloren und ihr Blick sich nicht insgesamt eher auf das eigene und das Überleben der jeweiligen „Kameraden“ bzw. Einheiten verengte.

Grischany weist eingangs zurecht auf eine äußerst fragile Quellenlage für seine Studie hin; eine Handvoll Memoiren, Nachlässe und Interviews standen ihm zur Verfügung, ergänzt durch die weitaus stärkere Überlieferung von Wehrmachtsseite, die seine These – wenig überraschend – grundsätzlich bestätigt. Die Einleitung bleibt leider hinsichtlich quellenkritischer Einschränkungen insbesondere der Interviews mit Veteranen sehr knapp, hier hätte man sich hinsichtlich der starken These mehr Reflexion gewünscht, und es wäre auch eine eingehendere Betrachtung wert gewesen, welche der Soldaten überhaupt motiviert waren, ihre Memoiren den einschlägigen Archiven zu hinterlassen. Gewöhnungsbedürftig sind auch einige sprachliche Eigenheiten: So redet Grischany durchgängig und ohne inhaltliche Erklärung dazu von den deutschen „Stämmen“, wenn er Tiroler, Sachsen usw. meint, offenbar deshalb, weil sich die Soldaten im zeitgenössischen Kontext Begriff und Konzept ebenso breit angeeignet hatten. Und auch die ausgiebige Beschäftigung mit den landsmannschaftlichen Klischees bringt ihn zuweilen zu irritierenden Ergebnissen, etwa wenn er entsprechende Stereotypen reproduziert und Lamoyanz, „Unterwürfigkeit“ oder „Überempfindlichkeit“ als „Charakterzug“ österreichischer Soldaten festhält (S. 108, 113).

Klugerweise bezieht der Autor auch die ungehorsamen Soldaten (als Gegenentwurf zu den Integrierten) analytisch in die Argumentation mit ein. Seine Sympathien gehören dabei zwischen den Zeilen und auch ganz explizit den „entschlossen weiterkämpfenden Truppen“. So spreche es „für die Einstellung der Frontsoldaten, dass die Desertionsrate bis Ende 1944 beim Ersatzheer drei bis fünfmal höher“ gewesen war. Aus einer Stichprobe erhobene „wehrmachtbezogene Straftaten“ bewertet Grischany in diesem Sinne als mehrheitlich „von notorischen Taugenichtsen und Kleinkriminellen begangene Disziplinlosigkeiten“. Hier fehlt nicht nur die Reflexion der (österreichischen) Forschung zum Thema, auch angesichts der 2009 durch den österreichischen Nationalrat beschlossenen Anerkennung der Verfolgten einer verbrecherischen Wehrmachtgerichtsbarkeit als Opfer des Nationalsozialismus ist sein Befund mindestens erklärungsbedürftig.

Für die Zweite Republik stellt Grischany zutreffend fest, dass sich die Veteranengeneration von der eigenen Beteiligung an den Kriegsverbrechen in dem Maße distanzierte wie sie die für sie positiven Aspekte des Krieges wie „Kameradschaft“ oder militärische Erfolge in Ehren hielten. Mit der totalen Niederlage „Großdeutschlands“ habe der Reichsgedanke in Österreich keine Mehrheit mehr finden können, diese Haltung kategorisiert der Autor als „opportunistisch“. Abschließend geht es um Wirken und Einfluss und Wirken der Veteranenverbände und die Rolle der „Deutschgedienten“ im Bundesheer der Zweiten Republik. Dabei müsse man zwischen soldatisch-heroischen Haltungen im Allgemeinen und NS-ideologischen Einstellungen sorgfältig unterscheiden, obgleich es hier doch eher um die Analyse der relevanten Schnittmengen beider Phänomene gehen müsste.

Trotz der aufgezählten Unschärfen und Irritationen bietet das Buch von Grischany eine Fülle interessanter Belege dafür, dass die „Opferthese“ auch aus der Perspektive der Wehrmachtssoldaten in den Bereich der Legenden gehört.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/