Titel
Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung


Herausgeber
Bauer, Rudolph
Reihe
Friedenspolitische Reihe 1
Erschienen
Annweiler am Trifels 2015: Sonnenberg Verlag
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
19,80 €
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Sabine Hering, Universität Siegen

Als 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“ gegründet wurde, befand sich Deutschland äußerlich betrachtet schon seit über zwei Jahrzehnten im Frieden. Die Wirtschaft florierte, Deutschland war auf dem Wege zur Weltmacht. Trotzdem fanden rasch mehr als 2000 Menschen zusammen, die genug Weitblick hatten, um die drohenden Kriegsgefahren zu sehen und die auch in der Lage waren, ihre friedenspolitischen Forderungen umfassender als nur bezogen auf unterschiedliche Formen der Waffengewalt zu formulieren. Zu diesem erweiterten Friedensbegriff gehörte beispielsweise auch der Protest Bertha von Suttners gegen Tierversuche: „Die Religion rechtfertigt nicht den Scheiterhaufen, der Vaterlandsbegriff rechtfertigt nicht den Massenmord, die Wissenschaft entsündigt nicht die Tierfolter.“1

Der jetzt vorliegende Band „Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung“ folgt dieser Tradition der „Deutschen Friedensgesellschaft“ auf verschiedenen Ebenen. Die Initiatoren der Antikriegskonferenz Berlin 2014, deren Beiträge neben anderen Texten in der Publikation zusammengefasst sind, haben sich ebenso wie ihre ‚Ahnen‘ in Zeiten von Frieden und Wohlstand der Aufgabe gestellt, auf ein breites Spektrum von Gefahrenquellen und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, die angesichts der allgemeinen Saturiertheit und dem notwendigen Abstand zu den Kriegsgebieten leicht aus dem Blickfeld geraten, wenn man sich in der Mitte Europas befindet.

Die Autoren weisen auf vielfältige Weise darauf hin, dass es im 21. Jahrhundert vor allem darum gehen muss, sich mit den veränderten Formen von Krieg und Gewalt zu beschäftigen. Denn die Zeiten, in denen es hieß: „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“, sind lange vorbei. Im 21. Jahrhundert können Kriege zwar noch immer die Menschheit oder zumindest Teile davon verstümmeln und vernichten, aber die Vernichtungswaffen können ‚im Ernstfall‘ weitestgehend entpersonalisiert eingesetzt werden. Durch den berühmten Knopfdruck eben. Trotzdem gibt es auch durchaus noch die traditionelle Mann-gegen-Mann-Kriegsführung, gleichzeitig aber auch neuartige Kampfstrategien, beispielsweise in Form terroristischer Attentate oder den Einsatz von Drohnen. Die Friedensbewegung ist also herausgefordert, ihre Aufmerksamkeit auf ganz unterschiedliche Phänomene zu richten und auf verschiedenen Ebenen zu agieren, denn es muss ihr ja nach wie vor in erster Linie darum gehen, im Vorfeld Gewalt und Kriegen entgegenzuwirken und nicht erst gegen bereits im Gange befindliche Katastrophen zu protestieren.

Die präventiven Maßnahmen, die gegenwärtig friedenspolitisch erforderlich erscheinen, ergeben sich aus Sicht der Autoren dieses Buches hauptsächlich aus dem Umstand, dass militärisches Denkens wieder zunehmend gesellschaftsfähig wird, und dass die Gewaltbereitschaft innerhalb breiter Bevölkerungsgruppen durch Prozesse der Ausgrenzung und Verelendung in bedrohlicher Weise gefördert wird: „Militärisches Denken erobert Schulen, Forschungseinrichtungen und Redaktionen. Die kriegerische Mobilmachung Europas beginnt innerhalb der Mitgliedsstaaten, wenn jugendliche Massen arbeitslos sind, und nach außen hin bei der Abschottung gegen Flüchtlinge. Sie stützt sich geopolitisch auf das transatlantische ‚Bündnis‘ mit den USA, auf neue Waffen- und Überwachungssysteme, auf Destabilisierung und den sog. Freihandel. Waffen und Kriegsmaterial werden bedenkenlos in Krisengebiete exportiert. Deutsches Militär [….] übernimmt weltweit angeblich ‚Verantwortung‘ für Menschenrechte.“ (Bauer, Klappentext)

In den drei großen Abschnittes des Buches „Militarisierung“, „Mobilmachung“ und „Einspruch“ knüpfen die insgesamt 16 Autoren an aktuelle Diskurse aus unterschiedlichen Fachdisziplinen an, in welche die einzelnen Beiträgen aufgrund der teilweise beeindruckenden Expertise weitreichende Einblicke eröffnen. Dabei kommt neben der lesenswerten Kritik an der „Einübung des hegemonialen Habitus“ an den Schulen (Franz Hamburger) die bedenklich stimmende Rolle der Medien ins Visier (Michael Schulze von Glaßner / Helmuth Riewe / Matthias Jochmann), aber auch die Legitimation der Sicherungs- und Aufrüstungsstrategien angesichts des Terrorismus (Rolf Gössner / Volker Eick).

Einen besonders wichtigen Teil des Buches stellen die Rückblicke auf friedenspolitische Erfolge und Niederlagen in der Vergangenheit dar (Jörg Wollenberg / Ulla Jelpke) – ebenso wie die Rückbesinnung auf den antikapitalistischen Nucleus, welcher der Friedensbewegung immer innewohnte, aber auch immer wieder in Vergessenheit zu geraten droht (Günter Rexilius / Rudolph Bauer).

Es zeigt sich also deutlich und eindrucksvoll, dass die Friedensbewegung sich den neuen Herausforderung intellektuell durchaus zu stellen gewillt ist und zu stellen vermag – es wird aber auch deutlich, dass die Chancen, sich durch Einspruch und Proteste erfolgreich den Phänomenen der Gewalt und den unterschiedlichen kriegerischen Attacken entgegenzustellen, ebenso gering einzuschätzen sind, wie vor 100 Jahren. Die Notiz von Peter Weiß „Europa ist ein einziger Friedhof von betrogenen, verratenen und gemordeten Hoffnungen“2 scheint durchaus noch ernst zu nehmen zu sein.

Die Frage, was die Friedensbewegung angesichts der ebenso klugen wie bedrohlich klingenden Analysen eigentlich tun kann und tun sollte, bleibt deshalb wiederum – abgesehen von eher allgemeinen Hinweisen auf Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit – weitgehend unbeantwortet. „Why don't they take them away the license to kill?“ – fragt Bob Dylan. Aber: wer ist befugt, wem die Lizenz zu entziehen? Wer hat die Macht dazu? Und vor allem: wer von den Mächtigen hat gleichzeitig das Interesse daran? Die Antworten auf solche Fragen fallen nach der Lektüre dieses lesenswerten Buches noch resignativer aus als üblich.

Anmerkungen:
1 Bertha von Suttner, Schach der Qual, Wien 1898.
2 Peter Weiß, Notizbücher, Frankfurt am Main 1981, zitiert auf S. 276.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension