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Titel
Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule


Autor(en)
Baumgärtner, Ulrich
Erschienen
Paderborn 2015: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
€ 19,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Martin Buck, Pädagogische Hochschule Freiburg

Kompendien der Geschichtsdidaktik haben im Augenblick offenbar Konjunktur. Neben den älteren, fast schon klassisch zu nennenden Darstellungen1 haben in letzter Zeit Hans-Jürgen Pandel und Nicola Brauch neue Geschichtsdidaktiken vorgelegt.2 Das hier zu besprechende Werk des Münchener Geschichtsdidaktikers und Seminarlehrers Ulrich Baumgärtner will indes keine „Summe“ in diesem systematischen Sinne bieten, mithin kein Hand- oder Lehrbuch sein, das das gesamte abfragbare Prüfungswissen enthält; es gibt sich bescheidener, versteht es sich doch als „Wegweiser“ durch ein komplexes Arbeits- und Forschungsfeld, auf dem es nicht nur Haupt-, sondern auch „lohnende Nebenwege“ gibt (S. 9).

Im Zentrum der 254 Seiten umfassenden, gründlichen, klar gegliederten und gut geschriebenen Darstellung steht, wie es im Untertitel heißt, „Historisches Lernen in der Schule“. Der Autor hat sein Buch, das, was das Layout anbelangt, vom Verlag ansprechend gestaltet ist, nach einer kleinen, aber präzisen Einführung (S. 9–15) in 16 Unterkapitel gegliedert. Thematisch führt der „Weg“ von recht grundsätzlich gehaltenen Ausführungen zum Verhältnis von „Geschichte und Didaktik“ (S. 17–30) und der Erläuterung der geschichtsdidaktischen Leitkategorien „Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur“ (S. 31–46) über das historische Lernen im Unterricht (Ziele, Inhalte, Methoden und Medien, S. 57–229) schließlich zur Planung, Durchführung und Auswertung von Geschichtsunterricht (S. 231–241). Am Ende stehen zwei Beispiele für wegweisende empirische Forschungen im Fach (S. 243–251).3 Das Buch wird von einem Namenregister (S. 253f.) beschlossen; ein Sachregister fehlt.

Die Einzelkapitel sind immer nach demselben Schema aufgebaut. Das Thema wird anfangs jeweils kurz, prägnant und interesseweckend angerissen, dann im Folgenden differenziert und ausführlich vertieft. Schließlich werden abschließend unter der Rubrik „Probleme und Perspektiven“ Arbeitsaufgaben zu den präsentierten Sachverhalten formuliert. Am Ende stehen jeweils ausgewählte (kommentierte) Literaturhinweise, die eine weiterführende Lektüre ermöglichen. Darüber hinaus wird in den Kapiteln stark mit visuellen Verständnishilfen (Schemata, Bilder, Tabellen, Fotos usw.) gearbeitet. Das Auge liest hier mit. Das Buch lehrt mithin nicht nur Didaktik, es ist auch didaktisch gut angelegt. Die Bedürfnisse der Adressaten werden jedenfalls befriedigt, zumal hier jemand spricht, der von Geschichte und Geschichtsunterricht nicht nur theoretisch, sondern vor allem auch praktisch sehr viel Ahnung hat. Dass Ulrich Baumgärtner weiß, wovon er spricht, macht die besondere Qualität des Buches aus.

Wer das Buch aufmerksam liest, erhält überdies einen guten und gediegenen Überblick über die Arbeits-, Aufgaben- und Forschungsfelder der modernen Geschichtsdidaktik. Er wird über die gewählte Systematik zugleich auch einen Einblick in die Präferenzen der aktuellen geschichtsdidaktischen (Forschungs-)Diskussion erhalten. Die wichtige, aber, wie Ulrich Baumgärtner zu Recht bemerkt, „in den Hintergrund“ (S. 91) getretene Frage nach den Inhalten historischer Erkenntnis wird beispielsweise auf einigen wenigen Seiten (S. 89–103) abgehandelt. Dasselbe gilt für die „Methoden historischen Lernens“ (S. 105–112). Breiten Raum dagegen nimmt die Frage nach den „Medien“ (S. 113–229) ein. Sie ist in der Tat zentral. Die bewusste Akzentsetzung erklärt sich daraus, dass diese Frage, der insgesamt sieben Kapitel gewidmet sind, für historische Erkenntnis und historisches Lernen von grundlegender Bedeutung ist, – ist historische Erkenntnis als historische Erkenntnis doch nie unmittelbare, sondern immer durch „Medien“ (Mündlichkeit, Schriftlichkeit, Bildlichkeit, Gegenständlichkeit, Körperlichkeit, Digitalität) vermittelte Erkenntnis.

Dass Inhalte und Methoden so knapp behandelt werden, ist vor diesem disziplingeschichtlichen Hintergrund durchaus legitim. Es hat auch mit dem modernen Selbstverständnis des Faches zu tun, das sich eben nicht mehr, wie dies lange der Fall war, als unterrichtsbezogene „Methodenlehre“ (im negativen Sinne), aber auch nicht mehr primär als Lern-, sondern als Denk- und Reflexionsfach versteht.4 Inhalte und Methoden sind fraglos wichtig und haben deshalb auch ihren festen Platz im historischen Curriculum, sie stehen aber nicht mehr im Vordergrund des aktuellen geschichtsdidaktischen Diskurses, der auf die Initiierung von historischen Denk- und Lernprozessen abhebt.5 Ulrich Baumgärtner spricht diesbezüglich von einer „Wende der Geschichtsdidaktik von der Didaktik des Geschichtsunterrichts zur Wissenschaft vom Geschichtsbewusstsein“ (S. 244).

Diese „Wende“, die sich vor allem in der Hinwendung zum historischen Lernen manifestiert, bringt das vorliegende Buch durch seine „Gewichtsverteilung“ angemessen zum Ausdruck. Über einzelne Schwerpunktsetzungen kann man natürlich streiten, etwa über die ebenso umfängliche wie kontroverse Kompetenzdebatte, die unter den „Zielen“ (S. 75–87) abgehandelt wird, und die eigentlich kaum noch existente Inhaltsdebatte (S. 79, S. 85 und S. 91), die für schulischen Unterricht und Lehrplanmacher jedoch absolut existentiell ist, weil man Unterricht ohne den zentralen Faktor „Inhalt“ nicht planen kann. Auch die Tatsache, dass die moderne Geschichtsdidaktik eine nachvollziehbare Tendenz zur neueren und neuesten Geschichte hat, müsste eventuell stärker reflektiert werden, weil dadurch große Teile der alten und vormodernen Geschichte didaktisch ins Hintertreffen geraten. Nicht alles kann in einer Monographie, die nur ein „Wegweiser“ sein will, ausführlich behandelt werden, zumal wenn es sich um eine aktuelle Herausforderung wie etwa die Inklusion (S. 72f.) handelt.6 Auch die Literaturhinweise sind verständlicherweise stark selektiv. Begriffsabgrenzungen können in einer komplexen, zwischen Theorie und Praxis changierenden Disziplin nicht immer klar und angemessen durchgeführt sein.7 Festzuhalten bleibt aber, dass es zwar schwierig, aber doch nach wie vor notwendig ist, die „Spezifik des Geschichtsunterrichts“ (S. 70) festzuschreiben, wenn das Fach sein Alleinstellungsmerkmal, nämlich die Auseinandersetzung mit Geschichte als „eine völlig eigenständige Denkform“ zu begreifen, nicht verlieren will.8

Zusammenfassend lässt sich mithin sagen: Man kann das vorliegende Grundlagenwerk insgesamt als sehr gelungene und umfassende Einführung in den Gegenstand bezeichnen. Das ansprechende Buch wird vielen Lehramtsstudierenden, aber auch Dozierenden, die im geschichtsdidaktischen Bereich (an Schule wie Hochschule) tätig sind, hilfreich sein, zumal die Inhalte übersichtlich, klar und ansprechend präsentiert werden. Eine systematisch geschlossene und theoretisch fundierte Geschichtsdidaktik, wie sie etwa Hans-Jürgen Pandel bietet, war hier von vornherein nicht intendiert, kann insofern auch nicht verlangt werden. Das Buch erfüllt deshalb nicht nur den selbst gesetzten Anspruch einer ersten Orientierungshilfe, sondern bezeugt durch seine inhaltliche Vielfalt und Komplexität auch die steigende Relevanz und Wertschätzung, die sich das (Teil-)Fach mit seinen spezifischen Fragestellungen, Denkformen und Methoden in der modernen Gesellschaft in und außerhalb der Schule erarbeitet hat.

Anmerkungen:
1 Zu nennen sind vor hier allem die einschlägigen Monographien von Joachim Rohlfes, Geschichte und ihre Didaktik, Göttingen 1986, und Michael Sauer, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, Seelze 2001, aber auch das Sammelwerk von Hilke Günther-Arndt (Hrsg.), Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für Sekundarstufe I und II, Berlin 2003 und das neue Handbuch, das Michele Barricelli und Martin Lücke (Hrsg.), Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Bd. 1, Schwalbach im Taunus 2012 herausgegeben haben.
2 Hans-Jürgen Pandel, Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis, Schwalbach im Taunus 2013; Wolfgang Hasberg (Hrsg.), Didaktik der Geschichte: Eine Einführung, Köln 2012; Nicola Brauch, Geschichtsdidaktik, Berlin 2015.
3 Exemplarisch präsentiert werden die einschlägigen Forschungen von Bodo von Borries, Das Geschichtsbewußtsein Jugendlicher. Erste repräsentative Untersuchung über Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartswahrnehmungen und Zukunftserwartungen in Ost- und Westdeutschland, Weinheim 1995, und von Peter Gautschi, Guter Geschichtsunterricht: Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise, Schwalbach im Taunus 2009.
4 In diesem Zusammenhang hätte neben dem wichtigen Hinweis auf die narrative Kompetenz (S. 148f.) auch stärker betont werden können, dass Geschichte in der Tat kein Sach-, sondern ein Sprachfach ist.
5 Ulrich Baumgärtner spricht auf Seite 85 sogar davon, dass die Erschließung fachlicher Themen in den Hintergrund trete, „das Fach mithin inhaltlich entkernt“ werde. Er äußert damit eine reale Befürchtung, die nicht zuletzt auch eine Konsequenz der Kompetenzdebatte ist.
6 Das Thema wird eigentlich nur der Vollständigkeit halber genannt, ohne dass klar würde, in welchem spezifischen Zusammenhang es mit Geschichtsunterricht steht.
7 Das fällt z.B. bei dem für den Geschichtsunterricht zentralen Thema „Alterität“ (Hans Robert Jauß) auf, das als „fachdidaktisches Prinzip“ neben „Projektorientierung“, „Handlungsorientierung“ und „Personalisierung/Personifizierung“ – es handelt sich bei den drei Prinzipien nicht um spezifisch geschichtsdidaktische Prinzipien – präsentiert und zudem mit „interkulturellem Lernen“ vermengt wird und damit, was seine Bedeutung für historisches Lernen anbelangt, etwas unterbelichtet bleibt.
8 So Michael Sauer, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 5. akt. u. erw. Aufl., Seelze 2006, S. 18.

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