B. Bleckmann u.a. (Hrsg.): Philostorgios, Kirchengeschichte

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Titel
Philostorgios, Kirchengeschichte. Editiert, übersetzt und kommentiert. Bd. 1: Einleitung, Text und Übersetzung; Bd. 2: Kommentar


Herausgeber
Bleckmann, Bruno; Stein, Markus
Reihe
Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike (KFHist) E 7
Erschienen
Paderborn 2015: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
Bd. 1: LXXIII, 439 S.; Bd. 2: 618 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Diese zweisprachige Edition des griechischen Kirchenhistorikers Philostorgios bedeutet in doppelter Hinsicht eine Premiere: Zum einen wird damit die von Bruno Bleckmann und Markus Stein herausgegebene Reihe „Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike“ (KFHist) begründet, die bislang zumeist vernachlässigte spätantike Autoren in zweisprachigen Textausgaben mit einem ausführlichen Kommentar zugänglich machen möchte; zum anderen handelt es sich um die erste deutsche Übersetzung des Philostorgios überhaupt. Erstellt wurde diese Edition von dem Düsseldorfer Althistoriker Bruno Bleckmann, von dem bereits zahlreiche Beiträge zu diesem Autor stammen1, und Markus Stein, seinem Kollegen aus der Klassischen Philologie.

Der Aufbau entspricht dem gängigen Schema kritischer Editionen: Der erste Band enthält Vorwort (S. VII–X), Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis (S. XIII–LXXIII), die Einleitung (S. 1–117) sowie den kritischen Text der Testimonien und Fragmente samt deutscher Übersetzung (S. 119–439), wobei die in der Edition von Bidez gebotenen Anhänge ausgelassen, aber die sicher Philostorgios zuweisbaren Partien in den Haupttext integriert wurden. Der philologische und historische Kommentar (S. 5–618) findet sich im zweiten Band.

Die ausführliche Einleitung, die fast vollständig von Bleckmann stammt, behandelt die Rekonstruktion des (nur in einem Auszug des Photios und Fragmenten späterer Benutzer) erhaltenen Textes der Kirchengeschichte (Bd. 1, S. 1–36), die Biographie des Philostorgios und die Datierung des Werkes (Bd. 1, S. 37–45), dessen Aufbau, Inhalt und Gestaltung (Bd. 1, S. 45–54), die christlichen und heidnischen Quellen (Bd. 1, S. 54–86) sowie die Zielsetzung des Werks (Bd. 1, S. 86–101); zudem finden sich Bemerkungen zum Text (von Markus Stein, Bd. 1, S. 101–115) und zur Übersetzung (Bd. 1, S. 116f.). In der Einleitung zeigt Bleckmann auf, dass Philostorgios das Werk wahrscheinlich in Konstantinopel verfasste, wobei sich dessen dortige Tätigkeit nicht genau bestimmen lässt. Der Autor habe damit im gebildeten Milieu für die christliche Teilgruppierung der Eunomianer werben wollen. Das Werk wurde nach 425 verfasst, am ehesten in den 430er-Jahren. Erhalten sind etwa ein Sechstel bis ein Fünftel des Textes, wobei von einzelnen Büchern bis zu einem Drittel erhalten sein könnte. Wichtige Quellen sind unter anderem Eusebios’ Kirchengeschichte und Vita Constantini, der anonyme homöische Historiker, Konzilsakten und Briefe, die Philostorgios aus zweiter Hand nutzte, hagiographische Texte, Eunapios, der als Vorlage für Entgegnungen gegen heidnische Berichte benutzt wurde, sowie eine auch von Ammianus verwendete Tradition. Als Quelle sei Philostorgios nicht von vornherein besser oder schlechter als die nicaenischen Kirchenhistoriker, sein Sondergut sei allerdings oft eine tendenziöse Stellungnahme gegen tendenziöse Behauptungen der Nicaener.

Der Text und die Übersetzung stellen einen wichtigen Fortschritt dar. Durch eine genaue Prüfung der handschriftlichen Überlieferung und der Herkunft der Fragmente konnte der Text der bereits bekannten Fragmente oftmals verbessert oder verständlich gemacht (hierüber informiert detailliert der philologische Kommentar) und gelegentlich der Textbestand um einige Passagen erweitert bzw. das philostorgianische Material noch klarer erfasst werden. Die gleichermaßen zuverlässige und gut lesbare Übersetzung ist folglich derzeit die einzige, die den Text des Philostorgios auf dem neuesten Stand überträgt. Ebenso wertvoll ist der Kommentar, der im philologischen Teil neben sprachlichen Beobachtungen vor allem Hinweise zur Textkritik und Erklärung unklarer Stellen bietet, während der historische Kommentar die Hintergründe der Ereignisse erhellt und die Parallelüberlieferung dazu erschließt.

Um es mit Bleckmanns eigenen Worten zu formulieren: „Trotz intensiver und geradezu verzweifelter Bemühungen, Kritikpunkte in Übersetzung und Kommentar zu entdecken, ist die Ausbeute erwartungsgemäß extrem mager geblieben. Nur um den Beweis anzutreten, daß hier sorgfältig geprüft und gelesen worden ist, füge ich einige […] Dinge von untergeordneter Bedingung an.“2 In Band 2, Seite 258f. hätte zum Phänomen des Regenbogens noch Ammianus 20,11,26–30 herangezogen werden können. In Band 2, Seite 368 heißt er zur Entlassung des Martin von Tours aus dem Militärdienst: „Christen konnten unter Julian ihren Dienst angeblich nicht beginnen […]. Andere sahen sich gezwungen den Dienst zu quittieren, so etwa Martin unter Julian als Caesar.“ Dies verkennt Historizität und Kontext der Episode: Zum einen muss die Geschichte angesichts von Ammianus 21,2,4 (Julian präsentiert sich noch während seiner Usurpation als Christ) unhistorisch sein; zum anderen will Julian laut Sulpicius Severus Martin gerade nicht aus dem Militärdienst entlassen, während er nach der sonstigen christlichen Tradition christliche Soldaten aus dem Heer entfernen möchte. In Band 2, Seite 426 wird Augustinus nur allgemein genannt, ohne eine Stellen- oder Werkangabe zu machen. Ammianus bezeichnet die Gerüchte um Prokop als designierten Nachfolger Julians nicht explizit als falsch (Bd. 2, S. 462), lässt aber Skepsis durchblicken (23,3,2 und 26,6,2; siehe auch 25,3,20). Zu den mythischen Vorbildern der in Band 2, Seite 465 genannten Hinrichtungsmethode Prokops hat sich Chastagnol geäußert, zum hier zu präzisierenden Geburtsjahr Valentinians II. (Bd. 2, S. 483: 371) Oaks und zu den frühen Erwähnungen der Romania (Bd. 2, S. 551) Fehrle.3 Wie sehr die Antike die Münzprägung als mit usurpatorischen Bestrebungen verknüpft ansieht (Bd. 2, S. 567), zeigt das Beispiel des erfundenen Usurpators Trebellianus, der angeblich ebenfalls Münzen prägte (Historia Augusta, Triginta tyranni 26,2). Christina Abenstein hat kürzlich vermutet, dass dem spätmittelalterlichen Basiliosübersetzer Georg von Trapezunt das Werk des Philostorgios bekannt war.4 In der Übersetzung hätte die Angabe der Parallelen stellenweise noch etwas ausführlicher ausfallen können (siehe etwa test. 6, Bd. 1, S. 129 gegenüber 2,7,b, Bd. 1, S. 185).

Auch sonst fallen nur wenige Formalia auf: Bleckmanns Aufsatz zu Nikephoros erschien nicht im Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik (Bd. 1, S. LVIII), sondern in einem Sammelband.5 Wenn Malalas in Band 2, Seite 187 nach der unzuverlässigen Bonner Edition zitiert wird, scheint dies ein Versehen zu sein, da ansonsten parallel Thurns Ausgabe konsultiert wird (Bd. 2, S. 232f.). Marievs Edition des Johannes Antiochenus wäre häufiger heranzuziehen gewesen.6 Die Literaturliste könnte man als bibliographisches Instrument optimieren, wenn alle Spezialforschungen zu Philostorgios dort und nicht in Einzelfällen erst im Kommentar genannt werden (etwa Fernández Bd. 2, S. 145f.); tatsächliche Ergänzungen zur Forschung sind allerdings fast keine möglich.7 Druckfehler sind gemessen am Umfang des Werkes sehr selten und finden sich lediglich in Einleitung und Kommentar.8 Der einzige schwerwiegende Kritikpunkt ist das Fehlen jeglicher Register; dies fällt besonders ins Gewicht, da diese Ausgabe eine umfangreichere Textbasis als die früheren Editionen bietet.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Bleckmann und Stein eine grundlegende Edition vorgelegt haben, die für den Erforscher des Philostorgios unverzichtbar und für den der Spätantike überaus nützlich sein wird. Es ist sehr zu hoffen, dass alle weiteren Bände der Reihe die damit festgelegten Qualitätsstandards aufrechterhalten werden.

Anmerkungen:
1 Darunter die Ausgabe Philostorge, Histoire ecclésiastique, texte critique J. Bidez (GCS), traduction Édouard Des Places, introduction, révision de la traduction, notes et index Bruno Bleckmann, Doris Meyer, Jean-Marc Prieur, Paris 2013. Zu dieser Ausgabe hat sich der Rezensent in einer demnächst im Latomus erscheinenden Besprechung geäußert.
2 In Bleckmanns Rezension von Hansens Sozomenosausgabe (2004): Plekos 7 (2005), S. 177–180 (<http://www.plekos.uni-muenchen.de/2005/rsozomenos.pdf>), hier S. 178f.
3 André Chastagnol, La supplice de l’écartèlement dans les arbres, in: Raymond Chevallier (Hrsg.), Colloque histoire et historiographie Clio, Paris 1980, S. 187–201 (Neudruck: ders., Aspects de l’antiquité tardive, Roma 1994, S. 241–258); Jeffrey A. Oaks, The birth dates of Valentinian II and Valentinian III, in: Medieval Prosopography 17 (1996), S. 147–148 (zwischen November 370 und November 371); Eugen Fehrle, Romania bei Ammianus Marcellinus, in: Philologische Wochenschrift 45 (1925), Sp. 381–382.
4 Christina Abenstein, Die Basilius-Übersetzung des Georg von Trapezunt, Berlin 2015, S. 294 (zu I,2,2).
5 Bruno Bleckmann, Nikephoros Xanthopoulos und Philostorgios, in: Christian Gastgeber / Sebastiano Panteghini (Hrsg.); Ecclesiastical history and Nikephoros Kallistou Xanthopulos, Wien 2015, S. 71–80.
6 Die entsprechenden Angaben (alle Bd. 2): S. 16: Frg. 223 Mariev; S. 525 und S. 529: Frg. 212 Mariev; S. 530: Frg. 224 Mariev; S. 535: Frg. 232 Mariev; S. 538: Frg. 215 Mariev.
7 Lediglich Pierre Batiffol, Die Textueberlieferung der Kirchengeschichte des Philostorgius, in: Römische Quartalschrift 4 (1890), S. 134–143; Pierre Batiffol, Un historiographe anonyme arien du IVe siècle, in: Römische Quartalschrift 9 (1895), S. 57–97 und Ludwig Jeep, Zur Überlieferung des Philostorgios, Leipzig 1899. Für Literatur zu Einzelfragen siehe die Anm. 1 genannte Rezension.
8 Bd. 1, S. XXIX „tertullien“ („Tertullien“); S. 20, Nr. 37 Trennung „Fre-vel“ in einer Zeile; S. 73 „Davon dass“ („Davon, dass“); S. 98, Anm. 4 doppeltes Komma; Kommentar, Bd. 2: S. 5 „S. 3“ („S. 7“); S. 49 „plazieren“ („platzieren“); S. 111 „darüberhinaus“ („darüber hinaus“); S. 343 „Busin“ („Busine“); S. 430 „erwietern“ („erweitern“); S. 537 „Stilichofeindlichen“ („stilichofeindlichen“); S. 543 „Dunlop“ („Dunlap“). Fehlende Leerzeichen: Bd. 1, S. 32 („dasLabarum“); Bd. 1, S. 59, Anm. 3–9 und S. 60, Anm. 1f. und 4 („Bidez,Anhang“). Das Buch von Hartke erschien 1951, nicht 1959 (Bd. 2, S. 526); das von Klee 1892, nicht 1902 (Bd. 2, S. 528). Im Literaturverzeichnis fehlen die Angaben zu den Vornamen bei Bruggisser (Bd. 1, S. LIX) und Richard (Bd. 1, S. LXIX). Zwei Angaben im Inhaltsverzeichnis (Bd. 1, S. XII) sind fehlerhaft: Die Bemerkungen zur Übersetzung beginnen S. 116, nicht S. 115 und der Text der Fragmente S. 130, nicht S. 132. Dass Bd. 1, S. 7 sowohl von 279 als auch von 280 Codices der Bibliothek des Photios gesprochen wird, ist kein Fehler, hätte aber wohl besser erklärt werden sollen (Cod. 88 und 89 werden in der Handschrift zusammengefasst und die Zahl 89 so übersprungen).

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