U. Lappenküper u.a. (Hrsg.): Der Wiener Frieden 1864

Cover
Titel
Der Wiener Frieden 1864. Ein deutsches, europäisches und globales Ereignis


Herausgeber
Lappenküper, Ulrich; Auge, Oliver; Morgenstern, Ulf
Reihe
Otto-von-Bismarck Stiftung, Wissenschaftliche Reihe 22
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
46,90€
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Wendel-Hansen, Institute of Culture, Language & History, Department of Culture & Social History, Ilisimatusarfik University of Greenland

Als Ole Bornedals Fernsehserie „1864“ vor einigen Jahren im dänischen Fernsehkanal DR1 gezeigt wurde, empfanden die dänischen Leitmedien die wissenschaftlichen Debatten um die Angemessenheit der Darstellung schon als einen ziemlich alten Hut. Dennoch wird die Diskussion unter Historikern weiterhin intensiv geführt. Besonders die Ursachen des Krieges und die Gründe für die dänische Verfassungsreform von 1863 bleiben ein zentrales Thema: War die bewusste Infragestellung der Regelungen des Londoner Protokolls von 1852, in dem die Rolle des dänischen Staates in Europa und die nationale Zugehörigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein durch die europäischen Großmächte geregelt worden war, das Produkt eines neuen nationalistischen Fanatismus oder eine politische Notwendigkeit für den dänischen Staat?1 Selbst in die aktuellen dänischen Debatten um Einwanderung und Integrationspolitik wird „1864“ einbezogen.

In Dänemark ist „1864“ ein Begriff, eine Institution. Vergleichbar allein mit der deutschen Besetzung während des Zweiten Weltkriegs, bleibt der dänische-deutsche Krieg und die Erinnerung an ihn ein zentraler Moment für das dänische Selbstverständnis und die Wahrnehmung der Nationalgeschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aus einer deutschen bzw. globalen Perspektive mag der Krieg dagegen lediglich als die erste und vielleicht eher unwichtigere militärische Auseinandersetzung der Einigungskriege erscheinen – von eher sekundärer oder vielleicht gar tertiärer Bedeutung. Der hier zu besprechende Sammelband will daher neues Interesse erzeugen. Es ist das erklärte Ziel der Anthologie, ein Bild der „Perzeptionsgeschichte des Friedens im zeitlichen Umfeld des Vertragsabschlusses (1863–1865/66)“ zu skizzieren. Dadurch soll es möglich werden, den Krieg in seiner spezifischen historischen Eigenart wahrzunehmen.

Schon die geographische Spannbreite der Beiträge im Band ist sehr weit. Sie reicht von Lateinamerika bis Japan, und von Nordfriesland bis Großbritannien. Allein damit wird bereits illustriert, dass die Schleswig-Holsteinische Frage eine internationale Streitfrage ersten Ranges war. Und es wird deutlich, dass der Konflikt selbst vielleicht nicht zu den spannendsten Fragen seiner Zeit gehörte, verschiedene Zugänge ihn aus unterschiedlichen nationalen Perspektiven aber höchst relevant machten.

Fast alle Beiträge beruhen auf intensiven Quellenstudien und bieten tiefgehende Analysen, die sich durch große Kreativität und akademische Originalität auszeichnen. Thomas Steensens Beitrag über Nordfriesland zum Beispiel ist unbedingt lesenswert und höchst erfreulich: Er zeigt die Komplexität der schleswig-holsteinischen Frage für ein sehr begrenztes und in unmittelbarer Nachbarschaft zum dänischen Königreich und Teilen des Herzogtums Schleswig liegendes Gebiet, das eine ganz eigene Haltung im größeren Konflikt zwischen den Hauptakteuren einnehmen sollte. Konkret diskutiert Steensen große Sympathien für Schleswig-Holstein in der politisch interessierten friesischen Elite, die Enttäuschung über die preußische Annexion Schleswig-Holsteins, aber auch einen friesischen Patriotismus, der auf den dänischen Gesamtstaat bezogen war und sich besonders in den Enklaven des Königreichs als dauerhaft erwies – aber nicht mit dänischem Nationalismus zu verwechseln ist. Sein Beitrag beschreibt die Ursachen der breiten Loyalitäts- und Identitätsverwirrung, mit der sich die Bevölkerungen Europas in der Mitte des 19. Jahrhundert konfrontiert sahen.

Umgekehrt muss allein die Idee, nach den Perspektiven japanischer und amerikanischer Zeitgenossen zu fragen, unbedingt hervorgehoben werden. Wenn Yosuke Iida in ihrem Beitrag die Frage stellt: „Warum hatten Enomoto und Akamatsu [zwei japanische Schifffahrtsexperten, die sich Mitte der 1860er-Jahre auf Studienreisen nach Europa befanden, der Verfasser] kein Interesse am Wiener Frieden…?“ legt sie dem Leser sofort die Gegenfrage in den Mund: „Warum sollten ausgerechnet diese beiden irgendein Interesse am deutsch-dänischen Konflikt haben?“ Der hervorragende Beitrag macht jedoch klar, dass jeder Krieg dieser Zeit immer auch ein globales Interesse hervorrief und die Frage der technischen Entwicklung wie der neuen Trends in der internationalen Diplomatie auch im fernen Japan ein Interesse am Konflikt erzeugten. Freilich: Am Ende interessierten sich die Japaner vor allem für die neuen Waffen, die zum Einsatz kamen.

Grundsätzlich sind die Beiträge sehr unterschiedlich fokussiert und nehmen das Thema des Wiener Friedens von 1864 zum Anlass, sehr individuell zugeschnittene Fragen zu behandeln. Das macht es nicht einfach, die Beiträge direkt zu vergleichen. Sowohl thematisch als auch methodisch bietet der Band ein breites Spektrum. Während etwa Caroline Elisabeth Weber und Thomas Steensen hauptsächlich die Reaktionen der breiten Bevölkerung Schleswig-Holsteins bzw. Nordfrieslands beschreiben, analysieren Ulrich Lappenküper und T.G. Otte vor allem die Regierungsebene der französischen bzw. englischen Politik. Auch in ihrer zeitlichen Perspektive variieren die Beiträge erheblich. So nutzt Steen Bo Frandsen die Niederlage von 1864 als Ausgangspunkt für einen kaleidoskopischen Blick auf die dänische Geschichte der letzten zweihundert Jahre. Der bereits erwähnte Beitrag von Caroline Elisabeth Weber fokussiert dagegen fast ausschließlich die unmittelbare Reaktion auf den Friedensschluss. Eine etwas klarere redaktionelle Linie der Herausgeber hätte hier zu einem überzeugenderen Ergebnis führen können – steht der Wiener Frieden eher für ein Ereignis oder soll es um die Analyse einer breiten Epoche gehen?

Und obwohl es interessant ist, die weltweiten Implikationen und Interessen (oder Desinteressen) zur schleswig-holsteinischen Frage zu skizzieren, bleibt es doch bemerkenswert, dass die Folgen des Kriegs in Dänemark auf nur 14 Seiten zur Sprache kommen und die weitere skandinavische Perspektive fast ganz außen vor bleibt. Dieser Sammelband zur schmerzlichsten Niederlage in der heutigen dänischen Erinnerung behandelt Dänemark mehr oder weniger oberflächlich und knapp in einem Artikel im dritten Teil der Anthologie zusammen mit weiteren anderen europäischen Akteuren. Die Niederlage hatte aber große unmittelbare und langfristige Konsequenzen in der dänischen Geschichte – nicht zuletzt für die unmittelbar folgende große Verfassungskrise und damit für die Entwicklung der heutigen dänischen Demokratie. Selbst in Steen Bo Frandsens Beitrag wird dieser Aspekt kaum erwähnt. Vor allem aber war der Wiener Frieden nicht nur eine Niederlage Dänemarks, sondern auch eine Niederlage Skandinaviens und des europäischen Nordens insgesamt. Der politische Skandinavismus war immer ein zentraler politischer Standpunkt in Dänemark, und bis zuletzt hofften die dänische Bevölkerung und die dänische Regierung, dass Schweden-Norwegen Dänemark zu Hilfe kommen würde.

Diese Schwächen sollen freilich nicht den positiven Gesamteindruck vom Sammelband schmälern. Er leistet einen wichtigen Beitrag nicht nur zum Verständnis des Dänisch-Deutschen Krieges, sondern auch zum Krieg als internationales Phänomen in einer globalen Perspektive.

Anmerkung:
1 Die wichtigsten dänischen Beiträge zur wissenschaftlichen Debatte stammen von den Historikern Tom Buk-Swienty bzw. Rasmus Glenthøj.

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