F. de Taillez: Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit

Cover
Titel
Zwei Bürgerleben in der Öffentlichkeit. Die Brüder Fritz Thyssen und Heinrich Thyssen-Bornemisza


Autor(en)
de Taillez, Felix
Reihe
Familie – Unternehmen – Öffentlichkeit: Thyssen im 20. Jahrhundert 6
Erschienen
Paderborn 2016: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
546 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Lesczenski, Historisches Seminar, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Seit dem späten 19. Jahrhundert veränderte sich die deutsche Presselandschaft in bemerkenswerter Geschwindigkeit. Die Titelvielfalt nahm zu, Massenblätter und neue Unterhaltungszeitschriften etablierten sich, erste Pressekonzerne entstanden. Die sozioökonomischen Krisen der Nachkriegszeit erhöhten auch das öffentliche Interesse an wirtschaftlichen Themen. Immer häufiger, z.B. in der Kartelldebatte oder in der Diskussion über „wirtschaftliches Führertum“, rückte in den Printmedien das konkrete Verhalten namhafter Großunternehmer in den Focus. Viel spricht dafür, dass auch Spitzenindustrielle ihrerseits zunehmend auf eine gezielte Imagepolitik bedacht waren.

Daher sind die Absichten, die Felix de Taillez mit seiner Dissertation verfolgt, nur folgerichtig. Am Fallbeispiel von Fritz Thyssen (1873–1951) und Heinrich Thyssen-Bornemisza (1875–1947) will die Studie einerseits zeigen, wie die beiden Brüder in der regionalen, nationalen und internationalen Öffentlichkeit beschrieben wurden und wie sich die „medial konstruierten Images“ (S. 14) wandelten. Andererseits fragt de Taillez danach, welche Strategien und Praktiken das Brüderpaar bei seiner „mediengestützten Selbstinszenierung“ (S. 15) präferierte. Neben umfangreichen privaten und amtlichen Quellen zieht der Autor vor allem ein beeindruckendes Korpus von Presseartikeln aus Deutschland, dem europäischen Ausland, den USA und Südamerika heran. Einziger Schönheitsfehler, der einen systematischen Vergleich von vornherein nahezu ausschließt: der dichten Überlieferung zu Fritz Thyssen steht ein nur schmaler Bestand zur medialen Wahrnehmung und zur Medienpolitik Heinrichs gegenüber.

De Taillez sucht zunächst nach Schlüsselereignissen, die für eine „mediale Sichtbarkeit“ der Brüder sorgten und sowohl ihr Image als auch ihr weiteres Verhalten in der Öffentlichkeit wesentlich mitbestimmten. Fritz übernahm seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Thyssen-Konzern partiell die Öffentlichkeitsarbeit, korrespondierte mit Verlegern und diskutierte mit Schriftleitern über die internationale Politik. Für den „medialen Durchbruch im großen Stil“ (S. 478) sorgte aber erst sein Widerstand gegen die Befehle belgischer und französischer Offiziere während der Ruhrbesetzung 1923. Nationale und internationale Medien stilisierten Fritz Thyssen „zum Nationalhelden und Märtyrer“ (S. 75). Die intensive Berichterstattung in der ausländischen Presse steigerte seinen internationalen Bekanntheitsgrad deutlich.

Bei Heinrich waren es anfangs private Eskapaden, die ihm öffentliche Aufmerksamkeit bescherten. Einen Gerichtsprozess in London wegen eines angeblich gebrochenen Eheversprechens, seine Heirat mit der ungarischen Baronin Margit Bornemisza de Kázon 1906, die Adoption durch seinen Schwiegervater und seinen hedonistischen Lebensstil nahm die Presse auf, um von Heinrich das Bild „eines ehrlosen, arroganten und rücksichtslosen Dandys, der auf Kosten seines Vaters lebte“ (S. 478), zu zeichnen. Dass Heinrich fortan ein ambivalentes Verhältnis zur Öffentlichkeit entwickelte, lässt sich offenkundig im Kern auf seine ersten Erfahrungen mit einer kaum steuerbaren Presse zurückführen. Die Skandalisierung des Thyssen’schen Familienlebens war freilich nicht neu. Die naheliegende Frage, ob und inwieweit das lebhafte Medienecho auf die Scheidung ihres Vaters August und ihre Folgen, der über Printmedien ausgetragene Dauerstreit mit seinem Sohn August junior sowie die aggressiven PR-Strategien ihres jüngeren Bruders nicht gleichfalls zu den medialen Schlüsselerlebnissen gehörten, nimmt de Taillez allerdings nicht auf.

Mit dem Tod August Thyssens und der Aufspaltung des Konzerns 1926 gingen Fritz und Heinrich in ihrer Medienarbeit rasch unterschiedliche Wege. Die Versuche Heinrichs, sich mit seiner Firmengruppe „A. Thyssen’sche Unternehmungen des In- und Auslands“ in ein wohlwollendes öffentliches Licht zu rücken, scheiterten weitgehend. Seine Idee, in Düsseldorf einen repräsentativen Konzernsitz zu errichten, ließ sich nicht umsetzen. Hinzu kam seine „Unfähigkeit, sich nach außen überzeugend als Unternehmer und Chef seines Firmenkonglomerats darzustellen“ (S. 119). Die nationale und internationale Presse nahm Heinrich nicht als global handelnden Unternehmer, sondern vor allem als Akteur in „funktionalen Teilöffentlichkeiten“ (S. 19) wie der Kunst- und Pferdesportszene wahr. Auch hier fielen seine Erfahrungen letztlich ernüchternd aus. Die öffentliche Präsentation seiner Kunstsammlung in der Münchener Pinakothek 1930 mündete in einen Medienskandal, als Kunstexperten die Qualität zahlreicher Gemälde heftig kritisierten. Wenig gibt die Analyse seiner Medienpräsenz in der Pferdesportszene her. Das ist nicht dem Autor anzulasten, sondern alleine der Tatsache geschuldet, dass die fachlich einschlägige Presse auch bei namhaften Pferdesportrennen über Heinrich fast kein Wort verlor und stattdessen ausführlich über seine „Wunderstute Nereide“, ihren Jockey und ihren Trainer berichtete.

Während sich Heinrich Schritt für Schritt aus der Öffentlichkeit zurückzog, erreichte sein Bruder als Aufsichtsratsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke und Vorsitzender der Internationalen Rohstahlgemeinschaft zunehmend den „Status eines Medienprominenten“ (203). Seiner PR-Arbeit lag zwar keine konsistente Strategie zugrunde, gleichwohl lassen sich wichtige Bausteine identifizieren. Seinen Ruf als Nationalheld zu pflegen, blieb ein Fixpunkt seiner Selbstinszenierung. Für sein Image in der transnationalen Öffentlichkeit wurde sein Auftritt bei der achten Konferenz der Großindustrie im Oktober 1931 richtungsweisend. Nach seiner Rede zur Lage der deutschen Stahlindustrie beschrieben ihn große US-amerikanische Blätter fortan als international erfahrenen und kompetenten „Wirtschaftsführer“. In der NS-Zeit nutzte Fritz Thyssen zunächst die Medien, um seine Unterstützung des NS-Regimes öffentlich nach außen zu tragen. Sein Bruch mit der NS-Diktatur, die Emigration, seine Medienoffensive, um sich als Regimekritiker zu präsentieren und seine Einstufung im Entnazifizierungsverfahren als „Minderbelasteter“ waren für die internationale Presse keine Gründe, ihr Bild von Fritz Thyssen als „Steigbügelhalters“ Hitlers und ihre Vorstellung von seinem großem Einfluss auf die NS-Politik entscheidend zu korrigieren. Die Imagekorrektur blieb nach seinem Tod seinem Testamentsvollstrecker Robert Ellscheid vorbehalten, der sich nach Kräften und mit gehörigem Erfolg bemühte, Fritz Thyssen gegenüber der westdeutschen Öffentlichkeit als frühen Widersacher des Nationalsozialismus darzustellen.

Bei seiner akribischen Analyse konzentriert sich de Taillez etwas zu sehr darauf, den Inhalt der Presseartikel sowie die Interviews und Vorträge Fritz Thyssens sorgfältig wiederzugeben. Die dichte Rekonstruktion arbeitet in erster Linie seine (wirtschafts-)politischen Überzeugungen heraus; den Anspruch, Perspektiven der Bürgertumsgeschichte aufzunehmen und fortzuschreiben, löst die Arbeit nur bedingt ein. Auch wenn de Taillez zu Beginn seiner Studie andeutet, dass die Öffentlichkeit einem Unternehmer Spendenbereitschaft, Mitgliedschaften in gemeinnützigen Vereinen und lokalpolitisches Engagement abverlangt habe, wird nicht richtig deutlich, welche Leitbilder über ein angemessenes „Bürgerleben“ und die Pflichten eines Unternehmers die Printmedien bei ihrer Wahrnehmung von Fritz und Heinrich eigentlich konkret anlegten (und wie sich die Semantiken im Zeitverlauf wandelten). Oder beschränkte sich die mediale Rezeption besonders auf das politische Verhalten von Großunternehmern? Das wäre überraschend. Zumindest gab es Wirtschaftsjournalisten wie Josef Winschuh, der sich seit den 1920er-Jahren regelmäßig mit dem Wandel von „Bürgerlichkeit“ und veränderten Funktionen eines Unternehmens auseinandersetzten.

Größere Aufmerksamkeit hätte auch das spezifische bürgerliche Selbstverständnis der beiden Protagonisten verdient gehabt, das ihre Selbstinszenierung bestimmte. Die interessante Interpretation, dass Fritz sich als rastloser Unternehmer darstellte, der ökonomisch rational handelte und von Luxus nichts hielt, und dem Image seines Vaters August nacheiferte, wird dem Leser lediglich en passant präsentiert und nicht weiter vertieft. Trotz der spärlichen Quellen wäre hier ein genauerer Blick auf Heinrich spannend gewesen. Verstand er seine Lebensführung noch als ein „Bürgerleben“ oder entsprach sein Image als vornehmer Aristokrat viel mehr seinem Selbstbild?

Schließlich darf eine schon klassische Frage nicht fehlen (die der Autor nicht aufnimmt): Welche Rückschlüsse lassen die Fallbeispiele zweier recht eigenwilliger Charaktere auf allgemeine Strukturmerkmale im Wechselspiel zwischen der Selbstinszenierung und der medialen Wahrnehmung von Unternehmern zu? Der spärliche Forschungsstand lässt gewiss nur vage Arbeitshypothesen zu. Die Ergebnisse der Dissertation lassen vermuten, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmern bis in die 1950er-Jahre hinein einen bestenfalls semiprofessionellen Charakter trugen und erheblich von den persönlichen Interessen ihrer namhaften Köpfe bestimmt wurden. Weitere Studien, für die de Taillez das Feld bestellt hat, werden insbesondere den unternehmenspolitischen Kontext von individuellen Medienpraktiken stärker berücksichtigen und etwa nach ihrer Bedeutung für unternehmensstrategische Interessen und Entscheidungen fragen müssen.

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