D. Dumitru: The State, Antisemitism, and Collaboration in the Holocaust

Cover
Titel
The State, Antisemitism, and Collaboration in the Holocaust. The Borderlands of Romania and the Soviet Union


Autor(en)
Dumitru, Diana
Erschienen
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 84,84
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Armin Heinen, Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen

Die auffallende Gewalt von Zivilisten gegen Juden in Bessarabien 1941(–1944) und die im Vergleich dazu deutlich größere Friedfertigkeit der Bewohner der transnistrischen Nachbarprovinz ist das Thema der von zahlreichen internationalen Forschungsorganisationen geförderten Studie Diana Dumitrus. 1941–1944 erlebte die Region zwischen Pruth und Bug alle Schrecken des Krieges. Es gab Grausamkeiten gegen Juden, aber auch Akte der Solidarität. Seit August 1941 standen beide Provinzen dabei unter rumänischer-Verwaltung. Das macht den Reiz der Untersuchung aus.

Allerdings geht es der Autorin nicht darum, neuerlich eine Geschichte des extremen Nationalismus, des Antisemitismus und der Gewaltexzesse im (deutsch-)rumänischen Herrschaftsbereich vorzulegen. Vielmehr stellt sie essayartig ein Argument vor: Das differierende Verhalten der Einwohner Bessarabiens und Transnistriens führt sie nämlich auf unterschiedliche Politikerfahrungen 1918–1940 zurück. Bessarabien, das dem rumänischen Königreich zugehörte, erlebte in der Zwischenweltkriegszeit eine systematische Politik der Rumänisierung und der antijüdischen Agitation. Die Bewohner Transnistriens lernten zur selben Zeit die Härten des Klassenkampfes kennen, sahen, wie das städtische Bürgertum enteignet wurde, im Dorf die alten Führungsgruppen ausgeschaltet wurden. Damit verlor der wirtschaftlich motivierte Antisemitismus seine Basis, während gleichzeitig der ideologische Antisemitismus als reaktionär und als politisches Instrument der antisowjetischen Kräfte verurteilt und verfolgt wurde. Die anfangs erzwungene, dann aber unmittelbar erfahrene ethnische Solidarität, so Diana Dumitru, machte die Bewohner Transnistriens zu Beginn des Zweiten Weltkrieges immun gegenüber der antisemitischen Agitation der deutschen und rumänischen Besatzer.

Die Gliederung des mit 268 Seiten angenehm übersichtlichen und immer präzise argumentierenden Bandes entwickelt die Ausgangsthese in klaren, immer nachvollziehbaren Schritten. Kapitel eins vergleicht Bessarabien und Transnistrien in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Beide Regionen gehörten damals zu Russland. Sie waren geprägt von einem lebendigen Antisemitismus. Immer wieder kam es zu Pogromen. Das langfristige politisch-kulturelle Erbe unterschied beide Provinzen also nicht.

Im zweiten Kapitel wendet sich Dumitru der Zwischenkriegszeit zu. 1918 fiel Bessarabien, das vor 1812 dem Fürstentum Moldau zugehört hatte, nun an Rumänien. Das nun deutlich vergrößerte Königreich mit seiner Funktion als antibolschewistischer Pufferstaat kam mit dem gemischtethnischen, noch stark ländlich geprägten Gebiet nur schlecht zurecht. Der Versuch einer Modernisierung von oben durch Rumänisierung der Dörfer, der Marktflecken und der vereinzelten Städte traf lokal auf entschiedenen Widerstand. Gleichzeitig wurde die Region zum Aufmarschgebiet für die extreme Rechte.

Im Unterschied zu Bessarabien verblieb Transnistrien 1918 bei Russland. Dementsprechend schildert Dumitru in ihrem dritten Kapitel die sozialistische Umgestaltung der Provinz. Die sowjetische Politik vermochte nur dann zu reüssieren, wenn sie die traditionellen sozialen Schranken durchbrach und anstelle der teilautarken Ethno-Gemeinschaften eine neue gemischtethnische Gesellschaft herstellte. Von den separierten sozialen Kulturräumen vor 1918 blieben allein die Folklore und die als privat deklarierte Religionsausübung übrig. Ukrainer, Russen, Rumänen, Juden arbeiteten – wo es denn möglich war – nicht mehr neben-, sondern miteinander. Die Moskauer Zentrale verurteilte jeglichen Nationalismus, bekämpfte den Antisemitismus als falsche Ideologie, als Versuch, die Einheit der Werktätigen zu sprengen. Bis an diese Stelle beruht Dumitrus Argumentation weitgehend auf Literaturstudien.

Die beiden anschließenden Kapitel zeigen dagegen, welche Quellenschätze noch zu heben sind. Dumitru schildert Häufigkeit und Formen ziviler Gewalt gegenüber Juden in Bessarabien bzw. Transnistrien, behandelt aber auch die auffallenden Akte der Solidarität zwischen den Ethnien. Dabei liegen jedoch von Polizisten, Verwaltungsbeamten, Gendarmen und Soldaten verübte Gewaltakte außerhalb ihres Untersuchungsrasters, da sie einer anderen sozialen Logik folgten, also bspw. Befehlen oder Machtmissbrauch. Ihre Darlegung stützt Dumitru dabei auf zahlreiche, einander ergänzende Quellenarten. Zu ihnen zählen Tagesberichte der Einsatzgruppen, die Dokumente in einschlägigen Quelleneditionen, vor allem aber Gerichtsprotokolle, Memoiren, Zeitzeugeninterviews. Das Ergebnis ist für den Leser eindeutig: Bessarabien erlebte ein antijüdisches Inferno durch Zivilisten, während die Bevölkerung Transnistriens vergleichsweise ruhig blieb.

Kapitel sechs fasst die Ergebnisse klug zusammen und stellt die These noch einmal systematisch vor: Bessarabien ertrank in ziviler Gewalt, Transnistrien blieb vergleichsweise ruhig. Und dies gilt sogar für die Schwarzmeerdeutschen, die ein geschlossenes Siedlungsgebiet im Süden Transnistriens bewohnten. Zusätzlich untermauert Dumitru ihre Beobachtungen durch quantitative Auswertungen. Dazu versandte sie Fragebögen an Holocaust-Überlebende. Sechzig Formulare kamen zurück. Über Konflikte mit Juden in ihrer Jugendzeit berichteten 20% der Umfrageteilnehmer aus Transnistrien, während gleichzeitig 87% der ehemaligen Bewohner Bessarabiens über ethnisch motivierte Gegensätze referierten. 80% der ehemaligen Bewohner Transnistriens betonten das erfreuliche Miteinander der ethnischen Gruppen, während nur 13% der Zeitzeugen aus Bessarabien zu einem solchen Schluss kamen. Dasselbe Ergebnis brachte die Auswertung von zufällig ausgewählten Memoiren.

Gleichwohl, das Kriegsende veränderte noch einmal die Ausgangsvoraussetzungen. Die Rückeroberung besetzter Gebiete durch sowjetische Truppen sah vielerorts antijüdische Kundgebungen und Gewaltakte, auffallenderweise diesmal auch in Transnistrien. Spricht dieser Sachverhalt gegen Dumitrus These? Die Verfasserin verweist auf die Wirkung der Nazipropaganda, auf die nationalistische Aufladung der sowjetischen Politik während des Krieges, und sie schildert die Ängste, welche die Rückkehr der geflohenen Juden auslöste, weil die Eigentumsordnung neuerlich in Frage gestellt wurde. Damit bestätigt der Sachverhalt dann doch die Ausgangshypothese, nämlich die entscheidende Bedeutung der Kooperations- und Konfliktlagen sowie deren Interpretation durch die politisch Verantwortlichen vor der Krise selbst. Antisemitische Gewalt war das Ergebnis konkreter Politik, nicht von anonymen sozialen Kräften und Modernisierungskonflikten.

Erfreulicherweise bestätigt damit Dumitru, was die Genozidforschung seit langem betont hat. Erstens: Die Konfliktlagen allein genügen nicht zur Massengewalt. Relevanz erhalten sie erst durch Konstruktion rassischer Differenz und eine das Überleben der Eigengruppe infrage stellende Interpretation der ethnischen Konflikte. Zweitens: Der enge gegenseitige positive Kontakt ethnischer Gruppen vermindert Vorurteile.

Diana Dumitru hat also vermutlich recht, wenn sie eine unterschiedliche Gewaltbereitschaft bei Zivilisten in Bessarabien und Transnistrien vermutet. Jedenfalls könnte ich aufgrund meiner Quellenkenntnisse nichts Gegenteiliges behaupten. Und doch empfinde ich bei der Lektüre ein gewisses Unbehagen hinsichtlich der empirischen Basis von Dumitrus wichtiger Studie. Sie selbst weist darauf hin, dass Verhaltensaussagen für Großgruppen („Gewaltbereitschaft“, „Hass“, „Feindschaft“) in geschichtswissenschaftlicher Perspektive durchaus schwierig zu belegen seien. Die für eine Quantifizierung notwendige räumliche, zeitliche und soziale Differenzierung scheitert am fehlenden Quellenmaterial, auch in ihrem Falle. Aber es gibt weitere methodische Fallstricke. Sie betreffen die Quellengrundlage, die Auswertung der Quellen, die Bezeichnung der Akteure und die Charakterisierung der Handlungsmotive, schließlich den betrachteten Vergleichsraum, den Beobachtungszeitpunkt und die Darstellung der Gewalttaten selbst. Das ist eine lange Aufzählung und muss erläutert werden.

Dumitru basiert ihre Aussagen vor allem auf die Erinnerung von Zeitzeugen, sei es während der Nachkriegs-Gerichtsverfahren, sei es in Memoiren oder Zeitzeugeninterviews. Jeder, der schon einmal mit Aussagen von Zeitgenossen gearbeitet hat, weiß, wie schwierig die Interpretation sein kann, wenn nicht die spezifische Erinnerung das Thema der Erkundung darstellt, sondern das vergangene Geschehen selbst. Natürlich kennt Dumitru die Fallstricke der Oral History. Dennoch benutzt sie die Aussagen der Überlebenden ohne ausführliche quellenkritische Einschränkung, ohne den jeweiligen narrativen Stellenwert für die Erzählung der Zeitzeugen zu berücksichtigen. Während die transnistrischen Juden die Jahre der Verfolgung überstanden und nach dem Krieg in ihrer Heimat blieben, starben viele der Juden Bessarabiens. Jene, die überlebten, wanderten nach Israel aus. Natürlich beeinflusst dies die Erinnerungen. Für die Akteure spricht Dumitru von „Bessarabiern“ und „Bewohnern Transnistriens“. Das ist recht geschickt, weil es manche Probleme umschifft, verdeckt aber den Sachverhalt, dass an den Gewalttaten gegen die Juden nicht nur Rumänen, sondern auch Ukrainer und andere ethnische Gruppen beteiligt waren. Gleichzeitig wurden wiederum auch Ukrainer Opfer rumänischer Gewalt. Da gilt es also genauer hinzuschauen. Der Verweis auf die lebendig gehaltenen Traditionen des rumänischen Antisemitismus reicht jedenfalls zur Erklärung gewaltsamen Handelns nicht aus. Mehr noch, Dumitru sieht Vorurteile und Hass als zentrales Motiv für die Gewalt. Das ist in vielen Fällen gewiss richtig. Aber sie zitiert auch Quellen, die zeigen, dass selbst frühere Freundschaften nicht vor gewalttätiger Nachstellung schützten. Offensichtlich bedurfte es für das Gewalthandeln in manchen Fällen nicht einmal emotional gefestigter Vorurteile. Sosehr Genozide Gegenstand sozialwissenschaftlichen Nachdenkens sein müssen, sosehr bedarf es doch offensichtlich auch eines geschichtswissenschaftlichen, auf die nuancierende Erzählung abhebenden Zugriffs.

Andere Schwierigkeiten sehe ich hinsichtlich der tatsächlichen Vergleichsmöglichkeit zwischen Bessarabien und Transnistrien. Dumitru unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Phasen des Gewalthandelns: Kriegsbeginn, Vertreibung, Ansiedlung, institutionelle Unsicherheit, Konsolidierung der Besatzungsherrschaft, Abgrenzung zum eliminatorischen Vernichtungsfuror des deutschen Antisemitismus (1943–1944). Das ist nun aber erforderlich, um das Gewalthandeln situativ einzuordnen. Allerdings, wenn man tatsächlich einzelne Phasen voneinander abgrenzt, kann man Bessarabien und Transnistrien kaum gegenüberstellen. (Das Gewalthandeln in Bessarabien war beschränkt auf die Monate der Vertreibung, Juni bis November 1941; in Transnistrien umfasst es den Zeitraum der Ansiedlung von August 1941–1944). Hinzu kommt die sich deutlich unterscheidende soziale Struktur der Provinzen: westlich des Pruths eine relative Mehrheit von Rumänen, die östlich eine Minderheit bildeten. Das Zusammen- und Getrenntleben der Ethnien, die Einwirkungen der Politik, die Gewaltakte müssten doch sehr viel genauer Dorf für Dorf, Stadt für Stadt zu den verschiedenen Zeitpunkten analysiert werden, als dies Dumitru vorführt.

Kurz, die Studie von Dumitru kann viele Probleme, die der Vergleich in der Geschichtswissenschaft mit sich bringt, nicht allumfänglich lösen: Gleichsetzung des Unvergleichlichen, Gefahr des ökologischen Fehlschlusses, historisch bedingte Beeinträchtigung von Zeitzeugenerinnerungen, begrenzter Faktenwert von Gerichtsaussagen usw.

Gleichwohl ist Dumitrus Fragestellung ungemein wichtig, und trotz allem dürfte ihre Beobachtung einer differierenden zivilen Gewaltbereitschaft in Bessarabien und Transnistrien zutreffen. Doch eine Prüfung der These und eine Beurteilung, ob eine erfolgreiche politische Sozialisation ursächlich für die Gewaltbereitschaft war oder situative Elemente die Unterschiede erklären, kann über einen makrohistorischen Zugang, wie ihn Dumitru anstrebt, allenfalls ansatzweise gelingen. Erfolgreicher dürfte ein mikrohistorischer Zugang sein. Gewalt war immer konkret, reflektierte historisch kontingente soziale Kontexte; auch hat sie jeweils ihre eigene Geschichte. Kurz, eine Analyse von Gewalt und Solidarität in Bessarabien und Transnistrien ist wohl eher als eine Geschichte von Dörfern, von sozialen Gruppen, von Aufschaukelungsprozessen zu schreiben als durch die aufzählende Betrachtung von Gewalthandlungen und Solidaritätsbekundungen.

Gute Bücher zwingen zum Nachdenken, bringen die Geschichtswissenschaft thesenhaft voran und werden zum Anlass für viele weitere Studien. In diesem Sinne hat Diana Dumitru tatsächlich ein höchst lesenswertes, ein argumentativ immer spannend zu lesendes, ein wichtiges, ein gutes, auch ein gut geschriebenes Buch vorgelegt.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/