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Titel
Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany & American Holocaust Memory since the 1970s


Autor(en)
Eder, Jacob S.
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 296 S.
Preis
€ 24,64
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Haß, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin

Die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit und den Holocaust gehört inzwischen zu den Kernelementen deutschen Selbstverständnisses. Kein Jahrestag wird begangen, keine Ausstellung eröffnet ohne Grußworte hochrangiger Politiker. An vielen Orten der Verbrechen, der Opfer und der Täter gibt es institutionell gesicherte Gedenkstätten. Sie werden pro Jahr von hunderttausenden Menschen besucht. Die „Aufarbeitung“ dieser gewalttätigen Geschichte wird gern als ein Erfolg dargestellt: aus dem Dunklen ins Helle, aus der verbrecherischen Vergangenheit auf einem manchmal holperigen, aber weitgehend geradlinigen Weg zu einer gelungenen Auseinandersetzung mit dieser Geschichte in der Gegenwart. Bei einer solchen Erzählung fehlt, dass der Prozess der wissenschaftlichen Erforschung und gesellschaftlichen Erinnerung immer umstritten war: vom Bild der Widerstandskämpfer – Landesverräter oder Vorbilder, wenn nicht für eine demokratische Gesellschaft, so doch im Kampf gegen die Diktatur – über die Zustimmung breiter Bevölkerungsteile zur Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik bis hin zur Beteiligung der Wehrmacht an Verbrechen. Die nationalsozialistische Vergangenheit bestimmte lange die politischen und kulturellen Debatten der Bundesrepublik. Auch Fragen nach „angemessenen“ Formen der Erinnerung waren von Konflikten geprägt. Seit den späten 1970er-Jahren etablierten zivilgesellschaftliche Akteure eine selbstkritische und selbstreflexive Erinnerungskultur gegen die offizielle Politik der unkonkreten oder strategischen Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen.

Dass diese Auseinandersetzungen nicht nur in Deutschland heftig waren, sondern auch internationale Dimensionen hatten, zeigt Jacob S. Eder in seiner bemerkenswerten Studie „Holocaust Angst. The Federal Republic of Germany & American Holocaust Memory since the 1970s“. Eder analysiert in seiner an der University of Pennsylvania als Dissertation angenommenen Monographie die politischen Kämpfe zwischen der Bundesregierung unter Helmut Kohl und der sich entwickelnden Holocaust-Erinnerung in den USA, getragen von jüdischen Gemeinden und Organisationen – Kämpfe, die in der Vorbereitungsphase des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) bis 1993 ihren Höhepunkt fanden.

Eder beleuchtet vier Aspekte deutsch-amerikanischer Beziehungen im Hinblick auf die Erinnerung an den Holocaust: 1. die transnationale Organisation der Erinnerung und der Vergangenheitspolitik, vor allem in Versuchen bundesdeutscher Akteure, ein historisches Narrativ für politische Zwecke zu etablieren und zu kontrollieren; 2. die Relevanz von Befürchtungen bei der Politikgestaltung, insbesondere die Vorurteile gegen Juden mit vermeintlich gemeinsamen Charakterzügen; 3. die Interaktionen zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren über nationale Grenzen hinweg; 4. die Besonderheiten des Systems Kohl, eine Praxis des Regierens auf Basis von Loyalitäten, persönlichen Beziehungen und Netzwerken (S. 10ff.).

In verschiedenen Kapiteln werden einzelne (west)deutsche Akteure und deren biographische Prägungen immer wieder in Bezug zu ihren Versuchen gesetzt, eine positive Sicht der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu etablieren – gegen ein in ihren Augen allzu sehr auf den Holocaust fixiertes Deutschland-Bild in der amerikanischen Gesellschaft. Diese Akteure waren von den 1920er-Jahren bis Mitte der 1930er-Jahre geboren und in einer Zeit antisemitischer gesellschaftlicher Prägungen und Propaganda aufgewachsen (S. 20f., S. 22, S. 96). Es ist zum Teil abenteuerlich zu lesen, und Eder belegt dies anschaulich durch Dokumente aus dem Bundeskanzleramt und dem innersten Machtzirkel Kohls, wie diese Prägungen – die vermeintlichen Charaktermerkmale von Juden, das Reden über den angenommenen gesellschaftlichen Einfluss der Juden, ihre vermutete Medienmacht (S. 36f. S. 72, S. 169, S. 186) – noch in den 1980er-Jahren Politik konkret beeinflussten. Dennoch wäre es ein Fehlschluss, die letztlich gescheiterte politische Einflussnahme vor allem auf bestimmte Stereotype bei den Akteuren reduzieren zu wollen oder Eder diese „Entlarvung“ als Motiv seiner Forschung zu unterstellen.1 Viel interessanter ist es zu sehen, wie die beteiligten Politiker und Emissäre sich immer wieder bemühten, Kontakte und auch Vertrauen zu in ihren Augen einflussreichen jüdischen Personen und Organisationen aufzubauen, Gemeinsamkeiten herzustellen und ihre Interessen zu vertreten.

Dies scheiterte vor allem wegen unhinterfragter Grundannahmen und der Unfähigkeit, die legitimen Perspektiven der beteiligten Akteure auf amerikanischer Seite anzuerkennen. Mit „Holocaust-Angst“ bezeichnet Eder zum einen die Angst vor einer Besessenheit der amerikanischen Gesellschaft durch das Thema Holocaust – angefangen mit der TV-Serie „Holocaust“ Ende der 1970er-Jahre über die Etablierung diverser Holocaust-Museen in den 1980er-Jahren bis zur Eröffnung des USHMM 1993. Zum anderen umfasste diese Angst die Sorge, dass das Bild der positiven Entwicklung Nachkriegsdeutschlands durch das Bild Nazi-Deutschlands negativ überlagert werde. Auf unterschiedlichsten Ebenen probierten westdeutsche Politiker deshalb, die Konzeption des USHMM mitzubestimmen, vor allem um die Entwicklung Nachkriegsdeutschlands in der Ausstellung gewürdigt zu sehen. Mit persönlichen Beziehungen, Kontakten zu jüdischen Organisationen, indirekter Einflussnahme über Dritte wurde fast ein Jahrzehnt lang versucht, die Gestaltung des Museums zumindest partiell zu ändern. All diese Versuche scheiterten – und waren wohl von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Hierfür gab es laut Eder mehrere Gründe.

Die angestrebte Einflussnahme war handwerklich erstaunlich schlecht vorbereitet und durchgeführt. Es ist verblüffend zu sehen, wie die deutschen Akteure offensichtlich nicht in der Lage waren, die amerikanische Seite mit ihren Intentionen der Museumserrichtung richtig zu verstehen und als legitim anzuerkennen, demgegenüber die eigenen Interessen zu artikulieren, Übereinstimmungen und Differenzen zu analysieren, Kompromisse zu finden und zu versuchen, das Machbare durchzusetzen; also vergangenheitspolitische Diplomatie zu betreiben. Stattdessen wurde das eigene Hauptinteresse – eben ein positives Bild der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte in dem Museum – wieder und wieder betont, ohne flexibel zu agieren. Dies ging jedoch am Grundanliegen der Museumsgründer vorbei (eine Vielzahl von ihnen selbst Holocaust-Überlebende), einen zentralen und traumatischen Aspekt eigener Identität im kulturellen Zentrum der USA zu verankern. Die Kernprämisse, dass die Geschichte des Holocaust sowohl eine Täter- als auch eine Opferperspektive habe (um nur eine grobe Unterscheidung zu treffen) und dass es beim USHMM um die Etablierung der Opferperspektive in der amerikanischen Gesellschaft des späten 20. Jahrhunderts gehe, wurde von den deutschen Akteuren nicht verstanden und als anmaßend betrachtet, ja letztlich als Ausdruck einer amerikanischen Motivation, anti-deutsche Ressentiments zu wecken.

Eder schildert überzeugend die Grundlagen von Kohls Geschichtspolitik in diesem Zusammenhang: Der Bruch der Bundesrepublik mit dem Nationalsozialismus sei gelungen und die „Aufarbeitung“ seiner Folgen abgeschlossen; nun gelte es, nach vorn zu schauen. Zu befürchten sei in der Wahrnehmung der amerikanischen Gesellschaft jedoch eine Überlagerung der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte durch die Beschäftigung mit dem Thema Holocaust. Diese beiden Grundannahmen miteinander in Übereinstimmung zu bringen gelang nur, indem man die amerikanischen Juden als einheitlich und einflussreich in der amerikanischen Öffentlichkeit ansah und ihnen eine anti-deutsche Haltung unterstellte. So wurde das Museum von Kohl und seinem Umfeld als ein gegen Deutschland gerichtetes jüdisches Projekt wahrgenommen (S. 93).

In der Natur einer derartigen Studie liegt es, dass man die Bedeutung des eigenen Analysegegenstandes leicht überhöht und so den größeren politischen und gesellschaftlichen Rahmen etwas aus dem Blick verliert. Wichtig bleibt zu sehen, dass alle geschichtspolitischen Initiativen und dahinterliegenden Befürchtungen nicht im Zentrum der deutsch-amerikanischen Beziehungen standen, sondern symbolisch waren und Rahmenbedingungen für konkrete Interessenpolitik bildeten. Umso bemerkenswerter ist es, dass diese symbolische Politik zur Etablierung des German Historical Institute in Washington Ende der 1980er-Jahre und durch Initiative von Werner Weidenfeld als Berater Kohls zur Etablierung von Exzellenz-Zentren an drei amerikanischen Universitäten in den 1990er-Jahren führte (S. 130–159). Auch auf US-amerikanischer Seite spielten die deutsch-jüdischen, deutsch-amerikanischen Debatten bei der Errichtung des Museums nur eine marginale Rolle. Hier waren praktische Fragen nach privater Finanzierung des Projekts, nach der Verankerung der Geschichte des Holocaust in der US-Gesellschaft und nach dem konkreten Narrativ viel zentraler.

So klar Eder seine These von der „Holocaust-Angst“ darlegt, so sehr fallen einige Leerstellen auf. Gerade weil er den Anspruch formuliert, auch die Akteure geschichtspolitischen Handelns in den Blick zu nehmen, wäre es schön, etwas über weitere deutsch-amerikanisch-jüdische Initiativen dieser Zeit zu erfahren, die das zunehmende Interesse am Thema Holocaust aufnahmen. Hier könnte man etwa die ersten Programme von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste innerhalb der jüdischen Gemeinden ab 1983 nennen, oder auch Kontakte zwischen deutschen Gedenkstätten-Initiativen und den Planern des USHMM, namentlich Sybil Milton, die als Historikerin an der Etablierung des Museums mitarbeitete und schon in den 1980er-Jahren eine profunde Kennerin der westdeutschen Gedenkstätten war.

Dieser Aspekt verweist auf eine weitere Lücke in Eders Studie. Wünschenswert wäre es, zumindest kursorisch etwas über Kohls Geschichtspolitik in Bezug auf das USHMM im Kontrast zur quasi nicht-existenten Förderung von Gedenkstätten durch den Bund bis in die 1990er-Jahre hinein zu erfahren. Damit würde die Zielrichtung der deutschen Politik noch einmal deutlicher: Es ging nicht um die differenzierte Erforschung und Dokumentation der nationalsozialistischen Vergangenheit, sondern um das Ansehen der Bundesrepublik in den USA, nicht zuletzt im Kontext des deutsch-deutschen Vereinigungsprozesses seit 1990. Dass beides zusammengehört, dass eben das positive internationale Ansehen Deutschlands sich auch aus einem selbstkritischen Umgang mit der eigenen Verbrechensgeschichte speist – diese Einsicht hat sich in der Politik Kohls erst am Ende seiner Regierungszeit durchgesetzt, und darauf immerhin geht Eder ein.

Gerade dieser Kontrast zwischen den Versuchen aktiver geschichtspolitischer Einflussnahme in den USA und der weitgehenden zeitgleichen Ignoranz gegenüber den historischen Orten in Deutschland macht den Ansatz von Jacob S. Eders Studie fruchtbar für weitere Forschungen. Nur indem die Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte um die Deutungshoheit über den Nationalsozialismus und die Entwicklung der Erinnerungskultur in all ihrer Komplexität analysiert werden, kann der Topos „Aus dem Dunklen ins Helle“ einer differenzierteren Betrachtung weichen. Eders Studie ist im besten Sinne ein Beitrag zur transnationalen Geschichte der NS-Erinnerung, aber auch zur Bedeutung historischer Ereignisse in den internationalen Beziehungen und zu den Schwierigkeiten, Geschichte als Instrument von Politik einzusetzen.

Anm. der Red., 27.5.2020:
Das Buch liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor, siehe https://www.wallstein-verlag.de/9783835333772-holocaust-angst.html.

Anmerkung:
1 Bisher erschienene Besprechungen des Buches zielen vor allem auf diese Frage ab und gehen an Kernaspekten des Buches leider vorbei. Vgl. Klaus Wiegrefe, Alte Muster, in: Spiegel, 17.09.2016, S. 54f.; Oliver Das Gupta, Helmut Kohl sprach abfällig über Juden, in: Süddeutsche Zeitung, 17.09.2016, http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeskanzler-helmut-kohl-sprach-abfaellig-ueber-juden-1.3166589 (22.02.2017); Peter Hoeres, Sekundärer Antisemitismus am Rhein?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.12.2016, S. 6, http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/geschichtspolitik-unter-kohl-sekundaerer-antisemitismus-am-rhein-14596491.html (22.02.2017).