M. Wroblewski: Moralische Eroberungen

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Titel
Moralische Eroberungen als Instrumente der Diplomatie. Die Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amts 1902–1914


Autor(en)
Wroblewski, Martin
Reihe
Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte 12
Erschienen
Göttingen 2016: V&R unipress
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Kießling, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Die Außenpolitik des späten deutschen Kaiserreichs steht im Ruf, keine besonders gute Öffentlichkeitsarbeit betrieben zu haben. Das gilt gerade für die Bemühungen, Einfluss auf die öffentliche Meinung anderer Länder zu nehmen. Den „Kampf um die Weltöffentlichkeit“, so das gängige Bild, hatte Berlin bereits vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs verloren. Ja mehr noch, zur Verschlechterung der außenpolitischen Situation hatte auch das zunehmend negative Image des Reichs in wichtigen Staaten beigetragen. Bisher ist die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Außenpolitik allerdings vor allem in Verbindung mit bestimmten bilateralen Beziehungen oder einzelnen außenpolitischen Themen untersucht worden. Martin Wroblewski unternimmt es in seiner Arbeit zur Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amtes nun, die entsprechenden Bemühungen der Wilhelmstraße zwischen Jahrhundertwende und Ausbruch des Ersten Weltkriegs systematisch zu erfassen.

Wroblewski geht in seiner Darstellung grundsätzlich in vier großen Schritten vor. Zunächst werden die institutionellen Rahmenbedingungen sowie die Konzepte der Öffentlichkeitsarbeit untersucht. Es folgt eine Beschreibung der Versuche des Auswärtigen Amtes, Einfluss auf Nachrichtenagenturen und somit auf die weltweite Informationsdistribution zu gewinnen. Zwei weitere große Kapitel beschäftigen sich anschließend fallstudienartig mit der konkreten Umsetzung der Öffentlichkeitsarbeit. Zunächst stehen mit einem Blick auf die USA, Südamerika, Ostasien sowie das Osmanische Reich und den „Orient“ weltpolitische Aspekte im Vordergrund. Anschließend werden dann die Bemühungen in den beiden europäischen Großmächten Russland und Österreich-Ungarn untersucht. Anknüpfend an eine ältere Forschungsthese zur allgemeinen Außenpolitik nennt Wroblewski dies die „Rückwendung der Informations- und Pressepolitik nach Europa“ (S. 235). Dahinter steht die Beobachtung, dass in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sicherheitspolitische Aspekte in Europa wieder in den Vordergrund drängten, während zuvor mit dem Instrument der Informations- und Pressepolitik vor allem die weltpolitischen Aktivitäten des Reichs unterstützt werden sollten.

Wroblewskis Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen die Skepsis der bisherigen Forschung gegenüber der Berliner Pressepolitik. Lediglich im Osmanischen Reich und teilweise in China erkennt Wroblewski nennenswerte Erfolge deutscher Öffentlichkeitsarbeit. In den anderen Fällen blieben die Bemühungen in Ansätzen stecken. In den USA geriet das Reich im letzten Jahrzehnt vor 1914 gegenüber Großbritannien endgültig hoffnungslos ins Hintertreffen. Auf die russische Öffentlichkeit hatte Berlin, so Wroblewski, schließlich überhaupt keinen Einfluss mehr. Im Gegenteil, die Pressebeziehungen trugen erheblich zur weiteren Entfremdung der beiden Länder bei. Entsprechen solche Befunde dem bisherigen Bild, kann die Arbeit bei der Frage nach den Gründen für das überwiegende Scheitern der Pressepolitik durchaus bedenkenswerte Überlegungen für zukünftige Forschungen beisteuern. Zum Beispiel weist Wroblweski fast durchgängig erhebliche Reibungsverluste zwischen der Berliner Zentrale und den Vertretungen vor Ort nach. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde durch diese mangelnde Koordination folgenschwer behindert. Auch erschienen viele Initiativen halbherzig. So förderte Berlin zwar den Aufbau eines deutschen Kabelnetzes weltweit und flankierte dies auch mit dem Aufbau offiziöser Nachrichtenagenturen und Pressedienste. Regelmäßig verlor man aber im weiteren Verlauf das Interesse. Die eigene Infrastruktur blieb so letztlich Stückwerk. In anderen Fällen, so betont Wroblewski immer wieder, waren auch die materiellen Interessengegensätze einfach zu groß, um noch erfolgreiche Pressearbeit betreiben zu können. Dies gilt sicherlich für die späten Beziehungen zu Russland oder auch zu Japan nach dem russisch-japanischen Krieg. Auch wenn das Argument insgesamt etwas überstrapaziert erscheint, waren die Öffentlichkeitsbeziehungen natürlich so auch von den politischen Beziehungen abhängig.

Vielleicht am meisten Interesse können die Passagen beanspruchen, in denen der Öffentlichkeitsbegriff bzw. die Konzepte von Öffentlichkeit zur Sprache kommen, mit denen deutsche Außenpolitiker und Diplomaten arbeiteten. Lässt sich doch hier untersuchen, inwieweit die deutsche Diplomatie den kaum zu übersehenden Veränderungen des Außenpolitischen vor 1914 Rechnung trug. Leider wird an dieser Stelle vieles nur angedeutet (wie überhaupt der Arbeit etwas mehr Interesse für die systematischen Aspekte der Verbindung von Öffentlichkeit und Politik am Beginn des 20. Jahrhunderts gutgetan hätte). Immerhin entsteht das Bild eines außenpolitischen Personals, das der Öffentlichkeit eine bedeutende, teilweise auch mitentscheidende Rolle bei der Entwicklung bilateraler Beziehungen zuwies. Die Entscheidungsträger im Auswärtigen Amt erkannten damit durchaus die Veränderungen des außenpolitischen Feldes am Beginn des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus bemühte man sich ebenso, adäquat darauf zu reagieren.

Allein, folgt man Wroblewski, sehr weit kamen die deutschen Diplomaten damit nicht. Das gilt auch für einen vergleichsweise modernen Politiker wie den zeitweiligen Außenstaatssekretär und späteren Reichskanzler Bernhard von Bülow. Vor allem richteten die deutschen Entscheidungsträger ihr Augenmerk – fast wie zu Bismarcks Zeiten – auf die Einflussnahme in konkreten tagespolitischen Fragen. Es ging für sie darum, in einzelnen politischen Sachfragen, die deutsche Position im Ausland darzustellen und so die eigene Sicht auf die Dinge in der fremden Öffentlichkeit zu platzieren. Eine längerfristige, an auswärtiger Kulturpolitik, an der Förderung des grundsätzlichen Verständnisses für das Deutsche Reich orientierte Strategie findet sich höchstens in Einzelfällen. Zumeist waren es im Übrigen dann die Vertreter vor Ort, die eine solche Strategie verfolgten. Kurz: Auch wenn manche Bemühungen, wie die Förderung einer eigenen Kommunikationsinfrastruktur sowie weltweiter Pressedienste, durchaus modern anmuten, blieb die inhaltliche Ausrichtung der deutschen Pressepolitik doch sehr konventionell. Die Arbeit von Wroblewski kann dies nun an vielen unterschiedlichen Fällen einmal mehr zeigen. Die Frage, warum dies so war, wird sicher noch weiter zu untersuchen sein.