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Titel
Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg 1950–1991


Autor(en)
Loth, Wilfried
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Campus Verlag
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arvid Schors, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Angesichts der krisenhaften Entwicklung in der Ukraine ist seit 2014 nicht nur der Kalte Krieg in das öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt; auch von Entspannung ist nun wieder vermehrt die Rede. Als mögliche Lehrmeisterin rückt die Geschichte hier schnell in den Fokus. Doch während sich die historische Forschung zum Kalten Krieg lange Zeit auf dessen Ursprünge konzentriert hat, ist die Détente erst jüngst stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Eine weitgehend akzeptierte Deutung und Periodisierung der Entspannungspolitik ist daraus bislang nicht hervorgegangen, wohl aber die Tendenz, sie aus größerer Distanz als vielfältiges, vor allem widersprüchliches Phänomen zu analysieren1 – und so über die zeitgenössische Polarisierung zwischen ihren Befürwortern und Gegnern hinauszugehen, die zuvor auch in den meisten geschichtswissenschaftlichen Beiträgen eine (kaum) verdeckte Fortsetzung fand.

Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass Wilfried Loth, einer der profundesten Kenner des Kalten Krieges, nun seine (mittlerweile vergriffene) Gesamtdarstellung von 1998 zur Entspannungspolitik unter geändertem Titel und in überarbeiteter Form neu vorgelegt hat.2 Auf gut 300 Seiten zieht er dabei weder die zeitlichen noch die räumlichen Grenzen besonders eng: Das Buch behandelt in zehn chronologisch aufeinander aufbauenden Kapiteln die vier Jahrzehnte vom Ausbruch des Koreakrieges 1950 bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991, wobei die Détente zwischen den Supermächten ebenso kontinuierlich einbezogen wird wie die (teilweise eigenständigen) Entspannungsbemühungen auf dem europäischen Kontinent.

Statt einer Einleitung beginnt das Buch (dem ursprünglichen Konzept der dtv-Reihe „20 Tage im 20. Jahrhundert“ folgend) mit einem „Prolog“ zur Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte am 1. August 1975. Loth nutzt dieses Beispiel, um seinen Ansatz zu verdeutlichen: Bei der Unterzeichnung habe es sich für die Entspannungspolitik um einen „Moment ihrer Bekräftigung“ gehandelt, weniger aber um einen „Wendepunkt“ (S. 16). Vielmehr habe es seit Beginn des Kalten Krieges immer auch Entspannung gegeben. Denn angesichts des Vernichtungspotentials der nuklearen Arsenale seien beide Seiten letztlich nicht dazu bereit gewesen, einen Krieg zu riskieren, um ihre Ziele zu erreichen. Das zentrale Hindernis habe in gegenseitigem Misstrauen bestanden, also in dem Unvermögen, sich unvoreingenommen zu verständigen. Loth beschreibt dabei die beiden Blöcke als Gefangene ihrer konkurrierenden Ideologien und Ordnungsvorstellungen, die immer „mit präventiven Sicherheitsmaßnahmen der Gegenseite rechnen und sich dagegen wappnen“ mussten (S. 19). Zugleich interpretiert er den Kalten Krieg so als schwerfälligen Prozess des Abbaus von Konfrontation hin zur Kooperation, der „immer wieder von neuen Spannungsschüben, von Abkapselung und Verhärtung unterbrochen“ worden sei (ebd.).

Die flüssig geschriebene, trotz ihrer Kürze detailreiche Darstellung ist bei genauer Betrachtung eine veritable Gesamtdarstellung des Kalten Krieges unter besonderer Berücksichtigung der Verständigungsbemühungen. Der Autor verfügt über stupende Kenntnisse der Geschichte und Erforschung des Kalten Krieges, die er dem Leser souverän präsentiert. Verdienstvoll ist vor allem, dass Loth durch seine breite Perspektive anschaulich macht, wie es kontinuierlich zu Entspannungsversuchen kam, lange bevor in den 1970er-Jahren die Entspannungspolitik ihre Hochphase erreichte. Eine weitere Stärke der Darstellung liegt darin, wiederholt das Wechselspiel zwischen europäischen Initiativen und Entwicklungen einerseits sowie den Kontakten auf der Ebene der Supermächte andererseits zu beleuchten, etwa bei der Aushandlung des Berlin-Abkommens Anfang der 1970er-Jahre (S. 160–163).

Hingegen erfolgt kaum eine explizite, systematische Auseinandersetzung mit der Frage, wie das Phänomen der Entspannung überhaupt genauer definiert und feiner ausdifferenziert werden kann. Das stark ereignisgeschichtliche Narrativ legt nahe, dass Entspannung überall dort auftrat, wo diplomatische Kontakte stattfanden – was die Détente zu einem schwer eingrenzbaren, geradezu ubiquitären Modus des Kalten Krieges werden lässt. Beispielsweise bleibt bei der Darstellung der Kuba-Krise, die Loth ansonsten luzide zusammenfasst (S. 111–121), weitgehend unerwähnt, dass sie im Ergebnis nicht nur zu einer Annäherung zwischen Chruschtschow und Kennedy führte, sondern auch zu einem massiven nuklearen Aufrüstungskurs der Sowjets, die eine derartige Demütigung so für die Zukunft ausschließen wollten.3

Eine andere Schwierigkeit besteht teilweise in der Materialgrundlage. Zwar bemüht sich Loth darum, aktuellere Forschungsbeiträge aufzugreifen. Manche Aspekte kommen aber doch zu kurz, insbesondere eine stärker kulturgeschichtlich informierte Perspektive auf die Diplomatie.4 Hinzu kommt, dass Loth sich für die Darstellung etlicher wichtiger Ereignisse ausschließlich auf Memoiren zeitgenössischer Akteure stützt, vor allem auf diejenigen des langjährigen sowjetischen Botschafters in den USA (1962–1986), Anatoly Dobrynin.5 Aus der Perspektive der späten 1990er-Jahre mag das nachvollziehbar gewesen sein; vor dem Hintergrund jedoch, dass heute die entsprechenden amerikanischen Regierungsakten in edierter Form leicht verfügbar sind6, ist das ein Nachteil.7 Nicht selten führt dies dazu, dass zeitgenössische Wahrnehmungen reproduziert werden, besonders augenfällig gerade bei der Charakterisierung der amerikanischen Präsidenten. Sie entsprechen in der Darstellung oft mehr ihrem zeitgenössischen öffentlichen Bild als demjenigen, das bei einer heutigen Analyse der Primärquellen entsteht. So habe es Johnson laut Loth bei der Entspannungspolitik „an Selbstvertrauen und Tatkraft“ gefehlt (S. 127) – eine überspitzte Interpretation, die in der jüngeren Forschung deutlich modifiziert worden ist.8

Und auch in anderer Hinsicht merkt man dem Buch seine länger zurückreichenden Wurzeln an: Es ist in Ansatz und Argumentation noch ein später Beitrag zu der polarisierten zeitgenössisch-historiographischen Debatte um die Entspannungspolitik. Nicht zufällig kritisiert Loth in seiner „Bilanz“ die „nachträgliche Selbstbeweihräucherung hartnäckiger Entspannungskritiker“ (S. 309) scharf. Die wichtige Frage, ob in Loths Deutung der Entspannungspolitik nicht doch ein teleologisches Element enthalten ist, das deren Erfolge besonders betont, die Sicht auf deren Ambivalenzen eher versperrt und die Gemeinsamkeiten der Blöcke rückblickend überschätzt, bleibt hingegen undiskutiert.

Dies alles ändert nichts daran, dass Wilfried Loth ein relevantes, lesenswertes Buch zur Entspannungspolitik geschrieben hat. Es legt die postrevisionistische Interpretation des Kalten Krieges, nach der dieser Epochenkonflikt vor allem von Fehlperzeptionen angetrieben worden sei, nochmals prägnant dar. Wissenschaftlich ist diese Lesart unter anderem von Loth überhaupt erst etabliert worden.9 Jede nachfolgende Historikerin und jeder Historiker des Kalten Krieges, die / der sich mit der Kommunikation zwischen den beiden Seiten beschäftigt, steht letztlich in der Schuld dieser Interpretation und ihrer Protagonisten.

Anmerkungen:
1 Vgl. richtungsweisend Jussi M. Hanhimäki, The Rise and Fall of Détente. American Foreign Policy and the Transformation of the Cold War, Washington, D.C. 2013.
2 Vgl. ursprünglich Wilfried Loth, 1. August 1975. Entspannung und Abrüstung, München 1998.
3 Vgl. etwa Michael Dobbs, One Minute to Midnight, London 2009, S. 349.
4 Als Beispiel sei Loths klassische Interpretation der U-2-Krise 1960 genannt, die sich um amerikanische Spionageflüge über der Sowjetunion drehte (S. 91–95). Sie kann bei Loth nicht völlig befriedigend erklärt werden. Vgl. hingegen Susanne Schattenberg, Die Angst vor Erniedrigung. Die U-2-Krise und das Ende der Entspannung, in: Bernd Greiner / Christian Th. Müller / Dierk Walter (Hrsg.), Angst im Kalten Krieg, Hamburg 2009, S. 220–251.
5 Anatoly Dobrynin, In Confidence. Moscow’s Ambassador to Six Cold War Presidents, Seattle 1995.
6 Vgl. die online frei zugänglichen Quellenbände der Reihe „Foreign Relations of the United States“ (FRUS): https://history.state.gov/historicaldocuments (14.12.2016).
7 Als Beispiele, wo allein Dobrynins Erinnerungen als Literaturgrundlage herangezogen werden, können die Schilderungen der Gipfeltreffen von Glassboro 1967 (S. 135ff.) und von Wladiwostok 1974 dienen (S. 176ff.). Vgl. dazu hingegen Arvid Schors, Doppelter Boden. Die SALT-Verhandlungen 1963–1979, Göttingen 2016, S. 45–57 sowie S. 350–362.
8 Vgl. etwa Hal Brands, Progress Unseen: U.S. Arms Control Policy and the Origins of Détente, 1963–1968, in: Diplomatic History 30 (2006), S. 253–285; John Dumbrell, LBJ and the Cold War, in: Mitchell B. Lerner (Hrsg.), A Companion to Lyndon B. Johnson, Malden 2012, S. 420–438.
9 Vgl. grundlegend Wilfried Loth, Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941–1955, München 1980.