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Titel
Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA


Autor(en)
Melber, Takuma
Erschienen
München 2016: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
223 S.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Martin, Universität Freiburg

Der Angriff japanischer Trägerflugzeuge auf die in Pearl Harbor auf der Hawaii-Insel Oahu vor Anker liegende amerikanische Pazifikflotte gilt als eine der kühnsten und erfolgreichsten militärischen Operationen der jüngsten Kriegsgeschichte. Politisch leitete diese Aktion die Wende vom europäisch-nordafrikanischen Krieg auf einen globalen Konflikt, den Zweiten Weltkrieg, ein. Die Vereinigten Staaten traten in den Krieg ein und führten diesen fortan an zwei Fronten, im Pazifik und im Atlantik. Der „Germany-First-Strategy“ verhaftet, lag das vorrangige Ziel der USA in der Niederlage Hitler-Deutschlands, so dass Japan schon vor Pearl Harbor als zweitrangiger Gegner galt und noch dazu vom rassistischen Standpunkt des weißen Überlegenheitsdenkens völlig unterschätzt wurde. Diese fahrlässige Vernachlässigung Japans sieht der Verfasser zurecht als Hauptgrund für das Gelingen des japanischen Überraschungscoups. Bei einem Verlust von 20 Flugzeugen und 34 Mann Flugpersonal, zuzüglich von neun Kleinst-U-Boot-Fahrern, war es gelungen, acht amerikanische Schlachtschiffe und elf weitere Kriegsschiffe entweder zu versenken oder schwer zu beschädigen. Eine amerikanische See-Offensive während des sogleich begonnenen japanischen Vordringens in Südostasien war folglich nicht zu erwarten. Da indes die amerikanischen Flugzeugträger zur Zeit des Angriffs sich auf hoher See befanden und unbeschädigt blieben, konnte der Gegenschlag der amerikanischen Marine schon ein gutes halbes Jahr später in der Schlacht bei den Midway-Inseln erfolgen. War Amerika angesichts des militärischen Desasters und der hohen Opferzahl von 2403 Toten, meist Marinesoldaten, anfangs wie gelähmt, so setzte bald eine Kriegsentschlossenheit ein, den als feigen Überfall wahrgenommenen Angriff zu rächen, und fegte die isolationistische Stimmung in der Bevölkerung hinweg.

Ein weiteres Buch über Pearl Harbor, diese von Roosevelt wegen fehlender Kriegserklärung als „day of infamy“ bezeichneten Katastrophe?, fragt sicherlich der Fachkritiker. Schließlich ist das Thema durch unzählige amerikanische und japanische Publikationen seit langem ausgereizt. Doch eine lesbare politisch-militärische Darstellung fehlte bislang im deutschsprachigen Raum. Der Verfasser hat die englische und japanische Fachliteratur gründlich ausgewertet und die Lücke gefüllt. Ein wenig vernachlässigt bleiben in seinem Buch die deutschen Studien, zum Beispiel zum Zusammenwirken des nationalsozialistischen Deutschlands mit dem autoritär regierten Tenno-Reich. Der weltpolitische Rahmen, die Stellung der USA als nicht kriegführend, aber zunehmend in den Krieg drängend und auch die Motive der deutschen militärischen und politischen Führung sind nicht immer klar. Wenn der Verfasser laufend betont, dass der Dreimächtepakt (27. September 1940) zwischen den drei faschistischen Habe-Nichts-Nationen das größte Hindernis bei den amerikanisch-japanischen Ausgleichsgesprächen 1941 war, dann hätte er sich etwas intensiver mit dieser Dreierallianz und Japans Festhalten an ihr beschäftigen müssen. Der Pakt stellte die eigentliche Herausforderung gegenüber der amerikanischen globalen Führungsrolle dar, wurde jedoch von Washington völlig überschätzt, führte indes dazu, dass Italien und Deutschland sich nach Pearl Harbor auf die Seite Japans schlugen und den USA den Krieg erklärten. Die entsprechenden Verhandlungen, die im November 1941 von japanischer Seite aufgenommen wurden und zu einer gemeinsamen Beistandsverpflichtung führten, dem Nicht-Sonderfriedensabkommen vom 4. Dezember 1941, lässt der Verfasser außer Acht. Die zahlreichen deutschen Studien zur Kriegsausweitung und zur japanischen Expansionspolitik werden leider nicht herangezogen. Im Literaturverzeichnis finden sich dann auch nur zwei relevante deutschsprachige Titel. Ob der Flottenverband im Falle einer Absage aus Berlin und Rom den Befehl zum Rückmarsch erhalten hätte, ist nach wie vor eine offene Frage, derer sich japanische Fachhistoriker nach gründlicher Durchsicht des schütteren Quellenmaterials stellen sollten.

Die übersichtlich gegliederte und sehr gut geschriebene Darstellung ist in vier Abschnitte unterteilt: die politische Vorgeschichte, den japanischen Kriegsplan, den Angriff und die unmittelbaren Folgen. Der Verfasser folgt der dominierenden Richtung in der Geschichtswissenschaft, wenn er den damaligen japanischen Außenminister Matsuoka als „evil genius“ hinstellt, die Rolle des Kaisers überbewertet und die Interpretation der amerikanischen Haltung („Back Door to War“) als Konspirationstheorie verwirft. Gewiss hat Präsident Franklin D. Roosevelt die Flotte nicht mit Bedacht einem japanischen Angriff ausgesetzt; das Überraschungsmoment ist dem kühnen japanischen Vorgehen und auf amerikanischer Seite Fehleinschätzungen und Schlamperei zuzuschreiben. Doch Roosevelt drängte 1941 immer stärker auf einen Kriegseintritt der USA an der Seite Großbritanniens. Da sich die deutsche Seite weigerte, solange der Krieg in Russland nicht entschieden war, die amerikanische Herausforderung anzunehmen, war die harte Haltung der USA gegenüber Japan eine mögliche „Hintertür“ zum Krieg.

Infolge des Beharrens auf den „vier Prinzipien“ der amerikanischen Fernostpolitik – territoriale Integrität aller Nationen, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder (China), Gleichheitsprinzip im Handel und open-door-Maxime – war eine Einigung mit Japan im Grunde ausgeschlossen. Die Politik der „offenen Tür“ stand dem japanischen Ziel, einer von Tokyo gelenkten „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“, die eine „closed door“ implizierte, diametral entgegen. Die japanische Besetzung Südindochinas im Juli 1941 und das offensichtliche Streben nach den Rohstoffquellen Südostasiens lösten dann auch das amerikanische Totalembargo auf Schrott und Öl aus. Fortan konnte sich die japanische Flotte ausrechnen, wann sie nicht länger einsatzbereit sein würde, denn über 90 Prozent des Öls wurden aus den USA importiert. Alle kleineren japanischen Offerten, wie die eines Truppenabzuges aus Südindochina bei Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen, lehnte Außenminister Cordell Hull in einer Note am 26. November 1941 kategorisch ab. Die japanische Führung stand folglich vor der Alternative einer totalen und dauerhaften Unterwerfung des Landes unter den USA und deren Verbündeten Großbritannien oder die Feindseligkeiten zu eröffnen. Ob Washington die Japaner bewusst in den Krieg getrieben hat, den ersten Schuss abzufeuern, um endlich die geballte amerikanische Militärmacht gegen Hitler-Deutschland einsetzen zu können, diese Frage sollte nicht – wie es der Verfasser tut – als Verschwörungsthese verworfen werden.

Neu sind die streitbaren Thesen des Verfassers, die Japaner hätten lieber die Werften und Öltanks in Hawaii vernichten sollen als die Pazifikflotte zu beschädigen, da letztere schnell wieder einsatzbereit war und die Flugzeugträger ohnehin nicht im Hafen lagen. Ob hingegen Pearl Harbor ein Schlüsselereignis des Krieges war, wie der Verfasser resümiert, mag für die japanische und amerikanische Seite zutreffen; ein „Wendepunkt“ dürfte es allerdings kaum gewesen sein. Eine weltpolitische Entscheidung hatte die Kaiserliche Konferenz, das oberste Regierungsorgan des Landes, bereits am 2. Juli 1941 getroffen, als sie sich weigerte, im Moment der größten Bedrängnis der Roten Armee in den Krieg gegen die Sowjetunion an der Seite Deutschlands einzutreten. Ob im Falle einer sowjetischen Niederlage die USA bei ihrer herausfordernden Haltung geblieben wären, ob England den Krieg gegen Hitler-Deutschland hätte fortsetzen können, sind kontrafaktische, aber überdenkenswerte Fragen zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges.

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