C. Laudage: Das Geschäft mit der Sünde

Cover
Titel
Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter


Autor(en)
Laudage, Christiane
Erschienen
Freiburg i. Br. 2016: Herder Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Ehlers, Hannover

Im fünfhundertsten Jahr nach Martin Luthers Ablass-Thesen darf eine allgemein verständliche Darstellung zum mittelalterlichen Ablasswesen auf dem Buchmarkt nicht fehlen. Die Reformation ist denn auch Ausgangs- und Fluchtpunkt für Christiane Laudages Buch, in dem sie einleitend feststellt, dass das Ablasswesen seit Johann Tetzels Ablassverkündigung und Luthers Kritik daran „einen sehr schlechten Ruf“ habe. Ihre in zweijähriger Arbeit entstandene Darstellung solle „tiefsitzende Vorurteile“ abbauen helfen, die sie dem Leser unterstellt (S. 9). Mit diesem Anliegen nehmen Verlag und Autorin ausdrücklich eine breite Leserschaft ins Visier. Dass der Ablass ein „Geschäft mit der Sünde“ gewesen sei, wird gleich zu Beginn als eines der mutmaßlichen Vorurteile in Frage gestellt. Warum aber wurde dann für den Titel ausgerechnet diese Formulierung gewählt? Verlegerisches Kalkül und aufklärerischer Anspruch konnten hier womöglich nicht ganz zur Deckung gebracht werden.

Christiane Laudage, die als Archivarin bei der Katholischen Nachrichtenagentur in Bonn tätig ist, hat sich in ihrer 1994 publizierten historischen Dissertation mit dem mittelalterliche Ablasswesen in der Stadt Köln befasst und ist entsprechend bewandert in der Materie.1 Sie bewegt sich durchweg auf der Höhe der Forschung und konnte für das im August 2016 abgeschlossene Manuskript zahlreiche bis dahin unveröffentlichte Forschungsergebnisse berücksichtigen (etwa von Étienne Doublier, Enno Bünz oder Wilhelm Ernst Winterhager). Für den wissenschaftlich Interessierten macht gerade das die Lektüre interessant; denn einen eigenen Forschungsansatz verfolgt das Werk auf seinen 268 Textseiten nicht. Ein alphabetisches Verzeichnis der umfassend durchgearbeiteten Forschungsliteratur wurde eingespart, der Leser muss sich die Literaturangaben aus den 898 Endnoten heraussuchen, was gelegentlich zum Suchspiel wird.2 Ein Namensregister und ein Register der Initien kirchlicher Dokumente erschließen den Band, dem außerdem eine Zeittafel und eine Papstliste für das Hoch- und Spätmittelalter beigegeben sind.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Zunächst werden eher knapp der Ursprung des Ablasses nachgezeichnet und die verschiedenen Ablassformen erläutert. Anschaulich wird sodann das „Ablasswesen im Kontext“ beschrieben, bevor Laudage sich ausführlich den Plenarablässen und den Ablasskampagnen vor der Reformation widmet. Im Anschluss an die Standardwerke von Nikolaus Paulus und Bernhard Poschmann3 leitet Laudage die Ursprünge des Ablasses aus den frühmittelalterlichen Redemptionen, Kommutationen und Absolutionen her, mit denen den Büßern die Bußlast erleichtert werden konnte. Die ersten bischöflichen Ablässe lokalisiert sie zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Nordspanien und Südfrankreich, von wo aus sich diese seelsorgerische Erfindung in der gesamten lateinischen Kirche verbreitete. Dass dies eine katholische Sonderentwicklung war, die sich in keiner anderen christlichen Tradition findet, hätte man dabei ruhig vermerken können.

Den Ablässen schreibt Laudage eine große Attraktivität zu, so dass sie Aufmerksamkeit, Spenden und Wallfahrer in großer Zahl angezogen hätten. In der Regel sind solche Aussagen jedoch mehr oder weniger plausible Vermutungen, eindeutige Quellenbelege für die Erfüllung dieser bei den Ablassbeschaffern sicher vorhandenen Erwartung gibt es kaum (vgl. z. B. S. 20 mit Anm. 32, als Beleg hier der Verweis auf eine weitere Vermutung; S. 23, 41, 45, 91ff. und öfter). Diese unvermeidliche Unschärfe in der Rezeptionsgeschichte des Ablasses wäre deutlicher zu thematisieren, wenn man sich anschickt darzulegen, dass der Ablass besser gewesen sei als sein durch die Reformation ramponierter Ruf. Der Ablass ist für Laudage – ganz in der apologetischen Tradition von Nikolaus Paulus – ein probates Mittel der „Schwarmfinanzierung“ (S. 54) von Kirchbauten und wohltätigen Einrichtungen und schon wegen dieser mehr vorausgesetzten als nachgewiesenen Wirkung eine respektable mittelalterliche Frömmigkeitsform. Andererseits weist sie zu Recht darauf hin, dass Plenarablässe seit dem 15. Jahrhundert allem Anschein nach die einzige Möglichkeit waren, überhaupt nennenswerte Einnahmen zu generieren (S. 62, 67). Da fragt man sich schon, ob es wirklich stimmt, dass Ablässe „zu einem wesentlichen Teil“ die Finanzierung von Kirchbauten gesichert haben (S. 59). Der Kölner Dom, der als ein Beispiel für ablassfinanzierte Bautätigkeit angeführt wird, zeigt die Ambivalenz der Deutungsmöglichkeiten, kam er doch das gesamte Mittelalter über einen eher fragmentarischen Bauzustand nicht hinaus. Deutlicher fassen lässt sich die Bedeutung von Ablässen beim Einbruch der Bettelorden in die Pfarrorganisation. Hier schrieben auch Zeitgenossen wie Bischof Bruno von Olmütz den Ablässen der Mendikanten – neben wichtigen anderen Faktoren – eine gesteigerte Bedeutung dafür zu, dass viele Pfarrkinder die Gottesdienste in deren Kirchen bevorzugten. Durchweg positiv kam das aber seinerzeit nicht an, wie Brunos Klage zeigt (S. 45).

Unstrittig ist, dass der Ablass das religiöse Leben in Europa vom 13. bis zum frühen 16. Jahrhundert umfassend durchdrungen hat. Von der Heiligenverehrung über den Hospital- und Brückenbau, von Kriegen und Ketzerverfolgungen bis hin zur Verbreitung von Festen und Frömmigkeitspraktiken oder – besonders kurios – einer Belohnung für das Aufsetzen der Lesebrille, in allen Lebenslagen gab es Ablass zu gewinnen. Und er wurde auch nachgefragt, denn sonst wäre die Vielzahl der Ablassverleihungen kaum zu erklären. Laudage fächert den ganzen Strauß an Verwendungsmöglichkeiten auf und stellt die unterschiedlichen Darreichungsformen des Ablasses kundig dar. Hinsichtlich der verbreiteten Ablassfälschungen zeigt sie sich nachsichtiger als ehedem Nikolaus Paulus, wenn sie sie gelassen als „Spiegelbild zeitgenössischer Frömmigkeit“ (S. 121) betrachtet. Bei allem berechtigten Verständnis für die spätmittelalterliche Devotion hätte sie aber ausführlicher darauf eingehen können, dass auch Zeitgenossen manches im Ablasswesen als grober Unfug vorkam und sie Fälschungen durchaus ablehnten, wie Laudage nur kurz andeutet (S. 141, 145).

Den Plenarablässen gilt der umfangreichste Teils des Buches. Sie hatten ihren Ursprung in den Kreuzzugsablässen, die einen vollkommenen Nachlass der Sündenstrafen boten. Laudage zeichnet die Entwicklung über die Jubiläumsablässe und die Ablasskampagnen bis hin zur Reformation facettenreich nach. Es irritiert dabei etwas, dass sie den angeblich von Honorius III. verliehenen Portiuncula-Ablass für authentisch hält (S. 80–82, 147), während sie zugleich feststellt, dass „erst seit Cölestin V. (1294)“ der Plenarablass ohne Bindung an den Kreuzzug vergeben wurde (S. 199). Hinsichtlich der Jubiläen stellt sie die Wirkungsgeschichte der gefälschten Bulle „Cum natura humana“ aus den 1340er-Jahren heraus, mit der erstmals die Vorstellung einer päpstlichen Jurisdiktion über das Fegefeuer formuliert wurde, die 1476 mit dem Ablass für die Kathedrale von Saintes schließlich Eingang in die offizielle kirchliche Lehre fand.

Das Ablasswesen, das wird an vielen Stellen deutlich, erhielt maßgebliche Impulse von der zeitgenössischen Frömmigkeit. Das kirchliche Lehramt agierte dabei zuweilen opportunistisch und die theologische Reflexion hinkte oft hinterher. So verwundert es nicht, dass Kardinal Cajetan 1518 im Disput mit Luther „die schwachen theologischen Grundlagen der kirchlichen Ablasslehre“ erkennen musste (S. 260). Cajetan versuchte das Problem durch einen umfassenden Rekurs auf die kirchliche Tradition zu lösen, während Luther viel radikaler vorging, wenn er 1517 in seinem Brief an Erzbischof Albrecht von Brandenburg schrieb, dass Christus niemals aufgetragen habe, Ablässe zu predigen, aber nachdrücklich geboten habe, das Evangelium zu verkündigen (S. 246). Damit war dem Ablass – und der kirchlichen Tradition – die Axt an die Wurzel gelegt. Laudage versucht ihn retrospektiv irgendwie noch zu retten, indem sie im Anschluss an Berndt Hamm4 in äußerst knapper und etwas vollmundiger Weise suggeriert, Luther selbst habe mit seiner Gnadenbotschaft eigentlich den größten aller Ablässe verkündet und so die Entwicklung des Ablasses nahtlos fortgesetzt. Im stetig wachsenden Gnadenangebot der großen Ablasskampagnen sieht Laudage eine Innovation, die erst die Voraussetzung für die reformatorische Lehre vom gnädigen Gott schuf. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass Luthers Theologie „die mittelalterliche Papstkirche und die Kirche in ihrer Funktion als Heilsvermittlerin komplett zum Einsturz brachte“ (S. 264). Und genau diese den Zugang zum Heil reglementierende und verwaltende Funktion der kirchlichen Hierarchie war ja konstitutiv für das Ablasswesen. Deswegen war mit dem Ablass fortan kein Geschäft mehr zu machen, was bis dahin sehr wohl geschah, wie man nach der Lektüre einigermaßen vorurteilsfrei sagen kann.

Christiane Laudages „Geschäft mit der Sünde“ ist im Vergleich zu anderen, sehr viel umfangreicheren Untersuchungen, ein handliches Kompendium, um das mittelalterliche Ablasswesen kennenzulernen und sich bei geduldiger Lektüre der Anmerkungen über aktuelle Tendenzen der Forschung zu orientieren. Zwar ist die Darstellung nicht immer konsistent, anregend ist sie aber allemal.

Anmerkungen:
1 Christiane Neuhausen, Das Ablaßwesen in der Stadt Köln vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, Köln 1994.
2 Zum Beispiel S. 317 Anm. 200 zu Teil 3 mit Verweis auf Anm. 62; gemeint ist offenbar Anm. 62 auf S. 275f. zu Teil 1, nicht Anm. 62 auf S. 308 zu Teil 3, wie man erwarten könnte.
3 Nikolaus Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 2 Bde., Paderborn 1922–23; Ders., Geschichte des Ablasses am Ausgang des Mittelalters, Paderborn 1923 (2., um eine Einleitung und eine Bibliographie erw. Aufl. aller drei Bände [mit veränderter Paginierung], Darmstadt 2000); Bernhard Poschmann, Der Ablass im Licht der Bussgeschichte, Bonn 1948.
4 Berndt Hamm, Ablass und Reformation. Erstaunliche Kohärenzen, Tübingen 2016.

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