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Titel
Fromme feste Junker. Neuer Stadtadel im spätmittelalterlichen Zürich


Autor(en)
Frey, Stefan
Reihe
Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich 84
Erschienen
Zürich 2016: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benjamin Hitz, Departement Geschichte, Universität Basel

Bildete sich innerhalb der städtischen Oberschicht der Stadt Zürich im Spätmittelalter eine neue Adelsschicht aus? Dies ist die Leitfrage des reich illustrierten Werks von Stefan Frey. Den von der Forschung für die Frühe Neuzeit verwendeten Begriff „Patriziat“ lehnt der Verfasser für diese Gruppe als anachronistisch und zu stark vom Landadel abgrenzend ab. Er spricht lieber von Stadtadel und untersucht diesen anhand von Aufsteigerfamilien des 15. Jahrhunderts wie den Göldli, Meiss, Escher, Schwend usw. Was aber machte den Adel aus? Der Übergang vom Nichtadel zum Adel war durch einen Graubereich gekennzeichnet, durch ein schrittweises Hineinwachsen in den Adel. Strebten die Familien nach mehreren Adelsattributen, die übrigens grundsätzlich auch Nichtadligen zugänglich waren, kann von der Ambition ausgegangen werden, dem Adel anzugehören. Der Verfasser bietet als theoretischen Rahmen die Kapitaltheorie nach Bourdieu, die in einer Untersuchung von Monique de Saint-Martin über den französischen Adel adaptiert wurde: Adlige zeichnen sich aus durch eine Anhäufung von adligem Kapital (ein Begriff, der einem in der Arbeit oft begegnet) als „Sonderform von symbolischem Kapital“ gemäss Bourdieu (S. 14).

Ausgehend von der Beobachtung, dass sich die städtische Spitzengruppe aus dem Handel zurückzog, bildet der Erwerb von adligem Kapital oder eher von Gütern, die einen „Zugewinn an adligem Kapital“ (S. 23) versprachen, das Thema des Kapitels „Schritte in den Adel“. Grundlage für den Aufstieg war auf jeden Fall ein ansehnliches Vermögen, dessen Erwerb aber meist im Unklaren bleibt (S. 19). Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts boten sich dem neuen Adel zusätzliche Einkommensmöglichkeiten (zu erwähnen sind insbesondere der Solddienst und die damit verbundenen Pensionen). Zuvor scheinen die Erträge aus den erworbenen Gütern und Rechten wohl sicherer, aber kleiner gewesen zu sein als Profite aus dem Handel. Der Erwerb von Landsitzen, Herrschaftsrechten (vor allem Gerichtsrechte) und Burgen auf dem Land bot nebst leider schwer abschätzbaren materiellen Einkommen einen Zuwachs an Prestige. Das galt besonders für Burgen. Um 1500 waren allerdings nur ein halbes Dutzend Burgen in der Hand von Stadtbürgern. Etwas zu ausführlich wendet sich der Verfasser dem Erwerb von Wappenbriefen zu. Obwohl das Führen eines Wappens nicht dem Adel vorbehalten war, gab es Formen von Wappenbriefen, die quasi einer Ernennung in den Adel gleichkamen. Der in der Urkunde übliche Hinweis, „von Neuem“ in den Adel aufgenommen zu werden, traf hingegen meist nicht zu, zeigt aber die Bemühung, eine adlige Vergangenheit zu rekonstruieren. Ebenfalls zu viel Prestige führte der Ritterschlag, der jedoch an bestimmte Situationen gebunden (in der Schlacht, bei der Krönung, am Herrscherhof und am Heiligen Grab) und vor allem nicht erblich war. Frey geht kurz auf Männer ein, die auf das erworbene Prestige verzichteten, das heisst den Rittertitel nicht trugen bzw. sich nicht um weitere Adelsattribute bemühten. Die Gründe dafür waren wohl wirtschaftlicher Natur, denn gerade das Leben als Ritter bedurfte grosser ökonomischer Ressourcen. Der Titel des Kapitels greift sehr treffend das Prozesshafte des Aufstiegs in den Adel auf. Leider verpasst es der Verfasser, die Schritte verschiedener Familien in eine chronologische Ordnung zu bringen, um etwa zu belegen, dass Wappenbriefe eher in einem frühen Stadium des Aufstiegs von Interesse waren (S. 54), oder Vergleiche zwischen den Familien anstellen zu können. Dadurch wäre die grundlegende These, dass es Aufsteigern gelang, „schrittweise in den Adel hineinzuwachsen“ (S. 11), viel eher überprüfbar.

Das Kapitel „Ein neuer Adel?“ geht der Frage nach dem adligen Selbstverständnis und der Aussenwahrnehmung der städtischen Spitzengruppe nach. Die Verwendung des Junkertitels, die sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts verfestigte, sowie spezifischer Titulaturen und nicht zuletzt die fiktive (hoch)adlige Ahnenfolge im Familienbüchlein der Göldli lassen Frey auf ein adliges Selbstverständnis schliessen. Gerichtsquellen zeigen auf, dass die städtische Gesellschaft diese Ansicht teilte. Über die Stadt hinaus weist die Frage, ob die Angehörigen des neuen Stadtadels Stifts- und Turnierfähigkeit aufwiesen. Ersteres bezeichnet den Zugang zu Kanonikaten, wie ihn etwa zwei Vertreter der Göldli für das Konstanzer Domkapitel dank ausreichendem adligen Kapital und entsprechenden Verbindungen erwirken konnten. Der Turnierzugang hingegen, der eine exklusive Gruppe innerhalb des Adels umriss, blieb den Zürcher Aufsteigern verwehrt und grenzte diesen klar vom „traditionellen“ Landadel ab. Ebenfalls als Faktor des adligen Selbstverständnisses wird das adlige Konnubium untersucht, bei dem sich eine enge Verflechtung mit dem Landadel der Region zeigt. Die getroffenen Eheabredungen widerlegen zumindest teilweise zwei geläufige Vorstellungen: Weder war der Landadel, der Heiratsverbindungen in die Stadt einging, verarmt, noch kauften sich die städtischen Aufsteiger mit grossen Ehegaben ins adlige Prestige ein. Dass der Verfasser dann doch feststellt, dass die meisten Familien trotz der Verflechtung in den Adel nicht „integriert“ waren (S. 96), ist eines der leider zahlreichen Beispiele von kleineren Widersprüchen, die beim Lesen auffallen.

Die Untersuchung der „geburtsständischen“ Abschliessung des neuen Stadtadels schliesst das Kapitel ab. Es zeigt sich, dass der Stadtadel innerhalb der Konstaffel, das heisst der Korporation der Zürcher Oberschicht, eine besondere Stellung einnahm, die sich in der Zugehörigkeit zur Trinkstube „zum Rüden“ kristallisierte. Diese Zugehörigkeit war es auch, die den Begriff „Stüblijunker“ prägte. Weiter zeigt eine Untersuchung der Heiratskreise, dass die Eheverbindungen der adligen Kleinräte sich von denjenigen der übrigen Kleinräte abhoben. Beide Gruppen bildeten sozial homogene Heiratskreise, der Adel orientierte sich dabei am regionalen Landadel, die übrigen, aus den Zünften stammenden Kleinräte an der städtischen Oberschicht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Heiratsstrategie nicht auch als Schritt in den Adel zu verstehen wäre. Zudem wird hier zum dritten Mal die Heiratspolitik angesprochen, was zu Redundanzen führt und die Frage aufkommen lässt, ob eine thematische Kapitelstruktur nicht übersichtlicher geraten wäre. Den Schluss des Kapitels bildet eine kleine, aber sorgfältig gemachte Netzwerkanalyse verschiedener in den Quellen fassbarer Beziehungen. Dank der Erfassung von Geschlechtern als kollektive Akteure kann sie die starke Verflechtung innerhalb der Junkergeschlechter aufzeigen.

Das letzte Kapitel untersucht unter dem Titel „Der Einfluss der Junker“ die Beteiligung der „Stüblijunker“ an Ämtern und Funktionen, welche die Stadt vergeben konnte: Innere und äussere Vogteien, Gesandtschaften an die Tagsatzung und militärische Ämter im aufkommenden Solddienst. Dabei wiederholt sich ein typisches Muster. Während insgesamt keine oder kaum eine quantitative Überrepräsentation im Vergleich zur übrigen Elite erkennbar ist, zeigt sich eine klare Übervertretung bei der Besetzung von prestigeträchtigen Vogteien, Gesandtschaften und militärischen Führungspositionen. Es lässt sich also in qualitativer Hinsicht durchaus feststellen, dass die „Stüblijunker“ eine herausragende Stellung einnahmen. Besonders der Solddienst, wie bereits erwähnt, bot ab dem späten 15. Jahrhundert auch gewaltige neue Einnahmequellen. Der Verfasser schliesst nach einer Zusammenfassung mit der Feststellung, die Frage nach einer geburtsständig abgeschlossenen Gruppe sei „eindeutig zu bejahen“ (S. 155).

Mit dieser Aussage stellt sich Frey gewissermassen quer zur bisherigen Erforschung städtischer Eliten. Kurt Messmer etwa hielt in Bezug auf Luzern fest, dass um 1500 noch keine Abschliessungstendenzen vorherrschten.1 Auch Hans Conrad Peyer sah solche eher im späten 16. Jahrhundert und Ulrich Pfister setzte sie für Zürich im 17. Jahrhundert an.2 Die drei Autoren führen diese Feststellung auf die grosse soziale Mobilität zurück, welche die städtische Gesellschaft um 1500 prägte, eine Beobachtung, die auch das vorliegende Werk teilt, denn der neue Stadtadel war ja gerade aus Aufsteigern gebildet. Der politische und soziale Abstieg der Junkergruppe im 16. Jahrhundert, den Pfister feststellt, spricht ebenfalls gegen eine verfestigte Stellung. Der Widerspruch lässt sich einigermassen auflösen, wenn man die Abschliessungstendenz einer Gruppe erkennt, diese aber nicht im Sinne einer abgeschlossene städtischen Oberschicht, wie sie sich im 17. Jahrhundert präsentierte, interpretiert. Er legt aber auch eine grundlegende Problematik des Buches offen, nämlich den Umgang mit sozialer Dynamik. Während für den Stadtadel ein Rahmen geschaffen wird, der die Untersuchung von sozialer Mobilität erlaubt, bleiben andere Gruppen sehr statisch. Dies gilt insbesondere für den „traditionellen“ Landadel. Aber auch die Mitglieder der Spitzengruppe werden zu wenig hinsichtlich allfälliger Zwischenstellungen untersucht. Die Frage, ob es auch Abstiege gab oder wie nicht geglückte Aufstiegsversuche verliefen, wird nicht geklärt. Damit liesse sich genauer sagen, wie sich die untersuchte Gruppe in die städtische Gesellschaft einbettete und auch gegen untere Schichten abgrenzte. Der Stadtadel würde so – über seine unbestrittenen und klar dargelegten Bestrebungen nach adligem Kapital hinaus – besser als städtische Führungsgruppe fassbar.

Insgesamt bietet der Band eine umfassende Darstellung der verschiedenen Adelsattribute, nach denen eine Gruppe reicher Aufsteiger im spätmittelalterlichen Zürich strebte, und kann damit die Entstehung eines neuen Stadtadels mit entsprechendem Selbstverständnis belegen. Das Konzept des adligen Kapitals als Art symbolischem Kapital wird dabei fruchtbar gemacht zur Untersuchung von Distinktionsbestrebungen. Zu bedauern ist dabei die mangelnde Berücksichtigung der grossen sozialen Mobilität, die in den Städten des Spätmittelalters herrschte.

Anmerkungen:
1 Kurt Messmer / Peter Hoppe, Luzerner Patriziat. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien zur Entstehung und Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert. Mit einer Einführung von Hans Conrad Peyer, Luzern 1976, S. 51.
2 Hans Conrad Peyer, Die Anfänge der schweizerischen Aristokratien, in: Messmer / Hoppe, Patriziat, S. 3–28, hier S. 5; Ulrich Pfister, Politische Eliten im frühneuzeitlichen Zürich, in: Peter Niederhäuser (Hrsg.), Alter Adel – neuer Adel? Zürcher Adel zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Zürich 2003, S. 211–230.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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