S. V. Tracy: Athenian Lettering of the Fifth Century B. C.

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Titel
Athenian Lettering of the Fifth Century B. C.. The Rise of the Professional Letter Cutter


Autor(en)
Tracy, Stephen V.
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
XVI, 239 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Renate Lafer, Institut für Geschichte, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Beim Studium griechischer Inschriften kam der Beschäftigung mit Schriftzügen bislang nur marginale Bedeutung zu. Dies liegt wohl mitunter auch daran, dass die Sichtung und Bearbeitung der Steine sehr aufwändig und zeitintensiv ist, müssen doch die Originalstücke vor Ort oder Abklatsche, soweit es welche gibt, genauestens studiert werden. Photographien sind für paläographische Studien hingegen nur schlecht geeignet, da sie Buchstabenformen in vielen Fällen nur mangelhaft erfassen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Schriftzügen setzt zudem langjährige Erfahrung und ausreichende Kenntnis der Materie voraus, um die Stücke letztendlich verschiedenen Steinmetzen zuordnen oder in größerem Zusammenhang sehen zu können. So lassen sich trotz guter Erforschung der griechischen Inschriften des 5. Jahrhunderts v.Chr. durch ein genaues Studium der handschriftlichen Ducti durchaus auch heute noch einige Datierungen überdenken. Studien zu Schriftzügen dienen überdies einer leichteren Zuordnung von Fragmenten bzw. von Datierungsansätzen.

Ein Experte auf diesem Gebiet ist Stephen Tracy. Bereits in seiner Dissertation an der Harvard University aus dem Jahre 1968 widmete er sich diesem Forschungsfeld.1 In Folge entstanden zahlreiche weitere Studien dazu, in denen er sich aber vorwiegend mit den Buchstaben späterer griechischer Inschriften aus dem 4. Jahrhunderts v.Chr. und der hellenistischen Epoche befasste.2 Dass sich epigraphische Dokumente des 5. Jahrhunderts v.Chr. ebenfalls für eine Publikation in diesem Rahmen eignen, zeigt die vorliegende Monographie, in welcher Tracy als Appendices zwecks Ergänzung seiner Ausführungen ebenfalls drei seiner vorherigen Studien als Reprint aufgenommen hat.3 Gegenstand der Betrachtung bilden Dekrete und Gesetze, also öffentlich-rechtliche Dokumente, und nicht kurzgehaltene Alltagsinschriften wie Grabinschriften, Dedikationen oder Ähnliches.

Im einführenden Kapitel zu Forschungsstand und Methodologie gibt Tracy als Ziel seiner Studie unter anderem die Identifizierung einiger Schreiber und die Zuordnung ihrer Werke an, wenngleich er auf die Problematik aufmerksam macht, dass Steinmetzen vielfach eine lange Karriere beschieden war und ein Schreiber somit auch durchaus verschiedene Schreibstile entwickeln konnte. Indem eine gut erhaltene und mit Sicherheit datierbare Inschrift zunächst genau durchanalysiert wird, lassen sich Eigenheiten hervorheben, welche dann mit anderen Stücken verglichen werden können.

Der Hauptteil der Monographie ist in zwei Teile geteilt: Im ersten wird allgemein auf Beschriftungsusancen im 5. Jahrhundert v.Chr. eingegangen; dafür werden zunächst die frühen Dekrete und Gesetze von etwa 515 bis 450 v.Chr. diskutiert. Tracy kommt darin zum Ergebnis, dass jedes dieser frühen Stücke verschiedenen Steinmetzen zugeschrieben werden kann und große Individualität zeigt. Die Auftragslage für Steinmetze dieser Zeit dürfte noch sehr gering gewesen sein, sodass jene gezwungen waren, auch andere Tätigkeiten im Bereich der Produktion, Bearbeitung oder Auslieferung von Steinen zu übernehmen.

Auch für die Inschriften von etwa 450 bis 400 v.Chr. kann Tracy anhand spezifischer Schreibstile durchwegs individuelle Schreiber identifizieren. Allerdings kommt es seiner Ansicht nach in dieser Zeit bereits zu einer Änderung des epigraphischen Usus. Im Zuge der über 23 Jahre dauernden, jährlichen Bekanntmachung von Tributen der Seebundmitglieder an die Göttin Athena auf dem sogenannten Lapis Primus und dem Lapis Secundus (IG I³ 259–280), beginnend mit den Jahren 454/53 v.Chr., führten umfangreiche Auftragsarbeiten für die einzelnen Steinmetze zunehmend zu einer Professionalisierung des Berufes. So können laut Tracy für die Abfassung der Texte auf diesen zwei großen Stelen nur sechs Schreiber identifiziert werden. Drei davon scheinen zahlreiche Listen eingemeißelt zu haben, während zwei weitere handschriftlich auch auf anderen Steinen aufscheinen. Damit sei der Weg beginnender, professioneller Schreibtätigkeit auf öffentlichen Dokumenten in Athen anzusetzen, sodass mit dem Jahr 413 v.Chr. schließlich bereits viele, kompetente Steinmetze in Athen auftraten, was mit der Abfassung der sogenannten Attischen Stelen (IG I³ 421–430), ein Verzeichnis der im Zusammenhang mit den religiösen Skandalen von 415 verurteilten Personen, korreliert. Auf ihnen kann Tracy zwölf Schreiber erkennen.

Im zweiten Teil der Studie werden zwölf Steinmetze vorgestellt, welche im Zeitraum von etwa 450 bis 390 v.Chr. aktiv waren. Ihnen können ungefähr 186 Inschriften zugeordnet werden, wobei insbesondere zwei von ihnen besondere Aktivitäten zeigten, indem sie für das Abfassen von ungefähr 47 bzw. 73 Inschriften verantwortlich waren. Diese Analyse und Zuordnung von Inschriften zu einzelnen Schreiberdossiers macht es Tracy auch möglich, in einigen Fällen bisherige Datierungsversuche zu revidieren.

In seiner Zusammenfassung kann Tracy schließlich aufgrund seiner Studien unter anderem wichtige Erkenntnisse zu Datierungsfragen vorstellen. Der Vergleich der Schriftzüge auf den Texten mit ihrer zeitlichen Zuordnungsmöglichkeit macht es ihm auch möglich zu zeigen, dass das frühe, aus drei Strichen zusammengesetzte Sigma nicht, wie bisher angenommen, in den Jahren um 440 oder sogar früher zugunsten des aus vier Strichen aufgebauten Sigmas aufgegeben, sondern von einigen Schreibern beinahe bis zum Ende des 5. Jahrhunderts beibehalten wurde. Somit ist die Datierung einiger Inschriften zu überdenken.

Tracys Buch muss somit als beachtenswerte Arbeit gewürdigt werden, wenngleich einige Fragen zur Datierung offenbleiben und keine Vollständigkeit in der Auswertung des epigraphischen Materials gegeben sein kann. Das liegt unter anderem auch daran, dass viele Inschriften fragmentiert sind, wodurch paläographische Arbeiten erheblich erschwert werden. Hervorzuheben sind die bedeutenden Ansätze der Arbeit, die durch die gut gelungenen Photographien ergänzt werden.

Anmerkungen:
1 Überarbeitete Fassung: Stephen V. Tracy, The Lettering of an Athenian Mason, Princeton 1975.
2 Vgl. z.B. Stephen V. Tracy, Attic Letter-Cutters of 229 to 86 B.C., Berkeley 1990; ders., Athenian Democracy in Transition: Attic Letter-Cutters of 340 to 290 B.C., Berkeley 1995; ders., Athens and Macedon: Attic Letter-Cutters of 300 to 229 B.C., Berkeley 2003.
3 Stephen V. Tracy, Hands in Fifth-Century B.C. Attic Inscriptions, in: Studies presented to Sterling Dow, Durham 1984, 277–282; ders., The Wrongful Execution of the Hellenotamiai (Antiphon 5,69–71) and the Lapis primus, in: Classical Philology 109 (2014), S. 1–10; ders., Down Dating some Athenian Decrees with Three-Bar Sigma: A Palaeographic Approach, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 190 (2014), S. 105–115.

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