C. Fink: Writing 20th Century International History

Cover
Titel
Writing 20th Century International History. Explorations and Examples


Autor(en)
Fink, Carole
Reihe
Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vorträge und Kolloquien 20
Erschienen
Göttingen 2017: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
157 S.
Preis
€ 15,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bettina Fettich-Biernath, Erlangen

Treffender als der Titel verrät die Fotografie der renommierten Professorin Carole Fink auf dem Cover, was den Leser auf 160 Seiten „Writing 20th Century International History. Explorations and Examples“ erwartet. Denn der Band fächert in einem Interview und in fünf, großteils auf Vorträgen basierenden Aufsätzen die Forschungsschwerpunkte von Carole Fink auf, die bis 2011 an der Ohio State University lehrte und das Sommersemester 2016 als Gastprofessorin am „Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts“ verbrachte. Die thematische Bandbreite ist entsprechend groß: Carole Fink gibt Einblicke in die Entwicklung der Internationalen Geschichte als Forschungsfeld, beleuchtet internationale Normen und Regelungen hinsichtlich Flucht, Migration und Minderheitenrechten, analysiert die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland sowie Israel und fragt nach politischen Entscheidungsprozessen in den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten während des Kalten Krieges.

Allein der Blick in das Inhaltsverzeichnis wirft daher die Frage nach dem verbindenden Element der einzelnen Beiträge auf. Der an den Anfang gestellte Aufsatz „Rethinking International History. New Tools for an Old Discipline“ reflektiert zwar eingängig „the craft of international history” (S. 7), versucht jedoch keine Einordnung der folgenden Texte.

Dennoch ist es zu kurz gegriffen, die Existenz eines ausdrücklichen roten Fadens zu vermissen. Denn wie das Nachwort von Norbert Frei zeigt, möchte der Band das vielfältige Spektrum der wissenschaftlichen Karriere von Carole Fink abbilden. Und so sind implizit durchaus Gemeinsamkeiten der im Untertitel angekündigten „Explorations and Examples“ auszumachen.

Ob hinsichtlich des Umgangs Großbritanniens und Australiens mit jüdischen Flüchtlingen 1938 bis 1939 oder in der mehrere Jahrhunderte umfassenden Schilderung von Minderheitenrechten: Die ersten beiden Aufsätze teilen ein gemeinsames Erkenntnisinteresse. Auf welche Weise reagierten nationalstaatliche Regierungen auf Situationen, die ihrer Einschätzung nach für das internationale Staatensystem (potentiell) destabilisierend waren oder die sie als humanitäre Krisen bewerteten? Wie erschlossen sie neue Wege der intergouvernementalen Zusammenarbeit? Und wie verhielten sie sich zu internationalen Normen? Carole Fink spürt insbesondere Verweigerungshaltungen nationalstaatlicher Regierungen nach – gegenüber multilateralen Abstimmungsmechanismen und den darauf basierenden Erwartungen. Dabei lässt sie sowohl auf Ebene der Nationalstaaten als auch des Völkerbunds vor allem einzelne Akteure mit ihren jeweiligen Interessen und Perzeptionen in den Vordergrund treten. Überzeugend argumentiert Carole Fink, dass die Großmächte nach beiden Weltkriegen wiederholt Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen nicht als Menschenrechtsverletzungen, sondern als legitime Maßnahmen zur Stabilisierung homogener Nationalstaaten bewerteten. Nachdem das „Dritte Reich“ die Forderungen von Minderheiten für eine expansive Außenpolitik instrumentalisiert hatte, setzte sich nach 1945 vorerst ein neues Axiom durch: „the world now needed to be saved from minorities and their putative defenders.“ (S. 73) Minderheitenrechte seien daher 1948 weder in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte noch in die Konvention über die Verhütung und Bestrafung von Genoziden aufgenommen worden.

Auf die bilaterale Dimension konzentriert sich Carole Fink dagegen in den beiden folgenden Aufsätzen, wobei sie ein wichtiges Forschungsdesiderat zur Verortung der Bundesrepublik Deutschland in den internationalen Beziehungen aufgreift. Denn obwohl sich zahlreiche Studien der Bonner Außenpolitik widmen, bestehen jenseits ihrer Beziehungen zu den Großen Vier und außerhalb des europäischen Integrationsprozesses nach wie vor weiße Flecken. Eine solche überraschende geschichtswissenschaftlichen Forschungslücke betrifft die Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik, also zweier Staaten, die – vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und in je eigenen komplexen Zusammenhängen – unablässig auf internationalem Parkett um existentielle Anerkennung rangen. Dabei ging es für die Bundesregierungen nicht nur darum, sich im Konkurrenzkampf mit Ost-Berlin zu beweisen. Der israelische Ministerpräsident Levi Eshkol erinnerte Mitte Februar 1965 nachdrücklich daran, welche grundsätzliche Bedeutung das bilaterale Verhältnis hatte: „Die gesamte aufgeklärte Menschheit neigt mit Recht dazu, Deutschland nach dem Maße zu beurteilen, in dem es durch seine Taten im Bereich seiner Beziehungen zu Israel und zum jüdischen Volk die schwere Bürde der Vergangenheit von sich abschüttelt.“1

Umso erstaunlicher ist es, dass Studien zu den Beziehungen beider Staaten, die auf Quellen der Exekutive beruhen, zurzeit nur für den Zeitraum bis Mitte der 1960er-Jahre vorliegen.2 Carole Fink arbeitet aktuell daran, den bisherigen Dreh- und Angelpunkt – die Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Frühjahr 1965 – zu überschreiten und die folgenden Jahre in den Blick zu nehmen, in denen das Schlagwort der „Normalisierung“ von bundesdeutscher Seite stärkeres Gewicht gewann. Die israelische Seite allerdings ließ keinen Zweifel daran, dass aus ihrer Sicht eine „Normalisierung“ der Beziehungen nach wie vor außer Reichweite war. Denn Bonner Regierungen nutzten dieses Schlagwort auch unverkennbar dazu, israelische Ansprüche abzuwehren, die mit dem Hinweis auf eine außergewöhnliche Verpflichtung der Bundesrepublik untermauert waren.

Nach einem fundierten Überblick, wie sich vor allem das politische Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Israel über fast zwei Jahrzehnte entwickelte, rückt Carole Fink den ersten Besuch des Autors Günter Grass in Israel im März 1967 ins Zentrum. Dabei fokussiert sie sich auf die Perspektiven der ersten beiden Botschafter in Bonn und Tel Aviv, auf Werk und Biografie des Autors – einschließlich der Debatten rund um seine lange verschwiegene Mitgliedschaft in der Waffen-SS – und die Folgen seiner „Rede von der Gewöhnung“ (1967). Ein wichtiger Teil der Fragestellung kommt in Zuge dessen etwas zu kurz: Wie gestaltete diese Israelreise von Günter Grass „a key transitional moment in a complex relationship“ (S. 8) mit und inwiefern steht sie für einen Politikwechsel in Bonn? Vorerst bleibt unbeantwortet, welchen Aufschluss das Beispiel auch über fließende Grenzen zwischen Berufsdiplomaten und ausgewählten oder selbsternannten Unterhändlern geben könnte.

Dennoch ist es eine bemerkenswerte These, dass sich bundesdeutsche Sozialdemokraten, allen voran Willy Brandt, aufgrund ihres „anti-Nazi record“ (S. 102) eine größere Distanz zu israelischen Forderungen erlaubten. In welchen konkreten Situationen es zum Tragen kam, dass Brandt „invulnerable to any form of moral blackmail“ (S. 117) schien, wird hoffentlich die geplante Monographie erhellen. Ebenso sind weitere Untersuchungen wünschenswert, inwiefern die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel in den 1950er- und 1960er-Jahren vor allem ein Projekt der Eliten darstellten.3

Zum Ende hin dreht sich der Band ganz um Akteure an der Spitze von Exekutiven. Ebenso wie Grass’ Besuch in Israel 1967 nutzt Carole Fink die Wechsel an der Regierungsspitze der Staaten USA, Israel und Bundesrepublik im Jahr 1969 als Zugang und Aufhänger, um größere politische Zusammenhänge zu schildern. Denn indem sie den Haltungen der einzelnen Politikerpersönlichkeiten Richard Nixon, Willy Brandt und Golda Meir – unter anderem gegenüber KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew – Raum gibt, nähert sich Carole Fink den Wechselwirkungen zwischen der Politik der Détente und den Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten.

Ausdrücklich weist Carole Fink darauf hin, dass „public historians“ nicht nur die wissenschaftliche Community informieren, sondern „complex, often controversial issues into an accessible narrative“ überführen sollten (S. 143). Zu einer Ausdifferenzierung der Label Globalgeschichte, transnationale Geschichte oder Internationale Geschichte trägt der Band zwar nicht bei.4 Auch sind Beiträge zu vermissen, die einen größeren geografischen Radius aufspannen und verstärkt Akteure jenseits der damals sogenannten Ersten und Zweiten Welt in den Blick nehmen. Dennoch: Carole Fink entfaltet mit den ausgewählten „Explorations and Examples“ sprachgewaltig und präzise ein Panorama kulturhistorischer Diplomatiegeschichte.

Anmerkungen:
1 Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (Hrsg.), Europa-Archiv. Zeitschrift für internationale Politik 2 (1965), S. 242.
2 Insbesondere: Hannfried von Hindenburg, Demonstrating Reconciliation. State and Society in West German Foreign Policy toward Israel, 1952˜1965, New York 2007.
3 Anknüpfungspunkte für eine abweichende Einschätzung: Von Hindenburg, Demonstrating Reconciliation, bes. S. 50–53, 62–66; Yeshayahu Jelinek (Hrsg.): Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen 1945–1965 – Eine Dokumentensammlung, Gerlingen 1997, bes. S. 634f.
4 Hierzu kürzlich: Barbara Haider-Wilson, Humpty Dumpty, die Geschichtswissenschaft und der Pluralismus. Einlassung auf die historische Subdisziplin „Internationale Geschichte“, in: Barbara Haider-Wilson / William D. Godsey / Wolfgang Mueller (Hrsg.), Internationale Geschichte in Theorie und Praxis, Wien 2017, S. 9–61.
Zu den von Carole Fink betonten Kontinuitäten auf diesem Forschungsfeld bereits: Friedrich Kießling, Der „Dialog der Taubstummen“ ist vorbei. Neue Ansätze in der Geschichte der internationalen Beziehungen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 275 (2002), S. 651–680.