E. Anagnostou-Laoutides: In the Garden of the Gods

Cover
Titel
In the Garden of the Gods. Models of Kingship from the Sumerians to the Seleucids


Autor(en)
Anagnostou-Laoutides, Eva
Erschienen
London 2017: Routledge
Anzahl Seiten
XVIII, 256 S.
Preis
£ 95,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Brüggemann, Seminar für Klassische Altertumswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Die Untersuchung von Eva Anagnostou-Laoutides gilt dem Königtum im Nahen Osten, wobei ihr Fokus auf der Geschichte der mesopotamischen Stadtstaaten von sumerischer, über die Akkad- und die assyrische Zeit bis zum seleukidischen Hellenismus liegt. Dabei orientiert sich Anagnostou-Laoutides an den im lokalen Volksglauben verankerten und von den jeweiligen Herrschern instrumentalisierten Konzepten eines mit der endemischen Götterwelt (Marduk, Inanna, Utu usw.) traditionell vernetzten und daher unabhängig von der jeweiligen Person auf dem Thron sich selbst legitimierenden Königtums. Entsprechende Narrative hätten bis in spätere historische Phasen deswegen überdauern können, weil es zu einer Verschmelzung der politischen Mythologie mit zeitgenössisch populären Erzählungen gekommen sei, beispielsweise mit dem Gilgameš-Epos oder dem babylonischen Schöpfungsmythos (Enūma Eliš). Als neuer Gilgameš und später als Diener Marduks erneuerten die Könige die göttliche Gunst auch für ihre Untertanen und ermöglichten ihnen dadurch ein Leben im ‚Garten der Götter‘. Nach dem Verständnis der mesopotamischen Bevölkerung war es nicht entscheidend, woher ihr König kam – die Tatsache, dass er seinen Vorgänger besiegen konnte, war für sie Beweis genug, dass er (jetzt) den göttlichen Beistand hatte. Die mythologische Tradition sah also prinzipiell eine offene Stelle für externe Könige vor; nach dem militärischen Sieg folgte ein entsprechender Automatismus.1 Aus Sicht der Babylonier sorgten ihre Götter durch die wechselnden Fremdherrscher fortwährend dafür, dass ihr Garten immer in den besten Händen blieb. Es wäre also mehr als töricht gewesen, hätten neue Könige in Mesopotamien sich diesem Volksglauben entzogen; leichter konnte man als auswärtiger Neuling auf dem Thron die Reihen der Unterworfenen kaum geschlossen halten und zugleich universelle Akzeptanz erlangen.

Der Band umfasst vier Hauptkapitel, die nach einer Einleitung (S. 1–24) chronologisch wie sachlich aneinander anschließen. Sie befassen sich mit der Entstehung der antiken Vorläufer eines Gottesgnadentums im Nahen Osten, dessen Beginn Anagnostou-Laoutides im Kontext der allgemeinen Staatswerdung in Mesopotamien während der sumerischen Zeit verortet („Dying kings in the Ancient Near East: Gilgameš and his travels in the Garden of Power“, S. 25–64). Daran anschließend wendet sich Anagnostou-Laoutides den mythologischen Grundlagen örtlicher Traditionen eines Nahverhältnisses von König und Götterwelt zu („Sacred marriage in the Ancient Near East: The collapse of the garden and its aftermath“, S. 65–103), um danach in der zweiten Blütephase von Uruk deren Rückkopplungen mit dem Mythos zu analysieren („Renewing the cosmos: Garden and goddess in the first-millenium ideology“, S. 104–147). Schließlich kann Anagnostou-Laoutides zeigen, dass selbst die aus einem nicht unmittelbar anschlussfähigen, mediterranen Kulturkreis stammenden Könige der Seleukiden – wie schon Alexander vor ihnen – bereitwillig zu Gärtnern der mesopotamischen Götter wurden („The Seleucids at Babylon: flexing traditions and reclaiming the garden“, S. 148–197). Daran schließt sodann der Epilog an („Synthesis: cultivating community memory“, S. 198–205), in dem Anagnostou-Laoutides eine Synthese zum Wesen der Monarchie in Mesopotamien als Katalysator eines lokalen kollektiven Gedächtnisses vorlegt; eine Funktion, die ihr insbesondere auf Grund ihres religiösen Subtextes zufällt. Ihrer Einschätzung kann man nur folgen, da sie in sich schlüssig argumentiert und ihre Arbeit sowohl methodisch wie auch hinsichtlich der Quellenbehandlung von großer Expertise zeugt. Diese erweist auch die Bibliographie (S. 206–250), die in ihrer Ausführlichkeit das sachlich wie disziplinär sehr weite Feld dokumentiert, das Anagnostou-Laoutides hier erfolgreich beackert hat. Auf Grund der der Untersuchung zugrundeliegenden Materialfülle wäre ein Quellenverzeichnis folgerichtig gewesen. Auch ein ausführlicherer Index (S. 251–256), der nicht nur überwiegend Eigen- und Ortsnamen umfasst, wäre hilfreich gewesen.

Anagnostou-Laoutides handelt von den Grundlagen, den praktisch integrierenden und den symbolisch sinnstiftenden Elementen, aus denen politische Gemeinschaften letzten Endes über den Weg des kollektiven Gedächtnisses hervorgehen. Das Königtum kennzeichnet für Anagnostou-Laoutides im Nahen Osten dabei den Beginn der Urbanisierung und des Lebens in politisch organisierten Gesellschaften, die als Kollektiv das Gedächtnis ihrer Ahnen kultivieren. Vorausgegangene Generationen werden mit ihren Königen identifiziert, ihre Erfolge sind die Erfolge des Kollektivs, in ihrem Unglück spiegelt sich das Schicksal ihrer Untertanen. In funktionierenden Gesellschaften werden Erinnerungsriten regelmäßig erneuert, während gescheiterte Gemeinschaften aus der Geschichte verschwinden. Zeitgenössisch wurde das Scheitern laut Anagnostou-Laoutides auf einer metaphorischen Ebene als die Konsequenz aus der Herrschaft eines Königs abgeleitet, der die Götter erzürnt hatte. Anagnostou-Laoutides vertritt hier plausibel die Auffassung, dass diese Narrative nach zahlreichen mesopotamischen Adaptionen schließlich auch Eingang in das ideologische Fundament der hellenistischen Monarchie fanden.

Anagnostou-Laoutides konzediert, dass eine der populärsten literarischen Überhöhungen babylonischer Könige, die die politisch wechselvollen Zeiten wohl nicht zufällig überdauerte, jene vom König als Gärtner der Inanna war. Die Bedeutung des Königs als Bindeglied zwischen irdischer und Götterwelt kommt insbesondere bei der Aufrechterhaltung des kosmischen Gleichgewichtes zwischen den Kräften des Lebens und denen des Todes zum Ausdruck, wie sie in seiner Beziehung mit der Fruchtbarkeitsgöttin definiert ist, im babylonischen Ritus institutionell vollendet in der ‚Heiligen Ehe‘. Diese wird dabei für Anagnostou-Laoutides zum Symbol der mythischen Kontinuität, da sie die wechselvollen historischen Epochen Babyloniens überdauerte und eine Manifestation der Gottesgnade für die Männer auf dem babylonischen Thron blieb.

Anagnostou-Laoutides vertritt die Auffassung, dass das 1. vorchristliche Jahrhundert, tumultuarisch wie jede Periode der mesopotamischen Geschichte, von so großen politischen Umwälzungen gekennzeichnet war, dass es für babylonische Könige immer aufs Neue erforderlich war, ihre kulturelle Verbindung mit der Gesellschaft zu artikulieren. Indem er sich glaubhaft als der legitime, gottgewollte Nachfolger legendärer Könige ausgeben konnte, reihte sich jeder politische Neuling in die Reihe seiner erfolgreichen Vorgänger ein, während er zugleich das Versprechen auf zukünftigen Wohlstand der Gemeinschaft verkörpern wollte. Die Seleukiden engagierten sich in dieser Hinsicht ebenso wie Alexander mit der Sensibilität für die Wirkmächtigkeit, die lokale Königserzählungen auf die einheimische Bevölkerung hatten. So vermieden es die Seleukiden, kulturell überheblich oder nach ethnischen Gesichtspunkten zu regieren. Solange es hier beim symbolischen Narrativ blieb, waren orientalische Anleihen beim Umgang mit dem König der ethnisch-kulturell dualen hellenistischen Monarchie von den graeco-makedonischen Herkunftsuntertanen akzeptiert, sobald aber Handlungen oder Verhaltensweisen aus dem orientalischen in den mediterranen Kontext durch den König transponiert wurden, stellten die Graeco-Makedonen den Konsens infrage. Gegenüber den Graeco-Makedonen durfte der König die symbolische Ebene orientalischer Legitimationsstrategien nicht verlassen und mit dem Königsprofil in Babylonien verbundenen Erfordernisse nur dort goutieren. Im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen der ethnischen Gruppen auf dem Territorium hellenistischer Flächenreiche waren Könige daher nicht nur Bindeglied zwischen diesen Gemeinschaften,2 sondern strahlten im Orient zugleich göttliche Autorität aus, da sie hier auch die Verbindung mit der Welt der Götter verkörperten.

Anagnostou-Laoutides nimmt zurecht an, dass die ersten beiden Seleukiden eine genaue Kenntnis der babylonischen Herrschertraditionen hatten, in der der Sonnengott Šamaš als Beschützer der königlichen Legitimität und Marduk als Garant der militärischen Vorherrschaft betrachtet wurde, und dass sie diese Traditionen gezielt beibehielten und konsequent einsetzten, um ihren Anspruch auf die vakante Stelle des Königs von Babylon mythologisch anschlussfähig zu halten und unangreifbar zu machen. Gegenüber einer indigenen Bevölkerung, die an wechselnde Fremdherrschaften und damit verbundene mythologische Transferleistungen gewöhnt und mit den zugrundeliegenden religiösen Erzählungen vertraut war, erreichten Seleukos und Antiochos dies, indem sie unmittelbar dafür sorgten, dass die Identifikation von Marduk und Nabū mit Zeus und Apollo öffentlich anerkannt und in das babylonische Pantheon eingeführt wurde. Um ihre Ansprüche noch naheliegender zu machen, identifizierten sie sogar ihr persönliches Verwandtschaftsverhältnis öffentlichkeitswirksam mit der Vater-Sohn-Beziehung der babylonischen Götter.

Nötig wurde die Erzählung vom Gottesgnadentum babylonischer Könige laut Anagnostou-Laoutides überhaupt erst, weil Mesopotamien im letzten vorchristlichen Jahrhundert eine Durchlaufregion für wechselnde „newcomer“, wie Anagnostou-Laoutides diese Könige nennt, auf dem Thron war, die individuell in keiner Hinsicht Gemeinsamkeiten aufwiesen, die als gemeinsamer Nenner oder als repräsentativer Grund für ihre Anwesenheit auf dem Thron hätten verwendet werden können. Die in schneller Folge wechselnden Fremdherrscher hätten es gegenüber der babylonischen Bevölkerung natürlich bei ihrer nackten, puren Herrschaft, beruhend auf militärischer Stärke und physischer Überlegenheit, belassen können und sicher auch so gedeihlich herrschen und die lokale Königswürde ausfüllen können, solange diese Überlegenheit eben andauerte. Allerdings sollte die physische Herrschaft verkleidet werden, um die Akzeptanz der indigenen Bevölkerung zu bekommen; dies diente aber sicher auch der symbolischen königlichen Selbstvergewisserung. Wollten fremde Machthaber auf dem babylonischen Thron tatsächlich auch babylonische Könige sein oder sich wenigstens als solche fühlen, hatten sie gar keine andere Wahl, als sich in die vakante Königsposition zu integrieren und zu Gärtnern der Inanna zu werden.

Die bewusst diachrone Perspektive auf Babylonien ist ein sehr überzeugender Zugriff auf die Geschichte Mesopotamiens im 1. vorchristlichen Jahrtausend, der leider eher selten so breit interdisziplinär gewählt und umgesetzt wird wie von Anagnostou-Laoutides. Zumeist hindern Quellen- und damit verbundene Disziplinschranken die Forschung hier am methodisch Notwendigen. Anagnostou-Laoutides gelingt eine vorzügliche Studie, sowohl hinsichtlich des gewählten Stoffes wie der verfolgten Fragestellung in einer Region, die immer ein politischer Schmelztiegel und Katalysator war.3 Anagnostou-Laoutides’ Zielgruppe ist offensichtlich ein spezialisiertes Fachpublikum aus Orientalisten ebenso wie Althistorikern, das ihre voraussetzungsreiche wie wegweisende Studie zu würdigen versteht. Hervorzuheben ist Anagnostou-Laoutides’ intensive Quellenarbeit, nicht zuletzt ihre Quellenpräsentation, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Studie zieht. Dabei werden eben nicht nur kurze Ausschnitte oder Übersetzungen zitiert, wie das inzwischen leider aus Gründen der intellektuellen bzw. technischen Bequemlichkeit üblich geworden ist, sondern längere Zitate im Original, hebräische und griechische Texte sogar untranskribiert angeführt.

Die Verwendung von End- anstelle von Fußnoten macht die Lektüre indes mitunter etwas beschwerlich. Verbunden mit der kleinen Schrifttype und dem nahezu seitenfüllenden Satz wird längeres Lesen so mühevoll. In Anbetracht des unübersichtlichen Stoffes und der oft sehr dichten Darstellungsweise verstärkt dieser optische Eindruck die Herausforderung des Lesers, wo er doch hinführend und erleichternd wirken sollte. Obwohl dies gewiss redaktionelle Gründe hat und Anagnostou-Laoutides nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, hat der Verlag damit keine glückliche Hand bewiesen. Angesichts der mit der disziplinären Breite des Unternehmens einhergehenden Materialfülle und der nicht immer ganz konzisen Darstellung mangelt es dieser mit großer Expertise und ebensolcher Gelehrsamkeit verfassten Arbeit verschiedentlich an innerer Kohärenz. Anagnostou-Laoutides’ Hauptthese von der Kontinuität der metaphorischen Überhöhung babylonischer Fremdherrschaften als Vorläufer des frühneuzeitlichen Gottesgnadentums zur Herrschaftslegitimation vermag aber in jedem Fall zu überzeugen. Die Untersuchung zeigt unmissverständlich, dass für historische Hotspots – wie Babylonien auf Grund seiner ebenso wechselvollen wie dichten Geschichte unzweifelhaft einer war – substantielle Ergebnisse nur durch konsequent interdisziplinäre Ansätze und die Überwindung von Quellenschranken zu erzielen sind. Das Verdienst, hierfür den Boden bereitet zu haben, gebührt Anagnostou-Laoutides ohne jede Einschränkung.

Anmerkungen:
1 Hans M. Kümmel, Ersatzrituale für den hethitischen König, Wiesbaden 1967; Johannes Bach, Berossos, Antiochos und die Babyloniaka, in: Ancient West & East 12 (2013), S. 157–180.
2 Helmut G. Koenigsberger, Zusammengesetzte Staaten, Repräsentativversammlungen und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 399–423; John H. Elliot, A Europe of Composite Monarchies, in: Past & Present 137 (1992), S. 48–71.
3 Bernd Funck, Uruk zur Seleukidenzeit, Berlin 1984; Joachim Oelsner, Materialien zur babylonischen Gesellschaft und Kultur in hellenistischer Zeit, Budapest 1986; Tom Boiy, Late Achaemenid and Hellenistic Babylon, Leuven 2004; Reinhard Pirngruber, The Economy of Late Achaemenid and Seleucid Babylonia, Cambridge 2017.

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