G. Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort

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Titel
Widerstand ist nicht das richtige Wort. Katholische Priester und Theologen im Dritten Reich


Autor(en)
Denzler, Georg
Erschienen
Zürich 2003: Pendo Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Forstner, Erzbischöfliches Ordinariat München

Anknüpfend an das Widerstandskonzept von Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann 1 und im Widerspruch etwa zu Heinz Hürten 2, belebt der emeritierte Bamberger Ordinarius für Kirchengeschichte, Georg Denzler, mit diesem Buch die Diskussion um den Begriff des kirchlichen Widerstands im Dritten Reich neu. Auch das inzwischen klassische vierstufige Widerstandmodell von Gotto, Repgen und Hockerts 3 ist für Denzler eine Konstruktion, die an der Sache vorbeigeht. Hingegen charakterisiert Denzler die unter dem breiten Begriff kirchlicher Widerstand subsumierten Phänomene als "teilweise abweichendes Verhalten" (S. 9), womit er die oft zur Apologie neigenden Tendenzen der traditionellen Kirchengeschichtsschreibung auf ein sicher zutreffendes Maß zurückstutzt und eine Terminologie einführt, die in der vergleichenden Widerstandsforschung gewiss einen breiteren Raum eröffnet, als die bislang üblichen Ansätze. 4

Nach einem einleitenden Überblick zur Thematik "Nationalsozialismus, Drittes Reich und Kirche" (S. 11-47) widmet sich Denzler den "Katholischen Zugängen zum Nationalsozialismus" (S. 48-82). Dieser Teil umfasst einen Überblick über die Versuche der Theologen Karl Adam, Joseph Lortz, Michael Schmaus und Anton Stonner - letzterer bislang kaum bekannt - eine Brücke zwischen Christentum und Nationalsozialismus zu schlagen. Denzler stützt sich hierbei vor allem auf die Publikationen dieser Theologen, sah aber auch Universitätsakten ein und zog die bisherige Forschungsliteratur heran, wenngleich hier bedauerlicherweise nicht immer der aktuelle Stand der Diskussion reflektiert wurde. 5 Im Dunkeln bleibt bei seinen Skizzen freilich, was hoch gebildete Männer, wie den bis heute bewunderten Dogmatiker Schmaus - der die (nach katholischer Lehre eigentlich häretische) Auffassung vertrat, die Sorge um die Reinhaltung des Blutes sei die Grundlage der geistigen Struktur eines Volkes - dazu veranlasst haben mag, sich der geistlosen NS-Ideologie in die Arme zu werfen. Welche Faszination ging für diese Männer - man denke etwa auch an Martin Heidegger - vom Nationalsozialismus aus? Denzler sieht die Überschneidungen von Katholizismus und Nationalsozialismus vor allem in der gemeinsamen Stoßrichtung gegen den Liberalismus (S. 60). Erklärt dies aber, warum es oft gerade die in ihrer Zeit "modernsten" Theologen waren, die den Brückenschlag suchten? Paradoxerweise fällt Denzler mit seiner Erklärung hinter die Thesen seines eigenen Schülers Rainer Bucher zurück, der für diese Phänomene einen wesentlich komplexeren Ansatz gefunden hat. 6

Den Ausführungen über die Theologen schließt sich eine Untersuchung über die "Philosophisch-Theologische Hochschule Bamberg im Dritten Reich" (S. 83-110) an. Der Schwerpunkt liegt auch hier - der Quellenlage gemäß - auf den Professoren. Bei den Neuberufungen spielte, so Denzler, die "politische Einstellung der Bewerber" keine unwesentliche Rolle (S. 97). Wie sehr die Auffassungen der Theologen zum Teil mit zumindest rassistischen, wenn nicht nationalsozialistischen Stereotypen durchsetzt waren, kann Denzler aufgrund des geringen Umfangs dieses Abschnitts nur an wenigen Beispielen deutlich machen. Bereits diese öffnen freilich Abgründe, die eine tiefer gehende und abwägende Untersuchung dieser Fragen wünschenswert erscheinen lassen. In einem gewissen Widerspruch zu Denzlers Analyse der offenbar zum nicht geringen Teil nationalsozialistisch beeinflussten Professorenschaft steht freilich das kommentarlos von einem Zeitzeugen übernommene Urteil: "Die Vorlesungen waren rein sachlich-wissenschaftlich und berührten keine politischen und weltanschaulichen Themen." (S. 93) Kann man wirklich annehmen, die nazifizierte Professorenschaft habe in der Lehre von all ihren weltanschaulichen Dispositionen abgesehen? Wohl kaum.

Der große dritte Abschnitt des Buches "Kollaboration oder Opposition?" (S. 111-208) umfasst acht biografische Porträts. Fünf davon sind Priestern gewidmet, die dem kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zugerechnet werden können: Dem christlichen Kommunisten Joseph C. Rossaint, den Pazifisten Georg Moenius und Max Josef Metzger, dem Kriegsdienstverweigerer Pater Franz Reinisch und dem Berliner Bischof Konrad Graf Preysing. Drei Porträts setzen sich mit "braunen Priestern" auseinander: Josef Roth, Ministerialdirigent im Reichskirchenministerium, Albert Hartl, SS-Standartenführer im Sicherheitsdienst (SD) der SS und Franz Xaver Eberle, Weihbischof in Augsburg. Befruchtend wäre es gewiss gewesen, Denzlers Kritik des klassischen Widerstandsbegriffs vor dem Hintergrund dieser Porträts diskutiert zu sehen. Denzler geht es anhand dieser Porträts aber eher darum, am konkreten Beispiel zu zeigen, dass "die Institution Kirche kein ideelles Gebäude nach Art von Platons Ideen ist, sondern aus wirklichen Personen besteht", weshalb es nicht verwunderlich sein kann, "daß wir unter den Akteuren, die dem Klerus der Kirche entstammen, Gefolgsleuten wie Opponenten des Regimes begegnen" (S. 111). Dem ist nicht zu widersprechen, es ist aber anzumerken, dass damit andererseits über die Hintertür doch wieder ein schwarz-weiß Geschichtsbild entsteht. Geschichte ist aber - um einen Ausspruch Nipperdeys anzuführen - vor allem grau in vielen Schattierungen. Konkret: Die breite Masse der Kleriker, über deren Haltung und Meinung wir wenig wissen, ist mit den Kriterien „gut“ und „böse“ nicht zu erfassen. Denzler demonstriert den Ausnahmefall, interessant wäre aber der Regelfall, der prototypische Durchschnittspriester. Der bleibt vorläufig noch im Dunkel der Geschichte.

Im vierten und letzten Abschnitt des Buches widmet sich Denzler der Frage nach "Verdienst und Versagen, Verantwortung und Schuld" (S. 209-270). Hier wird zunächst gründlich mit dem bis heute weit verbreiteten Konstrukt aufgeräumt, die These von der mangelnden Abwehrbereitschaft der Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus sei erst mit Böckenförde und Hochhuth im der Kirche wenig geneigten Klima der sechziger Jahre aufgestellt worden. Fakt ist - und dies weist Denzler hier anhand von zahlreichen Quellen nach - dass harsche innerkirchliche Kritik am Kurs der Kirchenführung bereits im ersten Jahr der Machtergreifung einsetzte, etwa durch Männer wie Alois Dempf, der 1934 fast prophetisch verkündete: "Wovor sich die deutschen Katholiken wirklich zu fürchten haben, das ist ihre Mittelmäßigkeit." (S. 230) Nach Ende des Regimes begann noch im Jahr 1945 die Abwehr der sich nun zunehmend verschärfenden Kritik, bis die kritischen Stimmen im Prozess der kollektiven Verdrängung des Nationalsozialismus Ende der vierziger Jahre vorläufig verstummten und auch die inkriminierten Theologen, nun als Mitläufer eingestuft, auf ihre Lehrstühle zurückkehren konnten - ein Prozess, der hier teilweise ebenfalls dargestellt wird. Denzler diskutiert in diesem Kapitel sodann verschiedene Positionen zur Frage nach Verantwortung und Schuld, wobei er als Theologe (Denzler muss stets als historisch argumentierender Theologe gesehen werden) zu einem insgesamt sehr kritischen Urteil über das Verhalten der Kirche im Dritten Reich gelangt.

Da Denzlers Manuskript zum Zeitpunkt des Erscheinens von Goldhagens "Die Katholische Kirche und der Holocaust" offenbar bereits abgeschlossen war, konnte er dem Elaborat des US-Politologen nur noch ein ausführlicheres Nachwort widmen, das in der Sache allerdings an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Goldhagens Thesen seien dem jüdisch-christlichen Dialog abträglich, sein Buch "eine künstliche Konstruktion von Halbwahrheiten im Dienste einer Ideologie" (S. 277) - so Denzler.

Wird Denzler seinem Thema auch aus historischer Sicht gerecht? "Widerstand ist nicht das richtige Wort" besteht aus sehr heterogenen Teilen, die untereinander nur lose verbunden sind und denen die unterschiedlichen Kontexte der Entstehung (teils Vorträge, teils Rundfunkbeiträge, teils explizit für das vorliegende Buch verfasste Passagen) mitunter anzumerken sind. Zunächst ist leider festzustellen, dass der sehr konstruktive Ansatz teilweise an der Oberfläche bleibt und eine methodische Klärung und Gründung vermissen lässt. In der Summe bleibt das Buch – aus Sicht des Historikers – so teilweise eine verpasste Chance. Der Umgang mit den Quellen wirkt mitunter etwas zu sorglos, etwa wenn Denzler sich in längeren Passagen unkritisch auf Zeitzeugenberichte stützt 7, was besonders bei Albert Hartl, der als ehemaliger SS-Obersturmbannführer nach 1945 naturgemäß ein besonders Interesse an der Glättung seiner Biografie hatte, nicht nur aus methodischen Gründen fragwürdig ist. 8 Forschungskontroversen werden mitunter ignoriert und eine bestimmte Auffassung als Tatsache ausgegeben. 9 Schließlich wäre dem Buch auch ein gründlicheres Lektorat zu wünschen gewesen, durch das einige Flüchtigkeitsfehler sicher hätten vermieden werden können. 10

Denzlers Buch ist, ungeachtet der geübten Kritik, vor allem in zwei Punkten äußerst wichtig und wegweisend. Zum einen gelingt es ihm als Theologe, sich vom mitunter naiv anmutenden, zumindest aber problematischen Widerstandsbegriff der älteren (apologetisch motivierten) Katholizismusforschung freizumachen und so auch den Kirchenhistorikern aufzuzeigen, wohin die Richtung der Forschung gehen muss, wenn sie über die Kirchenmauern hinaus noch ernst genommen werden will. Zum anderen wagt Denzler sich als einer der wenigen ernsthaften Wissenschaftler an eine breitere Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Wirken katholischer Universitätstheologen im Dritten Reich. Nachdem sich inzwischen nahezu alle Universitätsdisziplinen mit der Rolle ihres Faches in der NS-Diktatur beschäftigt haben, ist eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik von Seiten der Theologie ebenso überfällig, wie aus kirchenpolitischer Sicht geboten. Dies sollte die Fachwissenschaft selbst leisten, bevor auch hier Scharlatane und selbst berufene Dilettanten sich medienwirksam in den Vordergrund drängen; auch wenn dabei - was zu erwarten sein dürfte - mehr Unangenehmes zu Tage tritt, als manchen lieb sein dürfte.

Schließlich gehört "Widerstand ist nicht das richtige Wort" trotz der heterogenen Bestandteile, aus denen es zusammengesetzt ist, zu jenen Büchern, die man in den letzten Jahren doch vermisst hat: Hier schreibt ein Kenner der Materie flüssig und souverän in einem wohltuendem Stil ohne überflüssige akademische Attitüden. Dies lässt vermuten, dass dem Buch ein breiterer Rezipientenkreis beschieden sein wird. Es bleibt aber zu hoffen, dass so nicht nur die Sicht des Laien bereichert, sondern auch den theologischen Wissenschaften ein Impuls vermittelt wird, sich mit dem eigenen Fach ernsthaft, offen und kritisch auf Basis der in breitem Maße vorhanden Schriftquellen auseinanderzusetzen.

Anmerkungen:
1 Mallmann, Klaus-Michael; Paul, Gerhard, Resistenz oder loyale Widerwilligkeit? Anmerkungen zu einem umstrittenen Begriff, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 41 (1993), S. 99-116.
2 Hürten, Heinz, Deutsche Katholiken 1918-1945, Paderborn 1992.
3 Gotto, Klaus; Repgen, Konrad (Hgg.), Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus, Mainz 1980.
4 Hierzu sei angemerkt, dass der Begriff des "abweichenden Verhaltens" in der Klerusforschung bereits Verwendung fand (vgl. hierzu: Götz von Olenhusen, Irmtraud, Klerus und abweichendes Verhalten. Zur Sozialgeschichte katholischer Priester im 19. Jahrhundert: Die Erzdiözese Freiburg, Göttingen 1994).
5 So fehlt etwa bei Karl Adam der Hinweis auf die wichtige Habilitationsschrift von Scherzberg, Lucia, Kirchenreform mit Hilfe des Nationalsozialismus. Karl Adam als kontextueller Theologe, Darmstadt 2001, die eine grundlegende Analyse des Werks Adams unternimmt und Grundlage jeder weiteren Beschäftigung mit diesem Theologen sein muss.
6 Bucher, Rainer, Kirchenbildung in der Moderne. Eine Untersuchung der Konstitutionsprinzipien der deutschen katholischen Kirche im 20.Jahrhundert, Stuttgart 1998.
7 Etwa im Kapitel über die Bamberger Hochschule (S. 93ff., 103ff.), wobei Anfang und Ende der Zitate merkwürdigerweise nicht durch Anführungsstriche markiert sind, was gehörig Verwirrung stiftet.
8 Inwieweit die Selbstdarstellung Hartls kritisch zu sehen ist, hat Dierker, Stefan, Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933-1941, Paderborn 2002, S. 96-118 in erschöpfender Weise dargelegt. Denzler führt Dierkers Buch zwar an, rezipiert es offenbar aber nur eingeschränkt.
9 So ist etwa die nach wie vor ungeklärte Rolle des Münchener Weihbischofs Scharnagl bei Denzler, der sich ganz auf die Aussagen des SS-Manns Hartl stützt, eindeutig. Gemäß der Darstellung Denzlers diente Scharnagl der Gestapo, die ihn wegen einer Sex-Affäre erpresst haben soll, als Informant über kirchenpolitische Interna. Faktisch wurden die vom "Spiegel" erhobenen Vorwürfe nie bewiesen, Scharnagl im Rahmen eines gegen ihn angestrengten Prozesses von allen Vorwürfen freigesprochen. Zumindest auf die Tatsache der breiten Diskussion um die Schuldfrage bei Scharnagl hätte Denzler redlicherweise hinweisen müssen.
10 z. B. Weihejahr des Priesters Karl Kupfer 1945 (S. 107) oder 1943 (S. 108)? Emil Mühler (S. 152) statt Emil Muhler.

Der Rezensent ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Erzbischöflichen Ordinariat München. Diese Rezension spiegelt seine private Auffassung wider und ist keine öffentliche Stellungnahme des Erzbischöflichen Ordinariats München.

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