C. Scholl u.a. (Hrsg.): Transcultural Approaches

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Titel
Transcultural Approaches to the Concept of Imperial Rule in the Middle Ages.


Herausgeber
Scholl, Christian; Clauß, Jan; Gebhardt, Torben
Erschienen
Frankfurt am Main 2017: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
379 S.
Preis
$75.95; € 66,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Becher, Historisches Seminar, Universität Bonn

Imperien reklamieren die Weltherrschaft für sich oder zumindest die Dominanz über weite Teile „ihrer“ Welt, also seit der Hochphase des Kolonialismus über die gesamte Erde. Die Debatte in der Politikwissenschaft hat daher vor allem anhand neuzeitlicher Beispiele Kriterien für Imperien entwickelt. So zeichnen sich Imperien laut Herfried Münkler vor allem durch den eingangs erwähnten Anspruch aus[1]. Hans Heinrich Nolte fordert von einem Imperium hingegen die folgenden Eigenschaften: eine monarchische Spitze, eine Staatsreligion, eine entwickelte Bürokratie, eine auf Schriftlichkeit beruhende Kommunikation, zentral eingezogene Abgaben und Steuern, eine Vielfalt der Provinzen sowie eine geringe Partizipation der Bürger[2]. Es liegt auf der Hand, dass im mittelalterlichen Europa und dessen Nachbarregionen allenfalls das oströmische Reich und diverse islamische Herrschaftsbildungen diese Kriterien erfüllt haben. Freilich hat es seit der Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 auch im Westen Europas ein Imperium gegeben, das sich in der Nachfolge des antiken Römerreiches sah. Die Herausgeber führen daher für das europäische Mittelalter ein spezifisches Kriterium ein: Den Anspruch der Oberherrschaft über den „gesamten“ Erdkreis, der es einer dominierenden Macht innerhalb einer Großregion unmöglich (oder besser: schwer) gemacht habe, eine andere als gleichberechtigt anzuerkennen. Um dieses spezifische Problem geht es in dem Band nicht, vielmehr wollten die Herausgeber nicht nur Byzanz und das karolingische Imperium in den Blick nehmen, sondern auch die Bedeutung imperialer Phänomene wie Titel oder Ansprüche für andere Reiche untersuchen. Die Autoren sollten daher laut der Vorgaben der Herausgeber vor allem danach fragen, aus welchen Gründen manche Herrscher wie Karl der Große nach dem Kaisertitel strebten, während etwa Theoderich der Große trotz des imperialen Zuschnitts seiner Herrschaft auf diesen Titel verzichtete. Karl von Anjou wiederum strebte nach dem Kaisertitel des längst untergegangenen sogenannten lateinischen Kaiserreichs, während angelsächsische Könige mit dem Titel Bretwalda die Oberherrschaft über ganz Britannien beanspruchten.

Christian Scholl untersucht in seinem Beitrag (S. 19–39), bis zu welchem Grad die Herrscher der Nachfolgestaaten des römischen Imperiums im Westen den (ost-)römischen Kaiser imitierten, berücksichtigt dabei aber auch die Vorrechte, die dem Kaiser zumindest bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen im Jahr 800 eingeräumt wurden. Sebastian Kolditz diskutiert die Beziehungen der oströmischen Kaiser zu den Herrschern der Steppenvölker Eurasiens (S. 41–76), deren faktische Macht sie durchaus anerkennen mussten. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Frage, welche Titel die byzantinische Seite den Herrschern der Avaren, Türken oder Chazaren zubilligte. Jan Clauß beschreibt die Kaisererhebung Karls des Großen sowohl als Endpunkt einer langen Entwicklung als auch als Ergebnis einer gezielten Politik Karls des Großen (S. 77–116). Der Autor sieht in Theodolf von Orléans den Vordenker des karolingischen Kaisertums. Für das Ereignis selbst wäre eine Diskussion der Thesen von Johannes Fried interessant gewesen, zumal in der Einleitung des Bandes hervorgehoben wird, dieser Beitrag räume mit dem Narrativ auf, Karl der Große sei von seiner Erhebung zum Kaiser überrascht gewesen. Allerdings sind in den letzten 20 Jahren schon Fried, Rudolf Schieffer und andere diesem Narrativ – sollte man nicht besser einfach von einer Forschungsposition sprechen? – nicht gefolgt, sondern haben eine andere Sicht der Ereignisse entwickelt. Simon Groth geht der Frage nach, wie es den Päpsten im Verlauf des 9. Jahrhunderts gelungen ist, die entscheidende Instanz bei der Kaisererhebung im Westen zu werden (S. 117–138). Dass dies nicht selbstverständlich war, zeigt die Tatsache, dass sowohl Karl der Große als auch Ludwig der Fromme die Kaiserwürde bereits zu ihren Lebzeiten ohne die Mitwirkung des Papstes an ihre Söhne weitergegeben haben. Daran ändert nichts, dass beide – Ludwig der Fromme selbst und Lothar I. – später vom Papst auch noch gekrönt wurden, ohne dass dieser Handlung konstitutive Bedeutung zugekommen wäre. Ludwig II. wurde zwar 850 in Rom zum Kaiser gekrönt, jedoch allem Anschein nach auf Weisung seines Vaters Lothar I. Für Groth spielt Papst Johannes VIII. die entscheidende Rolle, da er bei den Kaisererhebungen in den Jahren 875 und 881 tatsächlich nicht nur als Koronator, sondern auch als Kaisermacher fungierte. An diese Problematik schließt der Beitrag von Jessika Nowak thematisch und zeitlich an (S. 139–156). Sie lenkt den Blick auf die Provence und Burgund – zwei Reiche, die nicht gerade im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen. Sie thematisiert die politischen Ambitionen Ludwigs des Blinden, Rudolfs II. von Burgund und Hugos von Arles in Italien im Hinblick auf das Kaisertum, nach dem Ludwig erfolgreich und Hugo ohne Erfolg strebten, wofür ihre karolingische Abkunft, aber auch Besitz und persönliche Beziehungen verantwortlich waren. Rudolf legte dagegen diese Ambitionen nicht an den Tag und konzentrierte sich auf den Ausbau seines burgundischen Königtums. Torben R. Gebhardt behandelt den Titel „basileus anglorum“ des angelsächsischen Königs Æthelastan (S. 157–183), mit dem dieser nicht in Konkurrenz zum oströmischen Reich oder westlichen Imperium treten, sondern seinem Anspruch auf die Position eines Oberkönigs Ausdruck verleihen wollte. Nadeem Khan beschäftigt sich mit der Stellung der Kalifen in den ersten Jahrhunderten nach Entstehung des Islam (S. 185–219). Selbst nach dem Verlust faktischer Macht wurde ihre imperiale Stellung im Sinne Münklers von regionalen Machthabern anerkannt, die sich in aller Regel vom Kalifen einen Titel verleihen ließen. Ein ausgefeiltes Ritual unterstrich zudem die besondere Stellung des Kalifen. Als Fallbeispiel diskutiert der Autor anschließend den politischen Aufstieg Saladins. Tobias Hoffmann stellt das Zeremoniell in den Mittelpunkt seines Beitrags, mit dem am Kaiserhof in Konstantinopel Gesandte fremder Herrscher empfangen wurden (S. 221–244). Der Autor geht auch literarische und historische Quellen aus dem Westen durch; in aller Regel sollte in diesen Texten gezeigt werden, dass die westlichen Vertreter den Byzantinern überlegen waren, vor allem in den Punkten, in denen dies nicht zutraf – etwa Reichtum oder auch diplomatische Gewandtheit. Das skandinavische Nordeuropa thematisiert Roland Scheel (S. 245–294); anders als etwa in Spanien beanspruchte dort zwar kaum ein Herrscher den Kaisertitel für sich, aber in literarischen Quellen, insbesondere den Sagas, ist vergleichsweise häufig von Kaisern die Rede. Gemeint waren in aller Regel die oströmischen Kaiser, deren Bild wohl auf Grund des intensiven Kontakts mit Konstantinopel das der westlichen Kaiser bei weitem überstrahlte. Diese wurden daher in den Texten regelmäßig eher negativ gezeichnet und tendenziell abgewertet. Stefan Burkhardt nimmt das Streben von Mitgliedern des Hauses Anjou nach dem Titel „Kaiser von Konstantinopel“ in den Blick (S. 295–319), der nach 1261 als Legitimation für eine (Rück-)Eroberung der Stadt am Bosporus dienen sollte. Grischa Vercamer beschäftigt sich mit der Darstellung von Kaisern in der polnischen Historiographie (S. 321–366). Diese werden eher negativ und vor allem als dem polnischen Herrscher unterlegen gezeichnet, wodurch Polen als das eigentliche Imperium dargestellt werden sollte.

Der Band bietet einen sowohl weiten als auch intensiven Blick auf imperiale Konzepte im Mittelalter. Dank seiner transkulturellen Anlage werden Phänomene, die auf den ersten Blick vielleicht wenig gemeinsam haben mögen, vergleichbar gemacht und analysiert. Dabei verleugnen die Autoren ihre fachliche Zuordnung nicht, was wohl ein sinnvoller Weg ist, zu weiterführenden Ergebnissen im transkulturellen Vergleich zu kommen. Natürlich wird man die eine oder andere Beobachtung auch anders einordnen können, aber die Ergebnisse sind insgesamt ausgesprochen überzeugend. Da sich die meisten Autoren der Mühe unterzogen haben, ihren Beitrag auf Englisch zu verfassen, ist diesem Band eine angemessene Rezeption im angelsächsischen Sprachraum zu wünschen.

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