J. Olmstead (Hrsg.): Reconsidering Peace and Patriotism

Titel
Reconsidering Peace and Patriotism during the First World War.


Herausgeber
Olmstead, Justin
Erschienen
Basingstoke 2017: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
X, 170 S.
Preis
€ 96,29
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Axel Dröber, Deutsches Historisches Institut Paris

Der vorliegende Sammelband ist aus der internationalen Konferenz „Les défenseurs de la paix 1899–1917, approches actuelles, nouveaux regards“ hervorgegangen, die 2014 in Paris stattgefunden hat. Die hier versammelten Beiträge beschäftigen sich mit Friedensinitiativen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In der Einleitung legt Herausgeber Justin Quinn Olmstead dar, dass diese Phase gewöhnlich unter den Vorzeichen von Julikrise, Erstem Weltkrieg und Versailler Friedensvertrag betrachtet werde. Daneben würden oft die vielfältigen Versuche übersehen, noch während des Krieges einen Frieden herbeizuführen. Das Ziel des Sammelbandes sei es daher, die Friedensinitiativen stärker in diesem Kontext zu betrachten.

Der erste Teil beschäftigt sich mit internationalen Friedensbewegungen. Enrica Costa Bona betrachtet das 1891 gegründete „Internationale Ständige Friedensbüro“, das zwischen 1899 und 1914 nahezu jährlich internationale Friedenskongresse ausrichtete. Hier herrschte Einigkeit vor, dass eine internationale Organisation, gestützt auf juristische Verfahrensweisen der Streitschlichtung, einen friedlichen Ausgleich auf internationaler Ebene erreichen würde, wie die Delegierten in München 1907 feststellten. Der Ausbruch der Julikrise brachte die Aktivitäten des Büros weitgehend zum Erliegen. Auch im Falle der Freimaurer zwang der Krieg die internationalen Aktivitäten zum Stillstand, wobei die Bewegung schon zuvor aufgrund innerer Streitigkeiten an Dynamik verloren hatte. Fulvio Conti zeigt, dass das „Bureau international des relations maçonniques“, das der Koordinierung der Friedensaktivitäten der europäischen und transatlantischen Logen diente, eine unstete Existenz hatte. Ab den 1900er-Jahren traten die Gegensätze zwischen angelsächsischen und lateineuropäischen Freimaurern immer offener hervor. Erstere wollten ihre Arbeit auf die Unterstützung philanthropischer Einrichtungen begrenzen, während sich gerade italienische Logen in politische Fragen einschalteten und im eigenen Land einen virulenten Antiklerikalismus vertraten.

Um einen Freimaurer geht es auch zu Beginn des zweiten Teils; nämlich Léon Bourgeois, Mitglied der radikalen Linken in Frankreich und Theoretiker des internationalen Solidarismus. Caroline Tixier beleuchtet die Rolle, die die französische Delegation unter Bourgeois auf der ersten Friedenskonferenz in Den Haag 1899 spielte. Aus deren Sicht war die Abrüstung ein Resultat der erfolgreichen Etablierung eines internationalen Rechtssystems, während für viele Pazifisten erst der Rückgang der Waffen den Weg zum Frieden zu bereiten schien. Zeitgenosse von Léon Bourgeois war Nicolas Politis, ein griechisch-stämmiger, in Frankreich eingebürgerter Juraprofessor. Marilena Papadaki zeigt in ihrem Beitrag, dass Politis maßgeblichen Anteil an der Kanonisierung des internationalen Rechts als Disziplin hatte. Er grenzte sich von pazifistischen Bewegungen ab, die im Krieg die Ursache allen Übels sahen: Der Krieg war nicht der eigentliche Beweggrund von Politis, sondern vielmehr die Vision eines internationalen Schlichtungsverfahrens. Politis sollte maßgeblich an der Ausarbeitung des Genfer Protokolls beteiligt sein, dass 1924 vom Völkerbund angenommen wurde, allerdings an der Nicht-Ratifizierung durch Großbritannien scheiterte.

Donatella Cherubini geht auf die Rolle des italienischen Politikers Guiseppe Emanuele Modigliani auf der Zimmerwald-Konferenz 1915 ein. Hier versuchte die europäische Linke vergeblich, die Sozialistische Internationale zu aktivieren und das Proletariat gegen den Krieg zu mobilisieren. Die Konferenz machte Modigliani, der mit seinem Pazifismus innerhalb der neutral eingestellten italienischen Sozialisten hervorstach, international bekannt und bestimmte sein weiteres Engagement gegen den Krieg. So widersetzte sich Modigliani der Forderung Lenins, den Krieg in einen Bürgerkrieg gegen das Bürgertum zu verwandeln. Folgend nimmt Jean Mills das Friedensengagement von Jane Ellen Harrison unter die Lupe und zeigt, wie die Überlegungen der Cambridger Altphilologin zum Platz der Religion in der modernen Gesellschaft den Grundstein für ihre Theorie einer neuen sozialen Ordnung und weltweiten Friedens legte. Sie lehnte unüberprüfbare Dogmen und die kirchliche Sündenlehre ab, berief sich auf skeptizistische und agnostische Prinzipien, um mit Blick auf den Ausbruch des Weltkrieges jeden blinden Patriotismus entsetzt abzulehnen. Damit eckte sie in ihrem beruflichen Umfeld an und entfremdete sich von Kollegen, die dem Krieg positive Seiten abzugewinnen suchten. Auch Rosika Schwimmer geriet in Konflikt mit Freunden und vermeintlich Gleichgesinnten. Dagmar Wernitznig untersucht, wie sich die Budapester Aktivistin, die ab 1900 zu einer der wichtigsten Figuren der feministischen Bewegung in der Habsburgermonarchie wurde, parallel immer mehr für den Pazifismus engagierte. Während einer dreimonatigen Reise in die USA, die von der National American Woman Suffrage Association im Herbst 1914 organisiert worden war, wurde ihr nicht nur vorgeworfen, das Thema der Gleichberechtigung zu vernachlässigen. Auch die amerikanischen Pazifisten nahmen die Forderung Schwimmers, den Krieg um jeden Preis zu beenden, nur verhalten auf.

Den dritten Teil eröffnet der Beitrag von Justin Quinn Olmstead, in dem es darum geht, wie Großbritannien und Deutschland jeweils das Versprechen von Frieden zur Durchsetzung ihrer strategischen Ziele missbrauchten. Aus Sicht der Engländer erlaubte das Grey-House Memorandum vom Februar 1916 den Krieg erst einmal fortzusetzen und so die völlige Niederlage der Achsenmächte weiterzuverfolgen. Auch die deutsche Regierung setzte mit ihrer Initiative von 1916 darauf, Friedensverhandlungen als Rückversicherung im Falle eines ungünstigen Kriegsverlaufs zu bewahren, solange aber darauf hinzuwirken, dass sich die USA aus dem Krieg heraushielten. Keith Grieves nimmt die Auseinandersetzungen zwischen Kriegsgegnern und Kriegsbefürwortern in Großbritannien in den Blick. In einem offenen Brief vom November 1917 trat Lord Lansdowne für einen Verständigungsfrieden ein. Grieves erklärt, dass sich mit den für die Alliierten immer geringer werdenden Siegaussichten die Stimmen in England mehrten, die ein Ende des Krieges forderten. Lansdowne, der 1869 Minister geworden, von diesem Posten aber aus Protest gegen die irische Landreform des liberalen Kabinetts zurückgetreten war, bezahlte sein Engagement mit dem Ausschluss aus der konservativen Partei. Sein „Peace Letter“, wie die Times seine im Konkurrenzblatt Daily Telegraph abgedruckte Petition abfällig betitelte, fand in der Heimat wie an der Front Sympathisanten. Darunter war nicht nur der englische Premier Lloyd George, sondern auch Offiziere und Soldaten in den Schützengräben.

Den Krieg leid waren auch französische Soldaten, die sich im Anschluss an die misslungene Nivelle-Offensive im April 1916 dem Befehl zum Weiterkämpfen widersetzten. Galit Haddad zeigt, dass die Schlacht von Chemin des Dames der Anlass für die mehrere Monate andauernden Meutereien in der französischen Armee war. Sie richtet den Fokus auf die Wahrnehmung der Meuterer durch die Soldaten, die zwar zur selben Einheit gehörten, sich aber nicht an der Befehlsverweigerung beteiligten. Angehörige des 129. Infanterieregiments der fünften Infanteriedivision, das sich in Verdun und Douaumont ausgezeichnet hatte, bedauerten, dass die Ehre der Einheit beschmutzt worden sei und warfen ihren Kameraden einen mangelnden Durchhaltewillen vor, der die Heimat größten Gefahren aussetzen werde.

Der Sammelband gibt einen spannenden Einblick, auf welch vielfältige Weise der Krieg ab circa 1900 in Europa und darüber hinaus wahrgenommen wurde. Eine Stärke ist das weite Panorama der Akteure, zu denen nicht nur Friedensaktivisten und Pazifisten im engeren Sinn gehörten, sondern genauso Politiker, Menschenrechtler, Akademiker und schließlich Armeeangehörige. Viele von ihnen hatten sich nicht eigentlich dem Erreichen des Friedens verschrieben, sondern strebten in ganz unterschiedlichen Disziplinen und Lebensbereichen nach einer neuen moralischen, sozialen oder internationalen Ordnung. Der Titel des Bandes ist derweil etwas irreführend, da es keineswegs nur um den ersten Weltkrieg im engeren Sinn geht, sondern genauso um die Jahre davor, werden doch internationale Bewegungen und Netzwerke am Ausgang des 19. Jahrhunderts und der Werdegang herausragender Friedensaktivisten thematisiert. Auch hätte die Orientierung für den Leser verbessert werden können, wenn die einzelnen Teile mit einer Überschrift versehen worden wären. Womöglich wäre so der rote Faden zwischen den Beiträgen sichtbarer geworden.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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